In den vergangenen zweieinhalb Jahren des Krieges mit Russland hat die Ukraine ihre Produktionskapazitäten im Verteidigungsbereich drastisch erhöht. Diese strategische Neuausrichtung zielt darauf ab, den militärischen Bedarf des Landes schrittweise zu decken und dabei weniger auf ausländische Unterstützung angewiesen zu sein. Allein im Jahr 2023 wird die ukrainische Rüstungsindustrie dreimal so viele Waffen und Ausrüstung produzieren wie 2022. Bis 2024 wird jede Griwna des ukrainischen Steuerzahlers in Militärausgaben fließen.
Die Ukraine verfügt über ein beträchtliches Potenzial zum Ausbau ihrer militärisch-industriellen Basis. Nach dem Zerfall der UdSSR verblieben 30 Prozent der industriellen Rüstungskapazitäten innerhalb der ukrainischen Grenzen. Das Land übernahm 750 Unternehmen und 140 technische Einrichtungen, es etablierte sich als wichtiger Hersteller von Verteidigungskomponenten und als Zentrum für die Wartung mit 30 Reparaturbetrieben.
Während die Ukraine die russische Aggression abwehrt, gewinnen die einheimischen Hersteller Einblicke in den operativen Bedarf der Streitkräfte – Erfahrungen, die für andere Länder bei der Optimierung ihrer verteidigungsindustriellen Basis wertvoll sein könnten.
Ukrainische Waffen: Erfolgreich in Gefecht
Mehrere von der Ukraine entwickelte Waffen haben sich auf dem Gefechtsfeld als außerordentlich wirksam erwiesen und wurden von den Streitkräften übernommen. Das Mehrfachraketensystem (MLRS) Vilkha-M hat mit 130 km eine größere Reichweite und zusätzlich eine höhere Nutzlastkapazität als die M142 HIMARS. Auch die Panzerhaubitze 2S22 Bohdana, eine 155mm-Panzerhaubitze, ist in ihren Fähigkeiten mit der französischen Caesar vergleichbar.
Die Bohdana kann sogar militärische und industrielle Ziele innerhalb Russlands treffen. Dies gab der Ukraine Fähigkeiten, lange bevor die Beschränkungen für den Einsatz westlicher Waffen zu diesem Zweck aufgehoben wurden.
Die R-360 MC Neptune, ursprünglich eine zwischen 2010 und 2020 entwickelte Anti-Schiffs-Rakete, wurde 2023 modernisiert, um zudem Bodenpositionen anzugreifen zu können. Die Ukraine hat auch ein schweres Panzerabwehrraketensystem, die Stugna-P, entwickelt, das sich in den ersten Monaten der russischen Invasion in vollem Umfang bewährte.
Eine weitere bemerkenswerte Entwicklung ist der Ausbau der ukrainischen Drohnenindustrie. Drohnen haben die Dynamik der Kriegsführung erheblich verändert, da sich mit relativ preiswerten Drohnen (etwa 450 Euro pro Stück) teure Artilleriegeschütze zerstören lassen. Diese Drohnen sind für die ukrainischen Streitkräfte, die ein halbes Jahr lang auf weitere US-Militärhilfe warteten, zu einem entscheidenden Faktor geworden. Im Jahr 2024 sind die ukrainischen Produktionskapazitäten für Drohnen sechsmal so hoch wie im Vorjahr, und die Hersteller sind in der Lage, bis zu 150.000 Stück pro Monat zu produzieren.
Die Army und Navy of Drones
Das Projekt „Army of Drones“ spielt bei dieser Expansion eine Schlüsselrolle, da es fast 200 Unternehmen einbezieht, die vor Ort Drohnenmodelle herstellen. Das Ziel für 2024 ist die Herstellung von einer Million Drohnen, was etwa dem Doppelten der Gesamtzahl der im vergangenen Jahr von der gesamten Europäischen Union gelieferten Artilleriegranaten entspricht.
Die Ukraine hat auch Pionierarbeit beim Aufbau einer maritimen Drohnenflotte geleistet. Diese Drohnen, wie z. B. die Magura V5, haben sich im Kampf als äußerst effektiv erwiesen, das Kräfteverhältnis verschoben und Russland gezwungen, seine Präsenz im Schwarzen Meer und im Asowschen Meer zu verringern.
Der ukrainische Drohnensektor ist also auf dem besten Weg, sich zu einem bedeutenden globalen Wettbewerber zu entwickeln, der in der Lage ist, kampferprobte Systeme zu exportieren.
Allianz der Rüstungsindustrie
Das Interesse an den industriellen Fähigkeiten der Ukraine wächst. Auf dem Internationalen Forum der Verteidigungsindustrie (DFNC1), das im September 2023 in Kiew stattfand, kamen 252 Unternehmen aus über 30 Ländern zusammen, die Waffen und militärische Ausrüstung herstellen. Das Forum hat die Allianz der Verteidigungsindustrien gegründet, der bis zum Ende der Veranstaltung 38 Unternehmen aus 19 Staaten beigetreten sind.
Internationale Investitionen in die Ukraine
In den ukrainischen Verteidigungssektor fließen beträchtliche Investitionen. Im Februar 2024 begann das türkische Rüstungsunternehmen Baykar mit dem Bau einer Fabrik in der Ukraine (Region Kiew), die innerhalb von 12 Monaten fertiggestellt werden soll.
Am 10. Juni 2024 nahm das erste Joint Venture zwischen Ukroboronprom und Rheinmetall den Betrieb auf. Der Schwerpunkt dieses Werks liegt auf der Reparatur gepanzerter Fahrzeuge. Das Unternehmen plant den Bau von mindestens vier Fabriken in der Ukraine.
Im Oktober 2024 sicherte sich das britische Unternehmen BAE Systems einen Vertrag über die Wartung und Reparatur von leichten L119-Kanonen in der Ukraine, nachdem eine lokale Rechtsperson in der Ukraine gegründet wurde.
Kapazitäten nicht ausgeschöpft
Trotz der rasanten Entwicklung übersteigt das Tempo der Erweiterung der ukrainischen rüstungsindustriellen Basis die Haushaltsmittel des Landes. Der Minister für strategische Industrien, Oleksandr Kamyshin, erklärte, dass der Kauf von Waffen von ukrainischen Herstellern „der beste, schnellste und kostengünstigste Weg ist, um uns an der Front zu helfen“.
Die ukrainische Verteidigungsindustrie hat die Kapazität, Waffen im Wert von 20 Milliarden US-Dollar zu produzieren. Da die ukrainische Regierung jedoch nur sechs Milliarden zur Verfügung stellen kann, ist ein Drittel der ukrainischen Produktionsanlagen derzeit nicht betriebsbereit, weil die Mittel nicht ausreichen. Eine vielversprechende Lösung besteht darin, internationale Partner, die Waffen für die Ukraine kaufen wollen, zu ermutigen, ihre Aufträge an ukrainische Hersteller zu vergeben.
ZBROYARI: Manufacturing Freedom
Als Antwort darauf hat die ukrainische Regierung „ZBROYARI: Manufacturing Freedom“ ins Leben gerufen, eine globale Fundraising-Initiative zur Unterstützung der lokalen Waffenproduktion. Mit dieser strategischen Crowdfunding-Initiative, die sich nicht auf Einzelspenden, sondern auf nationale Beiträge stützt, sollen in diesem Jahr zehn Milliarden US-Dollar gesammelt werden.
Zu den bemerkenswerten Beiträgen gehören Dänemarks Bereitstellung von 28,5 Millionen für Selbstfahrlafetten, eine gemeinsame Spende Kanadas und Großbritanniens in Höhe von 2,1 Millionen für in der Ukraine hergestellte Drohnen sowie die Zusage der Niederlande, 60 Millionen Euro für verschiedene Drohnenkäufe bereitzustellen. Dieses letzte Paket umfasst 20 Millionen Euro für FPV-Drohnen als Teil einer internationalen Koalition, 22,5 Millionen Euro für niederländische Drohnen und 17,5 Millionen Euro für ukrainische Marine-Drohnen.
Investitionen in die ukrainische Rüstungsproduktion unterstützen nicht nur den Staatshaushalt durch Unternehmenssteuern, sondern schaffen auch Arbeitsplätze und kurbeln die Wirtschaft der Ukraine und ihrer Verbündeten an. So plant Baykar, 95,5 Millionen US-Dollar zu investieren und 500 Arbeitsplätze im Bereich der Drohnenfertigung zu schaffen. Rheinmetall sieht in der Eröffnung von vier Fabriken in der Ukraine ein Potenzial von zwei bis drei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Damit soll der Gesamtumsatz des Unternehmens auf die Rekordhöhe von zehn Milliarden Euro steigen.
Produktion in der Ukraine: Mehr Wirkung pro Dollar
Die Produktionskosten in der Ukraine sind dabei deutlich niedriger als in Europa. So soll die Panzerhaubitze Bohdana etwa 2,5 Millionen US-Dollar kosten, die Hälfte des Preises des französischen Caesar. Das ukrainische Panzerabwehrraketensystem Stugna-P wurde zum Preis von 20.000 bis 50.000 Dollar exportiert, während das US-System Javelin zwischen 175.000 und 177.000 Dollar kostet.
Um die finanzielle Belastung der europäischen Länder zu verringern, gibt es zunehmend Unterstützung für die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte. Belgien beispielsweise erhält Berichten zufolge 1,7 Milliarden US-Dollar Einnahmen aus eingefrorenen Vermögenswerten und hat diese Mittel teilweise auch für Flüchtlinge und die ukrainische Verteidigung verwendet.
Kürzlich wurde auf dem G7-Gipfel zudem ein entscheidender Beschluss gefasst, der Ukraine ein Darlehen in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar aus den Zinsen der eingefrorenen russischen Reserven zu gewähren. Die Finanzstrategie für die Verwendung dieser Gelder sollte vorrangig auf die Stärkung der ukrainischen Verteidigungsindustrie ausgerichtet sein, da angesichts der laufenden militärischen Einsätze des Landes ein dringender Bedarf besteht.
Investition in die Sicherheit Europas
Die russischen Militärausgaben sind nach wie vor beträchtlich. Berichten zufolge produziert Russland Artilleriegranaten fast dreimal schneller und viermal billiger als die westlichen Verbündeten der Ukraine. Dies verleiht den laufenden Diskussionen über den Ausbau der ukrainischen Fähigkeiten im eigenen Land eine gewisse Dringlichkeit.
Investitionen in die ukrainische Produktion und deren Beschaffung werden die langfristigen Verteidigungsfähigkeiten des Landes verbessern und die Abhängigkeit von ausländischer Militär- und Finanzhilfe verringern. Da dies die kostengünstigste Lösung ist, stellt sie eine vielversprechende Investition in die Sicherheit des gesamten europäischen Kontinents dar.
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