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Flugkörper- und Drohneneinsatz in der Ukraine

Russland setzt eine Vielzahl von ballistischen, hypersonischen Flugkörpern sowie Drohnen ein, um militärische und zivile Ziele in der Ukraine anzugreifen. In diesem Beitrag aus unserem cpmFORUM beschreibt Dr. Georg Bahmeier, Geschäftsführer der AMDC GmbH, die verschiedenen Arten dieser Waffen, ihre Funktionsweise und die Herausforderungen, die mit ihrer Abwehr verbunden sind.

Flugkörper: Schema: Abwehr von hypersonischen Bedrohungen mit hochagiler Oberstufe von IRIS-T HYDEF-Lenkflugkörpern (Oberstufe oben im Bild). Die Realisierung der Unterstufen ist modular flexibel gestaltet.
Schema: Abwehr von hypersonischen Bedrohungen mit hochagiler Oberstufe von IRIS-T HYDEF-Lenkflugkörpern (Oberstufe oben im Bild). Die Realisierung der Unterstufen ist modular flexibel gestaltet.
Abbildung: Diehl Defence

In der Ukraine werden fast täglich Luftangriffe auf militärische und zivile Ziele geflogen. Dabei setzt Russland vor allem unbemannte Fluggeräte ein, von denen man grob drei Klassen unterscheiden kann:

  • Ballistische und hypersonische Flugkörper
  • Marschflugkörper
  • Drohnen langer Reichweite

So wurden zum Beispiel am 22.03.2023 nach ukrainischen Quellen 41 ballistische und hypersonische Flugkörper, 47 Marschflugkörper und 63 Shahed-Drohnen auf die Ukraine abgefeuert. Darunter waren auch zwölf ISKANDER-M und 7 KINSCHAL, die zu den hypersonischen Flugkörpern gezählt werden. Mehrmals in der Woche kommt es zu russischen Angriffen in dieser Größenordnung.

ISKANDER-M und KINSCHAL sind Hypersonic Boost Glide Vehicle (HBGV), also Flugkörper, die mit einem integrierten Booster auf Hyperschallgeschwindigkeit beschleunigt werden können. Sie sind in der Lage, eine sehr flache ballistische Flugbahn mit einem Apogäum unter 100 km zu fliegen und anschließend einen hypersonischen Gleitflug durchzuführen. Allerdings können sie auch als rein ballistische Flugkörper verwendet werden und es ist aktuell unklar, ob Russland diese Flugkörper mit rein ballistischen Flugbahnen oder mit ballistisch/hypersonischen Flugbahnen einsetzt.

Es ist schwierig sich ein zuverlässiges Bild vom Flugkörpereinsatz zu machen. Bezüglich des Einsatzes der KINSCHAL veröffentlichen sowohl die Ukraine als auch Russland sehr häufig Meldungen, deren Wahrheitsgehalt mindestens teilweise fragwürdig ist. Vergleicht man die Meldungen allerdings, kann man durchaus ein plausibles Bild gewinnen. So kann z. B. davon ausgegangen werden, dass Russland bis Mitte April 2024 bereits an die 80 KINSCHAL eingesetzt hat. Auch könnte eine signifikante Anzahl davon – 26 laut ukrainischen Quellen – durch PATRIOT-Systeme abgewehrt worden sein. Die S-300-Systeme der Ukraine sind hierzu nicht in der Lage.

Seit einiger Zeit wird auch vereinzelt der Einsatz von KN-23 gemeldet. Russland hat eine unbekannte Zahl dieser Flugkörper von Nordkorea erworben. Die KN-23 ist etwas größer und leistungsfähiger als die ISKANDER-M und sehr wahrscheinlich auch in der Lage als Hypersonic Boost Glide Vehicle verwendet zu werden. Jedenfalls legen diverse nordkoreanische Tests der letzten vier Jahre mit großer Schussweite und kleinem Apogäum dies nahe.

Darüber hinaus scheinen nun auch ZIRKON, neue hypersonische Seeziel- bzw. Marschflugkörper, von Russland eingesetzt worden zu sein. Es sind Trümmerstücke gefunden worden, die mit 3M-22 – der Typbezeichnung der ZIRKON – beschriftet sind. In der Ukraine wurde versucht, das Design der ZIRKON aus den Trümmern zu rekonstruieren. Die Rekonstruktion deutet darauf hin, dass der ZIRKON-Flugkörper eventuell eine Weiterentwicklung des BRAHMOS-Flugkörpers mit Ramjet-Antrieb sein könnte und keine komplette Neuentwicklung mit Scramjet-Antrieb. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Annahme mit der Realität übereinstimmt.

Generell kann gesagt werden, dass die bisher in der Ukraine eingesetzten hypersonischen Flugkörper keine „Gamechanger“ sind, sondern offensichtlich von sehr leistungsfähigen Luftverteidigungssystemen wie z. B. PATRIOT abgewehrt werden können. Aufgrund der Kombination von sehr hoher Fluggeschwindigkeit und sehr kleinem Radarquerschnitt der hypersonischen Flugkörper erscheint jedoch eine Voreinweisung, z. B. durch raumgestützte Sensorsysteme, für die Abwehr als dringend geboten.

Nur so ist eine effiziente Dislozierung von Abwehrsystemen möglich, da größere Schutzbereiche zu einem geringeren Bedarf an Abwehrsystemen führen. Die USA verfügen bereits über solche raumgestützten Sensorsysteme (SBIRS) und die europäischen NATO-Staaten täten sicherlich gut daran, ebensolche Fähigkeiten aufzubauen.

Das EDF-Projekt ODIN’S Eye könnte der erste Schritt zu einem solchen raumgestützten Sensorsystem sein. Darüber hinaus könnten fortschrittliche neue Flugkörper wie die im Rahmen der EDF-Projekte HYDEF und HYDIS konzipierten neuen Abwehrflugkörper die Leistungsfähigkeit einer europäischen Flugkörperabwehr – auch in Bezug auf hypersonische Flugkörper – deutlich verbessern.

Während sich gegen hypersonische Flugkörper leistungsfähige und wirtschaftlich umsetzbare Abwehrkonzepte abzeichnen, sieht es im Bereich der Drohnen/UAS deutlich schlechter aus. Dies liegt u. a. daran, dass beide Kriegsparteien den Drohnenkrieg ständig weiterentwickeln. So werden z. B. mit den sogenannten FPV (First Person View) Drohnen und den SHAHED-Drohnen zwei Drohnentypen in großen Stückzahlen eingesetzt, die zu Beginn des Ukraine-Konfliktes als militärische Mittel noch weitgehend unbekannt waren.

Gegen beide Drohnentypen gibt es noch keine überzeugenden Abwehrsysteme. Ähnliches gilt für Aufklärungsdrohnen, die mittlerweile nicht mehr über feindlich besetztem Gebiet aufklären, sondern aus sicherer Entfernung der Artillerie oder Angriffsdrohnen Ziele zuweisen.

Zusätzlich problematisch sind ständige qualitative Weiterentwicklungen. Dabei ist die Ukraine kreativer, aber Russland kopiert neue Techniken und verfügt über wesentlich mehr Ressourcen, die u. a. zum Aufbau großer Fertigungskapazitäten genutzt wurden. Beispiele für qualitative Weiterentwicklungen sind z. B. große Trägerdrohnen, die FPV-Drohnen transportieren und nach deren Abwurf als Funkrelais dienen.

Vor kurzem wurde auch eine erste russische FPV-Drohne mit Glasfaserkabel gefunden, die durch elektronische Störmaßnahmen nicht mehr beeinflusst werden kann. Außerdem fliegen russische LANCET-Kampfdrohnen ihre Ziele nicht mehr geradlinig an, sondern mit starken vertikalen Manövern, was die Abwehr durch Hardkill-Systeme deutlich erschweren dürfte.

Neben neuen technischen Fähigkeiten wird auch der taktische Einsatz von Drohnen verbessert. Beispielsweise werden Aufklärungs- und Kampfdrohnen im Verbund eingesetzt, wodurch sich die Einsatzeffektivität der Kampfdrohnen deutlich verbessert.

Je mehr in Zukunft Counter-UAS-Systeme verfügbar sein werden, desto mehr wird das taktische Zusammenwirken unterschiedlicher Drohnentypen an Bedeutung gewinnen. Hinzu kommt der elektronische Kampf als weiterer integraler Bestandteil von Drohnenoperationen. Es stellt sich nun für viele Armeen die Frage, wie man auf die exponentiell ansteigende Bedrohung, insbesondere durch kleine unbemannte Systeme (<25 kg), reagieren soll.

Die Beschaffung von Counter-UAS-Systemen kann hier nur ein erster Schritt sein. Mittel- und langfristig wird man kaum vermeiden können, ähnliche Wege zu gehen wie Russland und die Ukraine, wobei letztere bereits dabei sind, Drohnenbrigaden aufzustellen. Dazu kommt, dass nicht nur unbemannte fliegende Systeme eingesetzt werden. Auch schwimmende und fahrende Drohnen erscheinen immer mehr auf dem Gefechtsfeld. Auch kämpfen bereits Drohnen gegen Drohnen.

AMDC ist der Auffassung, dass es ein klarer militärischer Trend ist, dass auf zukünftigen Kriegsschauplätzen Drohnen unterschiedlicher Typen in ständig steigender Zahl für gemeinsame komplexe Operationen eingesetzt werden – ähnlich wie dies heute mit bemannten Systemen geschieht. Dabei werden viele Drohnen direkt von Menschen im FPV-Mode gesteuert, da dies sehr wirksam und gleichzeitig kostengünstig ist. Natürlich gibt es auch einen Trend zu automatisierten oder autonomen Systemen, aber diese sind noch sehr komplex und teuer sowie teilweise politisch nicht gewollt.

Eine große Herausforderung bei der Beschaffung von kostengünstigen Drohnensystemen ist die schnelle und kontinuierliche Weiterentwicklung mit neu verfügbaren Technologien. Es erscheint problematisch, jetzt Kleindrohnen in großer Stückzahl zu beschaffen, da diese wahrscheinlich in wenigen Jahren schon wieder völlig veraltet wären.

Darüber hinaus sind die Fertigungskapazitäten und Lieferketten für große Stückzahlen nicht vorhanden. Hier müsste man in der Beschaffung ganz neue Wege gehen und z. B. die ständige Anpassung bereits beschaffter Systeme ermöglichen. Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang sicher auch die Standardisierung von Drohnensubsystemen sowie Schnittstellen.

Zusätzlich zu den technischen Fähigkeiten der unbemannten Systeme müssen auch Einsatzkonzepte für den taktischen Einsatz von Drohnen entwickelt werden. Zu diesem Zweck sind Übungs- und Experimentalserien gut geeignet. AMDC baut gerade ein mobiles „Drone Operation Testbed“ mit dem Ziel, dieses als Übungs- und Experimentalsystem für kombinierte Drohnenoperationen (offensiv und defensiv) zu nutzen.

Das Testbed steht in einer ersten Ausbaustufe seit Mai 2024 zur Verfügung.

 

Dr. Georg Bahmeier,
Geschäftsführer der AMDC GmbH

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