Das Erreichen der Luftüberlegenheit – Interview mit Generalmajor Peter Klement

„Alle Verbände der Luftwaffe und all ihre Waffensysteme sind gleichermaßen relevant“, betonte der Kommandeur Fliegende Verbände im Luftwaffentruppenkommando, Generalmajor Peter Klement, im Gespräch mit cpm. Im weiteren Verlauf ging es um aktuelle Aufgaben der deutschen Luftwaffe, wie die Inbetriebnahme der Drohne Heron TP und internationale Übungen. Deutlich wurde auch die Relevanz der verschiedenen Luftwaffensysteme für die Luftüberlegenheit. Die Fragen stellte Rainer Krug. Das Interview erschien zuerst in unserem Printmagazin cpmFORUM 2/24.

Ein Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 31 "B" und der heutige Kommandeur Fliegende Verbände im Luftwaffentruppenkommando, Generalmajor Peter Klement.
Ein Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 31 "B" und der heutige Kommandeur Fliegende Verbände im Luftwaffentruppenkommando, Generalmajor Peter Klement.
Foto: Bundeswehr / Patrik Bransmoeller
Im vergangenen Jahr haben Sie mit Ihren Truppen einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Air Defender 2023 beigetragen. Was waren für Sie die wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Übung?

Im Vordergrund stehen für mich drei wesentliche Erkenntnisse. Das Ausbildungsniveau in den Fliegenden Verbänden ist exzellent und wir haben unter den Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen hervorragende taktische Experten. Als hoch professionelle Airbosse erstellten und leiteten sie die Gesamtplanung für die verbundenen Luftkriegsoperationen mit bis zu 70 Kampfflugzeugen.

Darüber hinaus haben die Soldatinnen und Soldaten unserer Verbände eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie höchstmotiviert und überaus professionell top Leistungen jederzeit abrufen können.

Air Defender 2023 hat aber auch gezeigt, dass Großübungen zusammen mit unseren Verbündeten einen enormen Stellenwert für die Einsatzbereitschaft der Luftstreitkräfte haben. Im täglichen Flugbetrieb können komplexe Szenarien, wie sie während der Übung Air Defender trainiert wurden, nicht  ohne weiteres zur Verfügung gestellt werden.

Dank der Unterstützung von der Deutschen Flugsicherung und Eurocontrol konnten wir unter nahezu idealen Bedingungen das gesamte Spektrum an möglichen Einsatzszenarien üben und die Interoperabilität der teilnehmenden Luftwaffen eindrucksvoll unter Beweis stellen.

Jedoch steht an erster Stelle für mich die Erkenntnis, dass unsere Luftwaffe als „First Responder“ in der Lage ist, ein derartig komplexes Vorhaben zu planen und gemeinsam mit unseren Alliierten erfolgreich und vor allem auch sicher durchzuführen. Dabei hielt sich die Mehrbelastung für die Bevölkerung aus meiner Sicht in vertretbaren Grenzen und das Interesse in der Bevölkerung an Air Defender als Zeichen der grundsätzlichen Unterstützung war für mich beeindruckend.

Blickt man auf das beeindruckende Ergebnis des vergangenen Jahres, so stellt sich die Frage: Was werden die Herausforderungen im aktuellen Jahr für die Fliegenden Verbände der Luftwaffe sein? Wird es eine Fortsetzung dazu geben?

Der Fokus dieses Jahr wird das Vorhaben PACIFIC SKIES, der Erstflug der German HERON TP in Deutschland und natürlich die bruchfreie Wahrnehmung unserer laufenden Verpflichtungen sein.

Heute führte die deutsche Luftwaffe erstmals einen Flug mit der German Heron TP über Deutschland durch.
Heute führte die deutsche Luftwaffe erstmals einen Flug mit der German Heron TP über Deutschland durch.
Foto: Deutsche Luftwaffe

Mit den europäischen FCAS-Nationen Spanien und Frankreich werden wir gemeinsam mit der Deutschen Marine und acht internationalen Partnern auf vier verschiedenen Kontinenten in unterschiedlichsten Szenarien an insgesamt fünf Übungen teilnehmen. Eine planerische, logistische und natürlich auch fliegerische Herausforderung auf höchstem Niveau.

Einen weiteren Meilenstein wird in diesem Jahr der erste Flug der German HERON TP Drohne im deutschen Luftraum und die anschließende Demonstration der Fähigkeiten des Systems im Verbund mit den Streitkräften der Bundeswehr und internationalen Kampfverbänden darstellen.

Parallel dazu wird die Luftwaffe auch in diesem Jahr die Sicherheit im Luftraum über Deutschland und dem Baltikum mit Alarmrotten gewährleisten. Für fast neun Monate werden wir mit dem Waffensystem EUROFIGHTER das verstärkte Air Policing übernehmen.

Zusätzlich zu den sogenannten Schwerpunkten wird die Luftwaffe auch an zahlreichen Übungen teilnehmen. Im Sommer werden wir Gastgeber des NATO Tiger Meet 2024 sein. Eine der größten fliegerischen NATO-Übungen, die wir federführend ausrichten und durchführen. In verbundenen Luftkriegsoperationen wird das Zusammenwirken von Luftkriegsmitteln unterschiedlichster Fähigkeiten und  Einsatzbereiche trainiert. Die Luftfahrzeugbesatzungen können auf diese Weise besonders wertvolle, taktische Erfahrungen sammeln.

Der Vorhabenkalender der Luftwaffe ist damit – wie immer – randvoll, auch wenn die meisten Vorhaben nicht den Bekanntheitsgrad von Air Defender erreichen werden.

Wenn wir auf die aktuellen Krisen und Kriege weltweit blicken, so stellen wir fest, dass das Thema Luftüberlegenheit wieder eine besondere Bedeutung bekommen hat. Welche Luftkriegsmittel aus Ihren Verbänden tragen im Besonderen zum Herstellen der Luftüberlegenheit bei?

Diese Frage lässt sich kurz und knapp beantworten: Alle Verbände der Luftwaffe und all ihre Waffensysteme sind gleichermaßen relevant. Nur im sich ergänzenden Zusammenwirken aller Komponenten – von Kampfflugzeugen über die Flugabwehr bis hin zu Drohnen, Radaranlagen oder Satelliten, kann Luftüberlegenheit erreicht und gehalten werden.

Weitere entscheidende Komponenten sind dem Gegner überlegene Einsatzgrundsätze und damit einhergehend Konnektivität sowie Interoperabilität zwischen allen Systemen und Beteiligten im Gesamtverbund. Das sind die Voraussetzungen und die Grundlage für die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit im Einsatz.

EK-Expertise: EUROFIGHTER EK mit Arexis.
EUROFIGHTER EK mit Arexis.
Foto: Saab

Ergo liegt der Schlüssel zur Luftüberlegenheit von heute und morgen in modernen, einsatzfähigen Waffensystemen und hervorragend ausgebildetem Personal. Damit sehe ich die Luftwaffe auf einem guten Weg.

In diesem Zusammenhang geht es auch immer wieder um die Wechselwirkungen beim Elektronischen Kampf. Der TORNADO ECR hat dabei oft seine besondere Befähigung bewiesen. Wie wird das für den EUROFIGHTER ausgewählte AREXIS hier wirken können?

AREXIS ersetzt die derzeitige Selbstschutzanlage des EUROFIGHTER und war primär für den Selbstschutz des Waffensystems konzipiert. Bei der schwedischen JAS GRIPEN ist das AREXIS-System bereits im Einsatz und unterliegt einer kontinuierlichen Weiterentwicklung.

Basierend auf tiefgreifenden Untersuchungen und Bewertungen zeigte sich allerdings, dass AREXIS über deutlich mehr Potenzial verfügt als für den reinen Selbstschutz erforderlich. Über AREXIS können die Funktionalitäten des TORNADO ECR auf dem Waffensystem EUROFIGHTER abgebildet werden.

Mehr noch, neben der Geolokalisationsfähigkeit verfügt das System AREXIS auch über eine Grundbefähigung im Bereich Elektronischer Kampf (electronic attack).

Auf Grundlage moderner Antennentechnologie und digitaler Signalverarbeitung kann ALEXIS gegnerische Radarsysteme sehr schnell und sehr genau orten und identifizieren. Erkannte gegnerische Systeme können dann im Systemverbund über ein Datennetzwerk anderen Plattformen zur Anzeige gebracht werden, sodass diese außerhalb des Gefährdungsbereiches bleiben oder die Bekämpfung gezielt aufnehmen können.

In Kombination mit dem Lenkflugkörper AARGM wird der EUROFIGHTER in einem ersten Schritt (Step 1) dazu befähigt werden, die Einsatzrolle des TORNADO ECR vollständig abzudecken. Der Lenkflugkörper ist aktuell für die Bekämpfung von gegnerischen Radar- und Luftabwehrsystemen ausgelegt.

Bereits jetzt finden zahlreiche Erprobungen mit dem Eurofighter an der WTD 61 in Manching statt - zukünftig dann in noch engerer Begleitung durch die Luftwaffe als Nutzer.
Bereits jetzt finden zahlreiche Erprobungen mit dem Eurofighter an der WTD 61 in Manching statt - zukünftig dann in noch engerer Begleitung durch die Luftwaffe als Nutzer.
Foto: Bundeswehr / Evi Hufnagl

Die darauffolgende Ausbaustufe (Step 2) umfasst zusätzliche Störsysteme, die in Kombination mit dem AREXIS-System aktiv die gegnerischen Luftabwehrstellungen an der Detektion von verbündeten Luftstreitkräften hindern. Diese Störsysteme werden als Außenlasten am EUROFIGHTER angebracht. Aufgrund der größeren Antennen kann mehr Leistung abgegeben werden, sodass auch die Rolle als Begleitstörer (Escort Jammer) durch den EUROFIGHTER übernommen werden kann.

AREXIS wird damit die ECR-Fähigkeiten vom Waffensystem TORNADO auf den EUROFIGHTER übertragen und weiter ausbauen.

Nach aktuellen Planungen wird ab 2040 mit dem FCAS ein System der 6. Generation für die Luftkriegsführung zur Verfügung stehen. Welche Rollen und Aufgaben würde das FCAS im Bereich Luftüberlegenheit übernehmen?

FCAS steht nicht alleine für ein neues Luftfahrzeug, sondern für den Zusammenschluss verschiedener Waffensysteme und deren Sensorik in einem komplexen Netzwerk. Der Next Generation Fighter (NGF) und die zeitgleich zu entwickelnden Remote Carrier (RC) bilden das Herzstück dieses Systemverbundes.

Dieses Waffensystem soll dann die Schnittstelle werden, die die Sensorik der angeschlossenen Systeme, z. B. EUROFIGHTER, A400M, PATRIOT, IRIS-T SLM, miteinander verbindet. Dies ermöglicht, dass jedes Waffensystem mit den Daten versorgt wird, die es für seinen Auftrag benötigt. Die Sensorik und Avionik des NGF, die bei europäischen Partnern entwickelt werden, sind in diesem Verbund ein Schlüsselelement.

Analog zu einer F-35 ist das NGF für das gegnerische Radar nahezu unsichtbar.

Analog zu einer F-35 ist das NGF für das gegnerische Radar nahezu unsichtbar. Es kann nicht nur gegen angreifende Luftfahrzeuge und gegnerische Luftverteidigungsstellungen eingesetzt werden, sondern bindet auch die herkömmlichen Systeme – bemannt sowie remote controlled in der Luft und am Boden – mit in die Mission ein und steigert dadurch die Effektivität erheblich.

Die Herausforderung liegt derzeit in der Ausgestaltung einer Systemarchitektur, die es den Operateuren erlaubt, als Manager einer Mission alle erforderlichen Maßnahmen anzuleiten und zu überwachen. Ein Teil muss dabei von automatisierten Prozessen übernommen werden, da der Mensch mit der Flut an Daten und Entscheidungen überfordert werden würde. Der Mensch ist aber nach wie vor als Kontroll- und Entscheidungsinstanz in diesem Netzwerk unverzichtbar und unterbindet damit einen ungewollten automatisierten Waffeneinsatz.

Dieser Verbund von Sensoren, Informationen und Waffensystemen ermöglicht es, die gewonnenen Daten schneller als jetzt auszuwerten. Entscheidungen können so auf einer qualitativ besseren Basis und vor allem zügiger getroffen werden. Dem Gegner wird damit die Möglichkeit genommen, ein Verhaltensmuster zu erkennen und sich darauf einstellen zu können. Auch kurzfristige Änderungen im Plan können ohne Zeitverzug kommuniziert und flexibel umgesetzt werden.

Dadurch wird es uns auch zukünftig gelingen, eine Luftüberlegenheit herzustellen, die für eine erfolgreiche Verteidigung oder das Zurückdrängen gegnerischer Kräfte notwendig ist.

Lassen Sie mich nochmal auf die aktuellen Krisen blicken. Das Air Policing im Baltikum ist hier fast schon zur Standardaufgabe geworden. Welche Bedeutung hat es für den Schutz der NATO-Ostflanke?

Dem verstärkten Air Policing Baltikum (VAPB) kommt eine wichtige Rolle beim Schutz der NATO-Ostflanke zu, indem es eine durchgehende Präsenz von NATO-Luftstreitkräften in der Region sicherstellt. Die Präsenz dient nicht nur der Abschreckung potenzieller Bedrohungen, sondern auch der schnellen Reaktionsfähigkeit im Falle von Krisen.

Ausstoß von Täuschkörpern zur Abwehr hitzesuchender Raketen.
Ausstoß von Täuschkörpern zur Abwehr hitzesuchender Raketen.
Foto: Luftwaffe

Durch die Kooperation und Unterstützung der NATO-Verbündeten gewährleistet das verstärkte Air Policing Baltikum die Sicherheit und Stabilität in der gesamten Region und trägt somit maßgeblich zur kollektiven Verteidigung der NATO bei. Das verstärkte Air Policing Baltikum ist daher für die baltischen Länder von besonderer Bedeutung, da es ihnen eine zusätzliche Sicherheitsebene bietet und das Vertrauen in die Solidarität und Unterstützung ihrer NATO-Verbündeten stärkt.

Eine letzte Frage: Mit der dauerhaften Vorausstationierung einer Kampfbrigade in Litauen ab dem übernächsten Jahr werden sich sicherlich die Anforderungen an die Luftwaffe ebenfalls ändern. Wie werden Sie mit Ihren Verbänden betroffen sein?

Die Brigade Litauen ist in erster Linie ein Heeresverband und somit steht der bodengebundene Einsatz im Vordergrund. Hierzu leistet die Luftwaffe selbstverständlich mit Schlüsselfähigkeiten ihren Beitrag. Neben der Bereitstellung von Unterstützungskräften durch bodengebundene Luftverteidigung wird ein koordinierendes Element der Luftwaffe in Form eines Verbindungskommandos im Stab der Brigade etabliert werden. Dies geschieht zu Beginn mit dem leichten

Flugabwehrsystem (leFlaSys) inklusive der Waffenträger OZELOT. Perspektivisch ist vorgesehen, leFlaSys durch IRIS-T SLM der Luftwaffe zu ersetzen, um immer das modernste Gerät zum Schutz der Truppe in Litauen bereitzustellen.

Aufgabe des Verbindungskommandos der Luftwaffe wird die Kooperation und Integration von fliegenden und landgestützten Verbänden in die Übungs- und Ausbildungsvorhaben der Heeresbrigade in Litauen sein. Im Ernstfall wird das Verbindungskommando verzugslos und zielgerichtet mögliche Luftwaffenbeiträge zur Operationsführung der Brigade koordinieren.

Auch die fliegenden Verbände der Luftwaffe werden, unter anderem durch die Beteiligung am verstärkten Air Policing Baltikum oder durch Trainings- und Ausbildungsflüge, zentrale Beiträge zu einer robusten und sichtbaren NATO Force Posture und damit zur Abschreckung leisten. Als Vorteil ist hierbei die Vertrautheit mit dem litauischen und umliegenden Luftraum aufgrund des bereits langjährigen Engagements der Luftwaffe im Baltikum zu werten. In der Folge können wir uns auf die etablierten und erprobten Arbeitsbeziehungen mit der aufnehmenden Nation Litauen und den benachbarten baltischen Staaten Lettland und Estland abstützen.

Herr General, wir bedanken uns für das Interview.
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