Herr General, wir gehen dem Ende des Jahres 2024 entgegen. Da lohnt es sich, Rückschau zu halten. Was waren aus Ihrer Sicht die wesentlichen Aktivitäten der Luftwaffe im Jahr 2024?
Tatsächlich ist bei der Luftwaffe der Blick immer nach vorne, in die Zukunft gerichtet. Aber ich stimme Ihnen zu – am Jahresende ist traditionell die Zeit, in der wir auf die vergangenen Monate zurückblicken: Wo stehen wir? Haben wir die wichtigsten Ziele erreicht? Haben wir unsere Prioritäten richtig gesetzt? Ich komme bei der Beantwortung dieser Fragen zu einem sehr positiven Ergebnis. Wir können stolz sein auf das, was wir gemeinsam im letzten Jahr erreicht haben.
Natürlich sticht Pacific Skies heraus, aber auch unser Einsatz im Air Policing – zu Jahresbeginn haben wir das 20. Jubiläum gefeiert. Wir sind seit zwei Jahrzehnten verlässlich im Baltikum präsent, dieses Jahr erstmalig in Lielvarde, Lettland. In der Jahresrückschau steht für mich die Indienststellung von IRIS-T SLM Anfang September in Todendorf, gemeinsam mit Bundeskanzler Scholz und unserem Bundesminister Pistorius, beispielgebend für wichtige Weichenstellungen unserer Modernisierung. Dieses Tempo müssen wir beibehalten. Wir nutzen den Aufwind und haben uns gemeinsam auch im nächsten Jahr viel vorgenommen.
Mit der Großübung Arctic Defender/Pacific Skies 2024 haben Sie wieder einen bedeutenden Beitrag zur Einsatzbereitschaft der Luftwaffe leisten können. Aus Ihrer Sicht: Was waren die Übungsziele, die Übungsschwerpunkte und welche Erkenntnisse können/konnten Sie für die Luftwaffe aus der Übung gewinnen?
Arctic Defender war eine überaus anspruchsvolle Übung. Die Größe des Luftraums und die Möglichkeit für Tiefflug in Alaska sind einmalig. Bei der von uns geführten Übung haben wir hier den Bündnisfall – also die Anwendung von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags – trainiert.
Allerdings ging Pacific Skies über die Übung Arctic Defender weit hinaus – wir hatten uns noch viel mehr vorgenommen. Bis Mitte August führte unser Weg Richtung Westen einmal um den Globus. Insgesamt haben wir an fünf verschiedenen Übungen auf mehreren Kontinenten teilgenommen – in Alaska, Japan, auf Hawaii, in Australien und Indien.
Ich selbst habe vor Ort erfahren, mit welch‘ großer Wertschätzung unser Engagement betrachtet wird. Wir haben damit unterstrichen, dass nach unserer ersten Verlegung in den indopazifischen Raum im Jahr 2022, unsere Flüge in die Region mehr sind als eine „Eintagsfliege“. Und wir haben nochmals deutlich gemacht, dass wir Luftmacht über weite Distanzen projizieren können. Wohlgemerkt: bei gleichzeitiger, verlässlicher Auftragserfüllung in der Heimat und Europa.
Dies wurde nur möglich, weil alle Kameradinnen und Kameraden hochprofessionell ein gemeinsames Ziel verfolgt haben. Und genau darum geht es, wenn wir über die Erfüllung unseres Auftrags in der Zeitenwende sprechen.
Die Zusammenarbeit mit Partnern hat – und das haben die Übungen der vergangenen Jahre deutlich aufgezeigt – für die Luftwaffe einen besonderen Stellenwert. Mit Schweden und Finnland hat die NATO zwei neue Partner bekommen. Können Sie uns einen Einblick in die zukünftigen gemeinsamen Aktivitäten geben?
Zuallererst ist mir wichtig zu betonen, dass wir schon vor dem schwedischen und finnischen NATO-Beitritt überaus vertrauensvoll mit beiden Partnern zusammengearbeitet haben. Ganz konkret haben wir mit der schwedischen Luftwaffe im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung eng kooperiert – beispielsweise bei Training und Ausbildung im Rahmen der schwedischen Einführung des Systems PATRIOT.
Auch die Zusammenarbeit der fliegenden Verbände im Rahmen von gemeinsamen Übungen sowie ad-hoc Kooperationen über der Ostsee wurden von der schwedischen Luftwaffe entscheidend unterstützt. Ein weiteres Beispiel ist, dass wir die Zertifizierung des A400M für die Luftbetankung des GRIPEN-Jets mit großer Unterstützung der schwedischen Luftwaffe vorantreiben konnten.
Auch für Finnland gilt, dass wir mit ganz konkreten Initiativen die Interoperabilität unserer Luftstreitkräfte fördern. Im September haben Angehörige unseres Richthofen-Geschwaders in Finnland die Landung auf Landstraßen geübt.
Eine Premiere für den EUROFIGHTER, über die mit großem Interesse auch in Deutschland berichtet wurde. Im Kriegsfall sind Flugplätze Hauptziele des Gegners. Für uns ist es wichtig, uns mit den Gegebenheiten und Verfahren unserer Bündnispartner vertraut zu machen. Das ist gelebte Zeitenwende mit unseren neuen Bündnispartnern im Norden.
Lassen Sie uns einen Blick auf das Thema Ausrüstung werfen. Der Ersatz des Waffensystems TORNADO durch die F-35 ist auf den Weg gebracht. Wie sehen Ihre Planungen/die Roadmap für die Integration der F-35 in die Luftwaffe aus?
Das Wichtigste möchte ich gleich zu Beginn herausstellen: Ende des Jahres 2029 – in etwa fünf Jahren – wird die Luftwaffe die Einsatzbereitschaft der F-35 melden. Hieran besteht kein Zweifel.
Das heißt, dass die Jets ab 2027 in Deutschland durch uns übernommen werden müssen und die Infrastruktur in den nächsten Jahren fertiggestellt werden muss – einschließlich der US-Akkreditierung. Dies sind Meilensteine, an denen nicht gerüttelt werden kann, auch weil uns das Ende der Nutzungsdauer unseres TORNADO eine harte Grenze setzt.
Im Kommando Luftwaffe ist ein Beauftragter für F-35A mit einem kleinen Team eingesetzt, der anpackt, vorantreibt und mich direkt informiert, wenn Prozesse haken. Denn wir haben verstanden, dass wir nur gemeinsam unsere Ziele erreichen können und die enge Verzahnung von Ministerium, Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und Luftwaffe der Schlüssel unseres gemeinsamen Erfolgs ist.
Bei der Einführung der F-35 greifen wir auf die wertvollen Erfahrungen der bestehenden F-35-Nutzer in Europa zurück. Wir sind eine von mittlerweile dreizehn NATO-Nationen, die dieses System beschafft. Zwölf NATO-Nationen werden dieses Flugzeug in Europa betreiben. Die F-35 schafft damit einen spürbaren Schub im Bereich der Zusammenarbeit europäischer Luftstreitkräfte.
Ansatzpunkte für konkrete gemeinsame Projekte bieten beispielsweise Kooperationen bei der Bewaffnung, gemeinsame Lehrgänge und Trainingsprogramme oder auch die Optimierung bei der Nutzung von Übungslufträumen. Ein System, das durch so viele Nationen genutzt wird, ermöglicht zudem eine so bisher noch kaum da gewesene Standardisierung bei Ausbildung und Taktik.
Ab 2026 werden unsere Piloten gemeinsam mit Piloten aus Polen, Finnland, der Schweiz und Singapur unter der Führung der US Air Force ausgebildet. Dann werden auch zum ersten Mal seit dem Ende der TORNADO-Ausbildung in Holloman wieder Typenschulungen auf Kampfflugzeugen in den USA durchgeführt. Auf diesen Start freuen wir uns und natürlich auf den Moment, wenn 2027 die ersten Flugzeuge am deutschen Standort Büchel eintreffen.
Ein weiteres bedeutendes Vorhaben aus dem Bereich der Luftwaffe neben der F-35 ist sicher das Deutsch-Französisch-Spanische Vorhaben FCAS. Was wird sich aus Ihrer Sicht als Inspekteur durch die Einführung eines FCAS-Systems im Bereich der Luftoperationen ändern? Welche Fähigkeiten haben im Zusammenhang mit FCAS für Sie die höchsten Prioritäten?
Bei dieser Frage möchte ich nochmals auf den großen Erfolg unseres Vorhabens Pacific Skies hinweisen. Drei Systeme haben sich auf großer Bühne bewährt: EUROFIGHTER, A400M und unsere A330 MRTT. Was die Luftwaffe in den vergangenen Monaten geleistet hat, darf auch die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie stolz machen, denn wir haben gezeigt, was wir können.
Ich war im Sommer 2019 dabei, als vor nunmehr fünf Jahren in Le Bourget ein wichtiger Meilenstein für die Zukunft der Luftwaffe gesetzt wurde. Erstmals stellte man ein Modell des Next Generation Fighter der internationalen Öffentlichkeit vor.
FCAS wurde an dem Tag begreifbar, denn NGWS/FCAS ist mehr als nur ein Flugzeug. Der Kern ist der sogenannte System-of-Systems-Ansatz. Das bedeutet, dass wir das Ziel verfolgen, alle unsere aktuellen, wie auch zukünftigen Waffensysteme miteinander zu verbinden. Durch diesen Verbund – auch mit Systemen unserer Partner – erzeugen wir eine stärkere Kampfkraft, als wenn wir jedes Waffensystem für sich alleine betrachten und einsetzen. Hierbei geht es explizit nicht nur um Überlegenheit in der Waffenwirkung, sondern auch in den Bereichen Entscheidungsgeschwindigkeit und Informationsüberlegenheit.
In der Architektur dieses Gesamtsystems vereinigen sich gleich mehrere Zukunftstechnologien, die für das Einsatzumfeld der Zukunft unabdingbar sind: Künstliche Intelligenz (KI), Unbemannte Systeme und das damit einhergehende „manned-unmanned teaming“, also der gemeinsame Einsatz bemannter und unbemannter Plattformen. Die Herausforderungen bei einem multinationalen Mammutprojekt wie FCAS sind hoch und komplex, aber unser Ziel ist klar: FCAS wird die Zukunft europäischer Luftstreitkräfte prägen.
Neue Technologien tragen in der Regel erheblich zu zukünftigen Fähigkeiten bei. Was sind für Sie in diesem Zusammenhang besonders wichtige Bereiche? Welche Bedeutung hat für Sie das Thema Künstliche Intelligenz in fliegenden Waffensystemen?
Meine Antwort ist sowohl mit der Frage nach der F-35, als auch FCAS verbunden. KI dient in unserem Verständnis als Unterstützungswerkzeug, um immer größer werdende Datenmengen umfassend auswerten zu können – und ist somit eine wichtige Entscheidungshilfe. Bei hochmodernen Systemen kann und wird auf diese Technologie nicht verzichtet – im Gegenteil!
Im FCAS-Demonstrator soll die Anwendung von KI in verschiedenen Szenarien umfassender erfahrbar gemacht werden. Dies geschieht auf Grundlage KI-basierter Assistenz und im Zusammenhang konkreter operativer Bekämpfungsentscheidungen. Ziel ist es, so ein realitätsnahes Bild von den Möglichkeiten und Grenzen von KI in einem ganz konkreten Anwendungsfall zu entwickeln, um die Erkenntnisse anschließend in den FCAS-Designprozess einfließen zu lassen.
Der Konflikt in der Ukraine hat die Bedeutung des Elektronischen Kampfes auf dem Gefechtsfeld aufgezeigt. Wie sieht aus Ihrer Sicht die Luftkriegsführung der Zukunft in einem Elektromagnetischen Environment (EMS) aus? Was ist aus Ihrer Sicht zu tun, um größtmöglichen Schutz und Durchsetzungsfähigkeit für eigene Operationen zu erhalten?
Die in dem Ukrainekrieg sichtbar werdenden Realitäten sind überaus vielschichtig und lassen sich nicht auf eine einfache Formel reduzieren. Wir müssen verschiedene Phasen des Krieges unterscheiden, gründlich analysieren und hieraus Ableitungen für unsere zukünftige Ausrichtung treffen. Ich kann Ihnen versichern, dass genau dies passiert.
Ich gebe Ihnen jedoch Recht: Eindeutig zählt die Bedeutung des Elektronischen Kampfes zu einem Aspekt, der besonders augenscheinlich ist. Auch deshalb ist die Entscheidung für die F-35 folgerichtig. Die F-35 ist das modernste, leistungsstärkste Kampfflugzeug weltweit, erprobt und durchsetzungsfähig.
Sie ist die Plattform mit der größten Innovationskraft im europäischen NATO-Raum und besticht durch geringe Signatur, modernste Sensorik und hohe Vernetzung. In einer Plattform vereint sie Elektronische Aufklärung und Wirkung, Luftlagebild sowie Command & Control-Funktionalitäten.
Neben der Einführung der F-35 werden wir gemeinsam mit der Industrie unseren EUROFIGHTER für den Elektronischen Kampf befähigen. Mit dieser Befähigung werden wir eine auf unseren konkreten Bedarf zugeschnittene Lösung schaffen. Es bleibt dabei: Neueste Technologie ist notwendig, um in aktuellen wie zukünftigen Szenarien zu bestehen.
Herr General, das Jahr 2025 steht vor der Tür. Was sind Ihre Wünsche für die Luftwaffe für das kommende Jahr und im Vorausblick: Auf was dürfen wir uns als quasi „Zuschauer“ einstellen, wenn es um Aktivitäten der Luftwaffe geht?
Zum Ende des Jahres hoffe ich, dass zumindest die meisten im Team Luftwaffe die Festtage nutzen können, um ruhige Stunden im Kreis der Familie zu verbringen.
Das Bild des „Zuschauers“ möchte ich nicht aufgreifen. Unser Verständnis ist, dass wir unseren Auftrag für die Menschen in unserem Land erfüllen. Wir spüren in der Zeitenwende sehr deutlich, wie sehr unsere Leistung wertgeschätzt und anerkannt wird. Wenn es um die Sicherheit unseres Landes geht, sind wir alle gleichermaßen betroffen.
Für das Team Luftwaffe formuliere ich hierbei das klare Versprechen, dass wir auch in Zukunft alles tun werden, um unsere Einsatzbereitschaft auf höchstem Niveau zu halten und die Modernisierung voranzutreiben. Wir hören nicht auf, besser werden zu wollen.
Und nun zu den Wünschen der Luftwaffe zum Weihnachtsfest: Wir wünschen uns, dass sich auch weiterhin junge Menschen für uns begeistern. Wir brauchen die Besten eines jeden Jahrgangs und das betrifft nicht nur unsere Pilotinnen und Piloten im Cockpit. Unsere Türen stehen weit offen für alle, die anpacken und die Zukunft unserer Luftwaffe mitgestalten wollen.
Herr General, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg.
Mit WhatsApp immer auf dem neuesten Stand bleiben!
Abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen:
