Neue Aufgaben für die Artillerie

Mit dem Beginn des Ukrainekonfliktes durch die Krimannexion im Jahr 2014 und des späteren Ukrainekrieges ab Februar 2022 liegt der Fokus der deutschen Streitkräfte überwiegend auf der Landes- und Bündnisverteidigung. Der Einsatz moderner Waffensysteme auf beiden Seiten und beobachtete Anpassungen der jeweiligen Doktrin konkretisieren die Vorstellungen von einem modernen Gefechtsfeld. Der vorliegende Beitrag aus dem cpmFORUM 6/23 widmet sich insbesondere den Aufgaben für die Artillerie.

Aufgaben für die Artillerie: PANZERHAUBITZE 2000 bei einer Truppenübung in Altengrabow nach der Ladeplatzphase. Foto: Bundeswehr / ArtBtl 295
PANZERHAUBITZE 2000 bei einer Truppenübung in Altengrabow nach der Ladeplatzphase.
Foto: Bundeswehr / ArtBtl 295

Kriege beginnen, um einem Gegner mit militärischen Mitteln den eigenen Willen aufzuzwingen, und sie enden, wenn dies gelungen ist oder die militärischen Mittel erschöpft sind. Fortan ist – aus einer defensiven Grundhaltung heraus – eine Logik des Krieges, dem Gegner die Fähigkeit zum Führen von Kriegen zu nehmen.

In einem Multidomänenansatz wird der Artillerie als einer Truppengattung des Heeres die Führung, Aufklärung und Wirkung in einem Systemverbund vereint und als Hauptträger der Feuerunterstützung eine besondere Rolle zuteil. Neue Aufgaben sind im eigentlichen Sinne nicht „neu“, sondern eher eine Wiederkehr mit notwendigen Anpassungen an die Herausforderungen und technologischen Neuerungen der jeweiligen Zeit.

Aufgaben für die Artillerie

Feuerunterstützung wirkt streitkräftegemeinsam und bezieht neben den Sensoren und letalen Effektoren des Heeres auch die der Marine und Luftwaffe mit ein. Sie schafft auf dem Gefechtsfeld Voraussetzungen für Operationen vor allem

bodengebundener Kräfte. Dazu zählen unter anderem die Neutralisierung gegnerischer Kräfte wie zum Beispiel deren Artillerie, Flugabwehrsysteme, logistische Versorgungseinrichtungen und Kommandostrukturen. Damit leistet die Feuerunterstützung einen Beitrag zum Feuerkampf der Landstreitkräfte, erwirkt Wirkungsüberlegenheit und vermindert eine frühzeitige Abnutzung eigener Kräfte.

Wirkung von Artilleriemunition 155mm mit Aufschlagzünder.
Wirkung von Artilleriemunition 155mm mit Aufschlagzünder.
Foto: Bundeswehr / WTD 91

In einer laufenden Operation müssen neben vorgeplanten Zielen auch „Gelegenheitsziele“ (targets of opportunity) in enger Abstimmung mit den vorn eingesetzten Kampftruppenverbänden bekämpft werden können. Dies ist die Aufgabe der Joint Fire Support Teams (unterste taktische Ebenen, in der die Kampftruppe beraten und auf der die Feuerunterstützung mit Wirkmitteln angewendet wird) und der weiteren Koordinierungselemente (KoordE) der Streitkräftegemeinsamen Taktischen Feuerunterstützung (STF) auf den Ebenen Kampftruppenbataillon aufwärts.

Führung der Feuerunterstützung

Überraschende und reaktionsschnelle Schwerpunktbildung durch Feuerunterstützung erfordert effiziente Führungsstrukturen, ein hohes Maß an Digitalisierung und die Überlegung zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur effizienten Ressourcenallokation und Unterstützung von Entscheidungsprozessen. Der Faktor Zeit ist von entscheidender Bedeutung bei der erfolgreichen Erfüllung der Aufgaben für die Artillerie.

Mit dem Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWES) des Artillerie-Daten-Lage-Einsatz-Rechnerverbundes (ADLER) verfügt die Truppengattung bereits über ein eigenes digitales Führungs- und Waffeneinsatzsystem. Führungsebenen der Kampftruppe nutzen ein anderes digitales Führungssystem (z.B. SITAWARE, welches ebenfalls von der Artillerietruppe genutzt wird). Eine störungsfreie, kompatible und ebenenübergreifende digitale Schnittstelle zur bruchfreien Übermittlung von Informationen ist essentiell für eine Einbindung in Operationen, um letzten Endes deren Erfolg zu garantieren.

Die permanente Gefahr der Aufklärung aus der Luft und dem elektromagnetischen Spektrum stellt besondere Herausforderungen an Standort, Größe, Tarnung und digitale Kommunikation von Gefechtsständen. Kleinere oder mobile Gefechtsstände können diese Gefahren minimieren. Ein weiterer Ansatz kann der Einsatz von  KI sein, um den Personalkörper und dabei auch den Platzbedarf von Gefechtsständen und die Reaktionszeit zur Entscheidungsfindung weiter zu reduzieren.

Unabdingbar für das Funktionieren eines solchen Systems und die Erfüllung der Aufgaben für die Artillerie ist die permanente Einspeisung von Daten und Informationen, auf deren Grundlage Prozesse zeitgerecht und effizient entschieden und durchgeführt werden können.

Der Entscheidungsprozess, welche Feuereinheit gemessen an Reichweite, Wirkungsforderung und Kampfbeladung einen Feuerauftrag ausführt und wie sie im Anschluss versorgt oder instandgesetzt wird, sollten ohne zeitlichen Verzug automatisiert umgesetzt werden können. Ein KI-basiertes System kann jederzeit ein optimiertes und auftragsangepasstes Ressourcen-Allokations-Management anbieten.

Wirkung von Artilleriemunition 155mm mit Annäherungszünder.
Wirkung von Artilleriemunition 155mm mit Annäherungszünder.
Foto: Bundeswehr / WTD 91

In einer weiteren Ausbaustufe könnte KI aufgrund verfügbarer Informationen in der Lage sein, neue Schwerpunkte schneller zu erkennen und daraus abgeleitet Vorschläge zur neuen Raumordnung zu erstellen.

Je höher die Intensität des Gefechtes, desto niedriger muss die Entscheidungsebene zum Einsatz von Wirkung aus dem Systemverbund Artillerie sein. Die neue Gliederung in klassische Brigade-, Divisions- und Korpsartillerie trägt diesem Umstand konventioneller Auseinandersetzungen Rechnung. Dabei benötigen nicht alle Ebenen das volle Fähigkeitsspektrum der Waffenwirkung. Vielmehr handelt es sich um einen ebenengerechten und arbeitsteiligen Ansatz, der insbesondere den Erfordernissen an Reaktionsschnelligkeit und Durchsetzungsvermögen entspricht.

Sollten sich KI-gestützte Systeme bewähren und durchsetzen, ist auch ein völlig neuartiger Ansatz mit kleineren vernetzten Feuereinheiten bei gleichzeitig größerer Dislozierung im Raum und einer Reduktion von Zwischenebenen möglich, um einen echten „Sensor to Shooter Link“ zu erreichen. So ließe sich der Schutz vor Counter Battery Fire durch kürzere Feuerkommandos erhöhen. Außerdem steigt der Aufwand des Gegners zur Bekämpfung mehrerer kleinerer Ziele und bindet mehr gegnerische Kräfte.

Modernere Systeme erlauben eine weitere Reduzierung von Personal pro Geschütz. Mit dem aktuell vorhandenen Personal könnten somit mehr Systeme gleichzeitig eingesetzt werden. Herausforderung bei einem solchen Ansatz ist der Schutz der eigenen Waffensysteme und die Bewältigung von Ladevorgängen. Eine automatische (Feind-) Erkennung von bodengebundenen und luftgestützten Systemen kann die Soldaten dabei effizient unterstützen. Beladungsvorgänge sind weitestgehend zu automatisieren.

Dazu sind aufeinander abgestimmte, logistische Systeme notwendig. Die Munitions-, Sicherungs- und Austauschgruppe (MSA) kann in einem solchen Szenar auch als aktives Sicherungselement zum Schutz der personalschwachen Systeme eingesetzt werden. Insbesondere die Befähigung zur Bekämpfung von Bedrohungen aus der Luft mit Früherkennung und Raumdeckung ist zu erlangen.

Aufklärung

Hohe Präzision beim Waffeneinsatz erzielt nur dann den gewünschten Effekt, wenn die Komponente Aufklärung eine hinreichend hohe Zielortungsgenauigkeit erreicht. Eine hohe Zielortungsgenauigkeit ermöglicht wiederum den Munitionseinsatz zu reduzieren. Dadurch lassen sich Feuerkommandos verkürzen (das Wirkmittel wie, beispielsweise das Geschütz, sind kürzer „gebunden“), Störungen und Ausfälle durch Verschleiß minimieren und letztlich der logistische Aufwand insgesamt reduzieren.

Grundsätzlich ist die Herkunft der Zieldaten für die Aufgaben für die Artillerie nicht von Bedeutung, solange sie verlässlich und hinreichend genau sind. Die Artillerie erreicht als Systemverbund mit bodengebundener und luftgestützter Aufklärung eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit.

Dies ermöglicht auch die Bekämpfung von mobilen und quasistationären Zielen. Anpassung neuer luftgestützter Aufklärungssysteme an die Forderung höherer Reichweiten, geringerer Aufklärbarkeit, höherer Zielortungsgenauigkeit und einer annähernden Allwettertauglichkeit sind unabdingbar.

MARS II im Feuerkampf bei einer Truppenübung. Foto: Bundeswehr / ArtBtl 295
MARS II im Feuerkampf bei einer Truppenübung.
Foto: Bundeswehr / ArtBtl 295

Bodengebundene Aufklärung umfasst sowohl aufklärende Systeme mit Artilleriebeobachtungsradaren, fahrzeuggestützte Lösungen mit Sensorik zur Zielortung als auch leichte, abgesessen einsetzbare Zielortungsausstattungen. Moderne Artilleriebeobachtungsradare müssen über eine effiziente Schnittstelle im digitalen Systemverbund unmittelbar an die Effektoren angebunden sein, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, bewegliche Ziele wie Fahrzeugkolonnen bekämpfen zu können.

Fahrzeuggestützte Lösungen, wie bei den Joint Fire Support Teams, müssen hoch mobil, geländegängig und durch geringe Silhouette schwer aufklärbar sein. Je nach taktischer Aktivität und Aufgaben für die Artillerie ist es unzweckmäßig, im abgesessenen Einsatz Beobachtungsausstattungen mitzuführen, welche erst nach mehrminütigem Aufbau einsatzbereit ist. Eine Ausstattung mit handgehaltenen nachtsichtfähigen Systemen und digitaler Stabilisierung wären zeitgemäß.

Zur Eliminierung des Zielortungsfehlers ist der Einsatz digitaler Kartensysteme unabdingbar. Ablagen durch ungenaue Handhabung in hochintensiven Gefechten können damit sofort ausgeglichen werden. Konventionelle Gegner sind in der Lage, GPS mindestens regional und zeitlich begrenzt zu stören. Zielortung mit aktuellen digitalen Kartensystemen ist auch in einem solchen Fall möglich und daher unbedingt anzustreben. Diese Herausforderungen sind zudem in urbanen Operationen schon aufgrund des baulichen Umfeldes vorhanden.

Wirkung

Mit der PANZERHAUBITZE 2000 und dem Raketenwerfer MARS II erfügt die Artillerie über zwei leistungsfähige und nahezu witterungsunabhängige Systeme mittlerer Reichweite.

Aufgrund der „Anti-Access Area Denial“ (Verwehren des Zugangs zu einem bestimmten Gebiet (A2AD)-Fähigkeit) von „Peer to Peer“-Gegnern ist die Erhöhung der Reichweite, die Anpassung des Munitionseinsatzes, die Erhöhung der Fluggeschwindigkeit und das Endanflugverhalten von entscheidender Bedeutung. Feuerunterstützung im Allgemeinen und Artillerie im Besonderen sind prädestiniert für die mindestens zeitweise Öffnung solcher Zonen, um eigenen Kräften Bewegungsfreiheit zu ermöglichen.

Reichweiten oberhalb der aktuell verfügbaren sind dafür nötig. Um die Flugabwehr des Gegners zu täuschen, zu binden oder zu vernichten, ist neben hochmoderner Munition mit variablen Endphasenanflug auch eine Übersättigung der Radarsysteme durch eine stark erhöhte Anzahl an Geschossen eine Option. Letztere stellt jedoch erhöhte Herausforderungen an die logistische Leistungserbringung, Verschleiß und Anzahl verfügbarer Waffensysteme.

Neben dem Erreichen von Zielen auf große Entfernung sind in konventionellen Phasen des hochintensiven Begegnungsgefechtes auch größere Truppenkonzentrationen in der Fläche zu bekämpfen oder aber eine Wirkung auf größere Flächen zu bringen, um einem Gegner beispielsweise das Durchschreiten eines bestimmten Geländeabschnitts zu verwehren.

Für Rohrwaffen bieten sich bei optimierter Zielortung hierbei im Endanflug GPS-gestützte Geschosse an, um das dann unnötige Maß der Streuung über das geplante Wirkfeld hinaus zu reduzieren. Der Munitionseinsatz ließe sich hierbei erheblich verringern.

Modell eines vernetzten digitalen Gefechtsfeldes. Grafik: Bundeswehr / ArtBtl 295
Modell eines vernetzten digitalen Gefechtsfeldes.
Grafik: Bundeswehr / ArtBtl 295

Ist der großflächigere Einsatz von Munition erforderlich, sind weiterhin Waffensysteme mit hoher Kadenz und großem Munitionsmagazin notwendig. Suchzündermunition Artillerie (SMArt) als Bomblet-Ersatz stellt auch eine Möglichkeit zur Bekämpfung gepanzerter Kräftemassierungen auf einem größeren Areal dar. Anpassungen im Feuerleitsystem zum Errechnen der optimalen Verteilung der Munition mit überlappenden Such- und Wirkradien sind zur Beschleunigung des Bekämpfungsablaufes notwendig.

Das Verbringen dieser Submunition mit Raketen wäre ebenfalls ein denkbarer Ansatz, der aber gleichzeitig die Flexibilität und Verfügbarkeit verschiedener Raketenartilleriemunition pro Raketenwerfer zur Flexibilität des Wirkmittels erfordert. Insgesamt ist eine Verringerung der „Geschoss-Zünder-Kombinationen“ anzustreben.

Eine Geschossfamilie mit Spreng-, SMArt-, Leucht- und Nebelgeschossen und einem modernen Multifunktionszünder mit den Fähigkeiten Annäherung, Aufschlag mit und ohne Verzögerung und Zeit sowie Kurskorrektur- und Betonbrechzünder sind ausreichend und können den logistischen Aufwand erheblich reduzieren. Lässt sich eine Skalierbarkeit der Sprengkraft in einem Multifunktionszünder technisch nicht realisieren, sind zusätzlich nichtsprengkräftige Zünder für die Cargo-Geschosse Leucht, Nebel und SMArt vorzuhalten.

Zum Sperren von Räumen verfügt einzig die Artillerie über eine reaktionsschnelle, skalierbare und abstandsfähige Lösung. Die Minenausstoßrakete mit AT2-Minen bietet eine effektive Sperrbreite von bis zu 1.300 m an. Aufgrund der unregelmäßigen Verteilung der Minen im Gelände ist der Gefährdungsabstand um den Rand der geplanten Sperre sehr hoch. Ein Kampf mit der Sperre ist daher nicht für alle Waffensysteme möglich. Sinnvoll ist eine Weiterentwicklung, die die Streuung der Minen verringert und für eine differenzierte Gleichverteilung im geplanten Wirkradius sorgt.

Fazit der Aufgaben für die Artillerie

Artillerie muss weiterhin anpassungsfähig und flexibel sein sowie ein breites Fähigkeitsspektrum anbieten, um im Rahmen der Eskalationsdominanz verhältnismäßige Mittel einsetzen zu können. Besondere Berücksichtigung humanitärer Grundregeln ist in nichtlinear geführten Kriegen (hybrid, asymmetrisch) nur mit hoher Präzision und skalierbarer Wirkung zu erreichen.

Gleichwohl erfordert das hochintensive Begegnungsgefecht in konventionellen Phasen der Auseinandersetzung hohe Wirkung auf großer Fläche. Dazu sind Reichweiten zu steigern, Präzision der einzelnen Geschosse zu erhöhen, die Zielortungsfehler zu minimieren und die Geschwindigkeit im Prozess durch Automatisierung zu steigern. Eine Beschränkung auf wenige, absolut notwendige

„Geschoss-Zünder-Kombinationen“ ist anzustreben, um den logistischen Prozess zu entlasten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund einer Reduktion von Personal pro Geschütz notwendig. Geeignete Schnittstellen zur Logistik für automatische Beladevorgänge sind unerlässlich. Technologiesprünge bezüglich Digitalisierung und KI sind grundsätzlich zu wagen, um einem modernen Gefechtsfeldadäquat Rechnung zu tragen.

Besondere Aufmerksamkeit ist dabei auf die (digitale) Vernetzung mit anderen Truppengattungen, Teilstreitkräften und multinationalen Partnern zu richten. Digitalisierung und der Einsatz elektronischer Systeme erfordern darüber hinaus auch einen Schutz oder eine Härtung gegen Störungen im elektromagnetischen Spektrum.

Major Robert von Dombrowski,
Batteriechef, 2./Artilleriebataillon 295

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