Herr Dr. Atzpodien, das Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump, seinem Stellvertreter und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office hat für einen Eklat gesorgt. Der sich bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz abgezeichnete Bruch innerhalb der transatlantischen Beziehungen ist jetzt nicht mehr zu leugnen. Sehen Sie darin auch eine Zäsur für die europäische Verteidigungsstrategie – insbesondere mit Blick auf transatlantische Rüstungskooperationen?“
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang das schon 2023 von der Heritage-Foundation veröffentlichte Dokument „Presidential Transition Projekt 2025“ unter dem Titel „Mandate for Leadership – The Conservative Promise“. Im Kapitel über das US-Department of Defence konnte man dort bereits lesen, dass die Europäer die Verantwortung für ihre konventionelle Rüstung weitestgehend selbst übernehmen sollen. Gleiches hat der neue US-Verteidigungsminister bei seinem ersten Besuch im NATO-Hauptquartier gesagt.
Wir müssen dies also ernst nehmen und unser Schicksal stärker selbst in die Hand nehmen. Nur wer selbst stark ist, kann im Weißen Haus bestehen. Dafür spricht auch die von Ihnen angesprochene Szene. Inwieweit man von einem Bruch in den transatlantischen Beziehungen sprechen kann, will ich nicht bewerten. Für mich besteht der Rückschluss auf die transatlantische Rüstungskooperation in erster Linie darin, dass nur Kooperationspartner sein kann, wer selbst über industrielle Kompetenz und Stärke verfügt. Wer dies nicht tun, ist lediglich Käufer und darf sich in der Schlange am Ende anstellen.
Trotz steigender Verteidigungsetats sind in Deutschland und anderen europäischen NATO-Staaten noch immer erhebliche Modernisierungsrückstände festzustellen. Geschwindigkeit ist gefragt. Wo sehen Sie die aktuell größten Fähigkeitslücken, und welche Rolle kann die Industrie dabei spielen, diese Lücken zeitnah zu schließen?
Es steht mir als Industrie Vertreter nicht zu, über konkrete Fähigkeitslücken der Bundeswehr zu sprechen. Diese kennen die Bundeswehr-Planer selbst am besten. Aus Gesprächen weiß ich jedoch, dass die Bundeswehr mit den Bestellungen aus dem bisherigen Sondervermögen ausrüstungstechnisch noch lange nicht da angekommen sein wird, wo sie nach den Anforderungen der NATO hinkommen muss.
Dies ergibt sich ja nicht zuletzt auch aus Aussagen, die der höchste deutsche General bei der NATO, General Christian Badia, in den letzten Monaten wiederholt gegenüber deutschen Medien gemacht macht. Es besteht also kein Zweifel: Die Bundeswehr wird in den kommenden Jahren noch erheblich mehr Mittel für ihre Ausrüstung brauchen.
In einem LinkedIn-Post adressiert der BDSV „Deutschland hat gewählt! Jetzt muss die Bundeswehr bekommen, was sie braucht“. Was braucht sie aus Ihrer Sicht? Und was wird das kosten? Schauen wir mit der EU-Brille auf das Thema Finanzierung. Wie viel operative Initiative erwarten Sie von der Europäischen Kommission bei der Erreichung fiskalischer Tatsachen im Kontext verteidigungspolitischer Autonomie.
Bei dieser Frage beziehe ich mich auf Aussagen von NATO-Generalsekretär Mark Rutte, der attestiert hat, dass wir mindestens drei Prozent unseres BIP für Verteidigung werden ausgeben müssen, vielleicht sogar Summen in Richtung 3,5 Prozent. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat ausgerechnet, dass bei der Messlatte 3 Prozent die Lücke, die bei den Verteidigungsausgaben der Jahre 2025 bis 2028 geschlossen werden muss, alleine ca. 122 Milliarden Euro beträgt.
Legt man 3,5 Prozent zugrunde, ist diese Lücke noch mindestens 50 Milliarden Euro größer. Hierbei ist erst einmal Deutschland und unsere neue Bundesregierung gefordert. Inwieweit die EU hier ein Budget schaffen könnte, ist wiederum in erster Linie eine politische Frage, deren Beurteilung mir nicht zusteht.
Ein zentrales Anliegen europäischer Verteidigungspolitiker und Experten aus der SVI-Community ist eine engere Zusammenarbeit bei Beschaffung und Entwicklung. Welche notwendigen Impulse, welche gangbaren Wege sehen Sie im komplexen bürokratischen Europa? Kann der BDSV an dieser Stelle „Wirkung im Ziel“ erzeugen, um die internationale Fragmentierung zu überwinden und womöglich eine engere Absprache in der Rüstungsbeschaffung innerhalb Europas voranzutreiben? Sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner.
Diese Fragmentierung ist ein schon lange erkanntes und immer wieder beklagtes Phänomen. Es muss gefragt werden, warum die vielen Initiativen zur Überwindung dieser Fragmentierung bisher so relativ wenig Wirkung gezeigt haben. Die Antwort liegt nicht nur in den vergleichsweise geringen Fördersummen der EU.
Sie liegt vielmehr vor allem im fehlenden äußeren Druck, was sich jetzt aktuell gerade ändern könnte. Ein weiterer Aspekt liegt aber darin, dass die nationalen Egoismen bei Rüstung nur dann überwunden werden können, wenn es die beteiligten Regierungen der EU-Mitgliedsländer schaffen, sich auf gemeinsame Projekte zu verständigen. Hier sind an erster Stelle die großen EU-Länder gefragt, die auch über die großen Rüstungsbudgets verfügen (Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Polen).
Zu wünschen ist, dass auch hier die neue Bundesregierung – aufbauend auf den souveränitäts-bedingt definierten nationalen Schlüsseltechnologien im Bereich der deutschen Sicherheits- und Verteidigungstechnologien – eine entsprechende Führungsrolle in Europa übernimmt. Unter ihrer Führung könnte eine Art rüstungswirtschaftlicher „Bebauungsplan“ geschaffen werden, in den sich dann auch andere EU-Länder als Nutzer einordnen können.
Jetzt gilt es! Das BwBBG ist im Kern ein scharfes Schwert, das im Zusammenhang des angedeuteten Rückzugs der USA vom europäischen Kontinent zumindest national schon mal Schub erzeugen könnte.
Wo sehen Sie konkrete Vorteile für die Industrie und die Streitkräfte durch dieses Gesetz, und welche Herausforderungen bleiben aus Sicht des BDSV dennoch bestehen, um eine wirklich nachhaltige Beschaffungsbeschleunigung zu erreichen? Gibt es ein Best-Practice-Case aus der Anwendung des Gesetzes?
Wir sind schon immer der Meinung gewesen, dass das BwBBG in seiner Reichweite ausbaufähig ist. Es könnte zusätzliche Beschleunigungsmaßnahmen im Rahmen des militärischen Vergaberechts enthalten, es könnte die Anwendbarkeit des Art. 346 AEUV i.v.m. § 107 GWB (nationale Ausschreibung) verstärken, es könnte aber auch Maßnahmen enthalten, wie sie das LNG-Terminalgesetz für den beschleunigten Bau von Gasterminals vorsieht. Wir als Verband haben einen solchen Katalog von zusätzlichen Maßnahmen das gesamte letzte Jahr über unter dem Stichwort „Programm für eine Resilienzwirtschaft“ kommuniziert.
Etliche dieser Maßnahmen sind auch in die im Dezember 2024 verabschiedete „Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“ eingeflossen. Nun müssen diese Maßnahmen schleunigst umgesetzt werden. Eine bloße Verlängerung des BwBBG würde hier deutlich zu kurz greifen, zumal das Gesetz bisher vor allem nur auf eine Aussetzung der losweisen Vergabe und auf eine Verkürzung des Nachprüfungsweges baut.
Die jüngsten Krisen haben gezeigt, wie stark die europäische Rüstungsindustrie bei kritischen Komponenten und Rohstoffen von globalen Lieferketten abhängig ist. Insgesamt finden wir hier ein fragiles Gebilde vor.
Welche konkreten Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die Produktionskapazitäten in Deutschland und Europa zu erweitern und so die Versorgungssicherheit – gerade bei anhaltenden Konflikten – zu gewährleisten? Gibt es einen pragmatischen Weg für mehr Mittel?
Die derzeitigen geopolitischen Ereignisse deuten darauf hin, dass die europäischen NATO-Länder mehr als bisher für ihre eigene Rüstung sorgen müssen und dies eine Welle neuer Bestellungen bei der europäischen Rüstungsindustrie auslösen wird. An vielen Stellen wird die Industrie spätestens jetzt angehalten sein, ihre Kapazitäten nochmals deutlich zu erweitern.
Vieles hat sie in dieser Richtung in den letzten drei Jahren schon geleistet. Angesichts des Abschwungs im Automobil- und Automobilzulieferer-Bereich haben wir derzeit in Deutschland für den weiteren Kapazitätsaufbau bei Rüstung gute Ausgangsbedingungen, die wir nutzen müssen.
Das Motto muss lauten: „Autos zu Rüstung“! Anstatt einen volkswirtschaftlichen Schaden durch den Niedergang der Auto-Konjunktur zu beklagen, sollten wir versuchen, Produktionseinrichtungen und vor allem Fachkräfte aus dem Automobilsektor möglichst verträglich in den Defence-Bereich zu überführen. Dazu gehören natürlich auch die Lieferketten, die weiter ausgebaut und gegen Kriseneinflüsse gehärtet werden müssen.
Wir müssen uns in Deutschland bewusst machen, dass in Zeiten allgemeiner Aufrüstung – ob man sie nun beklagen mag oder nicht – bestimmte knappe Ressourcen gesichert und bevorratet werden müssen, was wiederum zusätzliches Geld kostet. Darüber hinaus sind politische Abhängigkeiten zu bedenken, nicht zuletzt von der Volksrepublik China. Nun, da wir diese Abhängigkeiten stärker im Blick haben, sollten wir uns eine alternative Beschaffung nicht durch noch strengere, selbst auferlegte Lieferkettensorgfalts-Regeln erschweren.
Die Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie sieht vor, Schlüsseltechnologien zu sichern und langfristig zu fördern. Wie sollte sich aus Ihrer Sicht der öffentliche Auftraggeber – sowohl finanziell als auch organisatorisch – hier einbringen, damit wichtige Zukunftstechnologien für die Streitkräfte und die Industrie gleichermaßen zur Verfügung stehen?
Die Definition nationaler Schlüsseltechnologien im Bereich Sicherheit und Verteidigung haben wir schon von jeher befürwortet. Sie sind Ausdruck eines strategisch definierten Souveränitätsinteresses unserer Regierung und bilden die Grundlage für wichtige politische Weichenstellungen, sowohl national auch als europäisch. Allerdings hätten wir uns gewünscht, den Katalog dieser Schlüsseltechnologien nach den Lehren aus der Pandemie noch stärker unter Krisenresilienz-Gesichtspunkten zu betrachten.
So hätten wir stärker in den Blick nehmen sollen, wie wir in allen Bereichen der für unsere Streitkräfte und Sicherheitsorgane relevanten Technologien zumindest die nationale Kompetenz qualifizierter Maintenance und Instandhaltung gewährleisten können (was z. B. zusätzlich zum vorhandenen Kanon den Bereich des fliegenden Gerätes betreffen würde). Darüber hinaus erscheint es aber vor allem wichtig, die definierten Bereiche der Schlüsseltechnologien in einem nächsten Schritt stärker zu konkretisieren und zu operationalisieren.
Operationalisierung heißt auch, sie mit einer Nutzanwendung in Richtung europäischer Kooperation zu versehen. Schlüsseltechnologien müssen für die Bundesregierung den Auftrag beinhalten, für diese Bereiche in europäischen Rüstungskooperationen einen Führungsanspruch anzumelden und darüber zu wachen, dass unser nationales Souveränitätsinteresse sich in derartigen europäischen Strukturen weiter aufrechterhalten und durchsetzen lässt. Alles andere würde dem mit der Einordnung als Schlüsseltechnologien verbundenen strategischen Anspruch nicht gerecht werden.
Die USA investieren massiv mehr Mittel in disruptive Militärtechnologien und verfolgen gleichzeitig robuste Industrie- und Technologieinitiativen, die Europa vor große Herausforderungen stellen. Angekündigte Handelszölle und der „America First“ Duktus lassen eher Konkurrenz denn transatlantische Partnerschaft vermuten.
Sollte sich diese Konkurrenz verstetigen, muss unsere Industrie „gehärtet“ auftreten, um eine europäische Unabhängigkeit sicherzustellen. Davon wird zumindest immer gerne geredet. Hand aufs Herz, wie realistisch ist eine Unabhängigkeit der EU vom Großen Bruder?
Dazu lässt sich angesichts der gegenwärtigen europäischen und deutschen „Rüstungslandschaft“ keine einheitliche Antwort geben. Es gibt Bereiche, in denen wir aus guten Gründen US-Gerät anschaffen und hierzu auch transatlantische Unternehmens- und Projektpartnerschaften aufgebaut haben. Es gibt aber auch Bereiche, in denen wir von unseren Kompetenzen her europäische bzw. deutsche Produkte auf dem Markt haben, die weltweit – sogar mit Wirkung auf den US-Kunden – Maßstäbe setzen.
Nach meiner persönlichen Meinung wäre es daher falsch, im Angesicht sich verschärfender Zoll-Drohungen alles auf die Karte „buy American“ zu setzen. Ebenso falsch kann es aber sein, sich ebenso strikt auf ein ausschließliches „buy European“ oder „buy German“ zu fokussieren. Gerade in Deutschland haben wir eine in vielen Produkt-Bereichen hoch angesehene Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.
Da wir in einer Welt leben, in der vor allem Stärke zählt, sollte die künftige Bundesregierung die voraussichtlich sehr erheblichen Mittel, die in den kommenden Jahren aus dem Bundeshaushalt in unsere Sicherheit und Verteidigung zu investieren sind, vornehmlich für eine Stärkung der eigenen Rüstungsindustrie einsetzen. Dies stärkt unsere Volkswirtschaft, schafft einen Ausgleich zur schwächelnden Automobilkonjunktur und verleiht uns im internationalen Kontext – insbesondere gegenüber den USA – zusätzliche Achtung.
Aus dieser Position heraus müssen wir auch versuchen, Leadership im Bereich der europäischen Rüstung zu übernehmen, mit vernünftiger Arbeitsteilung, aber auch unter Wahrung unseres Know-hows und unserer Schlüsseltechnologie-Ansprüche.
Herr Dr. Atzpodien, als Interessenverband bündeln Sie die Anliegen vieler Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Wie möchten Sie in den kommenden Jahren die Zusammenarbeit mit Politik, Streitkräften und europäischen Partnern gestalten, um sowohl die nationale Handlungsfähigkeit zu sichern als auch eine stärkere europäische Verteidigungsfähigkeit zu fördern?
Wir als BDSV vereinigen mittlerweile bei uns ca. 270 Mitgliedsunternehmen, die sich als Ausrüster von Streitkräften in EU und NATO sowie von staatlichen Sicherheitsorganen (der inneren Sicherheit) verstehen. Wir sind ein wenig stolz darauf, dass die EU auch aufgrund unseres Lobbyings mittlerweile aus den Verirrungen herausgefunden hat, die sich im Gefolge des „Green Deal“ in Form der Missachtung von Rüstung durch den europäischen Finanz- und Bankensektor ergeben hatten.
Natürlich haben auch die tragischen Ereignisse des Ukraine-Krieges diese Entwicklung gefördert. Doch immer noch bleiben Defizite: So müssen wir als Gesellschaft noch klarer lernen zu akzeptieren, dass Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit elementar für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen und damit für ein nachhaltiges Leben und Wirtschaften sind. Dort, wo Krieg herrscht, gibt es weder Umweltschutz noch die Achtung sozialer Werte.
Umgekehrt gilt: Waffen, die dazu bestimmt sind, Krieg durch wirksame Abschreckung zu verhindern, leisten einen unmittelbaren Beitrag zur Nachhaltigkeit. Basierend auf dieser Erkenntnis sollten wir die Stärkung des Rüstungssektors zum Zweck unserer eigenen Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit noch selbstbewusster in die Hand nehmen. Dies beinhaltet auch die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel, selbst wenn dies an anderen Stellen Einschnitte erforderlich macht.
Denn was kann für uns in Zeiten geopolitischer Verwerfungen wichtiger sein als die Erhaltung unserer freiheitlichen Lebensgrundlagen, die nun einmal ohne Bundeswehr, ohne NATO und ohne Rüstung durch modernes militärisches Gerät nicht zu gewährleisten sind? Die Industrie, die dieses Gerät liefert, sollte daher zusammen mit den dort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen anerkannten Platz mitten in unserer Gesellschaft haben.
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