Zunächst zeichnete Generalleutnant Dr. Christian Freuding das Bedrohungsbild am gestrigen Abend klarer, als es andernorts in Berlin zu hören ist. Sein Publikum: der Förderkreis Deutsches Heer beim parlamentarischen Abend im Kaisersaal des ehemaligen Reichstagspräsidentenpalais, dem Sitz der Parlamentarischen Gesellschaft (DPG).
Russland befände sich nach eigener Ansicht längst im Konflikt mit dem Westen. Russische Propaganda, Sabotage-Aktionen und Drohnenflüge über NATO-Gebiet würden genau das zeigen. Deutschland – und damit das deutsche Heer – müsste sich auf einen tatsächlichen Angriff vorbereiten; kriegstüchtig und siegfähig werden.
„Abstandsfähigkeit hat in allen Bereichen Priorität“, nannte Generalleutnant Freuding einen wesentlichen Pfeiler der Kriegstüchtigkeit. „Es wird darauf ankommen, den Gegner durch eine Vielzahl miteinander orchestrierter Effekte in allen Dimensionen zu überfordern, um ihn dann mit einer hochdynamischen Gefechtsführung zu schlagen.“ Wenn diese Strategie gelingt, nütze dem potenziellen Gegner auch keine quantitative Überlegenheit.
Aufwuchs & Innovation im Deutschen Heer
„Das Heer muss wachsen“, bekräftigte dessen Inspekteur – personell und materiell. General Freuding nannte die Stichworte Brigade 45, Heeresflugabwehrtruppe und Loitering-Munition-Batterie. Personelle Defizite müssten behoben, neue Fähigkeiten aufgebaut werden.
Aufwuchs sei auch beim Material notwendig. Hier stellte der Inspekteur des Heeres einen positiven Trend fest. Zahlreiche geschlossene Verträge – von Nachtsichtgeräten bis Panzerhaubitzen – würden das Heer schon bald besser ausstatten. „Das ist gut“, meinte der General, „aber gemessen an ’29 nicht schnell genug und gemessen am Bedarf quantitativ nicht ausreichend.“ Erst recht mit Blick auf die Ausstattung der Reserve.
Der Krieg in der Ukraine sei allerdings keine Blaupause, denn auch in Zukunft würden Drohnen allein keine Gefechte führen; Kampfpanzer, Haubitzen und Soldaten behalten ihre Rolle. Dennoch bietet die Ukraine nach Ansicht des Generals einen „Referenzrahmen“. Technische Innovationen und neue taktische Fähigkeiten können durchaus aus dem ukrainischen Abwehrkampf resultieren.
Innovationen dürften dabei weder ausschließlich zentralisiert gedacht noch gemacht werden. Sie müssten auf der Ebene der Trupp- und Zugführer mit den Soldatinnen und Soldaten entstehen, wenn diese für ein taktisches Problem nach Lösungen suchen. General Freuding habe dies so in der Ukraine erlebt und gesehen. „Meine Vorgabe ist hier“, so der Heeresinspekteur, „ausprobieren, testen, eigene Verfahren entwickeln, ins Risiko gehen, Scheitern zulassen, aber dann bitte auch wieder neu ansetzen.“
6 Leitprinzipien für Heeresbeschaffungen
Die Innovationskraft der Streitkräfte sind das eine, die der Industrie das andere. Generalleutnant Freuding formuliert daher sechs Leitprinzipien für die Beschaffungen des Heeres. Allen voran bleibe Hochtechnologie unverzichtbar, müsse aber robust, massenhaft verfügbar und schnell ersetzbar sein. Nur so entstehe nach Ansicht des neuen Heeresinspekteurs echte Kriegstauglichkeit.
„Unsere Systeme müssen intuitiv und zuverlässig bei Regen und Schnee, bei Hitze und Kälte mit Schmutz am Handschuh bedienbar sein. Und das Ganze auch bitte ohne Universitätsabschluss“, nannte Generalleutnant Freuding einen zweiten Punkt. Entwicklungen in der Industrie müssten daher von Beginn an gemeinsam mit den Soldatinnen und Soldaten erfolgen. Das neue System FALKE sei hierfür ein gutes Beispiel und das Heer stünde jederzeit zur Verfügung, versicherte der Inspekteur.
Bei der Entwicklung neuer Systeme und der Nachrüstung bereits vorhandenem Geräts müsse stärker auf Schnittstellenoffenheit geachtet werden. „Das ist die Voraussetzung für Vernetzung, für Technologieoffenheit, für Interoperabilität und für kontinuierliche Weiterentwicklung“, bemerkte der General.
Zudem verlangt er seitens der Industrie absolute Verlässlichkeit bei Zeit- und Qualitätszusagen, da Verzögerungen beispielsweise bei der Auslieferung von Software für die Bundeswehr keine „marktübliche Projektstörung“ darstellt, sondern verminderte Einsatzfähigkeit. Bestellte Plattformen seien nicht nur irgendein Produkt, sondern „überlebenswichtig und durchsetzungsgarantierend“.
Daher nannte Generalleutnant Freuding mit seinem fünften Leitprinzip auch die schnelle Schließung der Fähigkeitslücken. Diese müssten ohne Verzögerung durch Übergangslösungen und notfalls durch den Kauf bereits bewährter Systeme aus dem Ausland erfolgen – auch aus der Ukraine. „Wir haben keine Zeit“, erinnerte Generalleutnant Freuding. „Der Feind wartet nicht auf unsere Fertigmeldung.“
Der Inspekteur des Heers fragte abschließend: „Könnten wir denn über lange Zeit von einem durchsetzungsfähigen System, von einem präzisen Wirkmittel, genug herstellen, kontinuierlich herstellen – Stichwort Lieferkettenresilienz – und könnten wir uns das auch finanziell leisten?“ Seine sechste Forderung: ein neues ökonomisches Denken in Masse, Skalierbarkeit und belastbaren Lieferketten als Kern zukünftiger Beschaffungen.
Die 6 Leitprinzipien der Heeresbeschaffung im Überblick
- Hochtechnologie bleibt essenziell, muss aber kriegstauglich sein (robust, in großer Stückzahl verfügbar, schnell ersetzbar)
- Gemeinsam mit den Soldaten entwickeln, um aus Nutzersicht zuverlässige und intuitive Systeme zu schaffen
- Offene, standardisierte Architektur aller Systeme – neue wie alte
- Absolute Verlässlichkeit bei Zeit- und Qualitätszusagen; Verzögerungen bedeuten Verlust realer Einsatzfähigkeit.
- Sofortiges Schließen von Fähigkeitslücken bei Bedarf auch durch bewährte ausländische Systeme.
- Neue ökonomische Logik: Masse, Skalierbarkeit, robuste Lieferketten und konsequentes Life-Cycle-Management als Grundlage für Durchhaltefähigkeit und finanzielle Tragfähigkeit.
Der gestrige parlamentarische Abend beim FKH zeigte einen Heeresinspekteur, der offen auf die Industrie zuging – aber auch reichlich Forderungen im Gepäck hatte. Generalleutnant Dr. Christian Freuding will die deutschen Landstreitkräfte aufwachsen lassen und vollausstatten.
Als Inspekteur des Heeres würde er „geradezu unverantwortlich handeln“, würde er nicht jede Möglichkeit nutzen, vorhandene Fähigkeitslücken sofort zu schließen. General Freuding will neues Material für das Heer – und er wird es bekommen, wenn die Industrie liefert.
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