Women in Defense Tech (WiDT) versteht sich selbst als Europas erstes transformatives Netzwerk für Frauen in der Verteidigungstechnologie. Ziel ist nicht bloße Sichtbarkeit, sondern konkrete Mitgestaltung – durch Verbindungen, Mentorships, Karrieremöglichkeiten und Wissensvermittlung. Frauen sollen nicht nur Zugang erhalten, sondern eigene Standards setzen können. Das Netzwerk will Strukturen aufbrechen, die bisher – trotz formaler Gleichstellung – faktisch exkludierend wirkten.
Dieser Artikel entsteht vor Ort in Lviv, am Rande des ersten Hackathons des European Defense Tech Hubs in der Ukraine – einer besonderen Ausgabe, die in enger Zusammenarbeit mit der ukrainischen 3rd Assault Brigade realisiert wird.
Was auf den ersten Blick wie ein klassisches Innovationsformat wirkt, ist in Wahrheit ein (lagebedingt) geheimgehaltener und strategisch aufgeladener Ort der Begegnung: Die eigentliche Location wird nicht öffentlich genannt, die Organisatoren begrüßen die Teilnehmenden an einem vereinbarten Treffpunkt und leiten sie dann zur eigentlichem Austragungsort weiter – einer neu errichteten militärischen Ausbildungsanlage mit FPV-Racing-Anlage, CQB-Anlage und Mehrzweckhalle.
Zwischen militärischer Realität und technologischem Aufbruch mischen sich Soldatinnen, Gründer, Analystinnen und Venture-Capital-Scouts unter die Teilnehmenden. Drei der vier Gründerinnen von WiDT – Dr. Eveline Beer, Dr. Larysa Visengeriyeva und Anna Wojtas – sind ebenfalls vor Ort, sprechen mit Entwicklerinnen und Soldatinnen, koordinieren Panels, sichten Ideen.
Ihre Anwesenheit ist keine symbolische, sondern eine operative: Women in Defense Tech ist integraler Bestandteil des European Defense Tech Hub (EDTH) und somit Mitorganisatorin des Hackathons. Die Gründerinnen koordinieren nicht nur die Programmpunkte und Präsentationen, sondern agieren auch als Mentorinnen für die teilnehmenden Teams.
Sie bringen ihre technische, operative und strategische Erfahrung ein, helfen dabei, Brücken zwischen Start-ups, zivilen Entwicklern und militärischen Akteuren zu schlagen – und machen insbesondere jungen Frauen Mut, Initiative zu ergreifen, eigene Lösungen zu entwickeln und sich im Defense-Bereich zu engagieren. „Wir wollen, dass mehr Frauen erkennen, dass sie etwas beitragen können – und nicht warten müssen, eingeladen zu werden“, sagt Anna Wojtas. „Wir wollen nicht Panels dekorieren, sondern Prozesse mitprägen.“
Das Profil von WiDT – Haltung, Hands-on und ein neuer Ton
Women in Defense Tech ist mehr als eine klassische Gleichstellungsinitiative. Die Organisation vereint Startup-Mentalität mit sicherheitspolitischer Ernsthaftigkeit. Das zeigt sich nicht nur in den Formaten, sondern auch in der Kommunikation: Statt in identitätspolitischer Sprache zu verharren, sprechen die Gründerinnen von Strategie, Netzwerk, Synergien – und von Impact. Der Anspruch ist klar: Die europäische Verteidigungsindustrie soll nicht nur moderner, sondern auch klüger, zugänglicher und letztlich menschlicher werden.
„Defense is not exclusive – it’s collective. Und wir beanspruchen unseren Platz darin“, sagt Dr. Larysa Visengeriyeva mit ruhiger Klarheit. Ihre Kollegin Eveline Beer ergänzt: „Empowerment erfordert Handeln. Wir sind hier, um genau das zu tun.“
Dabei sind sie selbst Teil dieser neuen Realität:
- Dr. Eveline M. Beer bringt ihre Expertise aus dem Investmentbanking mit Schwerpunkt auf Infrastruktur- und Energieinvestitionen ein. Ihre Fähigkeit, komplexe Systeme zu strukturieren und Kapitalströme in strategisch relevante Innovationsfelder zu lenken, macht sie zu einer unverzichtbaren Stimme im Aufbau resilienter Strukturen.
- Anna Wojtas bringt ihre Erfahrung in der Entwicklung von Softwarelösungen für Sicherheits- und Verteidigungsbehörden ein. Sie ist tief vernetzt mit den operativen Realitäten staatlicher Kunden und weiß, wie technologiegetriebene Lösungen in bestehende Systeme implementiert werden müssen.
- Dr. Larysa Visengeriyeva verfügt über ein tiefes Verständnis für Machine Learning Operations, Datenarchitekturen und KI-basierte Entscheidungsstrukturen. Ihre Forschung an der TU Berlin verband angewandte Informatik mit gesellschaftlicher Relevanz.
- Yuliya Maltseva steht exemplarisch für zivilgesellschaftliche Resilienz in Kriegszeiten. Aus der Notwendigkeit des russischen Angriffs auf die Ukraine heraus entwickelte sie eine Brückenfunktion zwischen Freiwilligenstrukturen, Start-ups und militärischen Akteuren – und etablierte sich als Impulsgeberin für Defense-Tech-Innovation im zivilen Sektor.
Sichtbarkeit schaffen, ohne zu stilisieren
Ein zentrales Anliegen der Initiative ist es, Frauen in sicherheitsrelevanten Rollen sichtbar zu machen – ohne sie zu stilisieren. Das Bild der Frau in Uniform oder am Laptop soll normal, nicht bemerkenswert sein. Role Models wie WiDT-Mitglieder oder Speakerinnen bei EDTH-Events schaffen Identifikationsräume, ohne sich selbst zum Thema zu machen. Es geht nicht um Heldinnenstatus, sondern um Handlungsfähigkeit.
Diese Haltung wird auch beim Hackathon in Lviv spürbar: Die Gründerinnen mischen sich unter die Teilnehmenden, kuratieren, beraten, organisieren – und lassen den Raum denen, die etwas bauen, testen und präsentieren wollen. Der Fokus liegt auf Qualität und Wirkung, nicht auf PR. „Wir sind nicht hier, um über Frauen zu reden – wir sind hier, um gemeinsam zu entwickeln, zu denken, zu handeln“, so Eveline Beer.
Women in Defense Tech: International vernetzt – lokal verankert
Women in Defense Tech agiert europäisch, aber mit starker lokaler Sensibilität. Besonders in der Ukraine zeigt sich, wie sehr das Projekt auch politisch gelesen wird. Yuliya Maltseva betont regelmäßig, wie wichtig es ist, die Verteidigung nicht als bloße nationale Aufgabe zu verstehen, sondern als kollaboratives Projekt.
Gleichzeitig setzt Women in Defense Tech stark auf persönliche Beziehungen – nicht nur zwischen Gründerinnen und Community, sondern auch zu Stakeholdern aus Militär, Politik und Industrie.
Die Zielgruppen der Initiative sind bewusst breit angelegt: von Berufseinsteigerinnen über Gründerinnen bis hin zu Investorinnen. Das macht WiDT zu einem strategisch relevanten Player, der systematisch Barrieren abbaut und zugleich neue Allianzen schmiedet.
Laut einer Studie von Kearney sind Frauen in der Verteidigungstechnologiebranche um 22 Prozent stärker unterrepräsentiert als in anderen Industrien – insbesondere aufgrund fehlender militärischer Laufbahnen, Netzwerke oder Vorbilder. Women in Defense Tech tritt gegen genau diese strukturellen Defizite an.
Gender, Bundeswehr und Diversität in der Praxis
Laut Bundeswehr sind aktuell rund 13 Prozent der Soldaten weiblich – mit steigender Tendenz. Die rechtliche Gleichstellung besteht zwar seit 2001, doch die praktische Umsetzung hinkt hinterher. Führungspositionen, Einsatzerfahrungen und die Besetzung strategischer Rollen bleiben häufig männlich dominiert.
Wie die Bundeszentrale für politische Bildung analysiert, wird der Einsatz von Waffen und Gewalt häufig geschlechtsneutral diskutiert – obwohl Betroffenheit, Rolle und Wirkung in realen Konflikten stark genderspezifisch geprägt sind.
Die Zeitschrift Ethik und Militär ergänzt: Diversität ist kein Selbstzweck, sondern hat unmittelbare Auswirkungen auf die Auftragserfüllung. Unterschiedliche Perspektiven führen zu besseren Entscheidungen, insbesondere in komplexen und hybriden Einsatzszenarien. Gleichzeitig wird kritisiert, dass Gleichstellungsmaßnahmen oft als Symbolpolitik verstanden werden – was wiederum Frauen schadet, die ihre Position aus eigener Leistung erreicht haben.
WiDT begegnet diesem Spannungsfeld mit Pragmatismus: keine Quotenforderung, sondern Kompetenzvermittlung, keine Schönfärberei, sondern Sichtbarkeit durch Leistung.
Vom Panel auf die Policy-Ebene?
Women in Defense Tech ist in kurzer Zeit zu einem relevanten Player in der europäischen Defense-Tech-Community geworden. Die Nähe zum European Defense Tech Hub, Kooperationen mit Unternehmen, Universitäten und Behörden sowie die wachsende mediale Präsenz führen dazu, dass auch politische Akteure auf die Initiative aufmerksam geworden sind.
Ihre Expertise setzen die Gründerinnen bei der Beratung von StartUps, Defense Primes, bei der Weiterentwicklung europäischer Fördermechanismen, der Beratung von Accelerator-Programmen oder bei der Etablierung sicherheitsfokussierter Gründungsstipendien ein.
Zugleich betonen sie: „Wir wollen unabhängig bleiben – in unserer Haltung, unserer Struktur, und in der Art, wie wir Themen setzen.“ Vielleicht ein Alleinstellungsmerkmal der Women in Defense Tech – aber in jedem Fall eine gibt dem Projekt eine eigene Kraft.
Mitbegründer des European Defense Tech Hubs, Dr. Benjamin Wolba, arbeitet eng mit Women in Defense Tech zusammen und merkt an: „Wir sehen gerade hier in der Ukraine, wie wichtig die Frauen für die ukrainische Verteidigung sind – sowohl als Rückgrat der Gesellschaft, als auch als Initiatoren ganz eigener Defense Projekte. Mit der WiDT-Initiative erhält die europäische Defense Branche endlich die zentrale Anlaufstelle, die sie braucht.“
„Kriege im Allgemeinen – und die russische Autokratie im Besonderen – stellen eine massive Bedrohung für die Rechte von Frauen dar. Wer, wenn nicht die betroffenen Frauen selbst, sollten dabei unterstützt werden, sich gegen diese Bedrohung zur Wehr zu setzen?“ ergänzt Florian Dötzer, Managing Director des TUM Venture Lab für Aerospace & Defense.
Women in Defense Tech als Blaupause für Wandel
WiDT zeigt, dass Wandel nicht durch Verordnung, sondern durch Vorleben entsteht. Die Initiative vereint kritische Analyse mit pragmatischem Handeln, schafft Räume statt Parolen, und setzt auf Austausch statt Abgrenzung. In einem Bereich, der oft von Insiderwissen, informellen Netzwerken und tradierten Strukturen geprägt ist, öffnet WiDT Türen – und tut das mit einem neuen, aber nie naiven Ton.
In einer Zeit, in der Europas Sicherheitsordnung auf dem Spiel steht, braucht es mehr denn je Organisationen wie Women in Defense Tech. Nicht als Dekor, sondern als Treiber. Nicht als Ausnahme, sondern als neue Norm.
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