Rolle des Weltraums bei LV/BV – Aufgaben, Material und strategische Bedeutung

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Bedeutung der Rolle des Weltraums für militärische Belange hat die Bundeswehr die vernetzte Multi-Orbit-Gesamtarchitektur Einsatzunterstützung aus dem Weltraum als Zielbild für die Zukunft definiert. Der folgende Artikel des stellvertretenden Inspekteurs Cyber- und Informationsraum, Generalmajor Jürgen Setzer, beleuchtet Motivation, Notwendigkeit und geplante Umsetzung dieses ambitionierten Vorhabens.

Rolle des Weltraums: Stationäre Satellitenkommunikation am Standort Gerolstein. Foto: Bundeswehr / Torsten Kraatz
Stationäre Satellitenkommunikation am Standort Gerolstein.
Foto: Bundeswehr / Torsten Kraatz

Moderne Kriegsführung und militärische Operationen sind ohne die Nutzung des Weltraums nicht mehr vorstellbar. Disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz, Hyperschallwaffen und Robotik haben den Charakter zukünftiger Konflikte grundlegend verändert. Auch durch diese technologischen Weiterentwicklungen werden Waffensysteme schneller, präziser und wirksamer. In diesem sich wandelnden Umfeld stellt sich die Bundeswehr der Herausforderung, ihre Weltraumfähigkeiten weiterzuentwickeln und an die Zeitenwende anzupassen.

Die sicherheitspolitische Lage hat sich für Deutschland und seine Verbündeten in den letzten Jahren dramatisch verändert. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Konflikt im Nahen Osten und das massive Engagement Chinas im Weltraum haben neue Rahmenbedingungen geschaffen. Anders als bei früheren, rein konventionellen Konflikten, sind die heutigen Gegner und Wettbewerber in der Lage, innerhalb, aus dem und in den Weltraum zu wirken.

Die Spannweite der Bedrohungen reicht dabei von der Beeinträchtigung von Weltraumsystemen durch das elektromagnetische Stören oder Blenden mit Lasern bis hin zur Zerstörung von Satelliten mit kinetischen Waffen. Gleichzeitig eröffnet die rasante Entwicklung der kommerziellen Raumfahrt (New Space) neue Möglichkeiten für Kostenreduzierung und verbesserten Zugang zum Weltraum. Multi-Domain Operations (MDO) als Grundvoraussetzung für zukünftige Kriegsführung sind ohne die Abstützung auf den Weltraum nicht möglich. Sie sehen eine dimensionsübergreifend abgestimmte, gemeinsame Operationsführung vor, um gegenüber potenziellen Gegnern Wirkungsüberlegenheit zu erlangen.

Daraus ergibt sich für die Rolle des Weltraums eine Notwendigkeit zur Stärkung der Resilienz sowie einer schnelleren Anpassungsfähigkeit in Bezug auf Vernetzung, Flexibilität und Schutz eigener Weltraumsysteme. Insgesamt erfordert die derzeitige Lage eine Anpassung der Fähigkeiten der Bundeswehr zur Einsatzunterstützung aus dem Weltraum im Sinne der Kriegstüchtigkeit.

Das Konzept der vernetzten Multi-Orbit-Gesamtarchitektur

Die vernetzte Multi-Orbit-Gesamtarchitektur sieht vor, vom bisherigen fähigkeitsgetriebenen und projektbasierten Ansatz mit langwierigen Beschaffungsvorgängen weniger Hochwertsatelliten, hin zu einem programmorientierten Ansatz mit rollierender Beschaffung von Satelliten verschiedener Größen und Preisklassen überzugehen.

Die zukünftige Gesamtarchitektur Einsatzunterstütung Weltraum (GesArch EinsUstgWR) soll sich flexibel an weiter steigende Anforderungen hinsichtlich Vernetzung, Flexibilität und Reaktionsfähigkeit anpassen lassen und auch in einem beeinträchtigten Weltraumumfeld (Space-degraded Environment) funktionsfähig bleiben. Die höhere Anzahl von Satelliten wird zukünftig zu einer verbesserten Resilienz führen. Ein Kernelement des Konzepts ist die Nutzung einer Multi-Orbit-Konstellation für die Satellitenkommunikation (SATCOM).

Mit der letzten Ariane 5-Rakete (VA261) hob der Heinrich-Hertz-Satellit vom Weltraumbahnhof in Kourou ab. Foto: Ariane Space
Mit der letzten Ariane 5-Rakete (VA261) hob der Heinrich-Hertz-Satellit vom Weltraumbahnhof in Kourou ab.
Foto: Ariane Space

Diese Konstellation besteht aus einer geostationären Komponente in Fortführung der bestehenden SATCOMBw-Linie (das aktuelle System SATCOMBw besteht aus den zwei Weltraumsegmenten COMSATBw 1 und 2 der Bundeswehr), ergänzt um eine Konstellation im niedrigen (LEO) und/oder mittleren Erdorbit (MEO).

Eine Mesh-Topologie soll globale Abdeckung, kürzere Latenzzeiten und hohe Resilienz ermöglichen. Im Bereich der weltweiten abbildenden Aufklärung ist eine Kombination aus zwei bis drei standardisierten Satelliten der >1.000 kg-Klasse für höchstauflösende Bilder und einer Konstellation von bis zu 24 kleineren Satelliten (250 kg-Klasse) angedacht. Letztere sollen sowohl für die abbildende Aufklärung (IMINT) als auch für die signalerfassende Aufklärung (SIGINT) genutzt werden.

Technologische Innovationen und Herausforderungen

Eine Schlüsselkomponente der neuen Architektur ist der Einsatz von Laser Communication Terminals (LCT) auf den Satelliten. LCT ermöglichen hohe Datenraten bei der Inter- und Intra-Orbital-Anbindung sowie eine verbesserte Stör- und Abhörsicherheit. Durch die vollständige Vernetzung der Kernkomponenten SATCOM und weltraumgestützte Aufklärung sollen sich Führungsfähigkeit, Systemantwortzeit und Informationsalter der Aufklärungsdaten signifikant verbessern.

Eine besondere Herausforderung stellt die Bereitstellung von IT-Services (BIT-S) dar. Viele Anwendungen, insbesondere SAP-basierte Systeme, sind latenzsensitiv und erfordern geringe Verzögerungszeiten. Zudem steigen die Anforderungen an die Verschlüsselung (beispielsweise durch Post-Quantenkryptographie), was bei gleichbleibender Bandbreite zu einer Reduzierung der nutzbaren Daten führen würde. Als Lösungsansatz wird eine hochdatenratige globale Vernetzung von Aufklärungs– und SATCOM-Systemen angestrebt.

Umsetzung Zielbild 2035

Die Umsetzung der Gesamtarchitektur Einsatzunterstützung aus dem Weltraum soll schrittweise erfolgen. Der Einstieg erfolgt sukzessive über die eigenen Weltraumsysteme der Bundeswehr im Rahmen der Anfangsbefähigung von SATCOMBw Stufe 3, SARah NF sowie Aufklärung auf Klein(st)satelliten. Das Zielbild 2035 sieht eine hybride Gesamtarchitektur für die Rolle des Weltraums vor, die aus einem Kernelement bundeswehreigener Systeme besteht, ergänzt durch Kooperationen mit Verbündeten (z. B. deutsch-französischer Aufklärungsverbund) und Partnern (z. B. Kooperation mit dem BND im Projekt GEORG).

Der deutsche Kommunikations- und Technologieerprobungssatelliten Heinrich Hertz (auch H2Sat) des DLR in der Antennenmesskammer.
Der deutsche Kommunikations- und Technologieerprobungssatelliten Heinrich Hertz (auch H2Sat) des DLR in der Antennenmesskammer.
Foto: DLR

Zusätzlich ist ein Rückgriff auf Daten und Dienste kommerzieller Anbieter vorgesehen. Kernaspekt ist der Übergang zu einem rollierenden Beschaffungsansatz, der es ermöglicht, technologische Entwicklungen zeitnah in den Einsatz zu überführen und flexibel auf neue Herausforderungen auszurichten.

Fazit und Ausblick zur Rolle des Weltraums

Die Entwicklung einer vernetzten Multi-Orbit-Gesamtarchitektur Einsatzunterstützung aus dem Weltraum stellt die Bundeswehr vor große Herausforderungen, bietet aber auch enorme Chancen. Durch die konsequente Umsetzung des Zielbilds 2035 wird die Bundeswehr ihre Fähigkeiten im Bereich der weltraumgestützten Aufklärung und Kommunikation signifikant verbessern und sich für die Anforderungen zukünftiger Konflikte wappnen.

Entscheidend für den Erfolg wird es sein, die verschiedenen Komponenten zu einem kohärenten Gesamtsystem zu integrieren und die notwendige Flexibilität zu bewahren, um auf technologische Entwicklungen und sich wandelnde Bedrohungsszenarien reagieren zu können. Die enge Zusammenarbeit mit Verbündeten und der Industrie sowie die Synergien mit dem kommerziellen Raumfahrtsektor werden dabei eine Schlüsselrolle spielen. Mit der Gesamtarchitektur Einsatzunterstützung bei der Rolle des Weltraums beschreitet die Bundeswehr einen ambitionierten Weg, der das Potenzial hat, ihre Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit in zukünftigen Konflikten entscheidend zu stärken.

 

Generalmajor Jürgen Setzer,
Stellvertretender Inspekteur, Kommando Cyber- und Informationsraum

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