Eine halbe Stunde mussten die Gäste auf den Veranstaltungsbeginn in Bonn warten. Zeit für die aus ganz NRW angereisten Gäste, ein Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen oder dem eigenen Sitznachbarn zu führen. Wer nicht reden mochte, verfolgte die wichtigsten Wahlkampfthemen auf der Leinwand. Philipp Amthor lächelt zwischendurch von dort, um Werbung für den Parteieintritt zu machen.
Wichtig war der mehrfach eingeblendete Hinweis, dass aufgrund der neuen Wahlgesetzgebung jede Stimme zählt – auch die zweite. Leihstimmen, um kleineren Parteien ins Parlament zu helfen, seien daher zu unterlassen. Ob das bei einem heimlichen Wunschpartner FDP so geschickt ist, bleibt abzuwarten.
Noch vor Beginn skandierten zwei oder mehr Störer vom Dach des Saals, die „CDU solle sich schämen“, erstmals in der Geschichte der des bundesdeutschen Parlaments gemeinsam mit Rechtsextremisten gestimmt zu haben. Auch draußen vor der Halle hatten sich einige Hundert Demonstranten versammelt, denen es um Merz‘ „Wortbruch“ ging.
Andere Anliegen, wie beispielsweise die Mahnung zu mehr Unterstützung für die Ukraine, wie sie bei den Grünen vorgetragen wurde, fehlten in Bonn. Unter den Gästen der CDU im Saal New York war nichts davon Thema mehr. Zu groß die Erwartung, dem Wahlkampftermin ihres Kanzlerkandidaten beizuwohnen.
Dann ging es los. Den Anfang machte Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck, der gerne mehr wissenschaftlichen Output in der Wirtschaft sehe. Er sprach von Gesundheitsthemen, von KI. Gemeint war die gesamte deutsche Wirtschaft, die unter einem Mangel an Innovation leide – auch in der Rüstung. Bei der anstehenden Bundestagswahl will Dr. Streeck im sogenannten „Adenauer-Wahlkreis“ in Bonn das Direktmandat nach 27 Jahren zurückerobern. 2021 gewann dort Katrin Uhlig von den Grünen knapp vor den Kandidatinnen der SPD und CDU.
Auch Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nord-Rheinwestfahlen, und Investor Frank Thelen kamen auf die Bühne, um dem versammelten Publikum mit ihren Botschaften das Warten auf Friedrich Merz zu verkürzen. Dann endlich betrat der Kanzlerkandidat der Union unter großem Beifall den Saal New York.
Demokratie und Freiheit – „Davor hat Putin wirklich Angst“
Sichtlich entspannt begann Merz seine Rede. Der Auftritt in Bonn ein Heimspiel, zwei seiner Kinder haben unweit des World Conference Centers das Licht der Welt erblickt. Der Sauerländer war schon Parlamentarier, da nannte man die BRD noch Bonner Republik. Von dieser Zeit spricht Friedrich Merz gern. Im vergangenen Jahr habe man gegenüber im alten Plenarsaal noch das 75. Jubiläum des Grundgesetzes gefeiert.
„Aber sind wir sicher“, fragt Merz, „dass wir 80 Jahre, 90 Jahre, 100 Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland genauso feiern wie im letzten Jahr 75 Jahre? Ich bin mir nicht sicher. Ich bin mir nur sicher, dass die Herausforderungen, vor denen wir stehen – in Deutschland, in Europa, auf der Welt – nicht kleiner werden, sondern eher größer. Und dass wir vor allen Dingen den Wert unserer Freiheit wieder neu schätzen und schützen lernen müssen.“
Merz hat den Blick für das Ganze. Immer wieder spricht er die großen Themen an. „Wenn ich Wir sage, meine ich gar nicht mal allein Deutschland, ich meine vor allem uns Europäer“, erklärt Merz. Vor allem die Beziehungen zu Frankreich und Polen wolle er wieder stärken, die unter den letzten drei Jahren Scholz gelitten hätten. Dabei gelte es gemeinschaftlich in Europa Antworten auf den Umgang mit Trump, mit Xi Jinping und Russland zu finden.
„Wir haben Putin nicht gefährdet. Die NATO ist keine Bedrohung für Russland gewesen.“
– Friedrich Merz
Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sei eben kein Krieg, der „irgendwo 2.000 Kilometer weit weg von uns stattfindet.“ Es gehe Putin nicht um Territorium in der Ukraine, bekräftigt Friedrich Merz. „Es ist ein Krieg, der die gesamte politische Nachkriegsordnung nach 1990 infrage stellt. Dieser Krieg richtet sich auch gegen uns. Wir haben Putin nicht gefährdet. Die NATO ist keine Bedrohung für Russland gewesen. Es gibt eine einzige Bedrohung für Putin und das ist Demokratie und Freiheit. Davor hat er wirklich Angst.“
Friedrich Merz: Nicht bereit, „nur“ über mehr Geld zu reden
Merz erinnert an das Budapester Memorandum vom 5. Dezember 1994. Die Ukraine verzichtete auf den weltweit drittgrößten Bestand an Nuklearwaffen für das Versprechen der Russischen Föderation, die territorialen Integrität der Ukraine zu wahren. Spätestens seit 2014 hätte man die von Putins Russland ausgehende Gefahr erkennen müssen, gibt Merz die Versäumnisse seiner Partei zu. Er ist sich „ziemlich sicher, wenn die Ukraine die Atomwaffen behalten hätte, hätte Putin diesen Angriffskrieg möglicherweise nicht versucht.“
„Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.“
– Friedrich Merz
Folgerichtig leitet der Kanzlerkandidat ab, dass nur eine wirksame militärische Abschreckung den eigenen Frieden wirklich schützen kann. „Ich will es mal in einem ganz einfachen Satz sagen“, sagt Merz. „Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.“
Wie diese Verteidigungsbereitschaft erreicht werden könne, bleibt in Merz‘ Rede unkonkret. „Ob das jetzt 2 Prozent, 3 Prozent oder wie Trump meint 5 Prozent sind“, mit Diskussionen über am BIP gemessenen Prozentzahlen könne er wenig anfangen.
„Entscheidend ist“, meint Merz, „dass wir uns verteidigen. Es ginge weniger um die Höhe der Mittel, als darum, sie effizient einzusetzen. „Wir sind viel zu unterschiedlich. Ich gebe Ihnen ein Beispiel“ führt Friedrich Merz aus, „Europa hat 17 verschiedene Panzertypen; Amerika zwei – das ist der Unterschied.“ Europa müsse standardisieren, vereinfachen und in entsprechenden Stückzahlen bestellen. Als Kanzler sei Friedrich Merz „nicht bereit, ‚nur‘ über mehr Geld für die Verteidigung zu reden“.
Friedrich Merz macht klar, dass es nicht nur um höhere Verteidigungsausgaben geht, sondern um eine effizientere und schlagkräftigere europäische Sicherheitsstrategie. In Fragen der Rüstung wurden die Schlüssel zu Frieden und Stabilität genannt.
Ein logischer nächster Schritt für den überzeugten Europäer Friedrich Merz könnte daher auch das Thema Europaarmee oder zumindest der Ausbau europäischer Kooperationen wie der deutsch-französischen Brigade sein. Seine Botschaft gestern in Bonn bleibt unmissverständlich: Deutschland und Europa müssen bereit sein, sich zu verteidigen – nicht nur mit Worten, sondern mit Taten.
Mit WhatsApp immer auf dem neuesten Stand bleiben!
Abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen:
