US-Präsident Donald Trump sprach jüngst davon, die rund zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens „umzusiedeln“. Mögliche Aufnahmeländer wie Ägypten und Jordanien widersprachen umgehend. Wie realistisch sind Trumps Pläne?
Ich halte diese Pläne für nicht realistisch und für hochgefährlich. Zum einen widersprechen sie allen Prinzipien unserer Außenpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in denen wir stets gegen ethnische Säuberungen eingetreten sind. Auf dem Balkan haben wir beispielsweise dagegen gekämpft.
Mit diesem Vorschlag macht Trump den Gedanken der ethnischen Säuberung jedoch salonfähig. In der konkreten Situation wäre eine Vertreibung auch hochgefährlich für Jordanien und Ägypten. Beide Länder stehen unter enormen Druck der konservativen Muslimbrüder.
Eine Akzeptanz weiterer palästinensischer Flüchtlinge, die demoralisiert, müde und verzweifelt sind, riskiert in beiden Ländern den Sturz der Regierungen – mit ungeahnten Folgen für die Nachbarschaft zu Israel. Eine „Umsiedlung“ wäre nur mit Gewalt durchführbar und zwar gegen den erklärten – eventuell sogar militärischen – Widerstands Ägypten und Jordaniens. Der Vorschlag Trumps ist deswegen hochgefährlich.
Der israelische Präsident Benjamin Netanjahu nannte Trumps Plan allerdings „revolutionär und kreativ“. Inwieweit deckt sich Trumps Vorstoß mit der Politik der israelischen Regierung?
Netanyahu hängt an den rechten Siedlerparteien, welche die Vertreibung der Palästinenser seit langer Zeit fordern. Finanzminister Bezalel Joel Smotrich droht damit, aus der Regierung auszusteigen und Netanyahu damit zu Fall zu bringen, wenn es einen permanenten Waffenstillstand geben sollte. Zwar wäre die Opposition bereit, in die Regierung einzusteigen, aber Netanyahu lehnt diese Möglichkeit offensichtlich ab. Die Vertreibung scheint somit auch sein Plan zu sein.
Ist die von Deutschland – und bis vor Kurzem auch den USA – immer wieder hochgehaltene Zweistaatenlösung unter den jüngsten Aussagen überhaupt noch vorstellbar?
Wenn wir wegen der drohenden Destabilisierung davon ausgehen, dass eine Vertreibung weder im arabischen noch im palästinensischen noch im europäischen und deutschen Interesse ist, dann ist die Zweistaatenlösung eine schlechte, aber immer noch die beste Alternative. Wie sich der Plan von Trump darauf auswirkt, ist zu früh zu sagen. Er wird aber für erhebliche Unruhe sorgen.
Wir als Deutsche und Europäer müssen dringend unsere eigenen Interessen definieren, die nicht nur die Sicherheit und das Existenzrecht des Staates Israel beinhalten, sondern darüber hinausgehen. Diese Interessendefinition ist entscheidend, um eine eigenständige europäische Position zu definieren.
Haben wir die nicht?
Nein, die haben wir nicht. Unsere Formulierung lautet bislang: „Wir sind für die Sicherheit und das Existenzrecht des Staates Israel; Seite an Seite mit einem palästinensischen Staat“. Das ist unsere Formulierung, aber keine Interessendefinition. Existenzrecht heißt Anerkennung durch die anderen arabischen Staaten. Eine Vertreibung der Palästinenser mit Gewalt wird diese Anerkennung durch andere arabische Staaten in weite Ferne rücken – wenn nicht sogar auf Dauer zerstören.
Neben der Sicherheit und dem Existenzrecht des Staates Israel haben wir jedoch noch weitere Interessen in der Region. Angesichts der ökonomischen Spannungen – mit China und den USA – brauchen wir neue Partner. Wir brauchen sowohl neue Märkte als auch neue geostrategische Partner. Und die arabische Welt, der südliche Mittelmeerraum ist nur mal unser Nachbarraum und wir haben jedes Interesse daran, diesen Raum mit diesen Ländern mitzugestalten. Also müssen wir sie auch als Partner ansehen und nicht als Gegner.
Außerdem haben wir ganz praktische Interessen wie Wirtschaft, Energieversorgung – und zwar fossile und erneuerbare Energien. Es gibt viele Fachkräfte in der Region, besonders digitale Fachkräfte, die wir bislang überhaupt nicht im Blick haben. Unser Eigeninteresse am südlichen Mittelmeerraum und der arabischen Welt ist viel größer, als wir gemeinhin glauben.
Unabhängig einer möglichen Zweistaatenlösung: Welche Handlungsoptionen haben die Palästinenser selbst?
Die Palästinenser haben eigentlich keine eigene Handlungsoptionen. Der richtige Weg wäre gewesen, dass die palästinensische Autonomiebehörde die Macht im Gazastreifen übernimmt. Wir hätten die Zeit gehabt, um das vorzubereiten. Das ist nicht geschehen. Die Palästinenser sind jetzt auf das angewiesen, was die internationale Gemeinschaft macht.
Mit WhatsApp immer auf dem neuesten Stand bleiben!
Abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen:
