Agiles Arbeiten im Heer, das geht? Dass dem so ist, wurde im Jahr 2022 durch einen Impuls von Kommando Heer (KdoH) CDO D-LBO und der Firma IBM Deutschland am Beispiel der Streitkräftegemeinsamen Taktischen Feuerunterstützung (STF) gezeigt. Ziel dieses Impulses war es, den bewährten STF-Prozess durch einen Optimierungsalgorithmus weiter zu verbessern, was in diesem Fall vor allem „beschleunigen“ und „schneller werden“ bedeutet. Der folgende Text erschien zuerst im cpmFORUM.
Das aus Experten von IBM und Soldatinnen und Soldaten aus dem KdoH, Amt für Heeresentwicklung, Artillerieschule und Artillerielehrbataillon 345 bestehende Team entwickelte in sechs Wochen einen Demonstrator, einen Algorithmus, der eingehende Zielmeldungen auswertet und für den Entscheider visualisiert sowie Empfehlungen für deren Bekämpfung abgibt. Die letzte Entscheidung liegt hierbei immer bei den Soldateninnen und Soldaten. Das Tool ist in der Lage, die Bearbeitungszeit auf der Entscheidungsebene im STF-Prozess bis zu 40 Prozent zu reduzieren.
Agiles Arbeiten, ungewohnt aber effektiv?
Ein zu dieser Zeit wenig beachteter Nebeneffekt war das zur Entwicklung genutzte Verfahren: die IBM Garage Methodik. Hierbei handelt sich um eine Methodik zur agilen Softwareentwicklung, die erstmalig im Heer angewandt wurde. Entwicklungsziele wurden wöchentlich festgelegt und überprüft; tägliche Abstimmungen sorgten für einen regen Austausch. Die so entstehende Diskussions- und Austauschkultur war für den Erfolg des Vorhabens essentiell, da mit „herkömmlicher“ Projektplanung der Umfang und die Funktionalität der Anwendung in diesem Zeitraum nicht erfassbar gewesen wäre. Durch die kurzen Entwicklungszyklen und deren Feedbacks konnten die Anforderungen und Ergebnisse schnell an die Bedürfnisse der Bediener aus dem „Maschinenraum STF“ angepasst werden.
Die Entwickler von IBM waren auf das Fachwissen der Soldateninnen und Soldaten angewiesen. Diese hatten ein Interesse daran, ihr tägliches Arbeiten durch digitale Unterstützung zeitlich effizienter und insgesamt effektiver zu gestalten. Zunächst galt es, einen gemeinsamen Wortschatz und Zeichenvorrat zu schaffen, da sich Begrifflichkeiten und Umgangsformen in der IT und Operationsführung der Landstreitkräfte deutlich unterscheiden – jeder nutzt seine eigenen Vokabeln.
Diese große Hürde wurde mit der Zeit stetig kleiner und zum Ende nutzten Mitarbeiter von IBM ebenso selbstbewusst militärische Symbole und Terminologie der Landstreitkräfte wie die Kameradinnen und Kameraden der Artillerietruppe. Der Erfolg dieses Anstoßes war nicht selbstverständlich.
Um agil erfolgreich arbeiten zu können (brauchbares Ergebnis und Mehrwert für die Truppe), waren drei Faktoren maßgebend: Zum einen ist die hohe Motivation auf beiden Seiten zu nennen. IBM und das Team des Heeres wollten zeigen, was sie unter ungewöhnlichen Umständen in kurzer Zeit zu leisten im Stande sind. Dieser Faktor ist schwer zu beeinflussen, wirkt sich im täglichen Arbeiten, gerade bei einem solch innovativen Vorhaben, aber ungemein positiv aus.
Keine Abhängigkeit des Teams nach außen ist der zweite wesentliche Punkt. IBM steuerte die Projektmanagement- sowie Entwicklerfähigkeiten und Kommando Heer das militärische Fachwissen sowie die Brücke zwischen beiden Welten bei. So konnten alle Herausforderungen teamintern und somit schnell gelöst werden.
Die Folge war die bereits angeführte kurze sechswöchige Entwicklungszeit. Der dritte Faktor stellt gleichzeitig eine Herausforderung für zukünftige Vorhaben dieser Art dar. Hierbei handelt es sich um die „Freiheit“, in keinen Prozess der Bundeswehr (CPM, F&T oder NT-Studie) eingebunden gewesen zu sein. Ein schneller Start und unkomplizierte Vorgehensweise waren das Resultat.
Dies heißt jedoch nicht, dass alle Vorhaben der Bundeswehr ohne die bewährten Prozesse besser realisiert werden können, sondern dass für bestimmte Schritte innerhalb der Entwicklung agiles Vorgehen sehr zweckmäßig ist. Da das Vorhaben kein CPM-Projekt ist, kann das Ergebnis bzw. Mehrwert in der Operationsführung noch nicht umgesetzt werden. Nur innerhalb des CPM ist eine Integration in das Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWES) ADLER sowie die Erstellung wichtiger Dokumente für Ausbildung, Regeneration und Sicherheit realisierbar.
Wie geht es weiter?
Der Erfolg des Anstoßes spricht dennoch für sich. Etwas, das die Truppe will und braucht, wurde in kurzer Zeit entwickelt und vorgestellt. Dieser Anstoß soll als Blaupause für weitere Vorhaben im zukünftigen Systemzentrum Digitalisierung Dimension Land dienen. Im Systemzentrum sollen Soldatinnen und Soldaten von Beginn an durch entsprechende Test- und Versuchsstrukturen konsequent dabei eingebunden werden, technologische Innovationen, Systeme und Verfahren unter realen Bedingungen zu testen.
So können operativ einsetzbare Systeme identifiziert und folglich die Beschaffung, beispielsweise künftiger digitaler und vernetzter Waffensysteme, ermöglicht und zielgerichtet beschleunigt werden. Somit soll das Systemzentrum Digitalisierung Dimension Land eine Schlüsselrolle bei der Befähigung der Landstreitkräfte einnehmen und sie in die Lage versetzen, auf dem digitalisierten Gefechtsfeld der Zukunft erfolgreich zu arbeiten. Ein „Systemzentrum“ für die Dimension Land schafft die notwendige Flexibilität im Rahmen komplexer Tests und stellt diese über die virtuelle aber auch physische Einbindung temporärer militärischer Testteilnehmer, Industrie, multinationaler Partner und Wissenschaft sicher.
Unter kontinuierlicher Einbindung des jeweiligen Endanwenders sollen technologische Innovationen, Systeme und Verfahren im Sinne eines Reallabors, d. h. im möglichst vollständigen taktisch-operativen Nutzungskontext, getestet und der Beschaffungsprozess zielgerichtet unterstützend beschleunigt werden. Gute Ideen aus Wissenschaft, angewandter Forschung, Industrie und Militär könnte zukünftig schneller und unkomplizierter prototypisch entwickelt und unmittelbar getestet werden. So sollen und können Ableitungen für die CPM-konforme Umsetzung getroffen werden. Zweckmäßige Ideen werden bestätigt und gepusht, Unzweckmäßiges gefiltert. Ein noch zu gehender Schritt ist das Überführen eines agilen Vorgehens in den Beschaffungsprozess.
Vorhaben, die sich als geeignet herausgestellt haben und Nutzen und Mehrwehrt für die Truppe bringen, dürfen nach Abschluss nicht in einer Schublade verschwinden. Die Bundeswehr führt eine Vielzahl an Studien und Forschung & Technologie (F&T)-Vorhaben durch, die nach Abschluss nicht weitergeführt werden. An einer Lösung zur Überführung solcher Vorhaben in die operative Anwendung – ohne Schaffung von Insellösungen und unter Beibehalt der Interoperabilität – wird gearbeitet.
Bei der Verbesserung des STF-Prozesses wurde ein neuer Weg, bzw. militärisch gesprochen, eine zusätzliche Möglichkeit des Handels aufgezeigt. Das Vorhaben wurde durch das Zentrum Digitalisierung der Bundeswehr aufgegriffen (Bedarfsträger) und eine Integration in den bestehenden Beschaffungsprozess als „STF 2.0“ ist geplant. Ein erster Aufschlag dazu wurde bereits am 28. Februar 2024 durch einen Workshop in der IBM Garage Bonn geleistet.
Die Landstreitkräfte können von Entwicklungen und Expertise der IT profitieren und arbeiten. Dies kann den Austausch von Best Practices und Technologien ermöglichen, um die Dynamik der zivilen IT-Landschaft in die Landstreitkräfte zu übertragen und als Vorreiter für deren schnellere Modernisierung sein. Die gesammelten Erfahrungen mit agilem Arbeiten im Heer werden als Blaupause in Digitalisierungsprojekten wo immer möglich genutzt werden, um der Truppe Fähigkeiten schneller zur Testung und letztlich zur Nutzung zur Verfügung stellen zu können.
Oberst i. G. Eduard Schnabel,
Referatsleiter CDO D-LBO, Kommando Heer
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