RüstungNutzung

Interview mit Generalmajor Thorsten Puschmann, Militärischer Vizepräsident im BAAINBw

„Um das Ziel einer schnellstmöglichen Beschaffung zu erreichen, soll grundsätzlich auf marktverfügbare Lösungen abgestützt werden. Die wesentlichen Forderungen müssen sich hierzu an existierenden technischen Möglichkeiten orientieren.“ Mit diesen Sätzen beschreibt der militärische Vizepräsident des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung die zukünftige Strategie der Beschaffung von Material und Ausrüstung der Bundeswehr. Ziel dieser Strategie ist es einerseits eine schnellstmögliche Beschaffung zu realisieren, andererseits im Rahmen einer ständigen Überprüfung der militärischen Forderungen das Material zu realisieren, dass die Streitkräfte für die erfolgreiche Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen.
Soldaten der Division Schnelle Kräfte (DSK) befestigen den Waffenträger Wiesel als Außenlast am Transporthubschrauber CH-47F Chinook der US Army bei der internationalen NATO-Übung Green Griffin 2021 auf dem Truppenübungsplatz Klietz.
Foto: Bundeswehr / Jana Neumann

Herr General, mit der Beschaffungsstrategie des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) vom Oktober 2019 und den Erlassen und Weisungen vom Staatssekretär und vom Generalinspekteur der Bundeswehr aus dem April 2023 wurden die Grundlagen für eine Beschleunigung der Beschaffung von Rüstungsgütern geschaffen. Können Sie uns einen Überblick über die wesentlichen Festlegungen der Dokumente geben und die erwarteten Auswirkungen?

Aktuell nutzen wir bei der Bundeswehr drei Beschaffungsvarianten. Komplexe Waffensysteme und andere Rüstungsgüter beschaffen wir nach dem internen Verfahren Customer Product Management, kurz CPM. Dienstleistungen, die bundeswehreigene Gesellschaften erbringen können, folgen dem Verfahren „Komplexe Dienstleistungen“, kurz KDL, und die Beschaffung von handelsüblichem Material zur Deckung betriebs- und nutzungsbedingter Bedarfe erfolgt über den Einkauf der Bundeswehr, kurz EinkaufBw. Diese drei Beschaffungsvarianten sind dabei an die jeweilige Komplexität und Anforderungen der benötigten Leistungen angepasst und berücksichtigen sowohl die Art des Rüstungsgutes bzw. des handelsüblichen Sachgutes oder der Dienstleistung sowie in Rede stehende Rechte und die gegebene Marktsituation.

Die Beschaffungsstrategie setzt als Dachdokument da an, wo ausgewählt wird, welche der Beschaffungsvarianten zum Tragen kommt. Sie legt fest, dass strategische Entscheidungen bezüglich der erforderlichen Fähigkeiten, den daraus abgeleiteten Forderungen und der zu wählenden Beschaffungsvariante so früh wie möglich zu treffen sind, da sie den weiteren Verlauf der Beschaffung maßgeblich bestimmen. Alle relevanten Aspekte wie zum Beispiel die technische Realisierbarkeit, die Marktsituation, verfügbare Ressourcen und etwaige Kooperationsmöglichkeiten sollen dabei in die Entscheidung einfließen.

Ein wichtiges Instrument, das durch die Beschaffungsstrategie hervorgehoben wird, ist das Forderungscontrolling. Es wird eingesetzt, um die Anforderungen an die zu beschaffenden Liefergegenstände und Leistungen zu hinterfragen und auf ein zwingend erforderliches Maß zu reduzieren, um Komplexität zu reduzieren und eine schnellere Beschaffung zu ermöglichen.

 

Die Beschaffungsstrategie rückt zudem den EinkaufBw und KDL als Beschaffungsvarianten stärker in den Fokus.

 

Die Vorgaben von Staatssekretär Zimmer und dem Generalinspekteur vom 25.04.2023 stellen die Bedeutung des Faktors Zeit für die Beschaffung nochmal deutlicher in den Vordergrund und treffen in Ergänzung zur Beschaffungsstrategie konkrete Festlegungen für die Beschaffungsvarianten und den vorgelagerten Anteil des Planungsprozesses.

Um das Ziel einer schnellstmöglichen Beschaffung zu erreichen, soll sich grundsätzlich auf marktverfügbare Lösungen abgestützt werden. Die wesentlichen Forderungen müssen sich hierzu an existierenden technischen Möglichkeiten orientieren. Um diesen Ansatz zu unterstützen, werden die Inspekteure der militärischen Organisationsbereiche bei der Festlegung der Forderungen stärker als bisher eingebunden. Darüber hinaus werden richtigerweise enge Zeitvorgaben für die Erstellung wesentlicher Dokumente gemacht.

Interoperabilität, insbesondere mit unseren engsten Verbündeten, ist auch im neuen Ansatz immer anzustreben. Entwicklungslösungen sind nach wie vor möglich, unterliegen aber einem strengeren Maßstab als zuvor.

Beide Dokumente verfolgen das Ziel einer schnellstmöglichen Erhöhung der materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Entscheidend für die Zielerreichung sind die frühzeitige Wahl der Beschaffungsvariante, ein konsequentes Forderungscontrolling, die Konzentration auf marktverfügbare Lösungen zur Einhaltung der engen Zeitvorgaben und eine verlässliche Bedarfsplanung und -priorisierung.

Interview mit Generalmajor Thorsten Puschmann, Militärischer Vizepräsident im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr
Foto: Bundeswehr / Josephine Klingner

Wie haben Sie im BAAINBw die Weisungen und Erlasse des Generalinspekteurs und des Staatssekretärs in Bezug auf das Sondervermögen bisher konkret umgesetzt?

Unser Ziel war es, das Sondervermögen in Verträge umzusetzen, sobald die finanziellen Mittel bereitgestanden haben. Bisher haben wir für rund 36 Milliarden Euro militärische Ausrüstung bestellt. Zudem werden wir bis zum Ende diesen Jahres zwei Drittel des Sondervermögens in Verträge umgesetzt haben. Mit dem Blick auf den Faktor Zeit ist das beachtlich.

Seit 2014 wird die Beschaffungsorganisation fortlaufend weiterentwickelt, angepasst und modernisiert. Nur so konnte das Auftragsvolumen im Jahr 2022 im Verhältnis zu 2015 verdoppelt werden. Allein im vergangenen Jahr wurden rund 11.000 Verträge mit einem Gesamtvolumen von rund 16 Milliarden Euro geschlossen.

Wir sehen uns als BAAINBw daher gut aufgestellt, das angekündigte Sondervermögen zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte effektiv umzusetzen.

Soldaten verschießen mit dem Waffenträger Wiesel 1 MELLS (Mehrrollenfähiges Leichtes Lenkflugkörper-System) einen Lenkflugkörper im Rahmen des Pilotlehrgangs Truppführer Wiesel 1 MELLS der Infanterieschule auf der Schießbahn 9 des Truppenübungsplatzes Wildflecken.
Foto: Bundeswehr/Carl Schulze

Der EinkaufBw ist bereits seit mehreren Jahren ein etabliertes Verfahren. Was ändert sich durch die Festlegungen der Beschaffungsstrategie im Einzelnen hieran und was verspricht man sich hiervon?

Ein Ziel der Beschaffungsstrategie ist die stärkere Nutzung des EinkaufBw zur Deckung betriebs- und nutzungsbedingter Bedarfe. Um das zu erreichen, sollen zusätzlich zu den bisher über den EinkaufBw gedeckten Bedarfe zukünftig auch sogenannte Nichtverbrauchsgüter (NVG), kurz, unmittelbar aus dem Planungsprozess IPD (Integrierte Planung durchführen) in den EinkaufBw gesteuert werden. In Abgrenzung zum CPM werden für den EinkaufBw solche NVG betrachtet, die handelsüblich und marktverfügbar sind, für die keine bundeswehreigene Logistik aufgebaut werden muss und die keine Entwicklungs- oder Integrationsanteile haben. Integrationsanteile bedeutet in diesem Zusammenhang, dass diese Produkte nicht in Waffensysteme oder andere Rüstungsgüter integriert werden müssen.

Diese Stärkung des EinkaufBw ist damit geeignet, die Beschaffung einfacher und handelsüblicher Produkte deutlich zu beschleunigen und gleichzeitig das BAAINBw von der Beschaffung dieser Artikel zu entlasten.

Am letzten Tag wurde eine gemeinsame Formation der Luftstreitkräfte Singapurs mit den beteiligten Kampfjets vom Typ F-15 und F-16 und mit dem deutschen EUROFIGHTER 30+45 geflogen während im Vordergrund HMAS Perth von der Royal Australian Navy zu sehen ist.
Foto: Bundeswehr

Besonders im Bereich der Beschaffungsvariante materielle Lösungen nach dem CPM ist es in der Vergangenheit häufig zu Beschaffungsproblemen gekommen. Deswegen auch die Festlegungen zu den präferierten Beschaffungsvarianten. Wie schätzen Sie nach den aktuell getroffenen Entscheidungen den Anteil dieser Beschaffungsvariante ein? Was werden die Kriterien sein, nach denen die Beschaffungsvariante materielle Lösungen nach dem CPM ausgewählt werden wird?

Das Verfahren CPM ist für die Beschaffung von Waffensystemen und anderen komplexen Rüstungsgütern entwickelt worden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Produkte, die Entwicklungs- oder Integrationsanteile aufweisen, Produkte, für deren Nutzung eine eigene logistische Kette aufgebaut werden muss und Produkte, für die Nachweisführungen oder Zulassungsverfahren erforderlich sind. Diese Produkte werden auch zukünftig über das Verfahren CPM gerüstet werden. Derzeit wird aber auch die Beschaffungsvariante CPM im BMVg mit Hochdruck überarbeitet, um den geänderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen.

Die Bedeutung internationaler Kooperationen, wie beispielsweise bei ESSI im Bereich der Luftverteidigung, nimmt ständig weiter zu. Schließt sich in solchen Fällen nicht die Anwendung der Beschaffungsstrategie aus? Wenn nein, welche Mechanismen der Beschaffungsstrategie kommen bei Kooperationsvorhaben im Einzelnen zum Einsatz?

Das stimmt, internationale Kooperationen werden immer wichtiger im Kontext der Interoperabilität mit unseren europäischen und internationalen Bündnispartnern und sind daher nicht nur aus Gründen der Kostenteilung immer anzustreben. Die Beschaffungsstrategie schließt Kooperationen daher auch nicht aus, sondern fordert sie sogar ausdrücklich, um neben den bereits genannten Vorteilen auch die Verhandlungsposition der Bundeswehr zu stärken. Dabei werden zuweilen auch Kompromisse bezüglich der eigenen Forderungen auch zu Gunsten einer bi- oder multinationalen Zusammenarbeit in Kauf genommen.

Litauische Soldaten nehmen mit der PANZERHAUBITZE 2000 an der binationalen Übung Griffin Storm auf dem Truppenübungsplatz Pabradė/Litauen teil.
Foto: Bundeswehr / Lea Bacherle

Eine letzte Frage: Zukünftig sollen – wie in den Erlassen und Weisungen vom April erneut verdeutlicht – alle relevanten Sichten (Anforderungen, technische Realisierbarkeit, Schlüsseltechnologien, juristische Expertise, LCC, Märkte, etc.) viel stärker in den Prozessen Berücksichtigung finden. Wie sieht dies konkret in den einzelnen Phasen aus und führt dies zukünftig zu deutlich integrativeren Ansätzen in der Projektrealisierung – auch unter Einbindung der Industrie?

Die Einbindung der Sichten gemäß der Beschaffungsstrategie stellt sicher, dass die erforderlichen Informationen für eine belastbare Entscheidung vorliegen. Dies wird für die laufende Überarbeitung der Prozesse und Verfahren neben dem dominierenden Faktor Zeit handlungsleitend sein. Der genauen Ausgestaltung der Prozesse kann und will ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgreifen. Die Einbindung der industriellen Expertise war auch bisher ein Ziel des Beschaffungsverfahrens.

Herr Generalmajor, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Das Interview führte Rainer Krug

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