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Elektromagnetischer Kampf der Zukunft – Erfahrungen aus dem Ukrainekrieg

Der russische Krieg gegen die Ukraine, der 2014 mit der Annexion der Krim begann und 2022 mit der groß angelegten Invasion Russlands in die Ukraine eskalierte, dauert bis heute an. In den unterschiedlichen Phasen des Krieges konnten erste Ableitungen für diverse Bereiche militärischer Auseinandersetzungen getroffen werden. Am Beispiel des Einsatzes handelsüblicher Drohnen lässt sich – besonders für im Bereich Elektromagnetischer Kampf – gut erkennen, wie schnell neue Taktiken, Techniken und Verfahren Einzug in die Kriegsführung erfahren. Gleichzeitig werden diese stetig angepasst und optimiert.

Der Funk-Störpanzer HUMMEL wartet, gut getarnt und unter Eigenschutz, auf seinen Störeinsatz. Foto: Bundeswehr / Peter Riege
Der Funk-Störpanzer HUMMEL wartet, gut getarnt und unter Eigenschutz, auf seinen Störeinsatz.
Foto: Bundeswehr / Peter Riege

Ein Bereich, der unmittelbar mit dem Thema Drohnen zusammenhängt und aktuell eine besondere Bedeutung in diesem Krieg darstellt, ist der Elektromagnetische Kampf (EK; engl. Electromagnetic Warfare: EW). Er umfasst Überwachung, Angriff und Verteidigung im Elektromagnetischen Umfeld (EMU), also dem operationell relevanten Teil des Elektromagnetischen Spektrums (EMS). Ziel der Überwachung ist das Suchen und Orten gegnerischer Signaturen im EMS, im Allgemeinen Fernmeldestellen.

Mit Vorliegen dieser Information kann ein potentielles Ziel entweder mit nicht-kinetischen Wirkmitteln durch Stören (Überlagern) oder Täuschen (Verfälschen) in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder mit kinetischen Wirkmitteln, bspw. durch Artillerie bekämpft werden. Gleichzeitig verfügen EK-Kräfte über technische Mittel und Fähigkeiten die eigenen Streitkräfte und Operationsfähigkeit zu schützen. Dieser Artikel analysiert den Elektromagnetischen Kampf und somit den Einsatz von Aufklärungs- und Wirksystemen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und gibt einen Ausblick auf die daraus resultierenden Folgerungen für die mögliche Kriegsführung der Zukunft.

Historische Einordnung

Elektronische Kampfführung, nach deutschem Verständnis als Oberbegriff der beiden Teilmengen Elektromagnetischer Kampf sowie Fernmeldeaufklärung und elektronische Aufklärung, ist keine neue Erfindung. Der Ursprung liegt im frühen 20. Jahrhundert und wurde insbesondere während des Ersten und Zweiten Weltkrieges genutzt. Damals entwickelten sich Techniken wie Radarstörungen und Funkaufklärung. Ein prominentes Beispiel stellt die Entschlüsselung der Enigma-Funksprüche durch Großbritannien dar.

Dies ermöglichte es den Alliierten, die Absicht der Deutschen Wehrmacht frühzeitig zu erkennen und die eigene Operationsführung darauf abzustimmen. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich der EK rasant weiterentwickelt, wobei moderne Technologien und digitale Kommunikationssysteme neue Möglichkeiten und Herausforderungen geschaffen haben. Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war die militärische Nutzung des EMS von Anfang an erkennbar. Bereits 2014 setzten beide Seiten verschiedene Systeme ein, damit Kommunikationsnetzwerke gestört werden und Aufklärung betrieben werden kann. Mit der Eskalation des Konflikts im Jahr 2022 wurden diese Bemühungen deutlich intensiviert und weiterentwickelt.

Elektromagnetischer Kampf auf Seiten der Streitkräfte Russlands

Russland ist seit Langem bekannt für seine fortgeschrittenen Aufklärungs- und Wirkfähigkeiten im EMS. Im Ukrainekrieg brachte Russland eine Vielzahl von Systemen zum Einsatz, darunter exemplarisch:

  1. Krasukha-4:

Zur Störung von Radarsystemen und Satellitenkommunikation. Es kann Radarsignale in einem Radius von bis zu 300 Kilometern stören und somit die Luftaufklärung und präzisionsgelenkte Munition beeinträchtigen.

  1. Leer-3:

Dieses System nutzt Drohnen (UAV) des Typs ORLAN-10, um Mobilfunknetze zu stören. Es kann Kommunikationssignale abfangen, stören und sogar für Täuschmaßnahmen genutzt werden.

  1. Tirada-2:

Ein EK-System, das zur Störung von Satellitenkommunikation eingesetzt wird.

In der ersten Phase der Invasion Russlands in der Ukraine 2022 waren die durch Russlands Kräfte des Fernmeldeelektronischen Kampfes hervorgerufenen Effekte eher gering. Es ist anzunehmen, dass dies teilweise mit der Geheimhaltung und der dadurch unvollständigen Befehlsgebung und Planung in Vorbereitung der Invasion zusammenhängt. Im späteren Verlauf, nachdem Russland Kenntnis von der Nutzung der Starlink-Kommunikationsterminals erlangte, gab es Bemühungen, diese zu stören.

Mit Einsatz von Drohnen und GPS-gesteuerten Lenkflugkörpern seitens ukrainischer Streitkräfte verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Abwehr solcher Waffensysteme. Feststellbar ist deshalb eine abnehmende Treffgenauigkeit westlicher Waffensysteme auf GPS-Basis. Die Störungen des EMS sind großflächig aufklärbar. Aktuell ist davon auszugehen, dass schätzungsweise alle zehn Kilometer an der bestehenden Frontlinie ein EK-System eingesetzt wird.

Zwei Aufträge der Elektronischen Kampfführung: Schnelle und präzise Lageinformationen sichern und gegebenenfalls gegnerische Verbindungen störend (o.). Foto: Bundeswehr
Antennenwald
Foto: Bundeswehr

Darüber hinaus gibt es weitere Systeme, die Teilbereiche des EK als Nebenaufgabe betreiben, bspw. zum Eigenschutz vor anfliegenden Drohnen. Die eher starre Gefechtsführung entlang der Front erlaubt es Russland zusätzlich, den Einsatz der EloKa-Kräfte zu koordinieren und auch neue Systeme zu testen.

Diese Systeme stören die Kommunikation der ukrainischen Streitkräfte erheblich und beeinträchtigen damit unverändert die Koordination und Effektivität der ukrainischen Operationen. Die russischen EK-Maßnahmen richteten sich nicht nur gegen militärische Ziele, sondern als Bestandteil hybrider Kriegsführung auch gegen zivile Kommunikationsinfrastrukturen in der Ukraine und darüber hinaus. Ein Beispiel hierfür ist der sogenannte „Baltic Jammer“.

Elektromagnetischer Kampf auf Seiten der Streitkräfte der Ukraine

Die Ukraine steht unverändert vor der Herausforderung, gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner zu kämpfen. Im Bereich des EK hat die Ukraine, trotz unterlegener Kampfkraft, bemerkenswerte Fortschritte gemacht und innovative Ansätze entwickelt und eingesetzt. Diese sind:

  1. Eigenentwicklungen: Ukrainische Ingenieure und Techniker entwickeln improvisierte Lösungen, um russische Aufklärungs- und Wirksysteme zu stören und deren Wirkung auf eigene Systeme zu umgehen. Diese kreativen Ansätze sind kostengünstig und gleichzeitig überraschend effektiv.
  2. Kommerzielle und marktverfügbare Technologien: Die Ukraine nutzt kommerziell verfügbare Technologien für militärische Zwecke. Beispielsweise werden handelsübliche Drohnen und Mobilfunkstörsender verwendet, um russische Kommunikations- und Aufklärungssysteme zu stören.
  3. NATO-Unterstützung:DieUkraineerhältUnterstützung und Schulungen von NATO-Staaten, insbesondere im Bereich der Elektromagnetischen Überwachung und im Rahmen von Gegenmaßnahmen. Dies umfasst die Bereitstellung von Hardware sowie die Ausbildung ukrainischer Soldaten in modernen EK-Techniken.

Auswirkungen und Ableitungen aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine

Der EK im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erzeugt tiefgreifende taktische, operative und strategische Auswirkungen. Auf taktisch/operativer Ebene wird auf beiden Seiten durch die angewendeten Maßnahmen und den Einsatz von EK-Systemen die Kommunikationsfähigkeit des Gegners erheblich beeinträchtigt.

Dies führte letztendlich zu Einschränkungen bei der Koordination militärischer Operationen. Um dem entgegen zu wirken, sind alte Verfahrensweisen vorzuhalten. Ein Meldegänger zu Fuß ist besser gegen EKMaßnahmen geschützt als eine Fernmeldeverbindung. Er benötigt aber auch mehr Zeit und kann ein digitales, echtzeitnahes Lagebild nicht ersetzen. Dies ist in der eigenen taktischen Operationsplanung zu berücksichtigen.

Die permanente Aufklärung durch Maßnahmen der Elektronischen Kampfführung lässt die Absicht des Gegners bereits frühzeitig erkennen und bringt dadurch einen Vorteil. Es ist davon auszugehen, dass der Gegner die eigene Absicht auch kennt und vorbereitet ist. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die eigenen taktischen Maßnahmen. Womöglich muss das eigene Vorhaben deutlich kleiner ausfallen, um es unterhalb der Wahrnehmungsschwelle gegnerischer EK-Aufklärung vorzubereiten. Oder deutlich größer, um im Kontext Kräfte, Raum und Zeit trotz generischer EK-Aufklärung die örtliche Feuerüberlegenheit zu erreichen.

Auf strategischer Ebene gilt es, eine ganze Reihe weiterer Faktoren der eigenen Operationsführung neu zu betrachten. Durch EK-Maßnahmen nimmt die Treffgenauigkeit der eigenen Wirkmittel – insbesondere weitreichende Waffensysteme mit GPS-Steuerung – ab. Also benötigt man hier andere Lösungen, um die gleiche Wirkung bei strategisch wertvollen Zielen zu erreichen. Dies könnte zum Beispiel der vermehrte Einsatz optischer Mittel, Beobachter oder Sensoren, sein oder auch gegen EK-Maßnahmen gehärtete Wirkmittel.

Die Signaturen der eigenen Systeme im Elektromagnetischen Spektrum sind durch EK-Maßnahmen sehr gut aufklärbar. Hier muss vermehrt in den Schutz investiert werden. Dies erreicht man z.B. durch verbesserte Auflockerung auf dem Gefechtsfeld. Dazu müssen die Systeme stringent modular aufgebaut und über weite Strecken vernetzbar sein. Gegebenenfalls ist dazu bereits weit im Vorfeld bei der Rüstung anzusetzen. Hinzu kommt der Raumbedarf zur Herstellung der Auflockerung.

Als weiterer Faktor ist auch die Tarnung neu zu bewerten. Die klassische Tarnung gegen Feindsicht ist im elektromagnetischen Umfeld bedeutungslos. Hier benötigt man neue Strategien. Elektronische Signaturen sind klein zu halten. Gleichzeitig sind viele Strahlungsquellen notwendig, um die lohnenswerte Ziele in der Masse zu verstecken: Alles militärstrategische Entscheidungen mit Seiteneffekten, die sich auf allen Ebenen, auch der taktischen, auswirken.

Folgerungen für Streitkräfte

Das aktuelle Lagebild im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bietet bereits jetzt wichtige Lektionen und Folgerungen für militärische Konflikte und die Weiterentwicklung, dazu einige Beispiele:

  1. Stärkere Integration von EK in die Operationsführung: Moderne Streitkräfte müssen den EK als integralen Bestandteil ihrer militärischen Fähigkeiten und Teil jeder Operationsplanung berücksichtigen. Dies umfasst sowohl offensive als auch defensive EK-Maßnahmen, die in alle Aspekte der Kriegsführung integriert werden müssen. Moderne EK-Systeme mit einem hohen Einsatzwert sind für kriegstüchtige Streitkräfte bereits heute eine unabdingbare Voraussetzung. Zur Steigerung der Kriegstüchtigkeit sind die Kräfte EloKa-Truppen konsequent in Ausbildung und Übung zu integrieren („train as you fight“). Auch im Bereich der Planung müssen neben Effekten im EMU auch weitere nicht-kinetische Effekte (bspw. Operationen im Cyber- und Informationsraum oder auch Informationsoperationen) stärkere Berücksichtigung finden.
Tirada-2 System neben weiteren Störsystemen in der Region Luhansk bereits 2019 (u.). Grafik: Creative Commons Attribution 4.0 International - CC BY 4.0
Tirada-2 System neben weiteren Störsystemen in der Region Luhansk bereits 2019.
Grafik: Creative Commons Attribution 4.0 International - CC BY 4.0
  1. Beschaffung handelsüblicher Sensoren und Effektoren sowie Test- und Versuchsstrukturen: Durch disruptive Technologien und dem damit immer schneller werdenden technischen Fortschritt gilt es, die Beschaffung von Systemen zu beschleunigen und am aktuellen Stand der Technik auszurichten sowie stetig zu modernisieren/anzupassen. Gleichzeitig muss durch Ausprobieren eine Best-Practice entwickelt werden, um zunächst die Einsatzbereitschaft unserer Kräfte EloKa zu steigern. Danach kann auf den erlangten Erkenntnissen aufgebaut und eigene Lösungen entwickelt werden, welche unmittelbar in Rüstungsvorhaben übergehen.
  2. Gefechtsstände, Kommunikationsmittel und Mindset: Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass überdimensionierte und unbewegliche Gefechtsstände schnell vernichtet werden. Deshalb ergibt sich für Gefechtsstände die Notwendigkeit einer ganzen Reihe von Anpassungen. Der Fußabdruck eines Gefechtsstandes in der Kampfzone muss sowohl im EMS, wie auch darüber hinaus kleiner werden. Das bedeutet, dass Gefechtsstände, wenn möglich, soweit wie möglich „hinten“ verortet und räumlich verteilt sein müssen (ein entsprechendes Lagebild vorausgesetzt). Wenn diese nicht beweglich sind, so sind erhöhte Anforderungen an Tarnung und Härtung zu stellen („dig in or hide“). Eine Frage, die hier ebenfalls gestellt werden muss, ist nicht ob der militärische Führer von Vorne führt, sondern wie er dies tut. Eine physische Präsenz „weil dies schon immer so gemacht wurde“, mit dem Risiko des Ausfalls des Truppenführers und dadurch möglicherweise höhere Verluste sowie sinkender Moral, gilt es gegeneinander konsequenter abzuwägen. „Tarnung“ im EMS ist aufgrund der zunehmenden Anforderungen an Bandbreite und Vernetzung eine große Herausforderung. Wo immer möglich, ist auf gerichtete Verbindungen, agile Frequenzsprungverfahren und adaptierbare Sendeleistung (automatisiert) zu achten. Dies verringert den elektromagnetischen Fußabdruck. Gleichzeitig sind, um die eigene Handlungsfähigkeit im EMS aufrechtzuerhalten, Ausweichkommunikationsmittel vorzusehen sowie eine größtmögliche Vernetzung untereinander herzustellen, um redundante Verbindungen zu erzeugen. Eine weitere Möglichkeit, die nicht das Problem der Störung verhindert, aber zumindest die der Ortung, ist, in der Masse zu verschwinden. Wenn immer mehr Geräte miteinander vernetzt sind, und daher eine Unterscheidung zwischen lohnenden und nicht-lohnenden Zielen erschweren, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Zerstörung durch kinetische Wirkmittel nachhaltig.
  3. Weltraum: Die Ukraine hat aufgrund der Störung des EMU und der Zerstörung ziviler Kommunikationsinfrastruktur erfolgreich über das kommerzielle Starlink-Satellitennetzwerk kommuniziert. Für zukünftige Konflikte ist eine Multi-Orbit-Lösung zur Kommunikation notwendig; einerseits aufgrund der benötigten Bandbreite, andererseits aber auch, um möglichen Störeinflüssen gegen einzelne Satelliten oder Terminals zu entgehen.
  4. Lagebild: Im Zeitalter der Digitalisierung muss das Lagebild des EK in nahezu Echtzeit dem taktischen Führer zur Verfügung stehen, um die Erkenntnisse unmittelbar in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen und um eine verzugslose Bekämpfung von Hochwertzielen zu ermöglichen. Diese Wirkketten, vom Sensor, über das Common Operational Picture bis zum Effektor (Arbeitsbegriff: SCOPE), sind der Schlüssel zum Erfolg.

Schlussbemerkung

Der Einsatz von Mitteln des Elektromagnetischen Kampfes im Krieg Russlands gegen die Ukraine hat sehr deutlich gemacht, welch hohen Stellenwert dieser in der militärischen Operationsplanung und -führung einnimmt. Sowohl Russland als auch die Ukraine setzen fortschrittliche EK-Systeme ein, um Kommunikationsnetzwerke zu stören, Aufklärung zu betreiben und die Effektivität gegnerischer Streitkräfte zu beeinträchtigen. Die Lektionen aus diesem Krieg sind prägend für die zukünftige Entwicklung von Streitkräften weltweit. Eine verstärkte Einbindung des EK, kontinuierliche technologische Innovation, Ausbildung und internationale Zusammenarbeit werden entscheidend sein, um zukünftig in multidimensionalen Konflikten mit militärischen Mitteln bestehen zu können.

 

Autor:

Oberstleutnant i. G. Jörg Söder,
Kommando CIR, Abteilung Planung

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Verwendete Schlagwörter

Elektromagnetischer KampfElektronische KampfführungEloKa

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