Vom 25. bis 26. April fand zum ersten Mal der neu durch cpmEVENTS ins Leben gerufene „Air Defence Summit“ in Berlin statt – nicht zuletzt im Bezug auf den Krieg in der Ukraine eine sicherheits- und verteidigungspolitisch bedeutende cpm DEFENCE CONFERENCE. In insgesamt 17 Vorträgen aus dem Bundesministerium der Verteidigung, der Luftwaffe, dem Heer, der Industrie und der wehrtechnischen Forschung wurden die vielschichtigen Fragestellungen und Aufgaben der „integrierten Air and Missile Defence“ erörtert sowie fachliche und operationelle Lösungsansätze präsentiert. Eine Zusammenfassung der Veranstaltung von Rainer Krug, Chefredakteur cpmFORUM.
Am 25. April 2023 startete zum ersten Mal die neu durch cpmEVENTS ins Leben gerufene, zweitätige Veranstaltung „Air Defence Summit“ im Novotel Hotel, Berlin Tiergarten. Tobias Ehlke, Inhaber und Geschäftsführer der cpm GmbH, freute sich über den regen Zuspruch zu dieser ersten cpm DEFENCE CONFERENCE zum Thema „Bodengebundene Luftverteidigung“ mit 17 Vortragenden, 10 Sponsoren und Industriepartnern sowie gut über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
In ihren Eröffnungsworten betonten Ehlke wie auch Generalmajor Lutz Kohlhaus als designierter Stellvertretender Inspekteur Luftwaffe die Aktualität sowie die vor dem Hintergrund des andauernden Ukraine-Krieges noch einmal gestiegene Wichtigkeit des Themas für die wehrtechnische Community.
Bereits im Oktober 2022 unterzeichneten Deutschland und 14 andere europäische Staaten zusammen eine Absichtserklärung zur sogenannten European Sky Shild Initiative (ESSI), um gemeinsam ein Luftverteidigungssystem zu beschaffen. Nun heißt es sowohl die Ukraine weiter zu unterstützen als auch die über die letzten Jahre entstandene Fähigkeitslücke der Bundeswehr und ihrer Partnerländer zu schließen.
Die Fähigkeit zur Luftverteidigung und hier insbesondere der Bereich der bodengebundenen Luftverteidigung ist ein besonderer Ausdruck der Wahrung nationaler Souveränität und leistet einen bedeutenden Beitrag auch zur Sicherheit und zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung. Dies wurde insbesondere in der Keynote von Generalmajor Lutz Kohlhaus aus dem Kommando Luftwaffe deutlich, dessen Einblick in seine Erkenntnisse aus dem völkerrechtswidrigen Überfall der russischen Förderation auf die Ukraine als ehemaliger Vice Chairman des Air and Missile Defence Committee der Nato Betroffenheit erzeugte.
Im Rahmen seiner weiteren Keynote stellte der designierte Stellvertretende Inspekteur der Luftwaffe nicht nur die Bedrohung aus der Luft in den vier Layern der Luftverteidigung dar, sondern präsentierte auch die wesentlichen Erkenntnisse und Forderungen der Luftwaffe an die Luftverteidigung in einem LV/BV-Szenario.
Quantity matters – Keynote von Generalmajor Lutz Kohlhaus
„Quantity matters“ – dies sei eine der wesentlichen Erkenntnisse aus dem Konfikt in der Ukraine. Es komme auf die Anzahl der verfügbaren Abwehrmittel an. Die aktuell verfügbaren Fähigkeiten und Mengen vor allem beim Waffensystem Patriot zwängen die Ukraine dazu, eine mengenmäßige Anpassung der Anzahl der Flugkörper des Waffensystems vorzunehmen. Nicht außer Acht zu lassen sei dabei auch die Relation Cost to Kill. Hier sei insbesondere die Industrie gefordert Wege zu suchen, die Stückkosten für die benötigten Flugkörper so weit wie möglich zu reduzieren.
Auch der Interoperabilität komme eine besondere Bedeutung zu. Durchsetzungsfähige Luftverteidigung funktioniere nur im Systemverbund, so Kohlhaus, und dies nicht nur national, sondern auch auf NATO-Ebene. Life-Exercises wie Air Defender 23 seien hier ein wichtiges Mittel, Interoperabilität nicht nur auf der technischen Ebene, sondern auch im operationellen Rahmen zu üben. Die Fliegende Luftverteidigung dürfe insgesamt nicht vergessen werden. Auch wenn gerade im Bereich der Bodengebundenen LV aktuell eine Fähigkeitslücke besteht – nur im Gesamtsystemverbund sei Luftverteidigung wirkungsvoll.
Ebenso wichtig sei der Bereich Offensive Counter Air. Das Ausschalten gegnerischer Verbände und deren HomeBases sei für das Erlangen der Lufthoheit essenziell, so der designierte Stellvertretende Inspekteur der Luftwaffe. Dies hätten die Konflikte der Vergangenheit deutlich gemacht.
Bei allen Anstrengungen, die Fähigkeit zur Luftverteidigung an die Landes- und Bündnisverteidigung anzupassen, dürfe aber auch nicht vergessen werden, dass die Personalumfänge sich nicht erhöhen werden. Auch Aufgaben, die bislang im Bereich der Luftwaffe wahrgenommen worden sind – nämlich die Aufgaben in der Heeresflugabwehr – müssten aus Luftwaffenpersonal gewonnen werden.
Alexander Schott, BMVg, zu Vorhaben der Luftverteidigung und zur ESSI
In einem zweiten Vortrag ging der Unterabteilungsleiter A III aus dem BMVg, Ministerialdirigent Alexander Schott einerseits auf die bereits entschiedenen Vorhaben aus der Luftverteidigung ein – Arrow III, Kampfwerterhaltung und Nutzungsdauerverlängerung Patriot bis in die 40er Jahre, das Sofortprogramm Stärkung der Luftverteidigung mit dem Sensor TRML-4D und dem Effektor IRIS-T SL im K-Stand Ukraine, der Flugabwehrturm für den Boxer. Die genannten Vorhaben seien wichtig und sollen spätestens 2025 in die Truppe zulaufen.
Daneben erläuterte er die Initiative „European Sky Shield Initiative – ESSI“ in der Deutschland als Anlehnungsnation wichtige Aufgaben übernehmen will und auf technischen Gebiet eine „materielle Basis“ für gemeinsame Beschaffungsvorhaben der beteiligten Nationen geben wird. ESSI wird eine besondere Rolle bei der Stärkung des europäischen Pfeilers der Luftverteidigung innerhalb der NATO übernehmen.
Antworten auf aktuelle Bedrohungen von DIEHL Defence
Arne Nolte, Head of Marketing Ground Based Air Defence von DIEHL Defence, stellte beeindruckend die Fähigkeiten des Systems IRIS-T im Einsatz in der Ukraine vor. Daneben gab er aber auch einen Überblick über weitere Aktivitäten im Hause Diehl, wie zum Beispiel die Nutzung von HPEM (High Power Electro Magnetic) zur Abwehr von Drohnen oder die Weiterentwicklung des Systems IRIS-T auch für die übrigen Layer der Luftverteidigung.
Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Bodengebundenen Luftverteidigung, die besonderen Bedürfnisse des Heeres als Träger landgebundener Operationen mit der Forderung nach begleitendem Schutz und die gerade aus dem Ukraine Konflikt gewonnene Erkenntnis der Notwendigkeit der Abwehr von Class I Drohnen (Counter UAS) zeigten die breite Palette der zukünftig erforderlichen Fähigkeiten in einem LV/BV Szenario.
Weitere Lösungsansätze europäischer Partner und der Industrie
Deutschland und die Niederlande kooperieren im Bereich der Luftverteidigung sehr eng. Der zukünftige Commander des NLD Ground Based Air Defence Command stellte die niederländischen Schwerpunkte sowie eigene Lösungsansätze zu einem Integrierten Air and Missile Defence System vor.
Aber auch industrielle Lösungsansätze durften nicht fehlen. Energieversorung für moderne Ground Based Air Defence Systeme, industrielle Lösungen zu Counter UAS, die während des G7 Gipfels ihre Feuertaufe bestanden haben sowie die besondere Rolle optischer und elektrooptischer Sensorik von der Erkennung einer Bedrohung bis hin zur Zieleinweisung und im „End-game“ konnten dem interessierten Zuhörerkreis vorgestellt werden.
MdB Dr. Reinhard Brandl zum Abschluss von Tag 1 als Redner zu Gast
Der erste Tag schloss ab mit einer „Dinner-Speech“ des Abgeordneten des Deutschen Bundestags, Dr. Reinhard Brandl, CSU, der in seiner Rede auf die Fähigkeiten der nationalen Industrie einging und – aus der Ukraine Krise lernend – die Notwendigkeit der Luftverteidigung auch als Zivilschutzmaßnahme darstellte.
Lösungsansätze zum Schließen der Fähigkeitsdefizite an Tag 2
Auch der 26. April als zweiter Tag des Summits war gekennzeichnet durch interessante und fesselnde Vorträge. Technologische Lösungen, aber auch ein Blick in Wissenschaft und Forschung zeigten einerseits auf, in welchen Bereichen zukünftig neue Fähigkeiten entstehen werden, sie stellten aber auch erneut dar, dass es bereits heute Lösungen für die Fähigkeitsdefizite gibt, die ein kurzfristiges Schließen derselben ermöglichen können.
Forschung aus Luft- und Raumfahrt und die Rolle von KI
Luftverteidigung basiert im Wesentlichen auch auf Forschung aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrt. Gleicherweise ist Luftverteidigung auch ein Bereich, in dem Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle spielen kann und wird. Das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt und die Universität der Bundeswehr München widmeten sich diesen Themen in ihren jeweiligen Vorträgen von Christoph Müller, DLR und Dr.-Ing. Sebastian Lindner, UniBw München.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass viele Fähigkeitslücken nicht nur erkannt, sondern auch deren Schließung bereits begonnen hat. Die Möglichkeiten des 100-Milliarden-Sondervermögens erlauben es, auch in solchen Bereichen jetzt loszulegen, die bislang aus finanziellen Gründen verschlossen waren. Es kommt jetzt darauf an, nicht nachzulassen. Das ESSI-Programm könnte hierzu ein hervorragender Rahmen sein.
Das gesamte cpmTEAM bedankt sich an dieser Stelle nochmals für die großartige Unterstützung aller Teilnehmenden und ihr Mitwirken zum Gelingen dieser ersten Konferenz zum Thema Air Defence. Wir freuen uns bereits heute auf eine Fortsetzung der Diskussionen in einer Folgeveranstaltung im kommenden Jahr.
Autor: Rainer Krug, Chefredakteur cpmFORUM