Seit einem Vierteljahrhundert trägt die von der NATO geführte KFOR-Mission zur Stabilität und Sicherheit im Kosovo bei. Neben der Friedenssicherung leistet das NATO Advisory and Liaison Team (NALT) entscheidende Aufbauarbeit – von der Beratung der Kosovo Security Force (KSF) bis zur Unterstützung des Verteidigungsministeriums. Doch trotz Fortschritten stehen die Verantwortlichen vor großen Herausforderungen, insbesondere in den Bereichen Logistik und Personalentwicklung. Militärberater Brigadegeneral Christian Nawrat, Direktor NALT, Oberstleutnant Anja Volbeding, Military Assistant zum Direktor NALT, und Oberleutnant Nick T. Esser, Aide-de-camp des Director NALT, geben als Autorenteam des folgenden Gastbeitrags Einblicke in die tägliche Arbeit des NALT-Teams.
Seit nunmehr 25 Jahren befindet sich die von der NATO geführte internationale Schutztruppe Kosovo Force (KFOR) im Kosovo, um ein Safe and Secure Environment und Freedom of Movement für die Stabilität und Sicherheit des Kosovo und seiner Bevölkerung sowie für die Region zu gewährleisten. Seit 1999 leisten auch Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ihren Dienst im Kosovo und das mit unterschiedlichen Aufträgen in einer sich stets verändernden Mission.
Eine Gewissheit steht dabei im Fokus: Die Sicherheitslage eines Landes kann nur langfristig stabil bleiben, wenn neben diesen klassischen Aufträgen von Friedenstruppen die Hilfe zur Selbsthilfe Teil des Wiederaufbaus ist. Hierzu befindet sich seit über 10 Jahren neben KFOR eine weitere Mission im Kosovo. Das NATO ADVISORY AND LIAISON TEAM – kurz NALT. Dieses untersteht, anders als KFOR, nicht dem Joint Forces Command in Neapel und damit auch nicht dem Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) in Mons, sondern direkt dem International Staff im NATO-Hauptquartier in Brüssel und bildet so die direkte Verbindung zwischen Entscheidungsträgern der NATO und den Institutionen im Kosovo.
Das NALT-Mandat ist seit 2016 unverändert. Der Schwerpunkt liegt auf der Ertüchtigung der zivilen Kontrolle der Kosovo Security Force (KSF) und Beratung des kosovarischen Verteidigungsministeriums. Die Aufgaben NALT sind in der Beratung der KSF auf Basis des ursprünglichen KSF-Mandats aus dem Jahr 2008 im Sinne des ehemaligen Kosovo Protection Corps als Support to Civilian Authorities beschränkt.
Daher liegt der Fokus im Fähigkeitsaufbau der KSF auf den Elementen, die für Einsätze bei Naturkatastrophen besonders befähigt sind. Dies sind eine Search and Rescue-Kompanie, eine De-Mining-Kompanie, eine Dekontaminationskompanie, eine Kompanie mit Baupionieren für Straßen und Brücken sowie die Führungs- und Unterstützungselemente. Alle diese Einheiten sind Teil der Nationalgarde. Es geht dabei nicht nur um Capacity Building: Die zivile Kontrolle eben dieser militärischen Fähigkeiten ist für das durch den deutschen Brigadegeneral Christian Nawrat geführte Team, bestehend aus 50 militärischen und zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, davon knapp 30 Militärberaterinnen und Militärberater aus über 14 Nationen, ebenfalls ein wichtiges Anliegen.
Wenngleich nicht mit Zustimmung der NATO, erfolgt der Umbau der KSF seit 2018 hin zu territorialen Verteidigungsstreitkräfte mit dem größten bilateralen Partner im Kosovo, den USA. Der bis 2029 laufende 10jährige Comprehensive Transition Plan (CTP), mit dem die KSF von ca. 2.500 Personen des Zivilschutzes auf eine Stärke von 5.000 Soldaten und 3.000 Reservisten inkl. drei leichter Infanterieregimenter mit Feuerunterstützung anwachsen soll, befindet sich aktuell in der Phase der Herstellung der initialen operationalen Einsatzfähigkeit. Somit werden die Voraussetzungen für die letzte Phase, die Erreichung der gesamtheitlichen Einsatzfähigkeit, geschaffen. Der Personalbestand umfasst aktuell ca. 4.025 Soldaten und zivile Beschäftigte.
Aber das NALT berät dazu komplementär das kosovarische Verteidigungsministerium und die KSF in sämtlichen Bereichen, von Personalmanagement über Logistik bis hin zu Fragen der Standardisierung oder bei der Erstellung von Gesetzen und Regularien.
Es existieren weiterhin fundamentale Herausforderungen, die unter anderem mit dem raschen Aufwuchs von militärischen Fähigkeiten zusammenhängen. Die Infrastruktur der KSF reicht weder für die neu aufzustellenden Regimenter noch für die Unterbringung der KSF-Angehörigen, geschweige denn für den Zulauf des neuen Geräts und die notwendige Logistik, aus.
Es fehlen Ressourcen und Fähigkeiten für die Schaffung des Personalkörpers, Ausbildungsgänge und Verwendungsreihen sowie ein gezieltes Personalmanagement. Mit einem wachsenden Personalkörper werden so kaum Fähigkeitszuwächse in der KSF erreicht. Hier setzt das NALT im Schwerpunkt mit mehreren Beratern gezielt an, erste Grundlagen wurden durch KSF-Regularien gelegt, weitere Ausplanungen von sog. Career-Path- Developments werden erarbeitet.
Neben den Herausforderungen im Bereich Personal ist das noch nicht entwickelte logistische System das Haupthemmnis für den Aufbau und die Weiterentwicklung der KSF. Das aktuelle logistische System lebt vor allem von Improvisation. Die unteren Ebenen verfügen weder über finanzielle Mittel noch über ausreichende Ersatzteile, Werkzeugsätze oder ausgebildetes Personal. Vor dem Hintergrund der sehr hohen Diversität des eingesetzten Materials in allen Bereichen, des teilweise hohen Alters des Materials und der zeitgleich steigenden Komplexität in der Handhabung des neu beschafften Materials steht die KSF vor großen Herausforderungen.
Das dafür ursächliche Problem liegt in der Führung der KSF, die zur Lösung der logistischen Herausforderungen nicht in der Lage ist und in der Komplexitätsfalle verharrt. Eine konsequente Konsolidierung der Materialvielfalt durch eine Trennung von Altbeständen, restriktive Annahme von Spenden und klare Ausrichtung auf Premiumpartner ist dringend geboten. Die Entscheidung der KSF, im Bereich ungeschützter und logistischer Fahrzeuge vor allem auf deutsche Produkte zu setzen, geht in die richtige Richtung, um einer der Herausforderungen zu begegnen.
Die bereits sehr gut entwickelten Fähigkeiten im Bereich der Nationalgarde sind von den o.g. Herausforderungen teilweise ebenfalls betroffen und schränken die Einsatzbereitschaft auf Ebene Task Force, bestehend aus verschiedenen Fähigkeiten, ein. Gleichwohl kann die Nationalgarde als vorbildlich in der KSF angesehen werden. Deutsche Ertüchtigungsprojekte unterstützen diesen Bereich seit Jahren sehr effektiv und stehen damit im Einklang mit der NATO-Position und dem NALT-Mandat. In diesem Zusammenhang ist die positive Entwicklung des Search and Rescue International Training Center (SARITC) zu sehen, das durch Nationen wie die Niederlande, die Türkei, Großbritannien und Jordanien im Jahr 2023 häufig genutzt wurde und damit internationale Anerkennung erfährt.
Mit Blick auf Ausbildung und Übung können Fortschritte verzeichnet werden: Im Training and Doctrine Command (TRADOC) der KSF wurden mit der Unterstützung des NALT alle gemäß NATO-Standards vorgesehenen Unteroffizier-Kurse aufgebaut. Der erste Command-Sergeant-Major-Kurs wurde im Januar 2024 abgeschlossen. Zudem wird mit Unterstützung des NALT eine CPX-Infrastruktur geschaffen, die 2024 auf Basis von JCATS zur Beübung von Stäben erstmals betrieben wurde. Gleichwohl fehlen weiterhin Lehrgänge zur Ausbildung in den jeweiligen Truppengattungen bzw. auf Ebene Kompaniechef und höher. Somit bleibt die KSF mittelfristig vor allem auf Unterstützung durch Lehrgänge von bilateralen Partnern (u. a. den USA, DEU) angewiesen.
Stabsoffiziere, erfahrene Unteroffiziere sowie Zivilisten sind innerhalb des NALT in verschiedenen Funktionen tätig. Neben administrativen Dienstposten bilden die Militärberaterinnen und Militärberater den operativen Kern des NALT. Die Beratungsleistungen erstrecken sich innerhalb der Bereiche Strategie & Planung, Führung & Ausbildung sowie Unterstützung. Es sind immer durch die Nation handverlesene Expertinnen und Experten, die die KSF in ihrem Aufbau- und Umstrukturierungsprozess unterstützen. Jeder Kompetenzbereich eines Stabsoffiziers ist hier vertreten und auch vonnöten.
Das Team der Militärberater benötigt weiterhin hochqualifizierte, dienstpostengerecht ausgebildete Beraterinnen und Berater, welche den Willen haben, Widerstände zu überwinden, und ebenfalls die Fähigkeit besitzen, geduldig zu sein und sich über kleine Fortschritte zu freuen. Manchmal werden Fortschritte nur auf Millimeterpapier realisiert. Nichtsdestotrotz wirkt die Beratungsleistung jedes Einzelnen für die Weiterentwicklung des kosovarischen Verteidigungsministeriums und der KSF.
Wenn auch die kurze Stehzeit der Beraterinnen und Berater von sechs Monaten der Idee der langfristigen und persönlichen Begleitung entgegenzustehen mag, so bietet der Durchlauf an Profis unterschiedlicher Nationen einen wertvollen Think-Tank-ähnlichen Ideenaustausch, von dem die KSF sowie das Verteidigungsministerium immens profitieren. Mit einer akribischen Übergabephase werden Reibungsverluste nahezu ausgeschlossen und neue Berater können beinahe nahtlos mit ihren Beratungsleistungen an die Arbeit der Vorgänger anknüpfen. Agilität und Vorwärtsdrang sind Zutaten für den Aufbau zukunftsgerichteter und moderner Streitkräfte – eine Überzeugung, die im NALT täglich gelebt wird und auch im Angesicht des komplexen Umfeldes notwendig ist.
Auch wenn das kosovarische Verteidigungsministerium sowie die KSF seit der Aufstellung der Militärberater des NALT eine erhebliche Weiterentwicklung gemacht haben, sind die Herausforderungen u.a. in den Bereichen Personalaufwuchs, Logistik, Stabsprozesse & Doktrin sowie der Etablierung eigener Laufbahnausbildungen ohne die Beratungsleistung des NALT nicht lösbar. Die Fülle an Aufgaben für die Militärberater im Kosovo wird in naher Zukunft unverändert bleiben.
Brigadegeneral Christian Nawrat, Direktor NALT
Oberstleutnant Anja Volbeding, Military Assistant zum Direktor NALT
Oberleutnant Nick T. Esser, Aide-de-camp des Director NALT
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