„Wenn Sie sehen, was in diesem Jahr kassenwirksam verausgabt werden soll, haben Sie faktisch gesehen Wachstumsraten zwischen 30 und 55 Prozent“, machte der Abteilungsleiter Rüstung im BMVg, Vizeadmiral Carsten Stawitzki, gegenüber der Verteidigungsindustrie heute Morgen klar. Diese gestiegene Finanzierung auch in Lieferungen an die Truppe umzusetzen, liege jetzt in Industrieverantwortung. Bei der Podiumsdiskussion am ersten Tag der Rü.Net wurde über langsame Prozesse und die Beschaffung von der Stange gestritten. „Wenn Sie nicht abliefern und das umsetzen“, drohte Stawitzki, „wird die Truppe kein Material bekommen und sie wird nicht kämpfen können.“
Es ist Geld da, es muss nur genutzt werden
„Wir haben die Haushaltsmittel vertraglich gebunden und damit liegt das Thema Haushaltsmittelvollzug, Produktions- und Beschaffungslogistik bei Ihnen“, konterte Stawitzki. „Wenn Sie sehen, was in diesem Jahr kassenwirksam verausgabt werden soll, haben Sie faktisch gesehen Wachstumsraten zwischen 30 und 55 Prozent. Ich kenne kaum eine Industrie, die derartige Wachstumsraten hat und die das überhaupt hinbekommt, das umzusetzen. Das ist aber genau Ihre Verantwortung. Ich zähle auf Sie – nicht nur ich, sondern die Truppe – denn wenn Sie nicht abliefern und das umsetzen, wird die Truppe kein Material bekommen und sie wird nicht kämpfen können.“
Atzpodien lobte den ganzheitlichen Ansatz der Regierung, in dem sie Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung (RRGV) beschlossen habe, kritisierte jedoch deren Folgenlosigkeit und mangelnde finanzielle Unterfütterung. „Ich erinnere nur an eine Formulierung zum Thema Schutzräume in der Gesamtverteidungsrichtlinie: Deutschland hat eine gute Bausubstanz und viele Tiefgaragenplätze. Das ist das Thema Schutzräume. So geht es nicht. Wir müssen als Gesamtgesellschaft resilient werden; wir müssen als Gesamtgesellschaft kriegstüchtig werden, im Sinne dessen, wie Minister Pistorius es wiederholt gesagt hat, nämlich um Krieg vermeiden zu können.“
Beschaffung: Technologie ist die Basis aller Produkte
Dem Thema der diesjährigen Rü.Net – Rüstung aus dem Regal – Marktverfügbarkeit um jeden Preis? – gerecht werdend warnte Thomas Gottschild, Managing Director MBDA Deutschland, allerdings davor, den im Zuge der Zeitenwende eingeschlagenen Kurs bei der Beschaffung fortzusetzen.
„Ich habe jedes Verständnis dafür, dass nach dem Ausbruch des Krieges und nach der Zeitenwende erst mal marktverfügbar beschafft werden musste, um die größten Lücken zu füllen. Aber diesen Weg fortzusetzen würde im Gegensatz stehen, auch zur Strategie, die momentan die Bundesregierung mit ihrer nationalen Sicherheit und Verteidigungsindustrie-Strategie beschlossen hat – mit vielen Prüfungsabsichten drin, aber auch mit einigen handfesten Aussagen. Ich glaube, wir brauchen, um eine starke deutsche nationale Sicherheit und Verteidigungsindustrie zu haben, auch wieder Investitionen in Forschung und Entwicklung.“
Vizeadmiral Stawitzki brachte diesbezüglich Zahlen mit ins Plenum. Der Haushaltsplan des Jahres 2024 weist demnach mit rund 3,42 Milliarden Euro rund 1,12 Milliarden Euro mehr Mittel für den Bereich Forschung, Entwicklung und Erprobung auf als jener im Vorjahr. Das entspricht einer Steigerung von 48 Prozent. Allerdings schließt diese Rechnung das Sondervermögen mit ein. Im Einzelplan 14 sanken die Mittel von 1,85 auf 1,16 Milliarden Euro, obwohl das Sondervermögen ursprünglich gar nicht für den Bereich Forschung und Entwicklung vorgesehen war.
„Was ich momentan in den Haushaltsverhandlungen sehe, bereitet mir sehr viel Sorge“, erklärte Gottschild, gerade wenn wir Richtung Technologie schauen. Technologie ist nun einmal die Basis für alles, was zukünftig in die Produkte kommt.“
Marktverfügbarkeit als Antwort auf schleppende Prozesse?
Wenn – zurzeit – die Prozesse der Beschaffung neuer Technologien zu langsam sind und nicht ausreichend in eigene Produkte investiert wird, liegt Antwort nahe, Produkte im Ausland „von der Stange“ zu kaufen. Die Annahme, marktverfügbar zu kaufen, dann schneller an die Truppe zu liefern und somit eine schnellere Gefechtsfeldüberlegenheit zu haben, sei auch nicht immer richtig.
„Was wir in der Praxis sehen“, berichtet Gottschild, „ist es schneller, bestehende Produkte weiterzuentwickeln oder Ableger daraus zu entwickeln, um dann genau das zubekommen, was diese Gefechtsweltüberlegenheit auch herstellt und was es dann auch erlaubt, das Produkt möglichst schnell einzuführen. Man ist damit auch gleichzeitig nicht abhängig von Dritten und hat behält die eigene Kontrolle.“
Gemeinsame Beschaffungen als mögliche Lösung
Als Partner können Dritte jedoch ebenso eine positive Rolle spielen, wie Joachim Sucker, Direktor der OCCAR, erläuterte. Seine internationale Organisation mit Hauptsitz in Bonn betreut mittlerweile über 20 Beschaffungsprogramme für einen oder mehrere Mitgliedsstaaten – allesamt Beispiele, die eben nicht marktverfügbar sind. Namentlich nannte Sucker den A400M, Boxer, Tiger und die Eurodrohne.
„Wir haben bei der Beschaffung von diesen Projekten nachgewiesen, dass es einen großen Mehrwert für die Nationen darstellt, weil viele Nationen nicht in der Lage sind, große Projekte anzustrengen.“ Das gelte auch für die großen Nationen wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Auf zwei Trends wies Sucker auch noch hin: Immer mehr Nationen geben Programme über Lenkflugkörper in die OCCAR und auch die Europäische Union wird über den European Defence Fund (EDF) zunehmend im Bereich der Rüstungsbeschaffung aktiv.
Stoff für Diskussionen
Die Beschaffung von Material und Munition bleibt ein Dauerthema. Die heutige Podiumsdiskussion auf der Rü.Net hat sicherlich viele Impulse geliefert, über die im weiteren Verlauf der Veranstaltung noch geredet wird.
Ein wesentliches Stichwort ist und bleibt hier die Planungssicherheit. Als Schlusswort formulierte Dr. Hans Christoph Atzpodien: „Die Tatsache, dass wir uns jetzt mit dem Aufwuchs des Verteidigungshaushaltes und des Beschaffungshaushaltes politisch derart schwertun, ist eben für viele kein gutes Signal nach vorne. Das bleibt ein Problem, das soll man nicht kleinreden. Es gibt viele, die sagen, ich könnte ja mehr machen, ich habe schon angefangen zu investieren auf eigenes Risiko, aber solange ich nicht sehe, dass da vorne die Aufträge auch kommen, mache ich jetzt nicht mehr, und das ist schade – und unter Umständen gefährlich.“
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