Indien und Pakistan – Wann eskaliert der Konflikt in Kaschmir?

Ein tödlicher Anschlag im April, Luftschlachten mit unklarer Bilanz und Chinas Kampfflugzeuge überliegen westlichen Systemen – zwischen Indien und Pakistan droht die nächste Eskalationsstufe im jahrzehntelangen Kaschmir-Konflikt. Im Interview mit CPM Defence Network ordnet Dr. habil. Christian Wagner von der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik die Lage ein. Er erklärt, warum der nächste Anschlag den fragilen Waffenstillstand zum großen Krieg führen könnte. Das Interview führte Navid Linnemann.

 

Dr. Christian Wagner von der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik ordnet im Interview den Konflikt zwischen Indien und Pakistan ein. Auch im Bild: eine Rafale der indischen Luftstreitkräfte.
Dr. Christian Wagner von der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik ordnet im Interview den Konflikt zwischen Indien und Pakistan ein. Auch im Bild: eine Rafale der indischen Luftstreitkräfte.
Herr Dr. Wagner, nach einem Anschlag auf indische Touristen in Kaschmir kam es im April zu schweren Gefechten zwischen Indien und Pakistan. Wie ordnen Sie die aktuelle Lage ein?

Die jüngsten Auseinandersetzungen sind eine weitere Episode im über 70 Jahre andauernden Kaschmir-Konflikt. Neu ist jedoch die Eskalationsstufe: Erstmals wurden militärische wie zivile Anlagen auf beiden Seiten gezielt angegriffen.

Indien reagierte mit einer groß angelegten Vergeltungsaktion auf den Anschlag in Pahalgam – in einer Linie mit früheren Schlägen 2016 und 2019. Dies zeigt: Neuartige Eskalationen folgen einem bekannten Muster – aber mit zunehmender Intensität.

Insbesondere ein Luftgefecht sorgte international für Aufsehen. Was wissen wir über den tatsächlichen Umfang der Kampfhandlungen?

Wenn man den Medien glaubt, war es eine der größten Luftschlachten der jüngeren Geschichte. Verlässliche Angaben fehlen jedoch fast vollständig. Sowohl in Indien als auch in Pakistan herrscht strikte Medienzensur. Indische Quellen sprachen anfangs von drei abgestürzten Flugzeugen, später kursierten Zahlen von bis zu sechs verlorenen Maschinen – darunter eine französische Rafale.

Der Verteidigungsminister Indiens, Shri Rajnath Singh, Ende Juni im Gespräch mit Soldaten im Northern Command in Udhampur, Jammu und Kaschmir.
Der Verteidigungsminister Indiens, Shri Rajnath Singh, Ende Juni im Gespräch mit Soldaten im Northern Command in Udhampur, Jammu und Kaschmir.
Foto: Verteidigungsministerium Indien

Auf pakistanischer Seite sind ebenfalls keine belastbaren Zahlen bekannt. Parallel kam es entlang der Kontrolllinie (LoC) zu Schusswechseln am Boden. Klar ist: Indien betrachtet die Militäraktion als „pausiert“, nicht als beendet. Bei einem weiteren Anschlag ist mit einer schnellen Reaktion zu rechnen.

Ein weiteres Element ist der Einsatz chinesischer Technologie auf Seiten Pakistans. Welche Bedeutung hat das aus Ihrer Sicht?

Erstmals trafen moderne chinesische Systeme wie Jets und Lenkwaffen auf westliche Plattformen – insbesondere auf französische Rafale-Jets. Dass chinesisches Material effektiv eingesetzt wurde, ist für Militärstrategen weltweit von Interesse. Der Konflikt wirkt damit auch als Testfeld für zukünftige Konfrontationen in einem multipolaren Rüstungskontext.

Welche Rolle spielt Europa in diesem Szenario? Sollte sich Deutschland stärker engagieren?

Europa – und auch Deutschland – setzen traditionell auf eine bilaterale Lösung des Kaschmir-Konflikts. Das entspricht der indischen Linie. Pakistan hingegen fordert eine internationale Vermittlung über die UN.

Solange Terroranschläge auf indischem Boden geschehen, lehnt Indien Gespräche ab – auch, um nicht den Eindruck zu erwecken, Gewalt werde mit diplomatischer Aufmerksamkeit belohnt. Unter diesen Bedingungen sind kurzfristige Verhandlungen kaum zu erwarten.

Die pakistanische Luftwaffe vergfügt über mehrere Kampflugzeuge aus China, darunter auch die Chengdu JF-17.
Die pakistanische Luftwaffe vergfügt über mehrere Kampflugzeuge aus China, darunter auch die Chengdu JF-17.
Foto: wikimedia / Shimin Gu
Was sind die gefährlichsten denkbaren Entwicklungen für die Zukunft?

Erstens ist eine schnellere Eskalation wahrscheinlich: Indien wird beim nächsten Anschlag wohl rascher zuschlagen, um Pakistan keine Vorbereitungszeit zu lassen.

Zweitens könnte sich die hybride Kriegsführung ausweiten. Pakistan intensiviert seine Beziehungen zu Bangladesch – denkbar ist, dass von dort aus militante Gruppen im indischen Nordosten unterstützt werden. Umgekehrt wirft Pakistan Indien Unterstützung für Gruppen in Belutschistan vor.

Drittens wäre die Aussetzung des Indus-Wasservertrags ein Spiel mit dem Feuer. Zwar fordern hindunationalistische Gruppen in Indien genau das – doch ein solcher Schritt könnte islamistische Gruppen in Pakistan stärken und den Konflikt international als Ressourcenkonflikt aufladen. Angesichts globaler Wasserknappheit wäre das ein riskanter Kurs – und könnte Indien politisch isolieren.

Der Kaschmir-Konflikt bleibt ein Pulverfass. Mit jeder Eskalation steigt das Risiko eines regionalen Flächenbrands – inklusive internationaler Verwicklungen.
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