In diesem Jahr blickt die Bundeswehr auf ihr 70-jähriges Bestehen zurück. Am 12. November 1955, mit der Aushändigung der Ernennungsurkunden an die ersten 101 freiwilligen Soldaten in der Bonner Ermekeilkaserne, wurden die neuen deutschen Streitkräfte offiziell gegründet.
Doch bereits in der seit Oktober 1950 mit der Planung der späteren Bundeswehr befassten „Dienststelle des Bevollmächtigten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“, nach dem Amtsinhaber Theodor Blank besser unter der Bezeichnung „Amt Blank“ bekannt, war die medizinische Versorgung der Soldaten im Blick. Wie wichtig medizinisch-sanitätsdienstliche Strukturen für alle Streitkräfte sind, zeigt nicht nur die Geschichte, sondern auch in aller Dramatik der gegenwärtige Ukrainekrieg.
Der Aufbau des Sanitätsdienstes und seiner Führungsstrukturen
Zwar führte der Sanitätsdienst in der Anfangsphase der Planungen für die Bundeswehr zunächst eher ein Schattendasein, was sich aber nicht zuletzt durch die Unterstützung aus dem zivilen Bereich bald ändern sollte. Im Zweiten Weltkrieg verfügten die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine über eigene Sanitätsdienste, die mit ihren jeweiligen Sanitätschefs bzw. -inspekteuren in die Führungsgliederungen der Teilstreitkräfte eingebunden waren.
Hieraus resultierten unterschiedliche Strukturen, eine ungleiche Ressourcenlage, Streitigkeiten, Egoismen und Kompetenzgerangel, was die Effizienz der sanitätsdienstlichen Versorgung wesentlich beeinträchtigte. Hatte man noch während des Krieges (mit wenig Erfolg) versucht, diese Problematik durch die Implementierung eines „Chefs des Wehrmachtsanitätswesens“ organisatorisch in den Griff zu bekommen, so flossen diese Erfahrungen auch in die Diskussionen um den Sanitätsdienst der neuen Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland ein.
Bemerkenswerten Einfluss übten dabei die zivilen ärztlichen Standesvertretungen wie der „Deutsche Ärztetag“ und die „Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Ärztekammern“ als Vorgängerorganisationen der Bundesärztekammer aus. Mitte der 1950er Jahre forderten sie immer wieder ein suffizientes Sanitätswesen und eine angemessene Verankerung innerhalb der Führungsstruktur der Bundeswehr durch eine selbstständige Abteilung im Verteidigungsministerium und einen eigenen Sanitätschef.
So sollte es auch kommen: Die Sanitätseinrichtungen waren zwar zum größten Teil in die drei Teilstreitkräfte integriert – dennoch bildete der Sanitätsdienst, der durch Beschluss des Verteidigungsausschusses vom 11. April 1956 begründet und anschließend aufgebaut wurde, seit 1957 mit der sogenannten „Inspektion des Sanitäts- und Gesundheitswesens“ und einem eigenen Inspekteur die vierte Säule neben Heer, Luftwaffe und Marine und deren Führungsstäben.
Diese von Beginn an starke Stellung erfuhr mit dem „Blankeneser Erlass“ vom 21. März 1970, wonach der Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens weitere Kompetenzen und Befugnisse erhielt sowie den Inspekteuren der Teilstreitkräfte gleichgestellt und Mitglied des Militärischen Führungsrates (MFR) wurde, nochmals eine Aufwertung.
Aufbau und Ausbau des Sanitäts- und Gesundheitswesens in der Zeit des Kalten Krieges
Die Strukturen und Einrichtungen im Sanitäts- und Gesundheitswesen bzw. (so die moderne Terminologie) im Sanitätsdienst waren sowohl in der Zeit der Integration in die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine als auch später im Organisationsbereich Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr vielfachen Umgestaltungen und Reformen unterworfen, die an dieser Stelle nicht nachgezeichnet, sondern bestenfalls angedeutet werden können.
Zunächst, in den späten 1950er und den 1960er Jahren, wurden die für einen funktionierenden Sanitätsdienst als autarkes Gesundheitssystem für die Soldaten der neuen Streitkräfte notwendigen Strukturen und Einrichtungen – wie die Sanitätsschule der Bundeswehr, das Wehrmedizinalamt der Bundeswehr, verschiedene Institute, die Bundeswehrlazarette, die Reservelazarettorganisation und andere mehr – auf- und ausgebaut.
In den nächsten zwei Jahrzehnten bis zum Ende des Kalten Krieges erfolgten in den Sanitätsdiensten der Teilstreitkräfte und insbesondere des Heeres immer wieder Umstrukturierungen und Anpassungen an die sich wandelnden militärischen und sicherheitspolitischen Erfordernisse bzw. militärischen Konzeptionen. Im Fokus stand neben der medizinischen Versorgung der Truppe im Grundbetrieb die Bereitschaft des Sanitätsdienstes für den „V-Fall“, also für einen potenziellen Verteidigungskrieg auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland.
Zentrales Problem – die Personalsituation
Ein Hauptproblem des Sanitätsdienstes, das diesen vor allem in den ersten Jahrzehnten belastete, war insbesondere im Bereich der Sanitätsoffiziere die prekäre Personalsituation. Diese Problematik wog umso schwerer, da der Sanitätsdienst nicht nur für den Ernstfall vorgehalten wurde, sondern bereits im Frieden die medizinische Versorgung und gesundheitliche Vorsorge der Soldaten sicherzustellen hatte.
Der Personalbedarf, vor allem an Ärzten und Zahnärzten, konnte zunächst bei weitem nicht gedeckt werden und die medizinische Betreuung erfolgte oft durch zivile Vertragsärzte und seit 1964 vor allem durch grundwehrdienstleistende Apotheker, Zahnärzte und Ärzte, die bis in die 1980er Jahre den truppenärztlichen Alltag prägten.
Bei allem Engagement und aller Anerkennung der Leistungen dieser wehrpflichtigen Sanitätsoffiziere ist nicht zu verkennen, dass die jungen Kollegen zum einen meist unmittelbar aus dem Studium kamen und noch wenig Erfahrung hatten, zum anderen die kurzen Stehzeiten zu einem häufigen Arztwechsel in der Truppe führten. Erst nach der Einführung der Laufbahn der Sanitätsoffizieranwärter im Jahre 1969 (seit dem Wintersemester 1973/74 mit Studienplatzzuteilung) wurde eine beständige und nachhaltige Regeneration des Sanitätsoffiziernachwuchses erreicht.
Nachdem bereits seit Herbst 1975 Frauen als Sanitätsoffiziere in der Bundeswehr dienten, konnten ab 1989 Frauen auch als Sanitätsoffizieranwärter eingestellt werden, wie schließlich ab Januar 1991 die Laufbahnen der Unteroffiziere und Mannschaften im Sanitätsdienst für Frauen geöffnet waren. Damit wurden nicht nur Personalprobleme in Angriff genommen, sondern der Sanitätsdienst fungierte auch im Hinblick auf die Integration von Frauen in der Bundeswehr als wichtiger Wegbereiter.
Neue Herausforderungen für die „Armee der Einheit“
Eine wichtige Zäsur für Deutschland und damit auch für die Bundeswehr war die deutsche Wiedervereinigung, die mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 auf der Grundlage des „Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag)“ durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland erfolgte.
Die Erosion und schließlich der Zusammenbruch des Ostblocks mit dem Zerfall des Warschauer Paktes als dessen Militärbündnis hatten weltweit deutliche Auswirkungen auf die außen- und sicherheitspolitische Großwetterlage.
Die Konsequenz für die Bundeswehr auf ihrem Weg zur „Armee der Einheit“ war eine durch den sogenannten „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ („Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“) vom 12. September 1990 auferlegte deutliche Verkleinerung der Streitkräfte. Dieser Ab- und Umbau, verbunden mit einer gleichzeitigen Verschiebung des Aufgabenspektrums hin zur Einsatzarmee, bedingte eine Neustrukturierung der Bundeswehr, mit der auch eine einsatzorientierte Neuordnung des Sanitätsdienstes einherging.
Neben die medizinisch-sanitätsdienstliche Versorgung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Grundbetrieb traten nun sanitätsdienstliche Aufgaben im Rahmen internationaler„out-of-area“-Einsätze der NATO und internationaler militärischer Missionen der UN. Der Sanitätsdienst war zwar in der Zeit des Kalten Krieges wie kaum ein anderer Bereich der bundesdeutschen Streitkräfte in humanitäre Hilfsaktionen – wie etwa die Erdbebenhilfen 1960 in Agadir/Marokko, 1976 in der Türkei, 1980/81 in Süditalien und 1990 im Iran – eingebunden.
Und 1992/93 folgte mit dem Aufbau und Betrieb eines Feldlazaretts in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh im Rahmen der Peacekeeping Mission UNTAC (United Nations Transitional Authority in Cambodia) der erste über humanitäre Hilfe hinausgehende Kontingenteinsatz der Bundeswehr – zu diesem Zeitpunkt noch mit einer unsicheren Rechtslage.
Mit seinem Urteil vom 12. Juli 1994 bestätigte das Bundesverfassungsgericht schließlich – unter der Voraussetzung einer vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages – die Verfassungsmäßigkeit von bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr unter einem Mandat der UN bzw. der NATO.
Bei den folgenden Einsätzen der deutschen Streitkräfte im Rahmen ihrer Bündnisverpflichtungen und der internationalen Friedenssicherung, in den 1990er Jahren insbesondere auf dem Balkan, nahm der Sanitätsdienst zweifellos eine Vorreiterrolle ein und entwickelte sich durch seine im In- wie im Ausland anerkannten Leistungen zum „Aktivposten“ bei der Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Missionen. Noch einmal eine andere Qualität erreichte das Einsatzgeschehen nach dem Anschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center.
Zwanzig Jahre, bis 2021, währte der Einsatz in Afghanistan, der die Bundeswehr und damit auch in erheblichem Maß den Sanitätsdienst angesichts seiner Länge, Intensität und seines personellen Umfangs vor neue fachliche, sanitätstaktische und ethische Herausforderungen stellte. Dies betraf nicht nur die Szenarien im Einsatzland und veränderte Verletzungsspektren, sondern auch den Umgang mit einer Vielzahl von Soldaten, die sowohl Verletzungen am Körper, aber auch an der Seele erlitten und posttraumatische Belastungsstörungen entwickelten.
Die Beständigkeit des Wandels
Für den Sanitätsdienst der Bundeswehr bedeuteten alle diese Umstrukturierungen und Weiterentwicklungen einen besonderen Kraftakt, da die Realversorgung in den Standorten bei gleichzeitig zunehmenden Aufgaben und Fähigkeitsforderungen im Rahmen der Einsätze weiterhin erfolgen musste und weder ausgesetzt noch zurückgefahren werden konnte.
Weitere Strukturreformen und Reduzierungen sollten in mehreren Stufen folgen. Der wohl bedeutendste Meilenstein für die Struktur und die Führung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr war zweifellos die Bündelung der sanitätsdienstlichen Kräfte und Mittel aller Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche im „Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr“ im Jahre 2001.
Mit Ausnahme einiger teilstreitkraftspezifischer Fähigkeiten und Elemente stand der Sanitätsdienst nun unter einer einheitlichen fachlichen, truppen- und fachdienstlichen Führung – diese sogenannte „Führung des Sanitätsdienstes aus einer Hand“ ermöglichte angesichts der vielfältigen Herausforderungen und neuer Entwicklungen in der Medizin ein hohes Maß an Effizienz und Flexibilität.
Mit neuen Strukturen in die Zukunft
Auch dieses Modell bestand nicht dauerhaft, sondern wurde nach mehr als zwei Jahrzehnten im April 2024 durch den sogenannten „Osnabrücker Erlass“ in neue Bahnen gelenkt. Im zurückliegenden Dezennium hatte sich die welt- und sicherheitspolitische Lage abermals gewandelt. Spätestens seit der Krimkrise des Jahres 2014 und besonders dem Ausbruch des Ukrainekrieges am 24. Februar 2022 liegt der Fokus der deutschen Sicherheitspolitik und der Bundeswehr wieder auf der Landes- und Bündnisverteidigung.
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr wie auch das bundesdeutsche Gesundheitswesen – dies ist zweifellos eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – müssen für den Ernstfall auf deutlich höhere Verwundetenzahlen und eine Massenversorgung von deutschen und verbündeten Soldaten vorbereitet werden.
Strukturell und organisatorisch verlor der Sanitätsdienst der Bundeswehr 2024 mit dem „Osnabrücker Erlass“ die Eigenständigkeit und wurde in den neuen Unterstützungsbereich eingegliedert, um dadurch Synergieeffekte und eine erhöhte Effektivität und Effizienz zu erzielen.
Unter dem Dach des Unterstützungsbereichs bleibt der Sanitätsdienst der Bundeswehr in sich konsistent erhalten und wird vom Befehlshaber des Zentralen Sanitätsdienstes im Unterstützungskommando der Bundeswehr (der gleichzeitig als Stellvertreter des Befehlshabers des Unterstützungskommandos fungiert) geführt. Der Befehlshaber ist gleichzeitig Wehrmedizinischer Berater der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung, also des Verteidigungsministers, und vertritt damit den Sanitätsdienst auf ministerieller Ebene. Die nachgeordneten Bereiche befinden sich derzeit in der Umgliederung.
Anspruch und (Selbst-)Verpflichtung des Sanitätsdienstes
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr erhebt bei der Versorgung der ihm anvertrauten Soldatinnen und Soldaten einen hohen Anspruch, der nach wie vor – und angesichts einer realen Bedrohungslage in der Landes- und Bündnisverteidigung mehr denn je – unabdingbar ist. So wurde in der auch heute noch gültigen „Fachlichen Leitlinie für die sanitätsdienstliche Versorgung von Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz“ aus dem Jahre 1995 postuliert, „den Soldaten im Falle einer Erkrankung, eines Unfalls oder einer Verwundung eine medizinische Versorgung zuteil werden zu lassen, die im Ergebnis dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht“.
Dieser Anspruch ist keineswegs (wie zuweilen geäußert) überzogen, sondern vor allem auch darin begründet, dass Soldatinnen und Soldaten in medizinethischem Sinne zu den sogenannten vulnerablen Patientengruppen zählen: So haben sie eigentümliche Verhältnisse des Wehrdienstes wie beispielsweise das Zusammenleben auf engstem Raum oder eingeschränkte hygienische Bedingungen im Feld ebenso hinzunehmen, wie sie im Einsatz- und Kriegsfall durch Waffenwirkung besonderen Gefährdungen oder auch psychischen Belastungen ausgesetzt sind. Hinzu treten Duldungspflichten für bestimmte Untersuchungen oder Impfungen sowie besonders in Einsatz- und Gefechtsszenarien die Einschränkung der freien Arztwahl.
Gerade diese Vulnerabilität verlangt dem Dienstherrn und der Gesellschaft einen besonders sorgsamen Umgang mit der Gesundheit der Soldaten und Soldatinnen ab, was sowohl die Versorgungsstandards als auch die Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen betrifft.
Beständigkeit im Wandel
In den 70 Jahren seines Bestehens war der Sanitätsdienst der Bundeswehr mit einer ganzen Reihe von Veränderungen konfrontiert: Sie betrafen die Führungsstrukturen, die Einbindung in den Rahmen sowie den Stellenwert innerhalb der Gesamtstreitkräfte, die Organisation der Versorgungsstrukturen vor dem Hintergrund der sich verändernden sicherheitspolitischen Herausforderungen.
Sie betrafen aber auch die ungeheuren Fortschritte und fachlichen Veränderungen in der Medizin über bald ein Dreivierteljahrhundert, die in den Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr Einzug fanden und in den wissenschaftlichen Einrichtungen des Sanitätsdienstes sowie den Bundeswehrkrankenhäusern teilweise maßgeblich mitgestaltet wurden.
Diese „Beständigkeit im Wandel“ ist zweifellos einerseits eine große und nicht immer leichte Herausforderung für alle Angehörigen des Sanitätsdienstes – sie bietet andererseits aber immer wieder Möglichkeiten und Chancen, die Zukunft zum Wohle der anvertrauten Soldatinnen und Soldaten zu gestalten.
Autor:
Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
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