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Wie Friedensgarantien wirklich funktionieren

Im Kontext eines möglichen Friedens in der Ukraine reden alle über Garantien – doch kaum jemand darüber, was sie wirklich wert sind. Unser heutiger Gastbeitrag zeigt, warum vergangene Versprechen gescheitert sind, welche Formen von Sicherheitsgarantien es gibt und weshalb Frieden nur dann Bestand hat, wenn Machtstrukturen statt Symbolpolitik entscheiden. Basierend auf den Erkenntnissen der Masterarbeit von Alexander Gerhardt am Department of International Relations der University of St Andrews schreiben er und Dr. Christian Hübenthal, Herausgeber lagebild.media, über funktionierende Friedensgarantien. Alexander Gerhardt promoviert derzeit am Lehrstuhl für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt bei Prof. Dr. Sönke Neitzel, der Artikel erschien zuerst bei lagebild.media.

Collage über Friedensgarantien: UN Blauhelm mit Splitterschutzweste, Alexander gerhardt, Dr. Christian Hübenthal (v.l.n.r.)
Collage: UN Blauhelm mit Splitterschutzweste, Alexander Gerhardt, Dr. Christian Hübenthal (v.l.n.r.)
UNUnited Nations Blauhelm mit Splitterschutzweste. (Mission UNOSOMUnited Nations Operation in Somalia II Somalia 1993-94). Fotos: Bundeswehr / Bernd Huster; lagebild.media

Die USA drängen in diesen Tagen auf einen schnellstmöglichen Frieden in der Ukraine, auch unter Inkaufnahme eklatanter Nachteile für die Ukraine und einer fragwürdigen Gerechtigkeit dieses Friedens. Die USA wollen ihrer Vorstellung nach einem Friedensrat vorstehen und mittels Sicherheitsgarantien sowohl die Souveränität der Ukraine als auch einen multidimensionalen Frieden zwischen Russland, Europa und der NATO insgesamt erschaffen.

Hierbei wird von bisher nicht konkretisierten „Garantien“ gesprochen. Doch unabhängig von der Gerechtigkeit des Friedens, stellt sich die Frage: Kann ein auf Garantien beruhender Frieden überhaupt stabil sein? Bereits im April 2025 hatten 26 Staaten zugesagt, der Ukraine nach einem möglichen Waffenstillstand Sicherheitsgarantien zu gewähren. Frankreichs Präsident Macron sprach in Paris von einer historischen Vereinbarung, an der sich eine breite Allianz von Partnern beteiligen werde – teils durch militärische Unterstützung, teils durch Ausrüstung und Ausbildung.

Alle Friedensbemühungen, egal ob von den oder Europa, beinhalten zentral den Begriff der Garantie. Hinter der symbolischen Ausdrucksweise bleibt die entscheidende Frage offen:

Wie müssen Garantien ausgestaltet sein, um tatsächlich realistisch abschreckend zu wirken?

Es ist daher nicht die Frage, ob ein Frieden Sicherheitsgarantien braucht, sondern wie sie ausgestaltet sein müssen, um glaubwürdig zu sein. Diese sind im 28-Punkte-Plan derzeit nicht konkretisiert. Frühere Erfahrungen, gerade im Fall der Ukraine, mahnen zur Vorsicht: Das Budapester Memorandum von 1994 versprach der Ukraine Schutz ihrer Souveränität – doch als Russland 2014 die Krim annektierte, blieben diese Zusagen folgenlos.

Auch die beiden Minsker Abkommen, die 2014 und 2015 einen Waffenstillstand erwirken sollten, zeigten die Schwäche von Abkommen ohne durchsetzungsfähige Mechanismen, insbesondere militärische Automatismen: Vereinbarungen auf dem Papier, die keine reale Machtbasis hatten, erwiesen sich als instabil. Heute steht die Zukunft der Ukraine erneut im Zentrum geopolitischer Auseinandersetzungen. Ihre Sicherheit kann nicht auf vagen Versprechen beruhen. Garantien müssen strukturell verankert sein, um glaubwürdig zu wirken – alles andere würde nur die Fehler der Vergangenheit wiederholen.

„Unsere Aufgabe in naher Zukunft, in kürzester Zeit, ist es, endlich den Feind zu besiegen“, sagte der Präsident von Russland, Wladimir Putin, erst gestern bei seinem Besuch der russischen Truppen in Kursk. Zu diesem Zeitpunkt lag der US-Vorschlag für eine 30-tägige Waffenruhe bereits vor.
„Unsere Aufgabe in naher Zukunft, in kürzester Zeit, ist es, endlich den Feind zu besiegen“, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin erst gestern bei einem Besuch der russischen Truppen in Kursk im März 2025. Zu diesem Zeitpunkt lag der US-Vorschlag für eine 30-tägige Waffenruhe bereits vor.
Foto: President of Russia

Der jüngste US-Plan schließt nach aktuellem Stand dagegen die Mitgliedschaft der Ukraine in der institutionellen Struktur der NATO höchstwahrscheinlich faktisch aus.

Die drei Arten der Sicherheitsgarantien

Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, unterschiedliche Modelle von Sicherheitsgarantien zu betrachten: von symbolischen Zusagen über vertragliche Vereinbarungen bis hin zu militärisch gestützten Absicherungen. Seit Kenneth Waltz’ Analyse der internationalen Politik ist klar: Reale Sicherheit zwischen Staaten entsteht nicht durch Absichten oder Verträge allein, sondern durch Strukturen (siehe: Kenneth Waltz (1979), „Theory of International Politics“).

Das internationale System ist anarchisch, es gibt keine übergeordnete Autorität. Staaten handeln deshalb nach einer Logik der Selbsthilfe und versuchen, durch Machtbalance ihre Sicherheit zu maximieren. Jede Sicherheitsgarantie ist somit nur so glaubwürdig, wie die zugrunde liegende Struktur, die sie absichert. Im Kontext der Ukraine bedeutet das: Politische Erklärungen oder diplomatische Formeln entfalten keine eigene Wirkung, wenn sie nicht durch Macht unterfüttert sind.

Sogenannte Sicherheitsdilemmata verstärken diese Logik. Denn was die eine Seite als Schutzmaßnahme versteht, wertet die andere als Bedrohung. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn A sich eine Pistole zur Verteidigung gegen Einbrecher anschafft, wird A für seinen Nachbarn B gleichzeitig ein potenzieller bewaffneter Einbrecher in dessen eigenem Haus.

Russland interpretierte im Licht seiner geopolitisch sinkenden Relevanz selbst symbolische Garantien zugunsten der Ukraine als strategischen Verlust. US-Präsident Obama bezeichnete im Jahr 2014 den ehemaligen Kernstaat der UdSSR als „regionale Macht“. Diese Spannungen aus dem Sicherheitsdilemma lassen sich nicht durch Appelle an Vertrauen oder Völkerrecht auflösen, sondern langfristig nur durch ein stabiles Kräfteverhältnis.

Waltz betont außerdem, dass internationale Institutionen oder multilaterale Abkommen nur so lange Bestand haben, wie sie durch das Machtinteresse starker Akteure gedeckt sind. Bezogen auf die Ukraine wirken Garantien also nur dann abschreckend, wenn dahinter reale Durchsetzungsfähigkeiten stehen – etwa militärische Präsenz, verlässliche Bündnispartner oder die glaubhafte Androhunghoher Opportunitätskosten für den Angreifer, gemessen in Mensch und Material.

Vor diesem Hintergrund ist es entscheidend, dass jede Diskussion über Sicherheitsgarantien auf ihre strukturelle Substanz reduziert wird. Die Frage lautet nicht, ob sich Staaten einigen können, sondern ob sie bereit sind, Macht so einzusetzen, dass Sicherheitsgarantien wirklich etwas garantieren. Wie diese Logik in der Praxis aussehen könnte, zeigt sich in drei möglichen Szenarien für Sicherheitsgarantien.

Symbolische Sicherheitsgarantien durch Zusagen

Ein erster Ansatz für Sicherheitsgarantien bestünde in Maßnahmen, die vor allem politischsymbolischen Charakter haben. Dies wären internationale Erklärungen, diplomatische Zusagen oder die Entsendung von UN-Blauhelm-Truppen und Beobachtern. Solche Formen sind in internationalen Konflikten weit verbreitet, weil sie auf den ersten Blick einen Kompromiss zwischen den Parteien ermöglichen, ohne dass eine Seite erhebliche Ressourcen investieren muss.

Eine mongolische Soldatin im UN-Einsatz im Südsudan. Auch die Bundeswehr stellt Soldatinnen und Soldaten für die Mission der UN-Blauhelme. Foto- Gregorio Cunha:UNMISS
Eine mongolische Soldatin im UN-Einsatz im Südsudan. Auch die Bundeswehr stellt Soldatinnen und Soldaten für die Mission der UN-Blauhelme.
Foto: UNMISS / Gregorio Cunha

Sie signalisieren Handlungsbereitschaft, ohne den Preis realer Machtprojektion zu zahlen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass solche Garantien in asymmetrischen Konflikten nur sehr begrenzte Wirkung entfalten. Schon das Budapester Memorandum von 1994, in dem die Ukraine im Gegenzug für den Verzicht auf ihr Atomwaffenarsenal Zusicherungen zu ihrer territorialen Integrität erhielt, war letztlich nichts anderes als ein politisches Versprechen ohne Durchsetzungsmechanismus. Als Russland 2014 die Krim annektierte, erwiesen sich die Beteuerungen der Unterzeichnerstaaten als wertlos.

Im Ergebnis sind also Sicherheitsgarantien strukturell unglaubwürdig, solange keine harte Machtbasis besteht. Bezogen auf die Ukraine ist die einzig harte Machtbasis militärische Durchsetzungsfähigkeit, wie die Tatsache beweist, dass es bereits 19 europäische Sanktionspakete gegen Russland gibt und der Krieg dennoch kein Ende findet.

Auch die Option einer UN-Friedensmission für die Ukraine würde an denselben Grenzen scheitern. Blauhelme besitzen keine Mandate zur militärischen Verteidigung gegen Russland. Ihre vermeintliche Stärke liegt in der Stabilisierung von Waffenstillständen, nicht in der Abschreckung von Angriffen.

Russland müsste eine solche Mission zudem akzeptieren – was angesichts seiner Vetomacht im UN-Sicherheitsrat faktisch ausschließt, dass die Truppen ein robustes Mandat erhalten könnten. Damit wären Blauhelme eher Statisten als eine wirksame Sicherheitsgarantie. Solche symbolischen Garantien bergen zudem die Gefahr, Sicherheit im Anschein zu leisten, diese aber nicht real zu schaffen.

Für die Ukraine würde das bedeuten, dass ihre Position im internationalen System nicht gestärkt, sondern (erneut) nur vertagt wird. Ein solches Szenario verschiebt die Machtbalance nicht. Es trägt dazu bei, Zeit zu gewinnen, aber nicht dazu, eine langfristig stabile Lösung zu sichern. Ein realistisches Urteil ist somit: Symbolische Sicherheitsgarantien bleiben Frieden auf dem Papier – politisch bequem, real wirkungslos, wenn militärisch nicht durchsetzbar und dadurch strukturell instabil.

Vertragliche Sicherheitsgarantien: Stabilität durch Abkommen?

Ein zweites Szenario für die Ukraine wäre die Absicherung eines Friedens durch vertragliche oder institutionalisierte Garantien. Darunter fallen bilaterale Sicherheitsabkommen mit einzelnen Staaten wie den USA, Frankreich, Großbritannien oder Deutschland, ebenso wie multilaterale Arrangements mit der EU, der NATO oder einem eigens geschaffenen Bündnis. Hier setzt auch der jüngst vorgeschlagene 28-Punkte-Plan der USA an.

Solche Modelle haben den Vorteil, dass sie auf den ersten Blick verbindlicher wirken als rein symbolische Zusagen. Sie schaffen rechtliche und diplomatische Verpflichtungen, die den Handlungsspielraum von Partnerstaaten eingrenzen und damit zumindest einen gewissen Abschreckungseffekt erzeugen.

Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu erklärte im März 2025, sein Land werde der Ukraine zukünftig Geheimdienstinformationen zur Verfügung stellen.
Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu erklärte im März 2025, sein Land werde der Ukraine zukünftig Geheimdienstinformationen zur Verfügung stellen.
Foto: ECPAD

Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit sind die Minsker Abkommen von 2015. Diese sahen konkrete Schritte zur Deeskalation vor, darunter Waffenstillstandslinien und den Rückzug schwerer Waffen. Auf dem Papier wurde damit ein Rahmen geschaffen, der Stabilität sichern sollte. In der Praxis fehlte jedoch jede glaubwürdige Durchsetzungskraft.

Weder gab es robuste Kontrollmechanismen noch die Bereitschaft der Garantiemächte, darunter auch Deutschland, Verstöße tatsächlich effektiv zu sanktionieren. Die Minsker Abkommen waren daher von Beginn an fragil. Die Machtbalance blieb unverändert, die strukturelle Unsicherheit der Ukraine gegenüber Russland wurde nicht beseitigt, wenn nicht sogar durch dessen latente hybride Kriegsführung und fortlaufende politische Agitation verstärkt.

Für die Gegenwart ließe sich ein ähnlicher Mechanismus in Form neuer bilateraler Abkommen denken. Denkbar wäre etwa eine Vereinbarung mit den USA, wie aktuell mit dem 28-PunktePlan diskutiert, und einer möglichen Beteiligung ausgewählter Staaten, die dann wahrscheinlich ein separates Bündnis eingehen müssten – mutmaßlich in faktischer Konkurrenz zur NATO.

Deutschland signalisierte zuletzt, dass es sich an solchen Garantien beteiligen würde, allerdings unter klarer Betonung, dass die Ukraine selbst am Verhandlungstisch sitzen müsse, was derzeit nicht der Fall ist. Hierin liegt ein entscheidender Punkt: Abkommen, die „über die Köpfe“ des betroffenen Staates hinweg geschlossen werden, haben historisch gezeigt, dass sie zu dessen Nachteil ausfallen – das Beispiel München 1938 ist ein perfektes Beispiel hierfür.

Dennoch bleibt die strukturelle Schwäche dieses Szenarios bestehen: Verträge allein können keine Machtbalance ersetzen. Zumindest sofern sie nicht durch militärische Präsenz, klar definierte Verteidigungsmechanismen oder die Androhung hoher Kosten im Falle eines Bruchs ergänzt werden, drohen sie wie die Minsker Abkommen zu bloßen diplomatischen Hüllen zu werden. Vertragliche Garantien sind somit mehr als Symbolik, aber weniger als echte Abschreckung. Sie können Vertrauen schaffen und politische Koordination erleichtern – doch ohne harte Substanz bleibt die Gefahr eines Friedensbruchs bestehen.

Militärisch gestützte Sicherheitsgarantien: Abschreckung durch Substanz

Ein drittes Szenario könnte auf militärische Präsenz und Fähigkeiten als Kern jeder glaubwürdigen Sicherheitsgarantie setzen. Diese Variante ist die Einzige, welche die strukturellen Bedingungen tatsächlich verändert und damit eine realistische Abschreckung erzeugt.

Noch im September 2024 sagte Donald Trump bei seinem Treffen mit Wolodymyr Selenskyj, dass der Präsident der Ukraine „durch die Hölle gegangen“ sei. „Und sein Land ist durch die Hölle gegangen wie nur wenige Länder – so etwas ist noch nie passiert. Niemand hat so etwas je gesehen. Es ist eine schreckliche Situation“, so Trump seinerzeit. Die heutige Verkündung auf X spricht allerdings eine ganz andere Sprache.
Noch im September 2024 sagte Donald Trump bei seinem Treffen mit Wolodymyr Selenskyj, dass der Präsident der Ukraine „durch die Hölle gegangen“ sei. „Und sein Land ist durch die Hölle gegangen wie nur wenige Länder – so etwas ist noch nie passiert. Niemand hat so etwas je gesehen. Es ist eine schreckliche Situation“, so Trump seinerzeit. Die heutige Verkündung auf X spricht allerdings eine ganz andere Sprache.
Foto: Office of the President of Ukraine

Politische Zusagen oder diplomatische Abkommen können bestenfalls ergänzen, sie ersetzen aber nicht das Vorhandensein von Macht, die im Ernstfall eingesetzt werden kann. Abschreckung funktioniert nur dann, wenn ein möglicher Aggressor mit hohen, unausweichlichen Kosten rechnen muss. Diese können politischer, wie auch wirtschaftlicher Natur sein.

Politische Kosten

Eine zentrale Möglichkeit liegt in der festen Stationierung robuster westlicher Truppen in der Ukraine. Schon ein begrenztes, jedoch klar umrissenes Kontingent hätte erhebliche politische Wirkung, weil ein Angriff auf die Ukraine automatisch auch die Soldaten von Garantiemächten träfe, mithin dem Wirkprinzip der internationalen Kontingente der NATO nachempfunden wäre. Jede beteiligte Nation wäre unmittelbar mit eigenen Truppen betroffen. Damit wäre eine internationale Eskalation nicht hypothetisch, sondern automatisiert.

Der militärische Wert solcher Kontingente mag überschaubar sein, ihr politischer Wert jedoch ist enorm – ähnlich wie die Präsenz westlicher Truppen in West-Berlin während des Kalten Krieges. Sie konnten die Stadt nicht verteidigen, wohl aber den politischen Preis eines Angriffs so hochsetzen, dass er rational kaum in Betracht kam. Genau diese „Tripwire“-Funktion könnte auch in der Ukraine eine entscheidende Rolle spielen.

So kämen als Treiber politischer Kosten für einen erneuten Friedensbruch bilaterale Verteidigungsabkommen mit substanziellem Charakter in Betracht, etwa zwischen der Ukraine und den USA, Großbritannien, Polen oder Deutschland. Entscheidend wäre, dass solche Verträge nicht nur symbolische Solidaritätsformeln enthalten, sondern konkrete Mechanismen.

Dazu gehören gemeinsame Verteidigungsplanungen, abgestimmte Manöver, permanente militärische Berater vor Ort oder die Nutzung von Militärbasen durch Partnerstaaten. Ziel wäre es, dass ein Vertragsbruch nicht nur die Ukraine träfe, sondern automatisch die Interessen der Garantiemacht berührt und sie so faktisch in den Konflikt hineinzieht. Nur dann erzeugt ein Vertrag die Glaubwürdigkeit, die aus realpolitischer Sicht notwendig ist.

Wirtschaftliche Kosten

Doch militärisch gestützte Garantien bedeuten nicht nur Präsenz von außen, sondern auch den massiven Ausbau der Fähigkeiten der Ukraine selbst. Eine erfolgreiche Abschreckung erfordert, dass das Land so ausgestattet ist, dass es jeden Angreifer vor untragbare Kosten stellt.

Diese „Stachelschwein-Strategie“ setzt darauf, die Ukraine so zu bewaffnen, dass sie zwar nicht alles verteidigen kann, aber jeden Angriff für den Angreifer teuer und riskant macht. Luftverteidigungssysteme, moderne Drohnenabwehr, Panzerabwehrwaffen, weitreichende Artilleriesysteme und eine eng verzahnte Integration in westliche Aufklärungs- und Kommandostrukturen sind dafür unverzichtbar. Dies wäre eine echte Verschiebung der Machtbalance: Indem die Ukraine selbst stärker wird, verändert sie die strukturelle Ausgangslage, die über Krieg und Frieden entscheidet.

In der aktuellen Diskussion, angestoßen vom 28-Punkte-Plan der USA, ist jedoch keiner der oben genannten Maßnahmen vorgesehen. Im Gegenteil: In einem möglichen Friedensabkommen soll das ukrainische Militär sogar verkleinert werden – über europäische oder gar US-amerikanische „Boots on the Ground“ ist nie die Rede.

Besonders interessant ist eine wirtschaftliche Betrachtung derzeit außerdem, weil die Ukraine in diesem Fall mutmaßlich sogar vielen ihrer Garantiepartner einen Schritt voraus ist. Bezogen auf die wirtschaftlichen Kosten steht der Westen derzeit nämlich in strategischem Nachteil gegenüber Russland. Der weitreichende Einsatz unbemannter Systeme verschaffte zunächst der Ukraine mit ihrem großem Innovationsreichtum einen Kostenvorteil. Russland hat seinerseits im Bereich ELOKA seine Fähigkeiten nunmehr ausgebaut und, wesentlich durch Import, eine erhebliche Menge unbemannter Systeme aufgebaut.

Eine iranische Shahed 136 bei einer Ausstellung in Kermanshah.
Eine iranische Shahed 136 bei einer Ausstellung in Kermanshah.
Foto: wikimedia / Fars Media Corporation

Diese kostengünstigen Systeme kamen beispielsweise bei den russischen Grenzverletzungen in polnischem Luftraum Anfang September 2025 zum Einsatz. Die Systeme kosteten 10.000 Euro bis 30.000 Euro. Die NATO reagierte und ließ F-35 II aufsteigen, deren Start bereits mehr als 10.000 Euro kostet, das System selbst über 100 Mio. Euro. Die Ukraine setzt ähnlich günstige Systeme bereits lange ein und sie hat gelernt, diese zu entwickeln und zu produzieren. Praktisch alle europäischen Staaten sind derzeit nicht in der Lage, eine kosteneffektive Antwort auf derartige Bedrohungen zu formulieren.

Die Ukraine ist hier nicht nur ein zu beschützender Partner, sondern ein technologisch hochinteressanter Partner zur Füllung einer Fähigkeitslücke in Europa.

Sowohl das Budapester Memorandum wie auch die Minsker Abkommen belegen, dass Garantien ohne harte Substanz den Frieden nicht sichern, sondern seine strukturelle Fragilität geradezu konservieren. Militärisch gestützte Garantien dagegen verändern diese Logik, weil sie die Kosten-Nutzen-Kalkulation des Aggressors fundamental verschieben. Dieses Szenario ist die einzig langfristig tragfähige Option. Es erfüllt die Bedingung, dass Frieden nicht von guten Absichten oder diplomatischen Formeln abhängt, sondern von Strukturen, die Verhalten erzwingen.

Garantien, die auf militärischer Präsenz, auf bindenden Verträgen mit klaren Konsequenzen und auf einer massiven Selbststärkung der Ukraine beruhen, bauen ein Netz auf, das Russland in seiner strategischen Handlungsfreiheit begrenzt. Ein Angriff würde nicht nur einen lokalen Gegner treffen, sondern eine ganze Kette externer Interessen und Reaktionsmechanismen auslösen.

Damit entsteht der Unterschied zu allen anderen Formen von Garantien: Nur dieses Szenario verhindert, dass Frieden strukturell gebrochen wird. Wo Abkommen ohne Substanz an ihre Grenzen stoßen, schafft militärische Absicherung die einzige Form von Glaubwürdigkeit, die in einer anarchischen Welt(un)ordnung zählt. Für die Ukraine bedeutet das, dass Sicherheit niemals billig zu haben sein wird – aber nur in Form harter, substanzgestützter Garantien wird sie überhaupt realistisch.

Frieden ist kein Geschenk – Frieden wird erkauft durch Abschreckung

Die Analyse zeigt, Sicherheitsgarantien für die Ukraine sind nur dann glaubwürdig, wenn sie strukturell unterfüttert sind. Entscheidend ist, dass jede Garantie die Kosten-Nutzen-Kalkulation eines möglichen Angreifers so verändert, dass Eskalation unattraktiv wird.

Frieden für die Ukraine wird also nicht durch diplomatische Erklärungen oder Verträge gesichert, sondern durch Strukturen, die Angriffe unattraktiv machen. Die treffendste Metapher dafür ist die des Stachelschweins: ein Tier, das keinen Angriff sucht, aber jeden Angreifer verwundet zurücklässt. Auch die Ukraine muss so ausgestattet werden, dass jeder Versuch, sie zu unterwerfen, an den Kosten scheitert.

Die Geschichte zeigt, dass schon kleine, aber sichtbare Garantien eine gewaltige Wirkung entfalten können. In West-Berlin reichte die Präsenz weniger westlicher Soldaten, um eine ganze Stadt unangreifbar zu machen – nicht, weil diese sie hätten verteidigen können, sondern weil ihr Angriff den politischen Preis in die Höhe trieb.

Für die Ukraine gilt heute dasselbe Prinzip: Substanz zählt, nicht Worte. Garantien werden teuer sein – finanziell, politisch, strategisch. Doch die entscheidende Frage lautet nicht, ob man sich diesen Preis leisten kann, sondern ob man sich den Preis des Nichtstuns leisten will. Denn ohne Stacheln bleibt Frieden Illusion – und sein Bruch ist strukturell vorprogrammiert.

Autoren:
Alexander Gerhardt,
Dr. Christian Hübenthal

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