Die WTD91 spielt eine Schlüsselrolle bei der Sicherstellung moderner und leistungsfähiger Ausrüstung für die Bundeswehr. Im Interview gibt Direktor Frank Dosquet spannende Einblicke in die Arbeit seiner Dienststelle, die Herausforderungen der Zeitenwende, innovative Prüftechnologien und den Umgang mit steigenden Anforderungen. Das Interview führte Rainer Krug; es erschien zuerst im cpmFORUM Ausgabe 5/24.
Herr Dosquet, als Direktor einer Wehrtechnischen Dienststelle haben Sie eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe in der Realisierung von Material und Ausrüstung für die Bundeswehr. Die Soldatinnen und Soldaten müssen sich auf die Arbeit Ihrer Dienststelle verlassen können. Worin liegen die Besonderheiten in der Arbeit gerade Ihrer Dienststelle?
Um diese Frage verständlich beantworten zu können, ist es zuerst einmal wichtig, die Aufgaben des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und seiner Dienststellen voneinander abzugrenzen. Die Schwerpunktaufgabe des BAAINBw ist das Projektmanagement, während an den Wehrtechnischen und Wehrwissenschaftlichen Dienststellen (WTD/WWD) die fachtechnische Expertise in allen Facetten abgebildet ist. Meine
Dienststelle, die Wehrtechnische Dienststelle für Waffen und Munition (WTD91), ist hierbei der Ansprechpartner für alle fachlichen Aspekte zu Wirkung, Schutz mobiler Plattformen und Aufklärung. Damit bilden wir typisch militärische Eigenschaften von wehrtechnischen Systemen ab.
Zu unseren Aufgaben gehören neben der Projektbegleitung und -unterstützung, die Integrierte Nachweisführung, die Einsatzauswertung, die fachliche Beratung sowie Forschung und Technologie (F&T). Wir arbeiten also sehr praxisorientiert unter anderem mit Prototypen, Demonstratoren und Technologieträgern, aber auch mit einem ausgeprägten Einsatzbezug. Da geht Wissenschaftlerinnen und Technikern natürlich das Herz auf.
Außerdem steht uns zur Wahrnehmung unserer Aufgabe eine einmalige Tool-Box zur Verfügung. Hierzu gehören der größte voll-instrumentierte Schießplatz Mitteleuropas, ein sogar für Explosivstoffe nutzbares Umweltsimulationszentrum, eine Vielzahl unterschiedlichster Laboratorien sowie Schieß- und Sprengplätze. Selbstverständlich entwickeln wir unsere Tool-Box für neue Technologien weiter. Daher wurden inzwischen unter anderem Laserversuchsstellungen, virtuelle Handlungstrainer und komplexe Systeme zur Einsatzauswertung eingerichtet.
Um unseren Auftrag zu erfüllen, ist das Wichtigste allerdings unser Personal. Unsere Mitarbeiterinnen und Mit arbeiter sind hochmotiviert und verfügen über ausgezeichnete Fachkenntnisse in den unterschiedlichsten Fachgebieten. Meine Dienststelle ist also tatsächlich aus ganz unterschiedlichen Gründen etwas Besonderes.
Prüfung und Nachweise an Munition sind zweifelsfrei eine spannende und herausfordernde Aufgabe. Zieht es Sie nicht auch als Direktor immer noch aus dem Büro in die Labore und auf die Schießbahnen?
Ich gebe Ihnen vollkommen recht. Unsere Untersuchungen sind immer wieder spannend und herausfordernd. Aber unsere Aufgabe beginnt nicht erst mit einer Qualifikation oder Erprobung. Wir arbeiten den Projektleitungen in allen fachtechnischen Aspekten bereits vorher zu. Natürlich zieht es mich immer auf den Schießplatz und in die Labore. Aber meine Aufgaben muss ich zumeist in realen oder virtuellen Besprechungsräumen, am Telefon oder am Schreibtisch wahrnehmen. Glücklicherweise spielt der Austausch mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dabei trotzdem eine sehr bedeutende Rolle.
Wenn Sie auf die Veränderungen durch die sogenannte „Zeitenwende“ blicken: Hat und wenn ja wie hat sich der Ablauf und die Inhalte der Prüfungen und Untersuchungen auf Ihrer Dienststelle geändert? Wie sind eigentlich die Soldaten, d.h. die Nutzer hier eingebunden?
Die Zeitenwende hat auf uns eine erhebliche Auswirkung. Nun kommt der Kriegsertüchtigung eine besondere Bedeutung zu. Für uns an der WTD91 spiegelt sich das an zwei Handlungssträngen wider. Zum einen müssen wir selbst kriegstüchtig werden. Aufgrund eines leistungsstarken Notfallmanagements, in dem wir uns regelmäßig weiterbilden und auch in der Praxis üben, sind wir bereits sehr gut aufgestellt. Trotzdem gibt es noch einige Aufgaben zu erledigen, denn insbesondere die Regelmäßigkeit in der praktischen – zum Glück simulierten – Anwendung schafft die Voraussetzung für die notwendige Handlungssicherheit, wenn es darauf ankommt.
Zum anderen werden sich unsere Aufgabenschwerpunkte im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung verschieben. Hierauf müssen wir vorbereitet sein. Ein Beispiel stellt die Einsatzauswertung dar. Aber auch sonstige Unterstützungsleistungen der Streitkräfte, unter anderem als Teil der Drehscheibe Deutschland, spielen eine wesentliche Rolle. Zur Gestaltung dieser Schwerpunktverschiebungen stehen wir im engen Kontakt mit dem Territorialen Führungskommando der Bundeswehr und anderen militärischen Ämtern und Kommandos.
Aber um auf den Kern Ihrer Frage zurückzukommen: Im Rahmen der Zeitenwende ist der Faktor Zeit der Dominierende. Dementsprechend müssen wir mehr Aufträge in einer geringeren Zeit bearbeiten. Hierzu war es teilweise nötig, einen neuen Ansatz zu verwenden, der nicht nur intern, sondern vor allem extern vermittelt werden musste.
Inzwischen werden die Erprobungsinhalte unserer Untersuchungen im Rahmen der Integrierten Nachweisführung auf sicherheitsrelevante und zentral fähigkeitsstiftende Aspekte reduziert, um Qualifikationsprozesse zu beschleunigen. Zudem werden von uns verfügbare Qualifikationsdokumente anderer Nationen im vollen Umfang verwendet, um Systeme oder Komponenten fachlich zu bewerten.
Wir unterstützen die Beschleunigung der Beschaffungen jedoch auch auf andere Weise. Unsere Expertinnen und Experten beraten die Projektleitungen, ob angebotene Produkte direkt von der Bundeswehr eingesetzt werden können und somit als marktverfügbar gelten, welche Möglichkeiten sie bieten und welche Anwendungsgrenzen bestehen.
In sogenannten Reifegradanalysen stellen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits während des Entwicklungsprozesses fest, inwieweit die militärischen Forderungen erfüllt sind und die Marktverfügbarkeit bestätigt werden kann. Sollte festgestellt werden, dass bei einem System noch Entwicklungspotenzial besteht, um die gestellten Anforderungen zu erfüllen, kann die Weiterentwicklung des Systems auf die wesentlichen Anpassungsschritte reduziert und damit signifikant verkürzt werden.
Neue Technologien, bei denen Innovationssprünge so schnell erfolgen, dass eine eigene Entwicklung von Systemen nicht zielführend ist, erfordern allerdings ganz neue Verfahren, um mit ihnen Schritt halten zu können. So haben wir das so genannte Comparative Testing (Vergleichendes Testen) etabliert. Bei diesem sollen die für konkrete Aufgaben zielführendsten Systeme identifiziert werden.
Bei allen zuvor genannten Aktivitäten achten wir insbesondere auf eine frühzeitige Einbindung der Nutzenden. Nur so können wir eine spätere Akzeptanz gewährleisten.
Wir stoßen mit all den geschilderten Aufgaben und Herausforderungen natürlich an Kapazitätsgrenzen und überdehnen diese immer wieder. Das uns zur Verfügung stehende Personal ist hierbei der größte limitierende Faktor. Daher greifen wir dort, wo uns Kapazitäten fehlen und wir eine sinnvolle Unterstützung erhalten können, auf Dritte zurück. Hierzu zählt die Nutzung von Erprobungsplätzen weltweit oder auch die Beauftragung von Dienstleistungen.
Was sind derzeit die besonders herausgehobenen Vorhaben, mit denen Sie sich auf Ihrer Dienststelle beschäftigen?
Da wir an fast allen wehrtechnischen Projekten beteiligt sind, ist es nicht einfach, diese Frage zu beantworten. Ich kann jedoch eindeutig feststellen, dass die enorm steigende Anzahl an beabsichtigten Rüstungsbeschaffungen demzufolge bei uns an der WTD91 zu einer deutlich zunehmenden Auftragslast geführt hat. Ein wesentlicher Schwerpunkt der nächsten Jahre wird zweifellos die Unterstützung der Munitionsbeschaffung sein. Hierfür werden bis zu einem Drittel der investiven Maßnahmen der Bundeswehr aufgewendet. Der für uns damit verbundene Aufwand ist offensichtlich.
Neben der Munition bearbeiten wir auch Waffensysteme aller Art. Dazu gehören beispielsweise die zukünftigen Systeme indirektes Feuer (ZukSysIndF) für kurze, mittlere und lange Reichweiten (Mörsersysteme, Radhaubitzen und Raketenartilleriesysteme), der schwere Waffenträger Infanterie (sWaTrgInf), der Schützenpanzer Rad, das Flugabwehrsystem SKYRANGER, die FUCHS-Nachfolge mit seinen Varianten, der 60mm Mörser oder die Marinegeschütze 76 und 127mm.
Aber auch wichtige zukunftsweisende Themen wie die Abwehr unbemannter Luftfahrzeuge (C-UAS) oder hochmoderne intelligente Lenkwaffen (Loitering Munition) werden von uns abgedeckt.
Sie sehen und spüren es hier täglich, die Zeitenwende ist auch bei der WTD91 angekommen.
In den letzten Jahren sind die Wehrtechnischen Dienststellen mehr und mehr in die Forschungs- und Technologieaktivitäten des BMVg eingebunden worden. Wie sieht Ihre Rolle dabei aus und wie stellen Sie sicher, dass Ihre Erkenntnisse dann auch in die Vorhaben einfließen können?
Das Ziel der Aufgabenübertragung vom BAAINBw zur WTD war in erster Linie die Aufgabenkonsolidierung. Die Schwerpunktaufgabe des BAAINBw ist das Projektmanagement, während an den WTD/WWD die fachtechnische Expertise abgebildet ist. Im Zuge der Aufgabenkonsolidierung haben wir inzwischen u.a. die Verantwortung von vier Technologiefeldern für F&T übernommen und zwei wehrtechnische Kompetenzzentren aufgebaut (Lasertechnologien, Hyperschall).
In vielen Bereichen kooperieren wir bi- oder multilateral mit anderen Nationen, um die Weiterentwicklung von Technologien voranzutreiben. Die Mitarbeit in einer Vielzahl von Arbeitsgruppen der NATO Science and Technology Organization (STO) ist hier nur ein Beispiel. Dabei untersuchen und forschen wir selbst beziehungsweise koordinieren die entsprechenden Aktivitäten.
Zudem sehen wir uns in der Pflicht, Plattformen zum Austausch aktueller Erkenntnisse zwischen unseren Expertinnen und Experten, den Projektleitungen im BAAINBw, den Planenden und Nutzenden, den Universitäten und Instituten sowie der Verteidigungsindustrie zu bieten. Ohne diesen Austausch können die Erkenntnisse letztendlich nicht in den wehrtechnischen Systemen für die Truppe ankommen.
An dieser Stelle gebe ich gerne ein konkretes Beispiel: Wir haben mit unseren Forschungsaktivitäten wesentlich dazu beigetragen, dass ein Laserwaffendemonstrator auf der Fregatte SACHSEN installiert wurde, mit dem die gesamte Funktionskette von der Aufklärung bis hin zur Bekämpfung mit einem Hochenergielaser unter äußerst herausfordernden Bedingungen in der deutschen Bucht erfolgreich demonstriert werden konnte. Die anderen Teilstreitkräfte haben die Relevanz erkannt. Vergleichbare Erfolge haben wir in allen Bereichen der Wirkung, des Schutzes mobiler Plattformen und der Aufklärung.
Für Ihre Arbeit spielen Prüftechnologien und hierzu erforderliche Ausrüstung sicher eine besondere Rolle. Was sind die besonderen Aktivitäten, um Ihre Dienststelle auch messtechnisch und infrastrukturell auf dem neuesten Stand zu halten?
Mit unseren zuvor bereits erwähnten F&T-Aktivitäten gewährleisten wir, dass unsere Expertinnen und Experten inhaltlich immer am Puls der Zeit hinsichtlich neuartiger Technologien bleiben. Um mit modernster Technologie ausgestattete wehrtechnische Systeme untersuchen zu können, müssen wir natürlich ebenfalls unsere Prüfsysteme auf dem neusten Stand halten.
Das Thema Infrastruktur ist und bleibt dabei ein herausforderndes Thema. Uns stehen über 500 Gebäude zur Verfügung, die speziell auf unsere Aufgaben ausgerichtet sind. Um die Nutzbarkeit sicherzustellen, sind entsprechende Aufwände erforderlich.
Unsere Prüftechnik ist und bleibt state-of-the-art. Das schaffen wir mit neuen Beschaffungen, Modifikationen und sonstigen Maßnahmen. Teilweise wird unsere Prüftechnik speziell für unsere Zwecke entwickelt.
Eine konkrete Anwendung macht es an dieser Stelle vielleicht noch einmal deutlicher. Zum Beispiel verfolgen wir bei Versuchen teilweise sehr kleine Projektile über die gesamte Flugbahn, erfassen und messen unterschiedliche Parameter in den Geschossen und übermitteln diese bereits während des Fluges an eine abgesetzte Station.
Weitere Beispiele wie Laserversuchsstellungen, virtuelle Handlungstrainer und komplexe Systeme zur Einsatzauswertung hatte ich bereits zuvor erwähnt.
Eine letzte Frage: Vor einigen Jahren war Ihre Dienststelle durch den sog. „Moorbrand“ in die Schlagzeilen geraten. Sind aus Ihrer Sicht alle damals beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung derartiger Vegetationsbrände abgeschlossen?
Selbstverständlich haben wir aus dem damaligen Ereignis gelernt und Maßnahmen ergriffen, damit wir nicht mehr in eine vergleichbare Lage kommen. Dazu zählen materielle, personelle, organisatorische und infrastrukturelle Maßnahmen. Wir haben alleine Material in einem Wert von über 15 Millionen Euro beschafft. Hierzu zählen Löschraupen, Aufklärungsdrohnen und vieles mehr. Unser Personal ist dazu befähigt worden, dieses Material effektiv einzusetzen, vor allem aber sogar Großeinsätze wie die Bekämpfung eines Moorbrandes selbständig zu leiten. Dazu steht uns inzwischen ein Lagezentrum zur Verfügung, das kaltstartfähig ist.
Des Weiteren wurden die Verfahren zur Abstimmung mit unserer Bundeswehrfeuerwehr, aber auch den kommunalen Ansprechpartnern optimiert, so dass wir hier weitaus besser aufgestellt sind. Außerdem kommunizieren wir im Rahmen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit aktiver, um Transparenz und Vertrauen weiter auszubauen.
Die Qualität unseres Notfallmanagements haben wir bereits bei einzelnen Ereignissen der letzten Jahre nachweisen können. Die entsprechenden Konzepte werden inzwischen als Blaupause von anderen Dienststellen verwendet. Zusammenfassend kann man festhalten: Wir haben unsere Hausaufgaben erledigt. Konsequenterweise hat das BMVg inzwischen die letzten Einschränkungen des Versuchsbetriebes an der WTD91 aufgehoben.
Herr Dosquet, wir wünschen Ihnen für die Zukunft weiterhin viel Erfolg und danken für das Gespräch.
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