Mit dem Einsatzkonzept „Less Transit – More Surveillance“ verfolgt die NATO Intelligence, Surveillance and Reconnaissance Force (NISRF) eine neue operative Logik: strategische Aufklärungsplattformen sollen nicht mehr starr an weit entfernten Standorten operieren, sondern flexibel und lageangepasst verlegt werden – näher an die Einsatzräume, näher an den Bedarf. Ein Schlüsselgebiet dieses Ansatzes: Die sogenannte GIUK-Lücke – der See- und Luftraum zwischen Grönland, Island und dem Vereinigten Königreich.
Diese geostrategische Passage galt bereits im Kalten Krieg als sensibler Durchgangspunkt für sowjetische U-Boote und Langstreckenflugzeuge in Richtung Atlantik. Seit einigen Jahren rückt sie erneut in den Fokus militärstrategischer Überlegungen, denn die militärische Infrastruktur im russischen Nordmeerraum wurde systematisch ausgebaut: Luftverteidigung, Raketenstellungen, Marinebasen. In der Arktis und angrenzenden Gewässern zeigen sich verstärkte Aktivitäten – sowohl in Übungen als auch durch Routinemanöver. Für NATO-Planer bedeutet das: Wer die GIUK-Lücke lückenlos überwachen kann, besitzt den entscheidenden Informationsvorsprung für die maritime Frühwarnung, Abschreckung und Reaktionsfähigkeit.
Überwachung der GIUK-Lücke
Ziel des neuen NISRF-Konzepts ist es daher, ISR-Flugzeit nicht länger mit stundenlangen Transits aus südlichen NATO-Stützpunkten zu vergeuden, sondern direkt dort zu beginnen, wo es militärisch relevant ist. Die Konsequenz: Plattformen wie die RQ‑4D Phoenix sollen künftig temporär oder dauerhaft von nördlicheren Standorten aus operieren – Island, Norwegen, Schottland oder auch baltische Partner werden hier genannt. Die bisherigen Einsätze aus Sigonella auf Sizilien bleiben dabei technischer und logistischer Rückhalt – nicht aber zwingend Start- und Landeplatz.
Ein konkreter Schritt in diese Richtung wurde bereits im vergangenen Monat vollzogen: Erstmals startete eine NATO-RQ‑4D Phoenix vom finnischen Luftwaffenstützpunkt Pirkkala aus. Wie Defence Network berichtete, erfolgte die Verlegung des Bodenequipments – inklusive Ground Support Stations und Kommunikationsmodulen – per C‑130 Hercules von Italien nach Finnland. Die Drohne selbst wurde von Sigonella aus ferngesteuert, ebenso wie die gesamte Sensorbedienung und Auswertelogistik. Die Analyse erfolgte wie gewohnt multinational im PED-Komplex auf der Naval Air Station Sigonella.
Was zunächst wie ein einzelner Fähigkeitsnachweis wirkte, zeigt sich nun als Vorstufe eines strategischen Kurswechsels. Die erfolgreiche Pirkkala-Mission demonstrierte nicht nur technische Verlegefähigkeit, sondern bewies auch die Funktionalität eines dezentralen Einsatzes mit zentral geführter Datenverarbeitung. Diese Kombination ist essenziell für ein modernes NATO-ISR-System: Flexibel, skalierbar, interoperabel.
Insbesondere in Bezug auf die GIUK-Lücke eröffnet diese neue Agilität einen operativen Mehrwert: Plattformen können länger im Zielgebiet verbleiben, Sensoren liefern mehr nutzbare Daten, und Kommandeure erhalten präzisere Lagebilder in kürzerer Zeit. In Anbetracht der zunehmenden Nutzung des nördlichen Atlantiks durch russische Einheiten – etwa bei Fernaufklärungsflügen, U-Boot-Transitoperationen oder Navigationsmanövern in Richtung Nordwestpassage – ist diese Präsenz kein Selbstzweck, sondern präventive Sicherung dieses maritimen Schlüsselgeländes.
Zudem sind westliche Nachschubrouten im Verteidigungs-/Bündnisfall eng an transatlantische Schiffskorridore gebunden – ihre Sicherheit beginnt mit Aufklärung. Gerade im Vorfeld potenzieller Eskalationen entscheiden Stunden oder sogar Minuten über den Handlungsspielraum politischer und militärischer Führung.
Die RQ‑4D Phoenix eignet sich hierfür ideal: Sie erreicht Flughöhen von über 60.000 Fuß, operiert bis zu 30 Stunden durchgehend und vereint elektrooptische, infrarot- sowie Radaraufklärung auf einer Plattform. Ihre Daten fließen direkt ins Joint ISR Network der NATO ein und sind für alle Bündnismitglieder auswertbar – ein echter „Sensor-to-Decision“-Ansatz, also ein durchgängiger Informationsfluss vom Sensor bis zur Führungsebene.
Auch strukturell ist die NISRF breit aufgestellt: Rund 420 Soldatinnen und Soldaten arbeiten in multinationalen Teams an Missionsplanung, Sensorbedienung und Auswertung. Deutschland stellt rund ein Fünftel des Personals und zählt zu den zentralen Trägern der Fähigkeit – sowohl operationell als auch technologisch.
Die nun angestrebte Verstetigung der Präsenz über der GIUK-Lücke zeigt: Die NATO reagiert nicht nur auf die geostrategischen Verschiebungen im Norden, sondern zieht konsequent operative Schlüsse aus erfolgreich demonstrierten Fähigkeiten.
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