Als die Luftwaffe mit der ersten Einheit IRIS-T SLM am 4. September 2024 Initial Operating Capability (IOC), also die Erstbefähigung, meldete, hätte dies eigentlich das Beispiel für eine schnelle Beschaffung sein können. Ein marktverfügbares und mehrfach kampferprobtes Luftverteidigungssystem war gekauft und in die Bundeswehr eingeführt worden. So schien es zumindest. Doch statt in die Truppe ging IRIS-T SLM nach der Zeremonie zurück an die Dienststellen des BAAINBw zur Prüfung.

Keine Woche nach der Meldung der Initial Operating Capability stand das erste und bisher einzige deutsche IRIS-T SLM bereits in der Wehrtechnischen Dienststelle 81 zur ersten Prüfung. Und es verweilt seitdem in der Begutachtung durch das BAAINBw, auch noch fast acht Monate nach der Übergabe.
„Zur Zeit befindet sich das an die Bundeswehr ausgelieferte Waffensystem in der Nachweisführung, welche durch verschiedene Dienststellen an verschiedenen Orten durchgeführt wird“, teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums auf Nachfrage mit. Im Rahmen dieser Nachweisprüfung soll „zunächst die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsanforderungen überprüft werden“.
Ein Element von IRIS-T SLM ist diesen Sicherheitsanforderungen bereits zum Opfer gefallen. „Der durch die Ukraine eingesetzte Kran fällt nicht unter die in Deutschland geltenden Zulassungsbestimmungen und ist nicht entsprechend zertifiziert.“ Was schade ist, da der durch die Ukraine eingesetzte Kran zum Nachladen der Munition mittlerweile im Systemaufbau deutlich kampferprobter sein dürfte als das deutsche zertifizierte Pendant.
Doch die Prüfung des neuen Luftverteidigungssystems soll weiter anhalten. Wie CPM Defence Network aus Kreisen des Beschaffungsamtes erfahren konnte, ist mit der formellen Genehmigung zur Nutzung erst Ende 2025 zu rechnen. Womit dann ein kampferprobtes Waffensystem, das sich in einem Krieg seit Jahren gegen unterschiedlichste russische Angriffsmittel bewährt, tatsächlich über ein Jahr durch die deutsche Prüfung muss – inklusive Änderungsbedarf.
Kombination von IRIS-T SLM und IRIS-T SLS
Deutschland verschenkt mit diesem Vorgehen allerdings nicht nur Zeit und Ressourcen, sondern auch Möglichkeiten. Diehl Defence hat für die Ukraine einige Änderungen an seinem Luftverteidigungssystem durchgeführt, die durch ukrainische Soldaten aufgrund der Erfahrungen im andauernden Krieg eingebracht wurden. Eine davon betrifft die Kombination von IRIS-T SLM (Medium Range) und IRIS-T SLS (Short Range).
Die Lenkflugkörper von SLM und SLS sind unterschiedlich. SLM-Interceptoren sind deutlich größer, besitzen dadurch aber auch mehr Reichweite und erweiterte Fähigkeiten. SLS sind kleiner, günstiger und identisch mit jenen, die auch von den Kampfflugzeugen genutzt werden. Da die Luftverteidigung der Ukraine sich ständig im Ernstfall befindet, benötigt sie einen Waffenmix der sowohl dem Angreifer als auch dem Munitionsvorrat und dem Budget gerecht wird.
Diehl Defence schaffte es tatsächlich innerhalb weniger Monate, Lösungen für beide Systeme miteinander zu verbinden, sodass die Ukraine nun ihre IRIS-T SLM in Kombination mit den SLS einsetzen kann. Beide Systeme sowie die Kombination sind nicht nur mobil, sondern ebenfalls gegen russische Angriffe kampferprobt.
Doch statt die Zertifizierungen der Ukraine anzuerkennen und jene Systeme zu übernehmen, die durch die Kriegserfahrungen gemeinsam zwischen kampferprobten Luftverteidigern und der Industrie entwickelt wurden, bleibt sich die deutsche Beschaffungspraxis treu. Und die deutschen Pläne sehen nun einmal keine ukrainische Lösung, sondern ein IRIS-T SLS auf Boxer-Basis vor: Den Flugabwehrraketenpanzer (FlaRakPz), der im Rahmen des Programms Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS) entwickelt werden soll.
Kooperation auf Augenhöhe
Der Vorteil einer Realisierung der deutschen Version von IRIS-T SLS auf Boxer-Basis ist die Einhaltung einer einheitlichen Plattform in den Mittleren Kräften des Heeres. Der Nachteil ist, dass er erst entwickelt werden muss. „Der Haushaltsausschuss hat für die Entwicklung eines Erstexemplars der wichtigsten Komponenten 1,23 Milliarden Euro bewilligt“, berichtete das BMVg im Januar 2024. „Die Investition wird zunächst aus dem Sondervermögen Bundeswehr finanziert. Danach wird das Projekt im regulären Verteidigungsetat weitergeführt. Ein Prototyp des Systems soll nach Plan im Jahr 2028 zur Verfügung stehen.“
Ein Prototyp ist allerdings noch kein fertiges System und es zeichnen sich bereits jetzt die ersten Probleme ab: Der Boxer kann kaum Flugkörper transportieren. Mehr als vier IRIS-T Interceptoren sollen nicht in den deutschen Flugabwehrraketenpanzer passen.
Vielleicht würde sich eine Kooperation mit der Ukraine daher doch lohnen. Eine Kooperation auf Augenhöhe, in der die Erfahrungen und Prüfungen des anderen übernommen werden können. Dann könnte die Bundeswehr auch andere durch die deutsche Industrie entworfene und hergestellte Systeme einführen, wie etwa das Kinetic Defence Vehicle zur Drohnenabwehr, von dem bereits 16 Stück an die Ukraine gingen.
Die Ukraine vertraut schließlich das Leben ihrer Soldaten und Zivilisten den Lösungen aus Deutschland an. Die Bundeswehr bzw. deren Beschaffungsamt könnte im Gegenzug die Erkenntnisse und Zertifizierungen der Ukraine anerkennen. Statt über ein Jahr lang das deutsche IRIS-T SLM einer Nachweisprüfung zu unterziehen.
Mit WhatsApp immer auf dem neuesten Stand bleiben!
Abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen:
