Der Krieg an der Grenze Europas zeigt einen Materialverbrauch, der für Deutschland seit Jahrzehnten weder denk- noch kompensierbar ist. Selbst ganz Europa stößt an seine Grenzen, um genug Munition und Systeme zu liefern, damit die Ukraine weiterhin gegen Russland bestehen kann. Auch die Bestände in der Bundeswehr an „Verschleißmaterial“ leeren sich. Doch dank Produktion in Deutschland müssten sich diese zeitnah füllen lassen, so eine verbreitete Ansicht. Wie falsch diese Ansicht ist und wie stark die Einschnitte durch den jahrzehntelangen Frieden sind, zeigt sich am Beispiel der Richtmine PARM DM22.
Bei dieser Richtmine handelt es sich um ein Produkt aus den 90ern, das im Kalten Krieg und für den Landkrieg in Europa entwickelt wurde. Eine Richtmine mit Draht, die auf gepanzerte Fahrzeuge reagiert. Keine Raketentechnologie, aber überaus wirksam und zuverlässig. Nach dem Ende des Kalten Krieges und seiner Friedensdividende – also der Verschiebung vorhandener und nicht-vorhandener Gelder weg von der Bundeswehr und hin zum Aufbau Ost sowie neuen sozialen Vorhaben – wurde der Bestand nicht weiter aufgestockt. Vor zehn Jahren endete die Produktion mangels Aufträgen, die Menschen, Maschinen und Gebäude wurden anderen Aufgaben zugeteilt.
Diese Produktion jetzt neu aufzubauen dauert allerdings nicht Monate, sondern Jahre, wie cpm Defence Network erfahren konnte. Erst im Jahr 2027 können die ersten Richtminen aus neuer Produktion an die Bundeswehr geliefert werden, deren Beschaffung der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vor wenigen Tagen zustimmte.
Der lange Zeitraum erklärt sich nicht aus einem Neuerfinden der Technologie, auch wenn kleinere Obsoleszenzen gegenüber der früheren Version beseitigt werden müssen. Er erklärt sich auch nicht aus knappen Rohstoffen. Er ist durch die bürokratischen und somit systemischen Hindernisse bedingt. Die Zertifizierung der Herstellung, der einzelnen Arbeitsschritte, der Produkte ist bei Sprengstoffen so stark reglementiert, dass die einzelnen Fortschritte im Prozess Monate dauern. Und diese Monate addieren sich dann zu Jahren, bis die Serienproduktion beginnen kann und das zertifizierte Produkt in die Truppe kommt.
Bei der PARM DM22 handelt es sich um ein Massenprodukt, dass bei einem Krieg auch in Masse benötigt wird, um Minensperren aufzubauen. Bei einer Panzersperre dürfen die Lücken zwischen den Minen schließlich nicht zu groß werden, meistens liegt der Abstand zwischen fünf und fünfzehn Metern. Die Ukraine benötigt dementsprechende Stückzahlen, allein Deutschland lieferte bis jetzt rund 14.900 Panzerabwehrminen. Aus diesem Grund stimmte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vor wenigen Tagen der Beschaffung von zunächst 2.600 PARM DM22 zu. Der Rahmenvertrag erhält die Option auf weitere 10.000 Richtminen.
Nun zeigt die Beschaffung der Richtminen den vollen Preis der Friedensdividende. Die Ukraine wurde am 24. Februar 2022 angegriffen. Am 27. Februar 2022 sprach Bundeskanzler Olaf Scholz erstmals von einer Zeitenwende. Seit April 2022 liefert Deutschland PARM DM22 aus Bundeswehrbeständen an die Ukraine. Im Oktober 2023 genehmigt der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die Beschaffung neuer PARM DM22, was erst die Unterzeichnung des Rahmenvertrages mit der Industrie ermöglicht. Die Produktion beginnt voraussichtlich im Jahr 2026, die ersten Lieferungen gelangen dann im Jahr 2027 an die Bundeswehr (oder die Ukraine).
Knapp fünf Jahre, nachdem durch die Abgaben an die Ukraine deutlich wurde, dass ein dringender Bedarf besteht, werden also die ersten Richtminen an die Truppe gehen. Von diesem Zeitraum nimmt der Beschaffungsprozess bis zum Vertrag fast zwei Jahre und die Zertifizierung des Produktes und der Produktion weitere knapp zwei Jahre in Anspruch.
Es war nicht nur der Geldmangel, den die Friedensdividende der wehrtechnischen Industrie bescherte, sondern auch der Aufbau bürokratischer und prozessualer Strukturen, die dem Wort „Schnell“ jede Bedeutung nehmen. Dabei würde die Ukraine weitere Richtminen bereits jetzt benötigen, nicht erst in zwei Jahren. Doch Deutschland ist weiterhin im Friedensbetrieb.