RüstungInterview

Interview mit Dr. Alexander Sagel

Dr. Alexander Sagel, Leiter Rheinmetall-Division Electronic Solutions der Rheinmetall AG, gibt interessante Einblicke in ausgewählte Programme aus dem Bereich der Luftverteidigung. Hierbei sprechen wir auch über den SKYRANGER 30 und seine mögliche Rolle in ESSI.
Ein SKYRANGER aus dem Hause Rheinmetall.
Fotos: Rheinmetall AG

Herr Dr. Sagel, vorweg unsere besten Wünsche für Ihre neue Verwendung. Sie sind bei Rheinmetall kein Unbekannter. Würden Sie sich dennoch unseren Leserinnen und Lesern kurz vorstellen?

Sehr gerne. Bis vor kurzem habe ich bei Rheinmetall die Division Weapon and Ammunition führen dürfen, an deren Spitze ich insgesamt fast fünf Jahre stand. Seit April dieses Jahres verantworte ich die Division Electronic Solutions und ich bin stolz darauf, dort nun mit einem starken Team für technologische und strategische Schlüsselthemen bei unseren militärischen Kunden zuständig zu sein. Die Digitalisierung der Streitkräfte oder auch Themen der Luftverteidigung stehen ganz oben auf der Agenda und ich bin überzeugt, dass wir hier wertvolle Beiträge leisten können. Mit der Bundeswehr und zahlreichen internationalen Kunden stehen wir hier in einem vertrauensvollen Dialog.

Aber auch der zivile Bereich Rheinmetalls ist Ihnen bestens vertraut …

Ja. Nachdem ich zunächst ein paar Jahre bei der Daimler AG im Bereich Forschung und Motorenvorentwicklung sowie im Vertrieb tätig war, bin ich zur früheren Rheinmetall Automotive AG gewechselt und wurde dort 2012 Geschäftsbereichsleiter. Ab 2014 wurde mir die Leitung der Division Hardparts übertragen, die ich bis 2018 innehatte. Studiert habe ich übrigens Materialwissenschaften in Berlin und anschließend meine Promotion sowohl in den USA als auch in Deutschland betrieben.

Sie sprachen es schon an: das spannende Feld der Luftverteidigung ist von nun an Teil Ihres Aufgabenfeldes. Lassen Sie uns gerne einmal einen Blick auf den Nah- und Nächstbereich werfen. Welche Notwendigkeit sprechen Sie dieser Ebene zu, welche Lösungsansätze wollen Sie mit Rheinmetall verfolgen und wie weit würden Sie sich in das komplexe Feld des Konvoischutzes im Marsch vorwagen?

Der Nah- und Nächstbereich (NNbS) in der Flugabwehr ist seit jeher die Kernkompetenz von Rheinmetall. Das ist auch der Grund, weshalb Rheinmetall sich in die ARGE NNbS eingebracht hat, wo sich die beteiligten Partner in ihren Fähigkeiten ergänzen. Rheinmetall bringt dabei die Fahrzeugplattformen ein und wird verantwortlich den Flugabwehrraketen- (FlaRak-) und Feuerleitpanzer gestalten. Rheinmetall wird auch die Querschnittssysteme auslegen sowie die Gesamtintegration durchführen. Im Forderungskatalog für das Vorhaben Luftverteidigungssystem Nah- und Nächstbereichsschutz ist der Schutz von Truppen auf dem Marsch enthalten. Dies ist somit eine Fähigkeit, die der konzipierte FlaRak-Panzer haben wird. Auch für die im Rahmen der Folgebefähigung geforderte C-UAS-Fähigkeit hat Rheinmetall eine Lösung, die den Schutz auf dem Marsch abdeckt. Das von uns vorgeschlagene System SKYRANGER 30 ist durch seine 30mm-Revolverkanone in der Lage, sehr kurzfristig auftretende Bedrohung aus der Luft, sogenannte pop-up targets, erfolgreich zu bekämpfen. Zudem können weiter entfernte Ziele mit den Flugkörpern, die im Turm integriert sind, sicher bekämpft werden.

Dr. Alexander Sagel, Leiter Rheinmetall-Division Electronic Solutions, Rheinmetall AG
Foto: Rheinmetall

Lassen Sie uns doch gleich bei der Frage der Mobilität in der Luftverteidigung bleiben. Die Firma Rheinmetall bietet in ihrem Portfolio mehrere mobile und stationäre Luftverteidigungslösungen oder Teile davon an. Welche Rolle sehen Sie für sich in puncto Mobilität von Systemen in einem Bedrohungsszenar der Landes- und Bündnisverteidigung?

Lassen Sie mich Ihre Frage in zwei Aspekten beantworten. Deutschland hat in der kurzen Reichweite signifikante Fähikeitslücken in der stationären und mobilen Luftverteidigung. Aufgrund der Dringlichkeit wird zunächst die Fähigkeitslücke der mobilen Luftverteidigung im Nah- und Nächstbereich geschlossen. Hier liegt der Fokus eindeutig auf dem Schutz der Kampftruppen im Einsatz. Eine Flugabwehrraketenstaffel soll primär den Gefechtsstreifen einer Brigade schützen. Dies erfordert neben dem Raumschutz durch die Flugkörper der mittleren Reichweite besonders den hochmobilen Schutz durch die FlaRak-Panzer, die die Kampftruppe begleiten. Der auf der Fahrzeugplattform BOXER realisierte FlaRak-Panzer erfüllt mit seinen Flugkörpern der kurzen Reichweite diese Aufgabe vollumfänglich.

Etwas überrascht es mich allerdings, dass derzeit in Deutschland wenig über Konzepte zur Absicherung militärischer Liegenschaften und kritischer Infrastruktur im Rahmen der Bündnis- und Landesverteidigung nachgedacht wird. Ich spreche hier nicht über Bedrohung im Frieden durch zivile Drohnen, sondern denke konkret an die Abwehr von Bedrohung aus der Luft, wie z.B. Cruise Missiles und weitreichende Artillerieraketen. Aufgrund der veränderten geopolitischen Lage im Vergleich zum Kalten Krieg ist Deutschland nicht mehr Frontstaat, sondern rückwärtiger Raum mit einer großen Anzahl von Depots und Feldlagern, auch für die Truppen der anderen NATO-Staaten. Alle diese stationären Liegenschaften müssen gegen die vorgenannten Bedrohungen aus der Luft gesichert werden. Hier bietet Rheinmetall moderne Lösungen wie das SKYNEX-System an, von dem übrigens auch die Ukraine zwei Systeme bestellt hat und kurzfristig erhalten wird. Das System besteht aus mehreren 35mm-Revolverkanonen, einem containerisierten Gefechtsstand und Radaren. Eine Abwehrfähigkeit gegen Artillerieraketen und Mörser in Grundumfang ist mit SKYNEX gleichfalls möglich. Diese Fähigkeit gibt Deutschland gerade durch die Abgabe des Systems MANTIS – ebenfalls von Rheinmetall – an die Slowakei auf.

Schauen wir auf das bereits lange eingeführte System PATRIOT. Es scheint in dem Fähigkeitsmix der Luftverteidigung unersetzlich. Welchen Beitrag können Rheinmetall und Ihre Division für den Fähigkeitserhalt dieses Systems leisten?

Rheinmetall ist gerade im Dialog mit dem Rüstungsbereich über die Erneuerung der Spezialfahrzeuge für die Hauptkomponenten der PATRIOT-Systeme. Dabei wird an Lösungen gedacht, die keine komplette Neuentwicklung spezieller Fahrzeuge erforderlich machen.

Auch operativ haben wir Konzepte erarbeitet, um die Gefechtsstände des Systems NNbS so zu modifizieren, dass sie auch in das PATRIOT-System integriert werden können. Für den Nutzer hätte dieses den Vorteil, Anteile des Systems NNbS, wie z.B. den FlaRak-Panzer oder den SKYRANGER 30, direkt an PATRIOT anbinden zu können. Hierdurch kann das weitreichende System PATRIOT besser gegen Angriffe aus der Luft und bei Nutzung des SKYRANGER 30 auch gegen UAS geschützt werden. Wie wichtig dies sein kann, zeigt ein Beispiel aus dem Jemen-Konflikt, wo ein sehr teures PATRIOT- Radar durch eine kleine Drohne stark beschädigt wurde.

Eine letzte Frage: Mit dem SKYRANGER 30, der eine integrierte Flugkörperlösung bietet, haben Sie kürzlich eine neue mobile Lösung vorgestellt. Wie schnell würde ein solches System für eine Nutzung in der Bundeswehr zur Verfügung stehen? Wie ist der aktuelle Stand aus Ihrer Sicht?

Mit mobilen Lösungen für die bodengebundene Luftverteidigung beschäftigt sich Rheinmetall seit über einem Jahrzehnt. Der Prototyp des SKYRANGER 35 wurde in den vergangenen Jahren erfolgreich auf verschiedensten Demonstrationen dem Fachpublikum vorgeführt. Hiermit haben wir den Beweis erbracht, auch die mobile Lösung im Griff zu haben.

Wie bereits zuvor gesagt, haben wir mit dem SKYRANGER 30 einen weiteren Schritt unternommen und die Revolverkanone mit Flugkörpern kurzer Reichweite kombiniert, da wir hierfür einen großen Markt sehen. Das rege Interesse unserer Kunden an dieser Lösung zeigt, dass wir hiermit richtig liegen.

Aufgrund der Vorarbeiten mit dem SKYRANGER 35 und der mit Eigenmitteln finanzierten Entwicklung des SKYRANGER 30 sind wir in der Lage, eine auf die speziellen Anforderungen unserer Kunden zugeschnittene Lösung kurzfristig realisieren zu können. Für Deutschland kann ein zertifizierbarer Prototyp bereits im Jahr 2024 bereitgestellt werden – vorausgesetzt, wir erhalten bald eine Beauftragung. Dann wäre auch eine Serienlieferung beginnend ab dem Jahr 2025 machbar.

Ich bin überzeugt davon, dass der SKYRANGER 30 einer der wesentlichen Stützpfeiler der European Sky Shield Initiative (ESSI) werden kann.

Herr Dr. Sagel, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Das Interview führte Rainer Krug

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