Interview mit Michael Humbek – CEO Dynamit Nobel Defence

„Das jüngst wiederbelebte Tätigkeitsfeld Sperrfähigkeit wird die vergangene Expertise der Dynamit Nobel AG aus Entwicklung, Produktion und Lieferung von Sperrmitteln nutzen und ins 21. Jahrhundert überführen“, versicherte Michael Humbek im Interviewe mit cpm. Neben einem Blick in die Zukunft äußerte sich der Geschäftsführer von Dynamit Nobel Defence (DND) auch zu strategischen Entscheidungen seines Unternehmens der letzten Monate. 

Interview mit Michael Humbek, Geschäftsführer DND.
Michael Humbek, Geschäftsführer DND bei der Eröffnungsrede.
Foto: DND
Herr Humbek, als Geschäftsführer der Dynamit Nobel Defence (DND) sind Sie täglich mit der Weiterentwicklung Ihres Unternehmens befasst. Wo setzen Sie in Ihrer Unternehmensführung aktuell die Schwerpunkte?

Aktuell sind es zwei Schwerpunkte, ein spezieller sowie ein allgemeiner: Im Speziellen gilt es derzeit, die bestehenden und neuen Geschäfts- und Tätigkeitsfelder der DND strategisch, organisatorisch, und ressourcenmäßig nebeneinander in ihrem Aufwachsen zu managen und Synergien herzustellen, wo es sinnvoll ist.

Zur Erklärung: Neben den etablierten Tätigkeitsfeldern Schulterwaffe und Schutz sind in den vergangenen Jahren die Bereiche DND Digital sowie jüngst der Bereich Sperrfähigkeit hinzugekommen. Unsere vier Bereiche befinden sich, wenn man so will, in verschiedenen Entwicklungsstadien und haben dadurch in den Aspekten Organisation, Personal, Ressourcen, Auslastung und operatives Tagesgeschäft verschiedene Ausprägungen.

Im Allgemeinen befindet sich die DND in einer rasanten Wachstumsphase: Inzwischen beschäftigen wir mehr als 400 Menschen an mehreren Standorten, bald sogar einem internationalen Standort. Gestartet sind wir 2004 mit weniger als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ein solches Wachstum geht nicht ohne „Wachstumsschmerzen“.

Das neue Explosivstoffzentrum der DND erweitert die Kapazität für die Gefechtskopffertigung deutlich. Foto: DND
Das neue Explosivstoffzentrum der DND erweitert die Kapazität für die Gefechtskopffertigung deutlich.
Foto: DND

Zum Beispiel beschäftigt mich derzeit, dass unsere Infrastruktur am Standort Burbach an ihre Grenzen gestoßen ist. Es fehlt an zusätzlichen Bürogebäuden sowie Produktions- und Lagerkapazitäten, die aufgrund von strengen behördlichen Auflagen nur aufwendig und nach langen Projektphasen gebaut werden dürfen.

Das Unternehmen DND ist vielen unserer Leserinnen und Lesern durch die Panzerfaust 3 ein Begriff. Neben diesem System verfügt Ihr Unternehmen aber auch über eine Vielzahl anderer Kompetenzen. Können Sie uns einen kurzen Überblick über die Dynamit Nobel Defence und ihre Tätigkeitsfelder geben?

Im Schulterwaffenbereich ist die Panzerfaust 3 sicherlich dasjenige Wirkmittel, mit dem der Name Dynamit Nobel Defence am häufigsten verbunden wird. Unsere neuere Schulterwaffenfamilie, die RGW-Serie (für Recoilless Grenade Weapon) umfasst in den Kalibern 60mm, 90mm und 110mm eine Vielzahl an modernen, rückstoßfreien, leistungsfähigen Effektoren zur Einmalnutzung, die von infanteristisch kämpfenden Truppen gegen eine Vielzahl von Zielen, und zwar eben nicht nur gegen Panzer, sondern gegen Infrastruktur. sowie weiche oder halbharte Ziele, eingesetzt werden können.

Im Bereich Schutz konzentrieren wir uns auf den Fahrzeugschutz, oder besser gesagt, den Schutz von Landplattformen. Neben dem Bereich Brandbekämpfung und -unterdrückung, der auch eine stark ausgeprägte zivile Komponente hat, sind es vor allem explosivstoffbasierte Reaktivschutzkonzepte, auf die wir spezialisiert sind.

Hier geht es im Übrigen nicht nur um die Herstellung der bekannten Reaktivschutzmodule, die man zum Beispiel vom Schützenpanzer PUMA kennt: Wir haben in einem großen internationalen Projekt zur Verbesserung des Schutzes des Kampfpanzers LECLERC vor einigen Jahren bewiesen, dass wir die komplette Konzeption und Integration eines Fahrzeugschutzkonzepts „von Grund auf“, und in Zusammenarbeit mit Fahrzeughersteller und Nutzer beherrschen.

Im Bereich DND Digital entwickeln und fertigen wir in Deutschland in einem integrativen Ansatz neue und bestehende Hard- und Software zur Unterstützung der Digitalisierung von Landoperationen. Insgesamt unterstützen wir mit unseren Lösungen, wie zum Beispiel (teil-)automatisierten Informationsmanagementsystemen und digitalen Führungsmitteln, die Verbesserung von Reaktionszeiten in militärischen Operationen.

Das jüngst wiederbelebte Tätigkeitsfeld Sperrfähigkeit wird die vergangene Expertise der Dynamit Nobel AG aus Entwicklung, Produktion und Lieferung von Sperrmitteln nutzen und ins 21. Jahrhundert überführen. Wir werden eine breite Produktpalette an Sperrsystemen entwickeln und fertigen und dabei auch die Ausbringung und Verlegung der Sperrmittel in die ganzheitliche Betrachtung einbeziehen. Die taktische Kollaboration von Sperrmitteln ist hierbei ein integraler Bestandteil des DND-Beitrags zur Unterstützung landgestützter Operationen.

Gehen wir zunächst auf Ihre schultergestützten Wirkmittel ein. Wie haben sich diese weiterentwickelt und wie schätzen Sie die Rolle dieser Systeme auf dem Gefechtsfeld der Zukunft auch unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg ein?

Wir stellen fest, dass schultergestützte Wirkmittel im infanteristischen Kampf auch heu-
te noch unerlässlich und sozusagen „zeitlos“ sind. Im Ukrainekonflikt gehörten wir zu den ersten Unternehmen, die direkt an die ukrainischen Streitkräfte geliefert haben, unabhängig von Militärhilfen.

Wir haben gesehen, dass das vermeintliche Kräfteungleichgewicht zu Ungunsten der Verteidiger durch den massiven Einsatz von Panzerabwehrbewaffnung negiert werden konnte. Entscheidende Panzervorstöße der russischen Streitkräfte konnten deutlich verzögert bzw. verhindert werden.

Dass Schulterwaffen inzwischen auch gegen ein breites Zielspektrum jenseits von Panzern eingesetzt werden, ist folgerichtig: Letztlich geht es um die deutliche Erhöhung von Feuerkraft und Durchsetzungsfähigkeit von infanteristischen Truppenteilen mit vergleichsweise einfachen, kostengünstigen und schnell verfügbaren Effektoren.

Sie vereinen in Ihrem Unternehmen die Themenfelder Wirkung und Schutz auf beeindruckende Weise. Wie beeinflussen sich diese Themenfelder gegenseitig und welches Thema sehen Sie momentan vorne?

Man kann nicht davon sprechen, dass ein Thema gegenüber dem anderen „vorne“ ist. Dass wir etwas von Panzerungen verstehen, hilft uns sicherlich bei der Entwicklung von effektiven Panzerabwehrwaffen. Umgekehrt gilt dies natürlich genauso. Jedoch sind unsere Schulterwaffen ganz klar auf die einschlägigen gegnerischen, also nicht durch die Bundeswehr oder Verbündete genutzten, Systeme optimiert. Und unser Schutz wiederum soll diejenigen Bedrohungen neutralisieren, die unseren oder verbündeten Streitkräften in ihren Einsätzen entgegenstehen.

Schauen wir einmal genauer auf die Reaktivschutzpanzerung. Zusätzlicher Schutz bedeutet auch zusätzliches Gewicht. Wo sehen Sie die konkreten Vorteile einer Reaktivpanzerung gegenüber modernsten aktiven Schutzsystemen und können Sie uns einen Ausblick auf die Weiterentwicklung der Reaktivschutzpanzerung geben?

Im Falle von Reaktivschutz führt zusätzlicher Schutz eben nicht zu höherem Gewicht, das Gegenteil ist der Fall! Um die gleiche Schutzwirkung gegen Hohlladungen mit passiver Panzerung zu erreichen, müssten um ein Vielfaches höhere Flächengewichte eingesetzt werden. Ich möchte hier jedoch keine Vor- oder Nachteile von passivem, reaktivem und aktivem Fahrzeugschutz gegeneinander ausspielen.

Alle drei Technologien sind „Schichten“, die miteinander wirken und unerlässlich zu einem optimalen Schutz dazugehören. Die Frage ist nicht: Das Eine oder das Andere. Sondern wie können diese drei Schutzelemente bestens zusammen auf eine Plattform integriert werden.

Am 8. September 2023 eröffneten Sie auf Ihrem Werksgelände ein neues „Gießzentrum“. Welche Bedeutung hat diese Infrastrukturmaßnahme für Ihre Kompetenzen in Burbach und was wird hier konkret „gegossen“?

Im Allgemeinen bedeutet ein neuer Fertigungskomplex immer die Erhöhung der industriellen Kapazität. Dies ist der erste und einschlägigste Vorteil dieser Erweiterung. Ich erwähnte ja bereits, dass wir aufgrund unseres rasanten Wachstums an unsere infrastrukturellen und kapazitären Grenzen stoßen.

Im Speziellen erschließen wir mit dem neuen Gießzentrum eine neue Kompetenz im Bereich spezieller Gefechtskopf- und Ladungsgeometrien: Einige Varianten unserer RGW-Serie erfordern die Verarbeitung ihrer Explosivstoffe in Gießprozessen anstelle der seit vielen Jahrzehnten bei anderen Varianten angewandten Pressverfahren. Dies konnten wir bisher nur im kleinen Maßstab. Mit dem neuen Gießzentrum versetzen wir uns in die Lage, Ladungen zum Beispiel für die Wirkmittel 90mm-Familie in deutlich größeren Stückzahlen als zuvor zu produzieren.

Eine kurze abschließende Frage mit einem leichten Augenzwinkern: Wenn nicht in Ihrem Büro, wo treffen wir Sie auf dem Werksgelände der DND am häufigsten?

Leider treffen Sie mich auf dem Werksgelände abseits meines Büros seltener an, als ich es mir wünschen würde. Denn sowohl das Tagesgeschäft als auch die vielen aktuellen Entwicklungen erfordern eine sehr hohe Reisetätigkeit im nationalen und internationalen Rahmen. Daher sind Auto und Flugzeug oftmals notgedrungen meine „Ersatzbüros“.

Mit WhatsApp immer auf dem neuesten Stand bleiben!

Abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen:

Beitrag teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Anzeige

Verwendete Schlagwörter

DNDDynamit Nobel DefenceInterviewRainer Krug
Index