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FKH: Rüsten wir für den richtigen Gegner?

Das Herbst-Symposium des Förderkreises Deutsches Heer e. V. (FKH) trug den Titel „Wirkung als Schlüssel für die Durchsetzungsfähigkeit von Landstreitkräften“, und fand am Standort der Dynamit Nobel Defence GmbH statt. Einer der Hauptvortragenden war der Abteilungsleiter Planung im Kommando Heer, Brigadegeneral Wolfgang Jordan. Dieser stellte fest: „Wirkungsüberlegenheit lässt sich nur im Verbund über alle Domänen hinweg erzielen.“ Die Rahmenbedingungen sind durch die internationale Sicherheitslage vorgegeben. Dazu gehört die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) an der NATO-Ostflanke genauso wie weiterhin das Internationale Krisenmanagement (IKM) zum Beispiel in den Regionen Afrika, Naher Osten, Balkan etc. Gerade die Ostflanke wird in Zukunft noch mehr Kräfte der Bundeswehr in den Partnerländern binden.

Unsichere Zeiten: Beim Herbst-Symposium des FKH wurden die zukünfitgen Aufgaben und Belastungen des deutschen Heeres besprochen.
Unsichere Zeiten: Beim Herbst-Symposium des FKH wurden die zukünfitgen Aufgaben und Belastungen des deutschen Heeres besprochen.
Foto: Bundeswehr/Stollberg

Planen wir für heute und nicht die Zukunft?

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine richten sich alle Blicke dahin. Was zeigt uns der Konflikt, was können wir daraus lernen, und vor allem was bedeutet das für die Umgliederung der Bundeswehr. Es zeigt sich, dass Russland große Verluste in der Ukraine hinnehmen muss. Der Aggressor hat aber noch größere Reserven. Und das gilt für Personal und Material. Als Beispiel kann laut OSINT-Daten Russland rund 200 Panzer pro Monat produzieren. Das sind 2.400 pro Jahr, was können die europäischen Hersteller bzw. Europa dem entgegenstellen?

Daher stellt sich die Frage, war die viel beschworene Zeitenwende die Rolle rückwärts oder der perspektivische Aufbau zu einem kriegstüchtigen Heer in Europa? Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, unter anderem der politische Wille, aber auch der demografische Wandel und die Ausrichtung der Industrie (auf eine Kriegsproduktion?). Was bedeuten also die Bekenntnisse der Politiker zur Zeitenwende oder eine Aussage des Inspekteurs Heer „Gewinnen wollen, weil wir gewinnen müssen bzw. kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen!“.

Brigadegeneral Jordan zeigte in seinem Vortrag auf, was das konkret schon heute für das Deutsche Heer bedeutet. Unter anderem eine Kräfteverdreifachung und Anmeldung an deutschen Beiträgen gegenüber der NATO. Hinzu kommt eine frühere Verfügbarkeit der Kräfte, zum Beispiel der ersten Division bereits im Jahr 2025. Die Kräfte müssen zudem schneller einsetzbar sein, mit einer höheren Kaltstartfähigkeit und für eine langfristigere Bindung. Das heißt, auch die Quantitäten müssen erhöht werden in Bezug auf Personal und Material. Hier sind Gefechtsfahrzeuge genauso wie Munition zu nennen. Eine Vollausstattung ist daher zwingend erforderlich.

Hinzu kommt der Modernisierungsdruck gerade im Hinblick auf die Digitalisierung, Funkgeräte etc. sowie der sogenannte Lückenschluss, zum Beispiel bei der Flugabwehr und anderen Fähigkeiten, die vor Jahren aufgegeben wurden. Und immer bleibt die Frage, reicht das? Ein Beispiel sind die Versorgungsraten. Diese sollen die Kräfte für einen bestimmten Zeitraum für ein hochintensives Gefecht mit allem notwendigen ausreichend versorgen. Mit Blick auf die Ukraine ist aber fraglich, ob diese Berechnungen groß genug sind, denn dort wird deutlich mehr innerhalb von 24 Stunden verbraucht. Und es werden Dinge in Massen benötigt – nicht nur Treibstoff, Nahrung und Munition – die in Deutschland eher als Nichtverbrauchsgüter betrachtet werden, unter anderem Drohnen aller Art. Und diese Betrachtung richtet sich an den heutigen russischen Streitkräften aus.

General Jordan zeigte die Absicht des russischen Verteidigungsministeriums und seine Planungen bis 2026 auf. Diese beinhalten:

  • Erhöhung des Streitkräfteumfangs auf 1,5 Millionen Soldaten
  • Bildung zwei neuer Militärbezirke mit der strategischen Ausrichtung gen Westen
  • Drei neue Mot-Schützen-Divisionen und ein Armee-Korps in Republik Karelien (liegt direkt an der Grenze zu Finnland)
  • Auswuchs von sieben Mot-Schützen-Brigaden zu sieben Mot-Schützen-Divisionen
  • Bildung einer Artilleriereserve in jedem Militärbezirk, inklusive sogenannter Hochleistungsartilleriebrigaden
  • Eine Armeefliegerbrigade pro Armee
  • Aufstellung von zwei zusätzlichen Luftsturmdivisionen

Laut offiziellen Kernzahlen hat Russland schon heute 1.330.900 Soldaten, davon 830.900 aktive, 250.000 Reservisten sowie 250.000 Paramilitärs. Daher ist davon auszugehen, dass die oben genannten 1,5 Millionen aktive Soldaten sein werden. Wenn sich unsere Planung aber an dem heutigen Russland ausrichtet, ist dann bei der Erkenntnis dieses Aufwuchses nicht schon ein Fehler im System an sich? Müssen wir und Europa uns nicht an den Zahlen für 2026 ausrichten? Auch wenn Brigadegeneral Jordan betonte, dass das Ziel 2026 verfehlt wird und man eher von einer Erreichung 2036 ausgeht.

Neben dieser schieren Masse muss sich das Heer bei LV/BV aber auch auf Bedrohungen wie taktische ballistische Raketen mit Stationierungen in Kaliningrad und Belarus einstellen. Die M/9K720 Iskander‐E (SS-26 STONE) hat eine Reichweite von 500 km, und kann damit das gesamte Baltikum, Polen und Teile Deutschland bedrohen. Hinzu kommen Operationen unterschiedlicher Spezialkräfte mit Fähigkeiten zur Aufklärung in der Tiefe, Direct Action oder militärische Ausbildungshilfe bei Verbündeten. Hier muss Deutschland seinen Blick auch auf den Schutz der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) werfen.

Daher bedarf es einem Kräfteverhältnis und Fähigkeitsmix sowie der oft angesprochenen Kaltstartfähigkeit, Abstandsfähigkeit (Artillerie bis 300 km) sowie Innovation und Modernisierung, resümierte General Jordan. Auch die Abwehr von Kleinstdrohnen – und deren Schwärmen – sei zwingend erforderlich. Eine Lessons Learned aus der Ukraine sei, dass eine Befähigung zum Kampf und damit die Siegfähigkeit nur dimensionsübergreifend erfolgt.

Um dieses zu erreichen, in der erforderlichen Zeit muss das Heer vor allem auf sogenannte Commercial- oder Military-of-the-Shelf (COTS/MOTS) zurückgreifen. General Jordan mahnte aber: „Planung (Eigenentwicklung, Anm. d. Red) muss dennoch weiterhin als Innovationstreiber betrachtet werden. Neben dem Ziel MOTS nach Möglichkeit zu nutzen, um schneller zu werden. Kompromiss zwischen schnell dank MOTS und (Weiter-)Entwicklungen müssen gefunden werden, um auch in Zukunft eine technische Überlegenheit zu haben. Das geht nur gemeinsam mit und innerhalb der Industrie.“ Und weiter: „Gerade bei der Zukunftsfähigkeit wird immer die Einbindung von KI sein.“

Der General wies bei der Veranstaltung des FKH auch darauf hin, dass bei der materiellen Realisierung aber auch Verzicht in Teilbereichen gefordert ist, anders wird es nicht umsetzbar sein. Die materielle Realisierung des Zielbilds Einsatzkräfte Heer beinhaltet laut einer Folie von Brigadegeneral Jordan: Zeit, Verzicht, Systemzusammenhänge, Anpassung von Systemen, andere Fähigkeitsforderungen, Anpassung von Umfängen, Wirkung vor Deckung, Priorisierungen sowie (ein anderes) Mindset. Das Leitmotiv ist Kriegstauglichkeit und Zukunftsfähigkeit inkl. einer schnellen Anpassungsfähigkeit. „Rüsten und Planen ins Ungewisse“!

Umsetzung laut Symposium beim FKH

Für die Brigade Mittlere Kräfte ist ein FOC (Full Operational Capability) bis 2027 vorgesehen. Dies beinhaltet auch den Zulauf von Waffensystemen wie dem Schützenpanzer Rad, dem Schweren Waffenträger Infanterie, der Radhaubitze RCH 55, das Zukünftige System des Indirekten Feuers kurze Reichweite (ZukSysIndirF kRw-Mörser) zur Unterstützung für infanteristisch eingesetzte Kräfte und mit einer Reichweite von 300 bis 8.000 Metern, das Brückenlegesystem (BrlSys) MLC 50, das Zukünftige Minenräumsystem Mittlere Kräfte (Zuk MiRSys mKr) Rad, Luftverteidigungssystems für den Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS TP3), das Thema Laser sowie Drohnen (Aufklärung & Wirkung) bzw. Loitering Ammunition.

Weitere Themen sind das Nutzungsdauerende (NDE) des Schützenpanzer MARDER im Jahr 2030 und der vollständige Ersatz durch den SPz PUMA, das NDE des WaTr WIESEL und der Ersatz durch den Luftbeweglichen Waffenträger (LuWa). Auch hier machte General Jordan Aussagen zur Ausstattung: „[Die aktuelle Planung] ist auch ein Ergebnis der Zeitenwende. Sie führt zum deutlichen Aufwuchs in der Domäne Wirkung. Ohne sie könnte vieles nicht, oder nicht so früh realisiert werden. Der SPz MARDER wird komplett durch den SPz PUMA abgelöst. Dieser wird verbessert und kriegstauglich gemacht. Zunächst wird das Flugabwehrsystem Skyranger, später IRIS-T SL – beide auf der BOXER-Plattform – eingeführt.

Weiterhin bedarf es Artillerie-Raketenwerfer-Systeme mit bis zu 300 km Reichweite.“ Noch einmal wurde darauf hingewiesen, dass die Mittleren Kräfte der Innovationstreiber des Heeres sind! Sie sind der operative Türkeil, dank hoher Kaltstart- und Verlegefähigkeit, so der General. Er wies aber auch darauf hin, dass klar ist, dieser Verband hat seine Schlagkraft nicht über die Plattform des Schweren Waffenträgers. Dieser Verband hält nur einen Raum, aus dem die Wirkung per Streitkräftegemeinsame Taktische Feuerunterstützung (STF) erfolgt.

In der Planung fehlen noch die flächendeckende Integration der Panzerpioniersysteme sowie UXS/Loitering Ammuntion.

Einer der Zuhörer bei der Veranstaltung des FKH fragte, ob aktuell nicht ein Heer gerüstet wird, dass in Zukunft nicht mehr bezahlbar, bzw. unterhaltbar ist. Vor allem wenn sich Meinungen nach der nächsten Bundestagswahl ändern.

Trends in der Heeresentwicklung

Zum Abschluss fasste General Jordan die Trends in der Heeresentwicklung zusammen. Diese sind: Robustheit, Einfachheit, Abstandsfähigkeit, Agilität, Vernetzung, Autarkie, Interoperabilität, Kaltstartfähigkeit, Virtualisierung sowie Automatisierung. Wobei die Reihenfolge der Aufzählung keinerlei Bedeutung für eine Gewichtung hat. Als Ergebnis steht die Kriegstüchtigkeit!

André Forkert

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