Interview mit EDirBAAINBw Jan Gesau, Abteilungsleiter Land-Unterstützung (U),BAAINBw

Die Abteilung Land-Unterstützung verantwortet die eher kleineren Vorhaben für die Fähigkeiten der Bundeswehr. Dennoch sind gerade diese für das Fähigkeitsprofil von besonderer Bedeutung. Mobilität, Unterbringung im Gefecht, ABC-Schutz, Material für die Sanitätsdienstliche Versorgung der Soldaten, all das ist von entscheidender Bedeutung für die Durchhaltefähigkeit und Resilienz von Streitkräften. Wichtige Vorhaben wie das Einsatzsystem Luftlandeplattformen, Vorhaben aus dem Bereich der Sensorik und zur sanitätsdienstlichen Unterstützung werden im Bereich der Abteilung bearbeitet. Und auch hier kommt es auf die Beschleunigung der Beschaffung und die Vereinfachung von Verfahren an.
Das Rettungsteam evakuiert einen Verwundeten in der Nähe von Gao/Mali bei einer Übung zur taktischen Verwundetenversorgung, das Retten und Evakuieren von verwundeten Soldaten, im Rahmen der Mission MINUSMA.
Foto: Bundeswehr/Susanne Hähnel

Herr Gesau, wir blicken zurück auf ein Jahr der Zeitenwende in der Bundeswehr und die zwischenzeitliche Implementierung des 100 Mrd. Euro Sondervermögens. Welche Vorhaben waren für Sie und Ihre Abteilung in diesem Zusammenhang besonders wichtig?

Alle Projekte der Abteilung U im Sondervermögen sind wichtig, insbesondere aber das Projekt Einsatzsysteme Luftlandeplattformen (EinsSys LLPlattf), da wir es unter besonders hohem Zeitdruck und in Kooperation mit unseren niederländischen NATO-Partnern realisieren. Darüber hinaus natürlich auch die Projekte in der Task Force Beschaffungswesen (TF BeWe).

Ihre Abteilung bearbeitet eher die kleineren Vorhaben und Projekte, diese aber in deutlich höherer Zahl. Die Herausforderungen sind in der Regel aber nicht von den Großvorhaben zu unterscheiden. Haben sich hier durch die zwischenzeitlich getroffenen Festlegungen z.B. die Beschaffungsstrategie oder das Bundeswehr-Beschaffungs-Beschleunigungsgesetz Erleichterungen ergeben?

Ja, definitiv! Die mit der Zeitenwende und dem Sondervermögen einhergehende Erkenntnis, dass wir beschleunigt beschaffen müssen, wird bereits von vielen verstanden. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir alle in den letzten drei Dekaden gänzlich anders konditioniert wurden und unsere Regelwerke in Friedenszeiten entstanden sind. Es braucht nun den Wandel im Mindset und die Schaffung robuster und krisenfester Regelwerke. Hierzu hat der Erlass von Staatssekretär Zimmer vom 25.04.2023 einen wichtigen Beitrag geleistet, der uns hilft, den notwendigen Wandel zu vollziehen und das Notwendige zu tun. Insofern prüfen wir in jedem Projekt individuell die Möglichkeiten der Beschleunigung.

Interview mit EDirBAAINBw Jan Gesau, Abteilungsleiter Land-Unterstützung (U),BAAINBw.

In der Außenwahrnehmung ist es oft so, dass gerade Ihre Abteilung in vielen Fällen auf handelsüblich verfügbares Material zurückgreifen kann. Können Sie diesen Eindruck bestätigen und beschleunigt diese Tatsache tatsächlich am Ende auch die Beschaffung?

Nein, den Eindruck kann ich so nicht bestätigen, die überwiegende Mehrheit unserer Projekte/Produkte ist nicht handelsüblich. Vielmehr müssen diese spezifischen militärischen Anforderungen genügen – denken Sie nur an die Tauglichkeit in verschiedenen Klimazonen. Das hindert uns gleichwohl nicht daran, auch dieses Material mit den verfügbaren Mitteln beschleunigt zu beschaffen.

Aber ja, in den wenigen Bereichen, wo wir handelsübliches Material beschaffen, insbesondere im Bereich der Sanität (also Einzelverbrauchsgüter und Nichtverbrauchsgüter), nutzen wir selbstverständlich die Möglichkeiten der Beschleunigung, beispielsweise durch die Verwendung des Dynamischen Beschaffungssystems. Unser primäres Ziel in diesem Bereich ist es allerdings, auf Basis der von Staatssekretär Zimmer im Herbst 2021 in Kraft gesetzten Beschaffungsstrategie den Anteil Einkauf Bw, so nennen wir die Beschaffung handelsüblichen Materials, an das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr und das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr abzugeben, so dass sich die freiwerdenden Personalkapazitäten verstärkt um die „grünen“ Sanitätsprojekte kümmern können. Dabei setzen wir, wo immer möglich, auf Marktverfügbarkeit, wobei dieser Begriff ebenso wenig trennscharf definiert ist, wie der der Handelsüblichkeit. Unter Marktverfügbarkeit verstehen wir Produkte, die technologisch und herstellungstechnisch beherrscht werden und innerhalb einer angemessenen Zeitspanne verfügbar gemacht werden können.

Die Soldaten vom Intensivtransportwagen (ITW) des Bundeswehrkrankenhauses Ulm betreuen eine künstlich beatmete Patientin während ihrer Verlegung zu Zeiten der Coronavirus-Pandemie.
Foto: Bundeswehr/Jana Neumann

Durch den Krieg in der Ukraine ist gerade die sanitätsdienstliche Versorgung der Bundeswehr besonders in den Blickpunkt gerückt. Mit welchen Vorhaben werden hier die Fähigkeiten der Sanitätstruppe aktuell verbessert?

Die Bundeswehr hatte mit Blick auf die Entwicklungen in der Ukraine bereits vor einiger Zeit damit begonnen, ihre Einsatzvorräte an Arzneimitteln und Medizinprodukten aufzustocken. Wir sprechen hier von ca. 1.500 Einzelartikeln, die eine schnelle Versorgung mit Sanitätsmaterial auch im Krisenfall ermöglichen. Unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Krieges hat diese Aktivität noch einmal an Fahrt aufgenommen. Uns wurde eine umfangreiche Bedarfsliste mit höchstpriorisierten Arzneimitteln und Medizinprodukten übergeben, die trotz der allgegenwärtigen Lieferengpässe nahezu vollständig innerhalb eines halben Jahres unter Vertrag genommen werden konnten. Die Bundeswehrvorräte werden von uns weiterhin kontinuierlich ausgebaut bzw. Verbräuche ersetzt.

Zudem arbeiten wir mit Hochdruck an einer ganzen Reihe von Rüstungsprojekten für den Sanitätsdienst der Bundeswehr, welche die zukünftige sanitätsdienstliche Versorgung der Bundeswehr sicherstellen sollen. Zum einen sind da die drei Projekte aus dem Sondervermögen der Bundeswehr zu nennen. Darunter das Luftlanderettungszentrum, leicht, dessen Vertrag Anfang Februar gezeichnet wurde. Es ist geplant die ersten Einheiten noch Ende dieses Jahres dem Nutzer zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls aus dem Sondervermögen finanziert und derzeit in der Ausschreibung befindlich ist das Luftlanderettungszentrum Spezialeinsatz.

Ein äußerst flexibles und hochmobiles Manöverelement, mit dem vor allem schnelle Anfangsoperationen oder Insellagen sanitätsdienstlich unterstützt werden sollen. Hier wird der erste Prototyp in 2024 erwartet. Das dritte sanitätsdienstliche Vorhaben aus dem Sondervermögen ist eine geschützte und dennoch hochmobile Behandlungseinrichtung, welche einen gänzlichen neuen Ansatz darstellt, da sie im aufgesessenen Betrieb nutzbar sein wird. Mit diesem System werden zukünftig in erster Linie die mechanisierten Verbände unterstützt. Die Herausforderung stellen aktuell vor allem die technischen Lösungsansätze dar. Geplant ist, dass ab 2026 ein Nachweismuster zur Verfügung steht.

Zwei weitere wichtige Projekte möchte ich hier ebenfalls erwähnen. Die logistischen Einrichtungen sind für die Versorgung der Truppe mit Sanitätsmaterial im Einsatz unabdingbar. Dazu gehören zum einen der Unterstützungspunkt Sanitätsdienst und zum anderen der Basisversorgungspunkt Sanitätsmaterial. Bereits ab 2024 ist die Bereitstellung der ersten Elemente für diese Projekte geplant.

Mein letztes Beispiel ist das IT-Projekt PECC. Es unterstützt die Planung von Verwundetentransporten aus dem Ausland durch das nationale Patient Evacuation Coordination Center, also die Verwundetenleitstelle der Bundeswehr, erstmals mit einer performanten Softwarelösung. Dies beinhaltet insbesondere das automatische Einlesen und Vorbefüllen von Formularen. Das klingt wenig spektakulär, aber Zeit ist beim Verwundetentransport ein kritischer Faktor und zudem wird dadurch auch noch die zeitgleiche Bearbeitung für mehrere Patienten ermöglicht. In der nächsten Aufbaustufe wird ab Juli 23 zusätzlich das IT-Management der Rettungswachen der Bundeswehrkrankenhäuser und der Flugbereitschaft optimiert.

Fahrzeuge der 1. Infanteriekompanie warten auf halben Weg von Mazar-e-Sharif nach Kunduz auf einen Konvoi, um zwei Panzerhaubitzen zu übernehmen.
Foto: Bundeswehr/PizKunduz

Auch die Mobilität ist von besonderer Wichtigkeit. Das Heer setzt mit dem Konzept der Mittleren Kräfte auf radgebundene Fähigkeiten. Die Zeit drängt, die Division 2025 ist ja der sichtbare Ausdruck. Welche Vorhaben werden hierzu in Ihrer Abteilung bearbeitet und können die entsprechenden Vorhaben zeitgerecht realisiert werden?

Unabhängig von dem Konzept der Mittleren Kräfte, das z. Zt. noch in der Entstehung ist, besitzt das Thema Mobilität existentiell Bedeutung, nicht nur für das Heer. Vielmehr stellt die Mobilität u.a. durch geschützte und ungeschützte Transportfahrzeuge (GTF, UTF) sowie geschützte Führungs- und Funktionsfahrzeuge (GFF), wie sie in der Gruppe U4 bearbeitet werden, das Rückgrat der Streitkräfte dar.

Bereits vor der „Zeitenwende“ und dem „Beschleunigungserlass“ haben wir dem enormen Regenerationsbedarf an Transportfahrzeugen durch weitreichende Rahmenvereinbarungen Rechnung getragen. Die zunächst zugesagten Haushaltsmittel bildeten dabei den Festabruf der Verträge, während der über diese Anfangsbefähigung weit hinausgehende, aus dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr abgeleitete Fahrzeugbedarf als optionale Bestellgröße in der Rahmenvereinbarung abgebildet wurde. Dies bietet hohe Flexibilität in Bezug auf sich verändernde Prioritäten oder verfügbare Haushaltsmittel und stellt dabei zugleich die Einheitlichkeit der Fahrzeugflotte mit allen einhergehenden Vorteilen sicher. So konnte beispielsweise die für die Jahre 2018 bis 2021 vorgenommene Bestellung von 558 ungeschützten Transport-Lkw der Zuladungsklasse 5-15t in den Folgejahren sehr kurzfristig und substanziell erhöht werden. Im Mai 2023 haben wir die zunächst letzten von über 3.200 Lkw dieser Klasse an die Truppe übergeben.

Rahmenvereinbarungen als nachhaltige Basis für beschleunigte Beschaffungen werden somit aufgrund der positiven Erfahrungen auch weiterhin, z.B. bei den Wechselladersystemen, den künftig zu realisierenden GFF- oder Wolfnachfolger-Flotten sowie den anfangs genannten Einsatzsystemen Luftlandeplattformen, zur Anwendung kommen.

Der Zulauf der Einsatzsysteme Luftlandeplattformen ist für 2025 vorgesehen, sofern Vertragsschluss, Produktion und Nachweisführung wie geplant verlaufen. Ebenso ist ab 2025 der Serienzulauf der neuen WOLF-Flotte avisiert sowie der Zulauf neuer DINGO-Fahrzeuge, die als Ersatz für die an die Ukraine abgegebenen Fahrzeuge zu beschaffen sind. Ferner ist beim Thema Mobilität auch die Kraftstoffversorgung im Einsatz nicht zu vernachlässigen. Hierzu bearbeitet die Gruppe U4 das derzeit im Rahmen der Task Force Beschaffungswesen zu realisierende Projekt „Feldmäßige Tanklager“. Mit dem Projekt soll die Bundeswehr im Rahmen ihrer NATO-Verpflichtungen Tanklager mit einer maximalen Aufnahmekapazität von 16.000 m3 bereitstellen. Auch hier arbeiten wir mit Hochdruck an einer Lösung, um diese Fähigkeit so früh wie möglich zur Verfügung zu stellen. Sofern die Finanzierbarkeit des Projektes gesichert ist, wäre mit einer ersten Auslieferung ebenfalls in 2025 zu rechnen.

Die UTF 15t mit ihren flexiblen „Trägersystemen“ zur Aufnahme unterschiedlicher Ladungen sind das Rückgrat für den logistischen Einsatz in Frieden und Krieg.
Foto: Bundeswehr

In der Luftverteidigung besteht nicht erst seit der Ukraine- Krise eine Fähigkeitslücke. Früherkennung – auch aus dem Weltraum – ist eine wichtige Teilfähigkeit. Radare und Infrarot-Sensorik stellen Lösungsräume dar. Wie ist der Sachstand der entsprechenden Vorhaben und wohin geht aus Ihrer Sicht die Reise?

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass Luftverteidigung ein Kernthema der Abteilung Kampf im BAAINBw ist. Dort sind z.B. die Aktivitäten im Zusammenhang mit der European Sky Shield Initiative verortet. Dennoch werden in meiner Abteilung Projekte bearbeitet, die ganz wesentlich zum Schließen dieser Fähigkeitslücke beitragen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das Beschaffungsprojekt Hughes Air Defence Radar Nachfolgesystem (HR-3000 Radare der Firma Hughes – HADR-Nachfolge) zum Ersatz von vier Luftraumüberwachungsradaren. Mit der Auswahlentscheidung wurde für diese Systeme die Fähigkeit zur Erkennung und Verfolgung ballistischer Flugkörper gefordert. Diese Fähigkeit ist designbestimmend und führt zur erstmaligen Beschaffung von Weitbereichsradarsystemen mit voller elektronischer Strahlschwenkung (Full Active Electronically Scanned Array – AESA). Das Projekt hat die Auswirkungen der Pandemie und der Lieferkettenproblematik bei Halbleitern zu spüren bekommen, daher mussten die Zeitlinien angepasst werden. Die Aufnahme des operationellen Betriebs des ersten neuen Systems ist für 2027 geplant. Die Hauptaufgabe dieser Radarsysteme wird aber weiterhin die Luftraumüberwachung zur Wahrung der Sicherheit im deutschen Luftraum sein. Dennoch werden wir sehr genau mit dem Nutzer die Fähigkeiten dieser Systeme analysieren und bewerten, um darauf aufbauend ggf. Entscheidungen zur zukünftigen Ausrüstung weiterer Standorte mit dieser neuen Fähigkeit zu treffen.

Gleiches gilt auch für das Projekt System zur Weltraumüberwachung, welches eine eigene Sensorik zur Weltraumüberwachung schaffen wird, u.a. ein ebenfalls auf modernster Technologie basierendes Radarsystem, das zusätzlich durch den Ankauf kommerzieller Daten ergänzt wird. Die Hauptaufgabe dieses Systems besteht in der Erkennung und Verfolgung von Objekten zur Erstellung eines eigenen Weltraumlagebildes und trägt damit zur gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge bei. Wir aus der Abteilung U blicken sozusagen von der Erde ins All.

Für raumbasierte Sensoren, also der Blick aus dem All auf die Erde, liegt die Projektverantwortung in der Abteilung Luft – z.B. für die radarbasierten Systeme SARah – und in der Abteilung Kampf für Sensoren zur Entdeckung ballistischer Raketen.

Die verteilten Zuständigkeiten kompensieren wir im BAAINBw durch enge Abstimmung zwischen den Projektleitern und eine zielgerichtete, konstruktive Kooperation auf allen Ebenen.

 

Herr Gesau, wir bedanken uns für das Gespräch.

 

Das Interview führte Rainer Krug

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