Neues Gesetz zur beschleunigten Beschaffung für die Bundeswehr

Heute bringt die Bundesregierung den „Entwurf eines Gesetzes zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr“ ins Kabinett. Die 60 Seiten umfassende Kabinettsvorlage liegt dem Defence Network vor. Die vier wesentlichen Neuerungen sind die Schaffung von mehr Ausnahmen beim Vergaberecht, eine Abkehr von der Los-Vergabe, eingeschränkte Klagemöglichkeiten für unterlegene Unternehmen sowie eine Stärkung europäischer Kooperationen. Viele wesentliche Hemmschuhe für eine schlankere Vergabepraxis, wie etwa die Anhebung des Schwellenwerts für eine Befassung des Parlaments von 25 Millionen auf beispielsweise 250 Millionen Euro, sind in dem Entwurf nicht enthalten.

Vor über einem Jahr verkündete der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz, dass Deutschland gemeinsam mit Großbritannien die moderne Radhaubitze RCH 155 beschaffen werde. Unter Vertrag ging sie für die Bundeswehr bisher allerdings noch nicht.
Vor über einem Jahr verkündete der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz, dass Deutschland gemeinsam mit Großbritannien die moderne Radhaubitze RCH 155 beschaffen werde. Unter Vertrag ging sie für die Bundeswehr bisher allerdings noch nicht.
Foto: KNDS Deutschland

Vor dem Hintergrund eines imperialistisch und gegen das Völkerrecht agierenden Russlands sowie einer weltweit veränderten sicherheitspolitischen Lage soll die Bundeswehr künftig schneller und effizienter ausgestattet werden können, so der Wunsch der Initiatoren des Gesetzes.

Interessanterweise ist dieses Gesetz allerdings nicht für die Ewigkeit gedacht, sondern hat in seinem Entwurf direkt ein Ablaufdatum mitgeliefert. § 20 lautet: „§ 8 tritt mit dem Ablauf des 31. Dezember 2030 außer Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz mit dem Ablauf des 31. Dezember 2035 außer Kraft.“

Russische Aggression trifft auf deutsche Beschaffung

„Der notwendige rasche Fähigkeitenzuwachs der Bundeswehr darf aber nicht an zu komplexen Beschaffungsverfahren oder zu langen Genehmigungsverfahren scheitern“, ist in der Gesetzesbegründung zu lesen. „Entscheidend ist der Faktor Zeit. Auch dem Geheimschutzaspekt muss bei allen militärischen Aktivitäten und Anlagen vor dem Hintergrund der aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen eine herausragende Rolle beigemessen werden. Hierfür sind weitere Beschleunigungen unter Beachtung des Geheimschutzes sowie des Schutzbedürfnisses der militärischen Anlagen auch im Rahmen von Vergabeverfahren zur Deckung von Bedarfen der Bundeswehr sowie in Bezug auf verschiedene Genehmigungsverfahren notwendig.“

Es dürfe nicht vergessen werden, welchen Kraftakt der notwendige Ausbau der Bundeswehr zur Abschreckung des aggressiven Russlands bedeute. Um die „Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr“ effektiv zu steigern, brauche es daher eine rechtliche und administrative Entlastung. Sprich, die bisherige Art der Beschaffung wäre zu umständlich und zu teuer. Hier setzt nun also der neue „Entwurf eines Gesetzes zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr“ an.

  1. Ausnahmen vom Vergaberecht

In mehreren Paragraphen des neuen Gesetzes werden dementsprechend Ausnahmen von den geltenden Vorschriften im Wettbewerbs-, Haushalts- und Umweltrecht definiert. So heißt es etwa in § 2, dass die „Versorgungssicherheit durch die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial einschließlich der Schaffung der erforderlichen Infrastruktur und Produktionskapazitäten“ immer ein „wesentliches Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik Deutschland“ sei und deshalb von den allgemeinen Vorschriften und der Forderung nach einer offenen europäischen Vergabe auszunehmen sei.

Dies ist zwar keine wirkliche Neuerung, da die Gerichte bisher in Streitfällen bei Bundeswehr-Aufträgen genau in diese Richtung entschieden haben, aber jetzt wurde es zumindest in einem Gesetz festgehalten.

Zudem schafft das Gesetz weitere Möglichkeiten zur Vergabe an einen Wunschanbieter. „Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ist auch zulässig, wenn die Fristen, die für das nicht offene Verfahren und das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind, nicht eingehalten werden können, weil dringliche zwingende Gründe dies nicht zulassen und eine kontinuierliche Leistungserbringung aus Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen sichergestellt werden muss“, ist in § 4 zu lesen. „Der Auftrag ist in diesem Fall auf den Umfang zu beschränken, der unabdingbar ist, um die Leistungserbringung bis zu einer wettbewerblichen Auftragsvergabe sicherzustellen. Dadurch können bestimmte Vergabeverfahren vereinfacht oder gänzlich ohne Wettbewerb durchgeführt werden. Auch Vorleistungen dürfen laut § 5 vereinbart werden, wenn sie eine höhere Beteiligung von Bietern erwarten lassen.“

Aspekte von Umweltschutz bzw. die Vorschriften zum Klimaschutz sind bei militärischen Vergaben für die Bundeswehr ebenfalls nicht mehr von Relevanz. § 6 regelt: „Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen ist im Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht anzuwenden.“

Zudem sollen Innovationen stärker gefördert werden, um die Bundeswehr mit modernsten Systeme zu versorgen. „Sofern keine marktverfügbaren Leistungen vorliegen, soll der Auftraggeber prüfen, ob die Leistungsanforderungen in Form funktionaler Leistungsbeschreibungen innovationsoffen ausgeschrieben werden können“, so § 14. „Eine Dokumentation der Prüfung nach Satz 1 ist nicht erforderlich.“

  1. Erleichterung und Flexibilisierung der Verfahren

„Zur Beschleunigung der Beschaffungsvorhaben sollen grundsätzlich im Rahmen der Markterkundung am Markt verfügbare Leistungen und Produkte identifiziert werden“, ist in § 7 zu lesen. „Bei Vorliegen von Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen kann der Auftraggeber ein Vergabeverfahren einleiten, ohne dass dessen Finanzierung bereits gesichert ist. Die nicht gesicherte Finanzierung ist in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen darzulegen.“

Weitere Erleichterungen soll der § 8 bringen durch das Abweichen vom Losgrundsatz: „Leistungen öffentlicher Bauaufträge müssen nicht in der Menge aufgeteilt und getrennt nach Art oder Fachgebiet vergeben werden.“

  1. Stärkung europäischer Kooperation

Ein eigener Abschnitt des Gesetzentwurfs regelt die Bevorzugung einer europäischen – nicht einer deutschen – Vergabe bei Bundeswehr-Aufträgen. „Abweichend von § 97 Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen dürfen Auftraggeber die Teilnahme an einem Vergabeverfahren zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens auf Bewerber oder Bieter beschränken, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig sind“, steht beispielsweise in § 11.

  1. Schnellere Rechtsverfahren

Während sich der Auftraggeber also durchaus weitere Rechte einräumt, werden diese bei den Bietern beschnitten. Bisher konnten unterlegene Bieter im sogenannten Nachprüfverfahren – oftmals erfolgreich – gegen Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe vorgehen.

„Abweichend von § 159 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist die Vergabekammer des Bundes für die Nachprüfung aller Vergabeverfahren im Anwendungsbereich dieses Gesetzes zuständig. Abweichend von § 160 Absatz 3 Satz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gilt § 160 Absatz 3 Nummer 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch in Fällen, in denen der Antragsteller Kenntnis von der beabsichtigten Vergabe hatte und ein Verstoß gegen Vergabevorschriften erkennbar war, bevor der Zuschlag in einem Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung erteilt worden ist“, ist in § 15 zu lesen.

Und: „Bei der Abwägung nach § 169 Absatz 2 Satz 1 sowie den Entscheidungen nach § 169 Absatz 2 Satz 6 und 7 und Absatz 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen überwiegen in der Regel die Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen als Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die mit einer Verzögerung der Vergabe für den Antragsteller verbundenen Vorteile.“

Hinzu kommt in § 16: „Abweichend von § 173 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung, wenn die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt hat. § 173 Absatz 1 Satz 2 und 3 sowie Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen finden in diesem Fall keine Anwendung.“

  1. Änderungen am Luftverkehrs- und Wettbewerbsrecht

Artikel 2 des Gesetzentwurfs enthält umfangreiche Anpassungen im Luftverkehrsgesetz, vor allem ebenfalls eine Stärkung der militärischen Belange. „Bauwerke dürfen nicht errichtet werden, wenn dadurch die folgenden Einrichtungen gestört werden können: 1. Flugsicherungseinrichtungen oder 2. stationäre militärische Einrichtungen zur Luftverteidigung“, beschreibt Artikel 2 und führt weiter aus: „Im Falle des Satzes 1 Nummer 1 entscheidet das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung auf der Grundlage einer gutachtlichen Stellungnahme der Flugsicherungsorganisation, ob durch die Errichtung der Bauwerke Flugsicherungseinrichtungen gestört werden können.“

In der Vergangenheit waren besonders Windräder immer wieder als Probleme identifiziert worden, da sie sowohl den tieffliegenden Luftverkehr als auch die Radarerfassung stören können.

Zudem lassen sich Luftwaffenstützpunkte nun einfacher und unbürokratischer aufbauen: „Das in § 8 vorgesehene Planfeststellungsverfahren entfällt, wenn militärische Flugplätze angelegt oder geändert werden sollen.“

Beschleunigung der Bundeswehr-Beschaffung?

Der „Entwurf eines Gesetzes zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr“ geht heute ins Kabinett. Das Bundesministerium der Verteidigung rechnet mit der Zustimmung der Parlamentarier und hat für den Mittag erst eine Pressekonferenz und dann ein Treffen mit Vertretern der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie angesetzt.

Inwieweit dieses neue Gesetz allerdings tatsächlich eine Beschleunigung der Bundeswehr-Beschaffung bewirkt, muss sich erst noch zeigen. Der praktische Nutzen ist durchaus fraglich. Schließlich entsprechen die benannten Ausnahmen von der europäischen Vergabe bereits heute der aktuellen Rechtsprechung. Die wirklich großen Hemmnisse werden wiederum nicht thematisiert – außer es geht zu Lasten der Industrie, wie das beschleunigte bzw. eingeschränkte Nachprüfverfahren.

Alle Punkte, in denen die Politik bzw. das Ministerium sich hätte einschränken müssen, wurden nicht behandelt. Dabei liegt die Verzögerung eher selten in den Nachprüfverfahren, die meisten Vergabeprozesse können sich auch ganz ohne Gerichte über Jahre bis Jahrzehnte schleppen.

Den Löwenanteil des Arbeitsaufwands machen zudem weiterhin die 25-Mio-Vorlagen aus. Diese vorzubereiten kostet, so Insider aus dem BAAINBw gegenüber Defence Network, deutlich mehr Arbeitszeit und Arbeitskräfte als alle anderen Beschaffungsvorgänge und blockiert dadurch die Kapazitäten im Beschaffungsamt der Bundeswehr. Deshalb wird seit Jahren eine Anhebung des Schwellenwerts von den bestehenden 25 Millionen auf einen inflationsbedingten neuen Wert von 250 Millionen Euro gefordert. Doch hiervon findet sich ebenso wenig im Gesetzentwurf, wie von einer Anerkennung der Zertifizierungen bzw. Prüfungen anderer Nationen oder sogar Unternehmen, dabei könnte auch dies eine deutliche Beschleunigung der Beschaffung bewirken.

Auch wenn dieser Entwurf gute Ansätze und wichtige Neuerungen enthält, sind die Chancen dennoch zu gering, dass dadurch tatsächlich die Probleme in der deutschen Beschaffung behoben werden. Immerhin, er bringt Verbesserungen. Aber eine Revolution angesichts der russischen Bedrohung sähe anders aus. Müsste anders aussehen. Schließlich geht es um die Verteidigung von Recht und Demokratie und Menschenwürde.

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