Interview mit Brigadegeneral Jürgen Schmidt, Abteilungsleiter Kampf im BAAINBw

Interview mit Brigadegeneral Jürgen Schmidt, Abteilungsleiter Kampf im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr.
Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die nationale Verteidigungsfähigkeit in den Blickpunkt öffentlichen Interesses gerückt. Ausrüstung zur Abwehr gegnerischer Bedrohung, Munition und vor allem auch die Realisierung der Vernetzung von Waffensystemen bilden einen besonderen Schwerpunkt in der Arbeit der Abteilung Kampf. Insbesondere die Bedrohung aus der Luft und die Forderung nach leistungsfähiger bodengebundener Luftverteidigung stellen eine Herausforderung für die Arbeit der Abteilung dar. Viel Freude bei der Lektüre.
Soldaten vom Jägerbataillon 413 nehmen mit dem Schützenpanzer Marder an der Übung Griffin Lightning 2023 auf dem Truppenübungsplatz Pabrade/Litauen teil.
Foto: Bundeswehr/Jana Neumann

Herr General, wir blicken zurück auf eineinhalb Jahre Zeitenwende. Können Sie uns zu Beginn vielleicht einen Einblick dazu geben, wie viele Projekte in Ihrer Abteilung dazu bearbeitet wurden und welche Ergebnisse erreicht werden konnten?

Im Fokus standen und stehen sicherlich sämtliche Maßnahmen für die Ausstattung der ukrainischen Streitkräfte und deren Wiederbeschaffung. Dazu wurden von der Abteilung Kampffahrzeuge wie die PANZERHAUBITZE 2000, Raketenwerfer und der Kampfpanzer LEOPARD inklusive der zugehörigen Munitionen abgegeben.

Wir arbeiten aber auch mit Hochdruck an den Projekten im Sondervermögen, beschaffen Munition in erheblichem Umfang. Daneben gibt es eine Reihe von hochrangigen weiteren Vorhaben, auf die ich in den folgenden Fragen noch eingehen werde.

Wie immer gilt das vorrangige Ziel, sämtliche Projekte erfolgreich im vorgegebenen – meist sportlichen – Zeitplan abzuschließen.

Aufgrund des hervorragenden Engagements der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung Kampf (K) bin ich zuversichtlich, dass wir dieses Ziel erreichen werden.

Blicken wir ein wenig in das was kommt: Welche großen Projekte bearbeiten Sie aktuell mit Priorität?

Die Digitalisierung der Kommunikationsausstattung der Streitkräfte erfolgt im Rahmen des Programms D-LBO (Digitalisierung landbasierter Operationen). In einem ersten Schritt (D-LBO Basic) sollen hier neue Funkgeräte in alle Landplattformen eingebracht werden, um zeitnah eine „digitale Erstbefähigung“ insbesondere für die Division des Heeres ab 2025 zu erreichen. Ein erster maßgeblicher Schritt zur Digitalisierung der Kommunikationssysteme des Heeres wurde bereits mit der Umrüstung des Schützenpanzers PUMA vollzogen.

Über 50 Projekte des Sondervermögens liegen im Verantwortungsbereich der Abteilung K. Neben den Vorhaben im Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung stehen die Nachfolgegenerationen der gepanzerten Waffensysteme im besonderen Fokus.

Darüber hinaus stellen die Nachbeschaffungen der in die Ukraine abgegebenen Systeme und der zugehörigen Munitionsmengen eine weitere Herausforderung für die betroffenen Projekte dar.

cpm RÜ.NET am 31.08.2022 und 01.09.2022 in der Rhein Mosel Halle in Koblenz
Foto: Sascha Schuermann

Herr General, in Ihrer Abteilung wird auch mit Schwerpunkt das Thema Munition bearbeitet. Wo liegen hier die Prioritäten?

Unsere Munitionsvorräte, insbesondere die im Bereich der Artillerie, wurden durch Abgaben zur Unterstützung der Ukraine in nicht unerheblichem Maße reduziert. Da die Folgeunterstützung weiterhin im Fokus ist, haben wir aktuell zwei Schwerpunkte:

  • Weitere Beschaffung von dringend benötigter Munition für die Ukraine,
  • Nach- und Folgebeschaffung für den eigenen Bedarf für Ausbildung und Bevorratung.

Hier gilt es unter anderem zu prüfen, welche Fertigungskapazitäten dafür bei der Industrie vorhanden sind und wie diese bereits ausgelastet sind.

Wir stellen fest, dass auch andere Nationen sich nach allen Beschaffungsmöglichkeiten bei den einschlägigen Firmen erkundigen, da die Bedarfe auch in anderen Nationen bestehen. Nicht jeder Hersteller stellt alle benötigten Komponenten selber her oder verfügt über ein großes Lager an Rohstoffen. Hier ergeben sich Abhängigkeiten. Daher wird oft von den Munitionsherstellern ein Vorlauf zur Beschaffung von Rohstoffen oder Komponenten benötigt, so dass in vielen Fällen mit einer Zeitspanne von bis zu 18 Monaten zwischen Vertragsschluss und Auslieferung gerechnet werden muss.

Mit den führenden Munitionsherstellern werden wir Rahmenvereinbarungen mit langen Laufzeiten abschließen, um gezielt bei Verfügbarkeit von Kapazitäten und Haushaltsmitteln schnell Abrufe aus diesen Rahmenvereinbarungen tätigen zu können.

Soldaten vom Jägerbataillon 413 nehmen mit der Panzerabwehrwaffe MELLS (Mehrrollenfähiges Leichtes Lenkflugkörper-System) an der Übung Griffin Lightning 2023 auf dem Truppenübungsplatz Pabrade/Litauen teil.
Foto: Bundeswehr/Jana Neumann

Als cpm GmbH haben wir kürzlich das Air Defence Summit unter Beteiligung der Luftwaffe durchgeführt. Dabei war Nah- und Nächstbereichsschutz mit Schwerpunkt Drohnenabwehr ein herausgehobenes Thema. Wo stehen Sie mit Ihrer Abteilung in der Bearbeitung dieser Fragestellung?

Im Bereich der mobilen Drohnenabwehr werden wir wahrscheinlich bis Anfang nächsten Jahres einen Vertrag zur Entwicklung/Beschaffung eines C-UAS-Panzers im Rahmen des Projektes Luftverteidigungssystem für den Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS) unterzeichnen.

In diesem Zusammenhang sieht man auch immer das IRIS-T SLM in der Konfiguration, die in die Ukraine gegangen ist. Wo stehen wir national in einem möglichen Beschaffungsprozess dieses Vorhabens?

Der Vertrag zur Beschaffung von sechs Feuereinheiten für die Bundeswehr soll noch im Juni 2023 unterzeichnet werden. Mit dem Zulauf der Systeme ist ab dem zweiten Halbjahr 2024 zu rechnen.

Ein Kampfpanzer Leopard 2A6 vom Panzerbataillon 203 fährt bei der dynamischen Vorführung während des Ministerbesuchs im Gelände auf dem Übungsplatz Senne in Augustdorf.
Foto: Bundeswehr/Mario Bähr

Wir haben in letzter Zeit mehrfach neben dem in deutsch- französischer Kooperation durchgeführte Vorhaben MGCS auch die Sichtweise der Beschaffung eines LEOPARD 2 A8 gelesen. Können Sie uns dazu aus Ihrer Sicht eine Einordnung geben?

Die Projekte Kampfpanzer LEOPARD 2 A8 und MGCS (Main Ground Combat System) weisen mit Blick auf die Fähigkeiten klare Schnittmengen auf, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der zu betrachtenden Zeithorizonte deutlich. Mit dem LEOPARD A8 wird das durch die Abgaben von LEOPARD 2-Kampfpanzern an die Ukraine entstandene Fehl kurzfristig durch die Beschaffung einer marktverfügbaren Version des bestehenden Systems sehr schnell wieder ausgeglichen.

MGCS zielt zeitlich und technologisch deutlich weiter in die Zukunft (2040+) und soll als „Gamechanger“ die Durchsetzungsfähigkeit der Landstreitkräfte bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts gewährleisten. Hierzu bedarf es nicht nur neuer Ansätze (z.B. Multiplattformsystem), sondern auch moderner und skalierbarer Technologien, die diesem Anspruch und Zeithorizont Rechnung tragen.

Herr General, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Das Interview führte Rainer Krug

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