Kampfwerterhalt Patriot und neue Fähigkeiten

Eine neue Produktionslinie für Patriot-Lenkflugkörper könnte schon bald in Schrobenhausen aufgebaut werden. Es wäre die derzeit einzige Produktionslinie außerhalb der USA. An der Umsetzung arbeiten derzeit MBDA und Raytheon. Die Bundeswehr und europäische Patriot-Nutzerstaaten könnten von der neuen Fertigungslinie zukünftig profitieren. Deutschland würde damit befähigt, der aktuellen Bedrohungslage zu begegnen sowie Patriot bei der Bundeswehr bis mindestens 2048 einzusetzen.
Die Zusammenarbeit zwischen der Luftwaffe und MBDA auf der Test- und Referenzanlage (TuRA) PATRIOT in Freinhausen hat sich bereits bei mehreren Testkampagnen bewährt.
Das Waffensystem Patriot besteht aus mehreren Einzelkomponenten, die auf Lkw montiert sind. Dies ermöglicht eine hohe Mobilität des Systems. Diese Aufnahme entstand auf der MBDA Test- und Referenzanlage (TuRA) Patriot in Freinhausen, auf der schon mehrere Testkampagnen in Zusammenarbeit mit der Luftwaffe stattgefunden haben.
Foto: MBDA

Patriot ist ein bodengestütztes Flugabwehrraketensystem zur Verteidigung gegen Flugzeuge, Marschflugkörper und ballistische Mittelstreckenraketen. Es ist bereits seit vielen Jahren im Einsatz. Das Konzept für ein mobiles und allwettertaugliches Raketenflugabwehrsystem entstand bereits im Jahr 1961 bei der US Army, die auch heute noch die „technische Federführung“ für dieses Waffensystem innehat.

Auf Basis der aus dem Konzept „Army Air Defence System-1970“ abgeleiteten Forderungen wurde im Jahr 1966 eine Spezifikation erstellt und anschließend eine Ausschreibung durchgeführt. Nach Prüfung der Angebote erhielten die beiden Firmen Raytheon und Lockheed den Zuschlag zur Entwicklung des dann SAM-D genannten Projektes.

Es folgten umfangreiche und langjährige Entwicklungsarbeiten, Tests und Abnahmeserien. Im Jahr 1984 wurde schließlich die erste Einheit bei der US Army in Dienst gestellt. In den folgenden Jahren bis heute unterliegt das Waffensystem Patriot in verschiedenen Ausbaustufen ständigen Weiterentwicklungen und Anpassungen an die jeweilige aktuelle Bedrohungslage.

Patriot in der technischen Ausgestaltung

Das Waffensystem Patriot besteht aus mehreren Einzelkomponenten, die auf Lkw montiert sind. Dies ermöglicht eine hohe Mobilität des Systems. Die einzelnen Teilsysteme sind entweder über Kabelverbindungen oder aber Funkverbindungen miteinander verbunden. Im Rahmen des Fähigkeitserhalts Patriot werden Sattelauflieger eingeführt und anschließend eingesetzt werden.

Multifunktionsradar mit Entdeckungsentfernung von 180 km und Freund-Feind-Erkennung

Wichtigstes Element neben dem Flugkörper selbst ist der Sensor, ein Multifunktionsradar. Das Radar funktioniert entsprechend dem Prinzip einer passiven, frequenzgesteuerten Phased-Array-Antenne, bei der der Sendepuls durch die einzelnen Elemente der Phased-Array-Antenne hindurch gesendet wird und nach Reflexion durch ein Flugziel über die passiven Empfangselemente empfangen und zur Signalverarbeitung geleitet wird. Frequenzbereich und Pulsdauer ermöglichen dabei die gleichzeitige Entdeckung von Zielen, die Ermittlung der Zieldaten, die Zielverfolgung und die Suche nach weiteren Luftzielen im Track-While-Scan-Verfahren. Die Radarreichweite wurde im Laufe der Jahre immer wieder angepasst und ermöglicht in der aktuellen Ausbaustufe eine Entdeckungsentfernung von etwa 180 km.

Im Radar integriert ist eine Freund-Feind-Erkennungsfunktion (IFF). Hierbei wird durch eine elektronische Abfrage der Flugziele und gleichzeitigem Aufbau eines Datenlinks zu den abgefeuerten Lenkflugkörpern eine Bekämpfung eigener freundlicher Flugzeuge ausgeschlossen. Die Freund-Feind-Erkennung und das Track via Missile werden dabei jeweils über eigene Verfahren durchgeführt. Ebenfalls integriert sind elektronische Gegenmaßnahmen, wie zum Beispiel eine Nebenkeulenunterdrückung der Empfangsantenne, zur Abwehr elektronischer Kampfmaßnahmen.

Die hohe Anzahl gleichzeitig zu verfolgender Ziele sowie die gleichzeitige Lenkung von mehreren Flugkörpern auf mehrere Ziele machen das Radar zu einer außerordentlich leistungsfähigen Systemkomponente.

Wie bereits erwähnt unterliegt das System und damit auch das Radar ständigen Verbesserungen und Anpassungen an die Bedrohungslage. So wurde bereits anfangs der 2000er Jahre im Rahmen des PAC-3-Upgrade das verbesserte AN/MPQ 65 eingeführt und damit das System umfassend modernisiert. Damit konnte das durchsuchte Raumvolumen, die Zielidentifikation, die Bedrohungserkennung und die maximale Zielgeschwindigkeit deutlich verbessert werden.

Richtfunkübertragung, Feuerleitstand, Kampfführungsgefechtsstand und mehr

Zum System gehört weiterhin eine Antennenmastanlage, die mehrere Patriot-Einheiten über Richtfunkstrecken miteinander verbindet. Die Richtfunkübertragung selbst ist durch hohe Redundanz und Störfestigkeit gekennzeichnet.

Weitere Teilsysteme sind der Feuerleitstand, der Kampfführungsgefechtsstand sowie der Gefechtsstand des Einheitsführers selbst. Der Feuerleitstand des Systems ist eine der wenigen bemannten Komponenten. Von hier aus wird der Feuerkampf geführt. Dabei erhalten die dort eingesetzten Soldaten die Feueranweisungen vom Kampfführungsgefechtsstand und setzen diese in Feuerbefehle um. Im Kampfführungsgefechtsstand als zentraler übergeordneter Führungsstelle werden die taktischen Entscheidungen auf der Kampfführungsebene, in der Regel ist dies die Ebene Bataillon, getroffen und an die Feuerleitstände weitergegeben. Er verfügt über umfangreiche Kommunikationsmittel, so z.B. Link-Verbindungen wie Link 16, MIDS-LVT und andere, die es dem eingesetzten Personal erlauben, mit den angeschlossenen Waffen-, Aufklärungs- und Führungsplattformen zu kommunizieren und Zieldaten sicher und schnell auszutauschen. Dem Einheitsführer selbst steht daneben eine weitere Kabine als Gefechtsstand zur Verfügung.

Ein wichtiges Element im mobilen Einsatz ist eine sichere Stromversorgung. Hierfür stehen zwei Stromerzeugeraggregate (SEA) mit jeweils 2 x 150 kW Leistung sowie ein kleineres SEA mit 2 x 30 kW zur Verfügung.

Aktuell eingesetzte Flugkörper GEM-T und PAC-3 MSE

Was wäre allerdings ein Flugabwehrraketensystem ohne seine Effektoren, die Flugkörper? Wie auch das Radar wurden seit Einführung des Systems Patriot die zum System gehörenden Flugkörper in einem ständigen Prozess weiterentwickelt und der Bedrohung aus der Luft angepasst.

Von der Basisversion MIM-104A bis zu den zuletzt eingeführten Flugkörpern der PAC-3 liegen viele Jahre wachsender technischer Expertise, operationeller Erfahrungen und Veränderungen in den bedrohungsgerechten Anforderungen an Abwehrflugkörper. Vom Feststofftriebwerk, über den genutzten Raketentreibstoff bis hin zum Zünder reicht der Umfang der Änderungen, die es ihrerseits wieder ermöglichen, eine höhere Fluggeschwindigkeit der Rakete, damit verbunden höhere Reichweiten und auch eine optimierte Flugsteuerung, zu erreichen. Auch auf Zünderebene im Gefechtskopf konnten durch Einsatz digitaler Annäherungszünder und dem verbauten Radar im Zielsuchkopf erhebliche Verbesserungen gegenüber der Ursprungsversion erreicht werden.

Die heute in Deutschland genutzten Flugkörper der Version PAC-2 GEM+ (GEM-T) sind bedrohungsgerecht gegen ballistische Mittelstreckenraketen oder Marschflugkörper ausgelegt und technologisch auf dem neuesten Stand. Neben dem GEM-T wird in der Bundeswehr auch der PAC-3 MSE-Flugkörper eingesetzt. Die Bestückung der Startgeräte erfolgt nach Bedarf: entweder vier GEM-T oder acht PAC 3-Flugkörper oder in Mischbeladung mit 4 PAC-3-Flugkörpern und GEM-T. Mit den MSE-Flugkörpern konnte sowohl eine Kosten-Nutzen-Steigerung bei den Flugkörpern, als auch eine Leistungsverbesserung durch Verwendung eines sogenannten Doppelpulsmotors erreicht werden. Hierbei sorgt eine erste Stufe für die Beschleunigung in der Startphase, nach Ausbrennen dieser Sektion erfolgt der weitere Flug antriebslos. Für den Endanflug wird dann das Raketentriebwerk erneut gezündet und ermöglicht es, die Lenkwaffe mit hoher Agilität ins Ziel zu bringen.

Patriot in der Zukunft

Insbesondere mit Blick auf die European Skyshield Initiative (ESSI) sind Maßnahmen zur weiteren Indiensthaltung und Modernisierung des Waffensystems Patriot erforderlich. Der Fähigkeitserhalt hierfür ist bis weit über das Jahr 2030 hinaus beabsichtigt, eine Systemmodernisierung ist ebenfalls Teil von ESSI.

MBDA Deutschland ist Hauptauftragnehmer für die deutschen Patriot-Systeme. Die Firma betreibt in Deutschland eine industrielle Einrichtung zur Wartung, Instandhaltung und Weiterentwicklung des Waffensystems. Die Firma MBDA in Schrobenhausen ist berechtigt und befähigt, alle Upgrade-, Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Waffensystem und durchzuführen.

Wartung und Instandhaltung durch Joint Venture COMLOG

Speziell für die Wartung und Instandhaltung der Lenkflugkörper wurde bereits im Dezember 1987 das aus jeweils 50%-Anteilen der Firmen MBDA und Raytheon Missiles and Defence bestehende Unternehmen COMLOG gegründet. COMLOG ist dabei im Auftrag des nationalen Projektmanagements Patriot verantwortlich für die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der deutschen Flugkörper sowie der Flugkörper der europäischen Patriot-Nutzernationen. Dies beinhaltet „Maintainance“ und „Repair and Return“. Im Rahmen dieses Einsatzbereitschaftsprogramms müssen die Flugkörper alle 15 bis18 Jahre zu einer „großen Inspektion“. Hierbei werden dann nach den entsprechenden Prüfungen (Sicht- und Funktionsprüfungen, Zuverlässigkeitsprüfungen etc.) falls erforderlich Subsysteme repariert. Der Flugkörper ist im Anschluss zur weiteren Nutzung rezertifiziert.

Neben den Maßnahmen, die an den Flugkörpern vorgenommen werden müssen, müssen weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der ständigen Einsatzbereitschaft der Systeme erfolgen.

Verträge mit dem BAAINBw zur Betreuung des Patriot-Systems

MBDA ist der industrielle Partner des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in der Betreuung des Patriot-Systems. Nach der Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), das Waffensystem Patriot bis ins Jahr 2048 in Dienst zu halten, sind kontinuierliche Maßnahmen zum Erhalt der Einsatzreife erforderlich. Sie finden vor allem ihren Niederschlag in den Bereichen Radargerät, Startgerät und Kommunikation. Dazu werden jährlich Verträge zum nationalen Änderungswesen, sog. ETB (Entwicklungstechnische Betreuungs)-Verträge, Verträge zur Technisch-Logistischen Betreuung (TLB), Verträge zum Änderungsdienst der Technischen Dienstvorschriften (GAF T.O.; TDv), zur Softwarepflege und -änderung, zu systemtechnischen Untersuchungen, zur Systemverträglichkeit und zur Betriebsbereitschaft der Test und Referenzanlage GE Patriot (TuRA) geschlossen.

Mit der Einführung einer modernen, IP-basierten Netzinfrastruktur wurde in Freinhausen ein neues Kapitel in Sachen Kommunikation aufgeschlagen. Sämtliche Systemverifikationen erfolgen direkt an der Anlage.
Mit der Einführung einer modernen, IP-basierten Netzinfrastruktur wurde auf der MBDA TuRA in Freinhausen ein neues Kapitel in Sachen Kommunikation aufgeschlagen. Sämtliche Systemverifikationen erfolgen direkt auf der Anlage.
Foto: MBDA

Upgrade-Maßnahmen auf der Test- und Referenzanlage

Die TuRA spielt für alle Systemkomponenten eine bedeutende Rolle. So wurde erst kürzlich an der TuRA eine umfangreiche Upgrade-Maßnahme in der größten, jemals in Deutschland durchgeführten Test-Kampagne überprüft. Damit wird noch in diesem Jahr der Bundeswehr das modernere Patriot-System zur Verfügung stehen. Insbesondere im Datentransportnetz durch die Ablösung des veralteten PCM-Netzes, aber auch durch ein Upgrade der Startgeräte auf die PAC-3 MSE-Konfiguration, sowie im Bereich des Radars die Digitalisierung des Radar-Prozessors und der Ersatz der Krypto- und Funkgeräte sind ein großer Schritt hin zu dem notwendigen Fähigkeitserhalt bis ins Jahr 2048.

Ghost-eye möglicher neuer Hauptsensor als Ersatz für AN/MPQ 65

Aber auch über die genannten Maßnahmen hinaus sind weitere Schritte denkbar. In den USA wird bereits seit längerer Zeit an einem neuen Hauptsensor als Ersatz des eingeführten AN/MPQ 65 gearbeitet. Das neue Radar, das Ghost-eye, bietet eine vergrößerte Antennenfläche, die aus einer deutlich erhöhten Anzahl jetzt aktiver, auf Basis von Galliumnitrit realisierter, Sende-Empfangselemente besteht, ist der notwendige Schritt in die Zukunft, um auch in der Zukunft gegen die Masse der Luftbedrohung gewappnet zu sein.

Anpassung der Trägerplattformen

Für Deutschland ergibt sich auch im Bereich der Startgeräte Handlungsbedarf. Die derzeit eingesetzten mobilen Plattformen stammen allesamt aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts und werden auf absehbare Zeit nicht länger versorgbar sein. Die Startgeräte haben eine deutlich größere Breite und benötigen daher angepasste Trägerplattformen. Dies muss angegangen werden. Die Plattformen, die die Kabinen tragen, werden aktuell Stück für Stück durch Fahrzeuge der neuen UTF-Generation ersetzt.

Europäische Fertigungslinie für GEM-T-Flugkörper in Schrobenhausen in Planung

Im Zuge der Analysen des aktuellen Ukraine-Konfliktes wurde deutlich, dass auch im Bereich der Munition und damit im Bereich der Flugkörper ein erhöhter weiterer Bedarf besteht. Erste Gedanken zum Aufbau einer eigenen europäischen Fertigungslinie für den GEM-T-Flugkörper neben den Fertigungslinien in den USA sind gemacht worden, müssen aber weiterverfolgt und seitens des BMVg unterstützt werden. Hier geht es nicht nur um die erforderlichen infrastrukturellen und personellen Entscheidungen, sondern auch um den erforderlichen langwierigen Zertifizierungsprozess durch die US-Seite, damit mit einer Produktion in Deutschland begonnen werden kann. MBDA hat hier den Vorteil, dass bereits eine zertifizierte Upgrade-Linie in Schrobenhausen vorhanden ist, auf deren Basis die Fertigungslinie eingerichtet werden könnte.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Waffensystem Patriot nicht nur ein technisch ständig weiterentwickeltes, sondern auch ein zuverlässiges, in unterschiedlichen Szenarien erprobtes Einsatzmittel ist, das mit entsprechenden Upgrade- und Weiterentwicklungsmaßnahmen bis ins Jahr 2048 einsatzbereit gehalten werden muss und kann.

Autor: Rainer Krug, Chefredakteur cpmFORUM

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