Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) hat eine Analyse zum „Schutz maritimer Kritischer Infrastruktur in der Ostsee: Braucht es den Schuss vor den Bug?“ veröffentlicht. Die Autorin ist Dr. habil. Patricia Schneider, politische Beraterin des Inspekteurs der Deutschen Marine. Die Analyse spiegelt dementsprechend Einsichten wider, über die normale Wissenschaftler kaum verfügen.
„Immer wieder sind russische Forschungsschiffe auffällig, die in Nord- und Ostsee verdächtig viel Zeit verbringen. Experten gehen davon aus, dass diese Schiffe sorgfältig maritime Kritische Infrastruktur (marKRITIS) kartieren. Dazu zählen insbesondere Windparks, Öl- und Gasbohrplattformen, zahlreiche Daten- und Stromkabel sowie Pipelines, mit denen die Ostsee relativ dicht erschlossen ist“, berichtet Dr. Schneider zur Einordnung. „Gleichzeitig häufen sich seit den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines im September 2022 die Vorfälle von mutmaßlichen Sabotageakten in der Ostsee – meist ohne, dass eine zweifelsfreie Zuordnung eines Verursachers beziehungsweise Auftraggebers möglich ist. Dennoch ergibt die Häufung ein Muster.“
Vom Mitschleifen des Ankers bis hin zu als Unfällen getarnte Sabotageakte reichen die Handlungen, die nicht immer nur durch russische Schiffe, sondern auch durch Stellvertreter durchgeführt werden. Allein das Muster, der Sabotageakt an Kritischer Infrastruktur, bleibt gleich. Ebenso wie die Botschaft: Wir sind dazu in der Lage und ihr könnt uns nicht daran hindern. Genau diese Botschaft ist das Problem, wie Dr. Schneider ausführt: „Wenn Sabotageakte sich nicht vollständig abschrecken lassen, braucht es für robuste militärische Gegenmaßnahmen politische Einigkeit und gesetzliche Klarstellung.“
Die Bedeutung der maritimen Kritischen Infrastruktur wird deutlich, wenn man die Lage der Anrainer betrachtet. Beispielsweise die baltischen Staaten müssen sich fast vollständig auf die Ostsee für ihre Versorgung verlassen, z.B. im Bereich der Energie, nachdem sie aus dem sowjetischen Stromnetz austraten und sich dem europäischen anschlossen. Russland könnte also durchaus gezielt die baltischen Staaten vom Rest Europas abschneiden, sogar mit hybriden Aktionen unterhalb der Schwelle eines tatsächlichen Krieges. Und nicht nur für Deutschland gilt, ohne die Erklärung des Verteidigungs- oder Spannungsfalls sind der Bundeswehr Grenzen gesetzt. Die Polizei und vor allem die Betreiber der Kritischen Infrastrukturen sind in Friedenszeiten in der Verantwortung.
Fehlende Eingriffsmöglichkeiten
„Der wohl wichtigste Aspekt bei hybriden Angriffen ist ihre fehlende Eindeutigkeit beziehungsweise Attribuierbarkeit. Dies erschwert eine einzelstaatliche, geschweige denn eine einhellige kollektive Reaktion, beispielsweise der NATO, enorm“, betont Dr. Schneider. „Denn Zweifel über die weitere Lageentwicklung und die Akteure im Hintergrund können dazu führen, dass trotz weiterer Häufung solcher Angriffe die Mitgliedsstaaten wenig entschlossen bleiben, gemeinschaftlich zu agieren und formell die NATO zu befassen. Doch wäre die Voraussetzung für militärischen Beistand gemäß Artikel 5, einen bewaffneten Angriff eines fremden Staates gegen das Bündnisgebiet festzustellen.“
Die rechtliche Situation in Bezug auf hybride Kriegführung ist weiterhin ungenügend geregelt. Beispielsweise bei den Ermittlungs- und Eingriffsmöglichkeiten haben die Staaten zwar in ihren eigenen Hoheitsgewässern noch gewisse Rechte, außerhalb kann es sich hingegen sehr problematisch gestalten.
„Bei Nicht-Kooperation des Staats, unter dessen Flagge das betreffende Schiff fährt, wird es für Küstenstaaten rechtlich schwieriger, fremde Schiffe zu betreten und Befugnisse geltend zu machen“, beschreibt Dr. Schneider und nennt unter anderem als Beispiele: „Der Frachter „Newnew Polar Bear“ zertrennte im Oktober 2023 außerhalb finnischer Hoheitsgewässer die Gas-Pipeline Balticconnector. Untersuchungen an Bord lehnte China als Flaggenstaat ab. Nur chinesische Behörden durften in der finnischen AWZ ermitteln: Sie sprachen von einer „versehentlichen“ Beschädigung der Pipeline durch einen Anker des Schiffs. Rund ein Jahr später, im November 2024, zerstörte der Frachter „Yi Peng 3“ mutmaßlich auf gleiche Weise zwei Datenkabel. Davon verbindet eines, C-Lion 1, Finnland mit Deutschland. Erneut verweigerte China als zuständiger Flaggenstaat schwedischen Ermittlern den Zutritt zum Schiff. Später durften Skandinavier und Deutsche nur als Beobachter der Ermittlungen an Bord.“
Die Notwendigkeit der Überwachung
Das Ziel müsste eigentlich eine Verhinderung solcher Sabotageaktionen sein, doch hier macht Dr. Schneider wenig Hoffnung. „Das hohe Verkehrsaufkommen in der Ostsee macht es unmöglich, jedes Handelsschiff durch Bundespolizei oder Marine durch deutsche Hoheitsgewässer und AWZ zu begleiten – zumal bereits russische Militär- und Aufklärungsschiffe im Blick zu behalten sind“, so die Expertin in ihrer Analyse.
Neben der hohen Anzahl an Schiffen gelte es schließlich auch die umfassende, am Grund der Ostsee liegende Kritische Infrastruktur zu überwachen, deren Anzahl von Jahr zu Jahr steigt. „Alle Marine- und Behördenschiffe der Anrainer von Nord- und Ostsee zusammen würden nicht reichen, diese dauerhaft zu patrouillieren“, erläutert Dr. Schneider. „Auch kommt die Eigenverantwortung der Betreiber ins Spiel, die für den Schutz ihrer Anlagen Sorge zu tragen haben. Sie überprüfen etwa mit automatisierten Systemen bereits heute ihre Pipelines regelmäßig auf Reparaturbedarf und überwachen Anlagen mit Kameras.“
Es bedarf allerdings noch eines rechtlichen Rahmens, damit diese Daten in ein einheitliches Lagebild der maritimen Kritischen Infrastruktur (marKRITIS), das nicht nur auf die Ostsee beschränkt sein müsste, überführt werden können. „Entscheidende Beiträge hierzu wären eine Meldepflicht für Unternehmen beziehungsweise Betreiber von marKRITIS hinsichtlich relevanter Vorfälle und eine Verpflichtung zur Weitergabe von Sensordaten. Grundlage dafür muss ein klarer rechtlicher Rahmen sein, der Informationsaustausch und verzugslose Kooperation zwischen Allen ermöglicht“, erläutert Dr. Schneider. „Die Marine verfügt über erprobte Fähigkeiten und Verfahren, solche Informationen zusammenzuführen. Zudem wollen die Seestreitkräfte ihre Lagebildfähigkeiten zudem mit Hilfe Künstlicher Intelligenz und leistungsfähigerer Sensorik noch verbessern.“
Robuste Aktionen gegen Sabotage in der Ostsee
Neben den Fähigkeiten zur Lagebilderstellung verfügt die Deutsche Marine eigentlich auch über die notwendigen Mittel zur Verhinderung von Sabotage, wenn z.B. ein Schiff mit schleifendem Anker auf Unterseeinfrastruktur zufährt. Doch hierfür braucht es Rechtssicherheit, um militärische Gewalt gegen zivile Schiffe in Friedenszeiten anzuwenden.
Dr. Schneider benennt eindeutig die Notwendigkeit zur Klärung aller Befugnisse und Möglichkeiten im Rahmen eines Seesicherheitsgesetzes. „Ein Seesicherheitsgesetz könnte dazu dienen, akute Gefahren so früh wie möglich zu erkennen und dann selbst schnell handlungsfähig zu sein – insbesondere in einer Übergangsphase von Frieden zu Krise zu Krieg“, so Dr. Schneider. „Nicht ohne Grund hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr für die Jahre 2023 bis 2025 mehrere unabhängige Gutachten für eine „Resilienzstudie maritimer Versorgungswege“ in Auftrag gegeben. Sie haben auch Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung der Zusammenarbeit der Akteure zum Ziel. Spannend bleibt, ob die Analysen veröffentlicht werden und deren Erkenntnisse Berücksichtigung finden.“
Dr. Schneider fordert abschließend, dass es zum Schutz der Kritischen Infrastruktur in der Ostsee notwendig sei, weiterzudenken. Die Politik müsse Klarheit schaffen, „wann verhältnismäßiger Einsatz militärischer Gewalt – wie etwa der Schuss vor den Bug – bereits in Friedenszeiten zulässig ist. Damit die Deutsche Marine kritischen Schaden verhindern kann, wenn sie sich zum Schutz vor die maritimen Lebensgrundlagen der Gesellschaft stellt.“
Die vollständige Analyse ist hier abrufbar.
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