Die A319 OH – Die nationale Beobachtungsplattform für den Offenen Himmel

Die A319 OH des Zentrums für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw) ist mehr als nur ein Flugzeug – sie ist ein Symbol für Transparenz und Vertrauen. Mit ihrer modernen Sensorik und Reichweite von 7.000 Kilometern setzt sie Maßstäbe im Rahmen des internationalen Vertrags über den Offenen Himmel. Diese moderne Beobachtungsplattform stärkt nicht nur die militärische Vertrauensbildung, sondern ist auch ein wichtiger Baustein für die Zukunft der Rüstungskontrolle und humanitäre Missionen. Oberstleutnant Sascha Greuel, Abteilung OH am Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr, schrieb für das cpmFORUM über die herausragende Rolle, die Deutschland in diesem globalen Sicherheitsnetzwerk einnimmt.

Die A319 OH ist das fliegende Auge der Bundeswehr. Foto: Bundeswehr
Die A319 OH ist das fliegende Auge der Bundeswehr.
Foto: Bundeswehr

Im äußersten Westen Deutschlands, kurz vor der niederländischen Grenze, befindet sich eine besondere Dienststelle – das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw), eine Dienststelle der Streitkräftebasis. Dort befassen sich circa 200 Expertinnen und Experten mit der Umsetzung und der Weiterentwicklung von internationalen Verträgen der Rüstungskontrolle und vertrauensbildender Maßnahmen.

Zwar scheint die Rüstungskontrolle, aufgrund der drastisch veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen, jüngst an Bedeutung eingebüßt zu haben. Rüstungskontrolle und militärische Transparenz als Beitrag zur Risikoreduzierung und Vermeidung militärischer Zwischenfälle bleiben jedoch weiterhin relevante und wichtige Aspekte vorausschauender Sicherheitspolitik.

Nicht zuletzt aus diesem Grund sind der Erhalt der Fähigkeit zur Implementierung von Abkommen der Rüstungskontrolle und der militärischen Vertrauensbildung sowie die Vorbereitung auf mögliche zukünftige Herausforderungen wichtige Aufgaben für das ZVBw. Neben den Implementierungsmaßnahmen in Form von weltweiten Rüstungskontrolleinsätzen sowie der Ausbildung von eigenem und externem Personal, geht es vor allem darum, die Rüstungskontrolle auf zukünftige Bedarfe – insbesondere mit Blick auf Konfliktnachsorge und –management – auszurichten und in Teilen ggf. neu zu denken. Das ZVBw ist daher nicht nur Arbeitsmuskel, sondern in Teilen auch „Think Tank“ für die Implementierung der Rüstungskontrolle.

Ein Beispiel für die Vereinigung beider Funktionen ist die Abteilung Offener Himmel, die mit der Wahrnehmung aller Aufgaben im Zusammenhang mit dem Vertrag über den Offenen Himmel (OH) beauftragt ist. Dieser ist der weltweit einzige multinational vereinbarte und völkerrechtlich bindende Vertrag für kooperative Beobachtung aus der Luft zum Zwecke der Rüstungskontrolle und militärischen Vertrauensbildung. Nach relativ kurzer Verhandlungsdauer von einem Jahr wurde er zwischen den damaligen NATO- und Warschauer Pakt-Staaten 1992 vereinbart und unterzeichnet. Er trat nach Ratifizierung durch die Vertragsstaaten 2002 in Kraft.

Die Sensoren für große Flughöhe links und TIR Sensor rechts (o.).
Die Sensoren für große Flughöhe links und TIR Sensor rechts.
Foto: Bundeswehr

Kern des Vertrages ist die gegenseitige Zusicherung von Überflugrechten zur offenen Bilddatengewinnung über den Territorien der Vertragsstaaten. Dabei dürfen keine Punkte des Staatsgebietes von Überflügen ausgenommen werden. Die Flüge werden mit speziell dafür zertifizierten Beobachtungsflugzeugen durchgeführt, die mit Sensoren gemäß den Vorgaben des Vertrages ausgerüstet sind. Die beobachtende Partei kann aus einem oder mehreren Vertragsstaaten bestehen und entweder ein eigenes oder das Beobachtungsflugzeug eines anderen Vertragsstaates nutzen.

Während des Fluges sind neben der beobachtenden Partei auch Vertreter der beobachteten Seite an Bord, um die vertragskonforme Gewinnung der Bilddaten zu überwachen. Ebenso werden die Bilddaten gemeinsam verarbeitet, bevor jede Partei eine 1:1 Kopie erhält.

Hier wird der herausragende Vorteil des OH-Bildmaterials gegenüber z. B. Satellitenfotos oder Bildern von Aufklärungsflugzeugen offensichtlich: Jegliche Veränderung des Bildmaterials ist durch die gemeinsame Begleitung der beteiligten Parteien von der Aufnahme bis zur „Entwicklung“ ausgeschlossen. Man könnte auch sagen: Transparenz schafft Fälschungssicherheit. Alle anderen – auch nicht an der Mission teilnehmende – Vertragsstaaten haben darüber hinaus das Recht, eigene Kopien des Bildmaterials gegen Kostenerstattung zu erwerben.

A319 OH mit Sensorfenstern
A319 OH mit Sensorfenstern.
Foto: Bundeswehr

Die Zuteilung von Überflugrechten, sogenannten Quoten, erfolgt einmal jährlich im Rahmen der Open Skies Consultative Commission (OSCC) unter dem Dach der OSZE in Wien. Vereinfacht gesagt werden diese Quoten proportional zur Größe des jeweiligen Landes verteilt. Dabei ist jede „aktive“ Quote, also ein Überflugrecht, immer auch mit der Verpflichtung verbunden, in gleichem Maße Überflüge über dem eigenen Territorium zuzulassen. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland sind das maximal zwölf aktive und folglich auch zwölf passive Quoten pro Jahr.

Beabsichtigt ein Vertragsstaat, einen Beobachtungsflug durchzuführen, informiert er den beobachteten Vertragsstaat mindestens 72 Stunden im Voraus darüber. Das entspricht der minimalen Zeit, die dem jeweiligen Staat zur organisatorischen Vorbereitung bleibt, denn der beobachtete Staat ist für die Bereitstellung von Unterkunft, Transport und Verpflegung des Personals des beobachtenden Staates sowie Abstellplätze, Betankung und Service für das Beobachtungsflugzeug zuständig. Die entstehenden Kosten werden im Anschluss nach festen Sätzen erstattet oder verrechnet. Auch hierbei ist Kooperation zwischen den Vertragsstaaten erforderlich.

Nach der Einreise über festgelegte Flugplätze – sog. Points of Entry – erhält der beobachtete Vertragsstaat die Möglichkeit zu prüfen, ob alle Sensoröffnungen auf dem Transitflug verschlossen waren und somit nicht bereits während der Einreise unkontrolliert Bilder angefertigt werden konnten. Außerdem darf er sich vom vertragskonformen Zustand von Flugzeug und Sensorik überzeugen. Dabei ist jede Art von zerstörungsfreier Prüfung erlaubt. Erst wenn sichergestellt ist, dass alles im korrekten Zustand ist, darf beides für den Beobachtungsflug genutzt werden. Transparenz ist oberstes Gebot!

Die beabsichtigte Flugstrecke wird erst 24 Stunden vor dem eigentlichen Beobachtungsflug bekanntgegeben. Dies dient einerseits dazu, dem beobachteten Vertragsstaat die mögliche Verschleierung militärischer Aktivitäten bzw. Stationierungen zu erschweren. Gleichzeitig soll dem beobachteten Staat genügend Vorbereitungszeit eingeräumt werden, alle zu beteiligenden zivilen und militärischen Stellen über den Flug zu informieren und ggf. den Durchflug durch Sperr- oder Gefahrengebiete zu koordinieren. Eine Vorabbekanntgabe der exakten Orte oder Strecken geplanter Sensoreinsätze auf der Flugroute des Beobachtungsfluges wie der A319 OH – wo genau also Bilder aufgenommen werden – findet jedoch nicht statt. Die Koordination des geplanten Flugweges ist vor allem in stark genutzten Lufträumen not- und aufwendig, da alle OH-Flüge Vorrang vor regulärem Flugverkehr genießen. Dies führt zwangsläufig zu Herausforderungen für die Flugsicherung des beobachteten Vertragsstaates.

Der kritische Teil während des Beobachtungsfluges ist schließlich auch der Einsatz der Sensorik. Beide Parteien überwachen, dass deren Einsatz nur auf der vorab koordinierten Flugstrecke und nur in der jeweils zulässigen Flughöhe erfolgt, damit die gemäß OH-Vertrag erlaubte maximale Bildauflösung nicht überschritten wird. Im Falle der optischen Sensorik beträgt diese 30 cm am Boden.

Den Abschluss der Beobachtungsmission mit der A319 OH stellt die Unterzeichnung des offiziellen Missionsberichts dar. Darin werden alle Vertragsstaaten über den Ablauf des Fluges und Ort, Zeit und Wetterbedingungen der Sensoreinsätze informiert. Anhand dieses Berichtes können die übrigen Vertragsstaaten über den eigenen Bedarf an Bildmaterial aus dem jeweiligen Flug entscheiden und haben zwei Jahre Zeit, letzteres anzufordern.

Bis zum Jahr 2021 deckte der OH-Vertrag nahezu die gesamte nördliche Hemisphäre von „Vancouver bis Wladiwostok“ ab, und bis heute fanden mehr als 1.500 Beobachtungsflüge – auch mit der A319 OH – statt. Mit dem Rücktritt der USA und Russlands vom OH-Vertrag hat dieser wesentliche Teile seines Anwendungsgebietes verloren und damit an Bedeutung eingebüßt.

Sensorbedienstation
Foto: Bundeswehr

Im Laufe der Jahre und vor dem Hintergrund des schweren Fahrwassers, in dem sich die Rüstungskontrolle befindet, werden ehemalige OH-Beobachtungsflugzeuge mittlerweile anderweitig genutzt bzw. ausgesonderte Exemplare nicht ersetzt. Die Anzahl der heute zur Verfügung stehenden Beobachtungsplattformen – bestehend aus Flugzeug und Sensorik – für OH-Missionen ist überschaubar und leicht an einer Hand abzählbar. Derzeit setzen nur noch Deutschland, Rumänien und die Türkei eigene Beobachtungsflugzeuge in Zusammenhang mit dem OH-Vertrag ein. Entsprechend stark nachgefragt sind diese Flugzeuge, da der Trainings- und Ausbildungsbedarf bei den Vertragsstaaten weiterhin hoch ist.

Das erste Beobachtungsflugzeug der Bundesrepublik Deutschland war eine zu diesem Zweck umfangreich umgebaute Tu-154 der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR, die in den Bestand der Bundeswehr übernommen worden war. Diese Maschine verunglückte im Jahr 1997 auf ihrem Weg nach Südafrika vor der namibischen Küste, wobei tragischerweise alle Besatzungsangehörige sowie Passagiere ihr Leben verloren.

In der Folgezeit wurden verschiedene Beobachtungsflugzeuge anderer Vertragsstaaten für deutsche Beobachtungsflüge genutzt. Eine besonders enge Kooperation in diesem Bereich bestand über lange Jahre mit Schweden. Die Beschaffung einer eigenen nationalen Beobachtungsplattform blieb aber immer Ziel der Bundesrepublik Deutschland und konnte schließlich 2019 mit der Übergabe des Airbus A319 OH durch die Firma Lufthansa Technik an die Bundeswehr umgesetzt werden.

Damit wurde ein mehrjähriger Beschaffungs- und Umbauprozess abgeschlossen, in den der eigentliche Nutzer, die Abteilung OH des ZVBw, eng eingebunden war. Im Ergebnis entstand eine moderne, zukunftsfähige und vor allem vertragskonforme Beobachtungsplattform, die – ganz im „Geiste“ des Vertrages – auch durch andere interessierte Vertragsstaaten angemietet werden kann. Ausgestattet mit vier Zusatztanks verfügt der A319 OH über eine Reichweite von ca. 7.000 km im Reiseflug und ca.4.000 km im Beobachtungseinsatz.

Die drei optischen Sensoren sind für Flughöhen zwischen 1.200 und 4.600 Metern über Grund zertifiziert. Die Zertifizierung des darüber hinaus vorhandenen thermischen Infrarotsensors steht noch aus, da die OH-Vertragsstaaten noch nicht die dafür notwendigen technischen Rahmenbedingungen vereinbart haben.

In der Kabine des A319 OH befinden sich 20 Arbeitsplätze im multinationalen Missions- und 25 Sitzplätze im Delegationsbereich. Durch seine Missionsausstattung ist der A319 OH optimal auf die Aufgabenwahrnehmung gemäß OH-Vertrag ausgerichtet, kann jedoch perspektivisch auch für Aufgaben außerhalb des Vertrages zum Einsatz kommen, z. B. in der Konfliktnachsorge oder der Unterstützung im Katastrophenfall.

Die Bereitstellung des A319 OH, des modernsten unter den vorhandenen OH-Beobachtungsflugzeugen, unterstreicht den Einsatz der Bundesrepublik Deutschland für den Erhalt des OH-Vertrages als wichtige Säule der Rüstungskontrolle.

 

Oberstleutnant Sascha Greuel,
Abteilung OH, Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr

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