Die sicherheitspolitische Analyse der Deutschen Marine

Gestern stellte der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, auf der Maritime Convention in Berlin den Jahresbericht des Marinekommandos 2023 vor. Auf 202 Seiten will die Deutsche Marine mit diesem Bericht ein Bewusstsein für das maritime Umfeld schaffen, das einerseits so immens wichtig für die Exportnation Deutschland ist, gleichzeitig aber oft abseits des Fokus steht. Oder sogar von falschen Vorstellungen geprägt ist.
Mit dem Jahresbericht 2023 legt die Deutsche Marine eine umfassende Analyse von Deutschlands Position im sicherheitspolitischen Umfeld dar.
Foto: Bundeswehr/Tom Twardy

„Die Zukunft des amerikanisch-chinesischen Verhältnisses ist aus drei Gründen von überragender Bedeutung für die Entwicklung der internationalen Ordnung und damit auch für die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Erstens bestehen in diesem Verhältnis Eskalationsrisiken bis hin zu einem Weltkrieg, die es einzuhegen gilt. Zweitens bestimmen diese beiden Weltmächte wesentlich darüber, wie die internationale Zusammenarbeit in regionalen und funktionalen Krisen- wie Ordnungskontexten ausgestaltet wird“, analysiert das Marinekommando im Jahresbericht. Deutschland und Europa müssten vor allem die diplomatische Mitte bilden, um deeskalierend immer wieder den Dialog zwischen den USA und China zu suchen und Verhandlungskompromisse anzubieten. Es sei allerdings auch eindeutig, wo sich Deutschland im Ernstfall positionieren werde: „Solange Amerika als liberale Demokratie agiert, bilden die transatlantischen Bindungen (wie auch jene mit anderen liberalen Demokratien) eine wichtige Rahmenbedingung der Zusammenarbeit; sie begründen dabei eine eigene Qualität der Kooperation, die mit der Volksrepublik China nicht vorstellbar ist.“

Welche Bedeutung Deutschland in diesem sich aufbauenden Konflikt der beiden Großmächte hat, darüber macht sich die Deutsche Marine allerdings keine Illusionen: „Unsere Analyse der amerikanisch-chinesischen Beziehungen legt nahe, dass die Möglichkeiten Deutschlands und der EU, direkten Einfluss auf die Politik Washingtons oder Pekings auszuüben, beschränkt sind. Dies gilt besonders für die außenpolitischen Entscheidungsprozesse in China. Aber auch das offenere und pluralistische System der USA ist durch externe Akteure nur mit hohem Aufwand zu beeinflussen, und nicht ohne gemeinsames Handeln mit anderen Ländern sowie inneramerikanischen Bündnispartnern.“

 

Akteure im maritimen Umfeld

Der Jahresbericht des Marinekommandos beleuchtet im weiteren Verlauf alle aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen inklusive weiterer Faktoren wie etwa Fakten zur Entwicklung der Weltwirtschaft, des Welthandels, des deutschen Außenhandels, der Welthandelsflotte, dem Seegüterumschlag, dem Schiffbau und der internationalen Seewege.

Der Jahresbericht 2023 benennt die wichtigsten außereuropäischen Importländer.
Quelle: Marinekommando Jahresbericht 2023

Hinzu kommt auf 50 Seiten eine Benennung aller wichtigen deutschen Akteure im maritimen Bereich, wo neben den staatlichen Stellen – wie etwa der Bundespolizei, dem Zoll oder der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes – auch Vereine wie die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger mit den jeweiligen Fähigkeiten und vorhandenen Einheiten bzw. Systemen dargestellt werden.

 

Vom Piraten zum Schmuggler

Um ihr Ziel der umfassenden Darstellung zu erreichen, bestreitet die Deutsche Marine den Bericht zudem nicht alleine, sondern bringt die direkte Sicht der anderen Akteure mit ein, wie etwa den Pirateriebericht der Bundespolizei See. Insgesamt ist die Piraterie demnach weltweit rückläufig, was auf verschiedene Maßnahmen zurückzuführen sei.

Gleichzeitig befürchtet die Bundespolizei See allerdings, dass in einigen Gegenden die Piraterie nur deshalb rückläufig oder verschwunden sei, weil die Piraten nun anderen Geschäften nachgingen. So berichtet die Bundespolizei See zur Situation vor Westafrika und dem Golf von Guinea, wo die Piraterie fast ganz verschwunden ist: „Ähnlich wie bei den somalischen Piraten, die sich inzwischen anderen illegalen Tätigkeiten wie dem Schmuggelgeschäft widmen, scheinen sich auch die nigerianischen Täter derzeit anderen illegalen, jedoch wahrscheinlich lukrativeren und weniger riskanten Geschäftsbereichen, wie beispielsweise dem Ölgeschäft, zu widmen, insbesondere dem Transport von gestohlenem Rohöl bzw. den daraus illegal hergestellten Ölprodukten in der Region.“

 

Flüchtlingsbewegungen

Laut dem aktuellen Global Trends Report der Vereinten Nationen waren Ende 2022 weltweit rund 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist ein Anstieg um 21 Prozent gegenüber 2021. „Dies ist der größte Anstieg innerhalb eines Jahres, den UNHCR je verzeichnet hat“, ist im Jahresbericht des Marinekommandos zu lesen. „Im Jahr 2022 wurden vorläufigen Berechnungen zufolge 330.000 irreguläre Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen registriert. Das ist seit 2016 die höchste Anzahl und entspricht einem Anstieg von 64 Prozent gegenüber dem Vorjahr.“

Grafiken aus dem Marinekommando Jahresbericht 2023 zu den Flüchtlingsbewegungen.
Quelle: Marinekommando Jahresbericht 2023

Bei den maritimen Routen der illegalen Einreiseversuchen nimmt für Europa die zentrale Mittelmeerroute von Nordafrika Richtung Italien aktuell die bedeutendste Stellung ein: „Die Zahl der auf der zentralen Mittelmeerroute verzeichneten Fälle stieg um mehr als die Hälfte auf deutlich über 100.000. Hier belegten Migrantinnen und Migranten aus Ägypten, Tunesien und Bangladesch die ersten drei Plätze in der Statistik – in einem Jahr, in dem die Zahl der aus Libyen in der Region angekommenen Menschen den höchsten Stand seit 2017 und die der Ankömmlinge aus Tunesien einen Höchststand in der jüngeren Geschichte erreichte.“

Darstellung der illegalen Migrationsrouten durch die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX.
Quelle: Marinekommando Jahresbericht 2023

Die weltweite sicherheitspolitische Entwicklung

Der Jahresbericht des Marinekommandos schafft mit seinen weltumspannenden Analysen und den Berichten der verschiedenen Akteure, was der Nationalen Sicherheitsstrategie nicht gelang: Ein umfassendes Lagebild inklusive Benennung sowie Motivation der Handelnden und die absehbaren Entwicklungen im In- und Ausland.

Für die Deutsche Marine selber bettet sich das Dokument in die bereits veröffentlichten Papiere und Strategien ein. „Mit der Absicht 2023 habe ich unseren eingeschlagenen Weg zur konsequenten Ausrichtung der Deutschen Marine an den Erfordernissen der Landes- und Bündnisverteidigung bekräftigt. Mit unserem ‚Kurs Marine 2035+‘ werden wir umfassend umsteuern und einen energischen Einstieg in unbemannte Systeme und Künstliche Intelligenz wagen“, sagte der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack. „Unsere Vision ist eine schlagkräftige, resiliente, demographiefeste und damit zukunftsfähige Marine, die unseren Verbündeten als verlässlicher Alliierter beisteht, sich in multidimensionalen Operationen durchsetzen wird und weiter als flexibles Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik zur Verfügung steht.“

Dorothee Frank

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