Noch immer werden viele türkische Rüstungsgüter als modifizierte Lizenzbauten hergestellt. Das ändert sich jedoch rasant: Ziel der Regierung ist es, vom gegenwärtigen 19. Platz zu den zehn stärksten Wirtschaftsnationen der Welt zu gehören. Auch der Bereich Rüstung soll dazu seinen Beitrag leisten. Langfristig geht das nur mit eigenen Produkten. Auf dem Gebiet der unbemannten Luftfahrzeuge hat sich die Türkei bereits einen Namen gemacht, mit dem Kaan soll das auch bei Kampfjets gelingen. cpm Defence Network war zu Gast bei Turkish Aerospace Industries (TAI) und hat sich nach dem Stand der Dinge erkundigt.
Wie andere Staaten auch sucht die Türkei nach einem geeigneten Nachfolger für ihre alternde F-16-Flotte. Neben der Teilnahme am US-amerikanischen F-35-Programm ab 1999 wurde 2010 in Ankara beschlossen, einen gänzlich eigenen Kampfjet zu entwickeln. Dass die Auslieferung der F-35 im Jahr 2019 von den Amerikanern storniert wurde, ist bekannt; wie aber kommt das eigene Projekt voran?
Kaan – Zweistrahliges Kampfflugzeug der 5. Generation aus der Türkei
Der breiten Masse vorgestellt wurde der Kaan bereits am 1. Mai dieses Jahres in Ankara. Dort hatten Besucher die Möglichkeit, den 21 m langen, sechs m hohen und von Flügelspitze zu Flügelspitze 14 m breiten Prototyp beim Roll-out zu bewundern. „Wir nennen ihn ‚Kaan‘, denn er ist der König der Könige“, sagte TAI-CEO Temel Kotil später in einem Promotion-Interview und hob verschiedene Fähigkeiten des Flugzeugs hervor. Die im Rumpf verstaute Bewaffnung, die Supercruise-Fähigkeit und Tarnkappentechnik gehören beispielsweise zu jenen Eigenschaften, die den Kaan zu einem strahlgetriebenen Kampfflugzeug der 5. Generation machen.
Die Triebwerke (General Electric F110) sowie der der Schleudersitz kommen momentan noch aus dem Ausland, sollen bis 2028 jedoch ebenfalls durch heimische Bauteile ersetzt werden, um ein zu 100 Prozent türkisches Kampfflugzeug zu erhalten. Ein Vorhaben, welches nicht nur dem Nationalstolz der Türken zuträglich ist, sondern auch eventuellen Exporten ins Ausland, bei denen man nicht mehr auf die Zustimmung der US-Amerikaner angewiesen wäre.
Technische Spezifikationen des Kaan (Stand Nov/2023)
- Maximales Startgewicht: 27.215 kg
- Triebwerke: 2 × General Electric F110-GE-129 Turbofan (türk. Triebwerke geplant)
- Schub je Triebwerk: 76,31 kN und 131 kN mit Nachbrenner
- Höchstgeschwindigkeit: 2.222 km/h (1.381 mph, 1.200 kn)
- Höchstgeschwindigkeit: Mach 1,8
- Reichweite: 1.100 km
- Dienstgipfelhöhe: 17.000 m
- G-Limits: +9,0 g & -3,5 g
- Bewaffnung
- Luft-Luft-Raketen: u. a. aus dem GÖKTUĞ-Raketenprogramm: Gökdoğan, Gökhan, Akdoğan, Bozdoğan
- Luft-Boden-Raketen: u. a. Kuzgun, Akbaba, Roketsan Çakir, MBDA Spear-3
- Bomben: u. A. Teber von Roketsan, SARB-83 Bunker Buster, ASELSAN Miniaturbombe
100 Mio. Dollar – Auch in der Türkei steigen die Preise
Der Kaan wird kommen, so viel steht heute schon fest – aber zu welchem Preis? Der Türkei bleiben nicht viele Alternativen, wenn sie keine europäischen Lösungen wie den Eurofighter einkaufen kann oder sich nicht mit Bestellungen in Russland noch weiter von den USA entfernen möchte. „Jede Nation sollte ihre eigenen Defence-Programme haben. Das haben wir aus dem F35-Fall gelernt“, meinte Temel Kotil und mag aus politischer Sicht der Türkei recht haben.
Doch ganz ohne ausländische Kooperation wird auch der Kaan nicht bestehen können. Finanziell kommt Unterstützung aus Aserbaidschan und Pakistan wird ebenfalls als Partner umworben. Doch ob diese Länder – und die unter anhaltend hoher Inflation leidende Türkei selbst – sich auf Dauer ein Kampfflugzeug leisten können, dessen Preis vom Firmenchef selbst auf mindestens 100 Mio. Dollar geschätzt wird, während der vergleichbare und ebenfalls bald einsatzbereite südkoreanische Kampfjet KAI KF-21 Boramae lediglich 65 Mio. Dollar kosten soll, bleibt fraglich.
Der Plan steht – wenigstens auf dem Papier
Beim Besuch des Firmengeländes von TAI war davon jedoch keine Rede. Hier lag der Fokus ganz auf dem geplanten Erstflug des Kaan und des einzuhaltenden Terminplans. In der Türkei wird gerne zu jedem die Zukunft betreffendem Anlass die Floskel Inşallah (So Gott will) verwendet. Nicht selten ist das als Ausrede für eventuellen Misserfolg gemeint. Doch beim Kaan hat der Erstflug auch Symbolwert, denn in diesem Jahr feierte die Republik Türkei ihr 100-jähriges Bestehen. Auf Nachfrage hielt Temel Kotil am gegenwärtigen Plan zum Kaan fest. „Im Dezember 2023 werden wir fliegen“, sagte er mit schwer zu deutendem Lächeln.
Navid Linnemann
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