Der Ukraine helfen – damit sich 1945 nicht in 2025 wiederholt

Die Ukraine steht vor der Schicksalsfrage ihrer Existenz. Wird sie sich verteidigen können? Werden 40 Millionen Ukrainer in ihrer Heimat einen Platz zum Leben behalten? Wird ihre Kultur in einem großen Butscha in alle Winde zerstreut? Die Hilfe, die wir leisten und die Hilfe, die wir unterlassen, entscheidet darüber. Wir stehen vor der Frage, ob die Ukraine erfolgreich gegen Putins Angriffskrieg besteht – oder ob 2025 die größte Flüchtlingsbewegung seit 1945 in Gang gesetzt wird – auch nach Deutschland. Wir haben es in der Hand.

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, MdB Dr. Marcus Faber, macht sich vor Ort in der Ukraine ein Bild des Krieges. Hier der Besuch des mittlerweile zerstörten Parc Hotels in Charkiw, in dem der Abgeordnete noch bei seiner Reise im vergangenen Jahr gewohnt hatte.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, MdB Dr. Marcus Faber, macht sich vor Ort in der Ukraine ein Bild des Krieges. Hier der Besuch des mittlerweile zerstörten Parc Hotels in Charkiw, in dem der Abgeordnete noch bei seiner Reise im vergangenen Jahr gewohnt hatte.
Foto: Felix Bornemann

Charkiw hatte vor dem Krieg mehr Einwohner als München. Das merke ich nicht, wenn ich morgens den Bahnhof verlasse. Der Bahnhofsvorplatz ist leer. Die Ruhe wird nur vom „Notfallalarm“ auf dem Handy unterbrochen – Raketen im Anflug. Aus der Ruhe bringen lässt sich davon niemand. Warum hat jeder verstanden, der nach zwei Stunden den zehnten „Notfallalarm“ empfängt.

Charkiw hat lange nicht mehr so viele Einwohner wie München. Die meisten sind vor den Bombardierungen der Invasionstruppen geflohen. Besser wurde es erst, seit die Ukrainer die Abschussbasen in Russland ins Visier nehmen können. Sie nehmen sie ins Visier mit ukrainischen Waffen, die sie von Verbündeten empfangen haben.

Frontbesuch, hier auf einer Panzerhaubitze 2000 (PzH 2000) der 43. Artilleriebrigade im Oblast Charkiw.
Frontbesuch, hier auf einer Panzerhaubitze 2000 (PzH 2000) der 43. Artilleriebrigade im Oblast Charkiw.
Foto: Yehor Chernev (https://tinyurl.com/FBChernev)

Es gibt in der Ukraine keine amerikanischen Bradley und keine deutschen Leopard 2. Es gibt keine amerikanischen HIMARS und keine deutschen Panzerhaubitzen. Es gibt nur ukrainische Waffen, mit denen die Ukrainer sich gegen den Angriffskrieg aus dem Nachbarland verteidigen. Und davon gibt es zu wenig. Die Situation in Charkiw bessert sich erst, seit die Ukrainer diejenigen beschießen, von denen sie in Charkiw beschossen werden.

Die einfache Regel, dass die Territorien von Angreifer und Verteidiger Kriegsgebiet sind, muss beherzigt werden, damit ein Angriff unattraktiv wird.

Ohne Strom durch den Winter – der Terror Putins

Städte werden bombardiert. Die Bevölkerung wird terrorisiert. Systematisch soll den Ukrainern die Lebensgrundlage entzogen werden. Zum achten Mal wird das Stromkraftwerk, dass ich in Charkiw besuche, gerade wieder aufgebaut. Ersatzteile sind inzwischen Mangelware. Wie soll man in einer Großstadt durch den Winter kommen, wenn es nur noch vier Stunden Strom und Heizung pro Tag gibt?

Während in Deutschland Einige von Verhandlungen schwadronieren, entzieht Putin in der Ukraine einem Volk systematisch die Lebensgrundlage. Ihm ist eine Ukraine ohne Ukrainer lieber. Die Kostenfrage von Waffenlieferungen an die Überfallenen wird neu bewertet, wenn man dagegen Millionen zusätzlicher Geflüchteter setzt, deren Heimat von Putin unbewohnbar gebombt wurde. Deutschland hat ein Eigeninteresse, dass die Ukrainer weiter in der Ukraine leben können.

Putin muss seinen Willen nicht bekommen. Das wird nördlich von Charkiw klar, wo die Besatzung einer Panzerhaubitze die Artillerie der Invasionstruppen lautstark dezimiert. Die Besatzung ist mit dem Material zufrieden. Ausgebildet im pfälzischen Idar-Oberstein, schwärmt sie von der Panzerung, die fast allen Bedrohungen des Feindes trotzt. Gegen die Kamikaze-Drohne, die nach dem Feuerkampf die Haubitze in ihrem Unterschlupf sucht, hat man sicherheitshalber dennoch einiges an Deckung gebaut. Im Gespräch mit der Besatzung bin ich vor Ort für diese Umsicht dankbar.

Im Gespräch mit den Besatzungen auch der ehemals deutschen PzH 2000 erfuhr MdB Dr. Marcus Faber die dringendsten Probleme der ukrainischen Streitkräfte.
Im Gespräch mit den Besatzungen auch der ehemals deutschen PzH 2000 erfuhr MdB Dr. Marcus Faber die dringendsten Probleme der ukrainischen Streitkräfte.
Foto: Yehor Chernev
Ukraine kompensiert Mangel an Munition durch Drohnen

Die Ukrainer könnten mit der gelieferten Artillerie die Besatzer auf Distanz halten, wenn sie denn ausreichend Munition hätten. Sie haben sie aber nicht. Die Produktion in Europa und den USA deckt nicht annähernd den Bedarf. Russland produziert mehr und bekommt Lagerbestände aus Nordkorea und dem Iran. Diktaturen halten zusammen.

Die Ukraine kompensiert den Mangel mit Drohnen. Inzwischen werden mehr Artillerieschläge durch Drohnen ausgeführt als durch Artillerie. Es ist nicht genug, um die Invasionstruppen zum Rückzug zu nötigen, aber der Stolz auf die heimische Produktion zur Selbstverteidigung schwingt mit. Das ist gut. Das ist aber nicht genug, um Putins Angriffskrieg abzuwehren.

Die Schicksalsfrage Europas

Demokratien müssen auch zusammenhalten. Es gibt in der westlichen Welt genug Luftverteidigung, um die Bombardierungen der Invasionstruppen abzuwehren, aber niemand will selbst liefern. Die Demokratien drohen mit kurzfristigem Egoismus ihre mittelfristige Stabilität zu riskieren. Sie unterschätzen die Risiken eines Zusammenbruchs der Ukraine für sich selbst. Desinformationskampagnen aus Moskau werden von den fünften Kolonnen am rechten und linken Rand des politischen Spektrums dankbar umgesetzt.

Diese mehrfach zerstörte Energieinfrastruktur in Charkiw beweist den Krieg Russlands gegen die ukrainische Zivilbevölkerung.
Diese mehrfach zerstörte Energieinfrastruktur in Charkiw beweist den Krieg Russlands gegen die ukrainische Zivilbevölkerung.
Foto: Felix Bornemann

Vor uns liegt der Lackmustest unserer Zeit. Wir haben es in der Hand Europa zu einem friedlichen Kontinent zu machen, in dem die Völker einander auf Augenhöhe respektieren. Dafür ist es notwendig, dass wir uns nicht verschämt wegdrehen, wenn der Schulhofschläger sich ein neues Opfer sucht.

Für unsere Zukunft auf einem friedlichen Kontinent ist es wichtig, dass wir denen helfen, deren Frieden gestört wird. Der Frieden unserer Nachbarn ist auch unser Frieden. Nur er garantiert uns eine Zukunft, in der wir in Schulen und Krankenhäuser investieren können – und nicht in Abschreckung investieren müssen.

Autor: MdB Dr. Marcus Faber, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages

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