IRIS-T SLM: „Die Aufbruchstimmung im Verband ist förmlich greifbar“

Die offizielle Übergabe des ersten IRIS-T SLM Gesamtsystems an die Bundeswehr wird in den kommenden Wochen erfolgen, nachdem die Luftwaffe bereits Anfang August die erste Feuereinheit dieses deutschen Luftverteidigungssystems übernehmen konnte. Ihre Heimat wird IRIS-T SLM in der Flugabwehrraketengruppe 61 in Todendorf finden. cpm Defence Network sprach nun mit dem Kommandeur der Flugabwehrraketengruppe 61,  Oberstleutnant Daniel Reif, über die Fähigkeiten seines Verbandes, die Änderungen durch den Neuaufbau der Heeresflugwehrtruppe sowie die Neuerungen durch den Zulauf von IRIS-T SLM. Die Fragen stellte Dorothee Frank.
Oberstleutnant Daniel Reif, Kommandeur der Flugabwehrraketengruppe 61, vor Launchern des Luftverteidigungssystems IRIS-T SLM. Sein Verband wird dadurch auch Teil der integrierten NATO-Luftverteidigung.
Oberstleutnant Daniel Reif, Kommandeur der Flugabwehrraketengruppe 61, vor Launchern des Luftverteidigungssystems IRIS-T SLM. Sein Verband wird dadurch auch Teil der integrierten NATO-Luftverteidigung.
Foto: Bundeswehr
Wie ist die Flugabwehrraketengruppe 61 aufgebaut?

Mein Verband verfügt aktuell über zwei Kampfstaffeln, eine Stabs- und Versorgungstaffel sowie einen Gruppenstab. Aufgrund der Abgabe sämtlicher Waffensysteme MANTIS sowie aller Luftraumüberwachungsradare im vergangenen Herbst an die Slowakei konzentriert sich derzeit die letzte verbliebene Fähigkeit des Verbandes, das leichte Flugabwehrsystem, in einer Kampfstaffel.

Durch die Einführung des Waffensystems IRIS-T SLM wird sich das Gesicht des Verbandes bereits ab April 2025 grundlegend verändern. Die Flugabwehrraketengruppe 61 wächst dadurch bis April 2027 schrittweise auf fünf Kampfstaffeln IRIS-T SLM auf. Zudem werden wir bis zur geplanten Ausphasung des leichten Flugabwehrsystems in der Luftwaffe voraussichtlich im Jahr 2027 diese Fähigkeit in einer eigenen Kampfstaffel weiterbetreiben.

Was macht Ihre Gruppe so einzigartig?

Seit Auflösung der Heeresflugabwehrtruppe im Jahr 2012 ist die Flugabwehrraketengruppe 61 mit dem leichten Flugabwehrsystem der einzige Fähigkeitsträger der Bundeswehr, der hochmobile Luftverteidigung im Nah- und Nächstbereich für Landstreitkräfte leisten kann. Erst mit der Neuaufstellung der Heeresflugabwehrtruppe wird diese Unikatstellung meiner Gruppe aufgebrochen.

Eine weitere Besonderheit ist auch das aktuelle Unterstellungsverhältnis der Flugabwehrraketengruppe 61. Als einzige Flugabwehrraketengruppe der Luftwaffe ist mein Verband derzeit nicht dem Flugabwehrraketengeschwader 1 unterstellt, sondern untersteht seit April 2018 truppendienstlich unmittelbar dem Luftwaffentruppenkommando sowie im Rahmen des Projekts APOLLO operationell dem niederländischen Luftverteidigungskommando.

Eine weitere Besonderheit ist auch unsere Expertise im Bereich Counter-Unmanned Aircraft Systems, besser bekannt als Drohnenabwehr. Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten der Flugabwehrraketengruppe 61 sind für die Bedienung des elektronischen Störsenders HP47+ und des Drohnenabwehrsystems ASUL ausgebildet. Dieses Personal geht regelmäßig auch kurzfristig in Einsätze. So haben wir beispielsweise von 2019 bis 2023 durchgängig das deutsche Camp Castor in Mali gegen Drohnen geschützt.

Welche Waffensysteme liefern bei Ihnen welche Fähigkeiten?

Aktuell betreiben wir im Verband nur noch das leichte Flugabwehrsystem, das ursprünglich für den Schutz von Kräften im Rahmen von Luftlandeoperationen gegen tieffliegende gegnerische Luftfahrzeuge im Nah- und Nächstbereich entwickelt wurde.

Das leichte Flugabwehrsystem besteht aus mehreren Fahrzeugen, die auf dem gepanzerten Kettenfahrzeug Wiesel 2 basieren. Zum Verbund gehören ein Aufklärungs-, Führungs- und Feuerleitfahrzeug, der Waffenträger OZELOT sowie ein Schnittstellenfahrzeug zur Vernetzung mit externer Luftwaffe über taktische Datenlinks.

Derzeit wird das leichte Flugabwehrsystem jedoch primär für den hochmobilen Flugabwehrschutz von Landstreitkräften auf Brigadeebene eingesetzt. Basierend auf dem Lenkflugkörper STINGER kann es Flugziele bis zu einer Entfernung von 6.000 Metern und einer Höhe von 3.000 Metern bekämpfen. Seit kurzem ist das leichte Flugabwehrsystem auch LINK16-fähig und kann somit bruchfrei an die NATO integrierte Luftverteidigung angebunden werden.

Doch nun erhalten Sie neue Systeme. Wann kommen denn die ersten IRIS-T SLM?

Tatsächlich haben wir bereits seit Anfang August das erste IRIS-T SLM System der Bundeswehr in Todendorf, das in den nächsten Monaten für eine intensive Truppenerprobung genutzt und voraussichtlich Ende 2025 die formelle Genehmigung zur Nutzung erhalten wird.

Auf diesem System wird aktuell auch schon das erste Personal meines Verbandes durch den Hersteller ausgebildet. Damit erreichen wir bereits im Spätsommer eine Anfangsbefähigung in der Luftwaffe.

Ab Ende 2025 wird mein Verband dann zeitlich gestaffelt mit fünf Feuereinheiten IRIS-T SLM ausgestattet, die aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr finanziert wurden. Bereits Mitte 2027 soll die Umrüstung auf das neue Waffensystem abgeschlossen sein. Neben der Flugabwehrraketengruppe 61 wird auch das Ausbildungszentrum Flugabwehrraketen eine Feuereinheit IRIS-T SLM für den Bereich Lehre und Ausbildung erhalten. Damit wird der Standort Todendorf zum Zukunftsstandort der Flugabwehrraketentruppe – ausgerüstet mit dem modernsten Flugabwehrraketensystem seiner Reichweitenklasse.

Da es sich um eine wirkliche Neueinführung handelt, wie haben Sie Ihre Soldaten geschult?

Die Einführung von IRIS-T SLM ist tatsächlich eine Art Zeitenwende für das Personal der Flugabwehrraketengruppe 61. Bislang war die Flugabwehr im Nah- und Nächstbereich unser Kerngeschäft, zukünftig decken wir das mittlere Reichweitenspektrum ab und werden Teil der integrierten NATO-Luftverteidigung. Dieses neue Fähigkeitsspektrum stellt zumindest in Teilen gänzlich andere Anforderungen an das Personal und dementsprechend verschieben sich auch die Ausbildungsschwerpunkte im Verband.

Wir haben bereits Ende vergangenen Jahres damit begonnen, unser Personal bestmöglich für die neue Fähigkeit vorzubereiten. Dies beinhaltet neben lehrgangsgebundener Ausbildung auch interne Ausbildungsmaßnahmen, die wir teilweise mit externer Unterstützung durchführen. Im Rahmen der Vorausbildung werden insbesondere Grundlagen im Bereich der integrierten NATO Luftverteidigung gelegt, aber auch Themen wie Elektronischer Kampf, behelfsmäßige Instandsetzung oder Taktische Datenlinks behandelt. Zudem suchen wir den engen Schulterschluss zu unseren PATRIOT-Verbänden, um auch dort Wissen abzugreifen. Ziel ist es, dass meine Soldatinnen und Soldaten zum Zeitpunkt der Einführung von IRIS-T SLM in den Verband mit Ausnahme der waffensystemspezifischen Ausbildung bereits vollumfänglich für ihre neue Aufgabe qualifiziert sind.

Zudem freue ich mich als Kommandeur natürlich sehr, dass wir aktuell bereits die ersten Soldatinnen und Soldaten im Rahmen einer Industrieschulung auf IRIS-T SLM ausbilden können, ein für die Motivation der Truppe ungemein wichtiger Faktor. Die Aufbruchstimmung im Verband ist förmlich greifbar, alle freuen sich auf das neue Waffensystem.

Neben der fähigkeitsbezogenen Ausbildung haben wir aufgrund der Erfahrungen aus dem Krieg in der Ukraine auch die allgemeinmilitärische Ausbildung noch stärker in den Fokus gerückt und inhaltlich teilweise angepasst, um die eigene Überlebensfähigkeit in einem Konflikt zu erhöhen. Dies ist auch die klar formulierte Erwartungshaltung unseres Generalinspekteurs, wenn er von Kriegstauglichkeit spricht.

Wie bindet sich IRIS-T SLM in die gesamtdeutsche Luftverteidigung ein?

Mit der Einführung von IRIS-T SLM wird die Fähigkeitslücke im mittleren Reichweitenspektrum geschlossen, die mit der Außerdienststellung der Waffensysteme HAWK und ROLAND im Jahr 2005 entstanden ist. Die Leistungsfähigkeit des Systems wurde im Ukraine Krieg bereits eindrucksvoll nachgewiesen, insbesondere gegen Marschflugkörper und Drohnen erweist sich IRIS-T SLM als extrem wirkungsvoll. Zudem verfügt das System über eine hohe Feuerkraft, womit die Fähigkeiten der bodengebundenen Luftverteidigung der Luftwaffe sowohl qualitativ als auch quantitativ enorm gesteigert werden.

Mit diesem Fähigkeitszuwachs können die PATRIOT-Systeme zukünftig primär auf die Abwehr taktisch ballistischer Raketen konzentriert werden, während IRIS-T SLM mit seinem deutlich günstigeren Lenkflugkörper einen effektiven 360° Schutz gegen Flugzeuge, Hubschrauber, Drohnen und Marschflugkörper sicherstellt.

Gemeinsam mit dem ebenfalls neu beschafften ARROW Luftverteidigungssystem für die territoriale Flugkörperabwehr, dem Waffensystem PATRIOT sowie den Fähigkeiten der neu aufzustellenden Heeresflugabwehrtruppe werden wir in Deutschland zukünftig über eine Luftverteidigung verfügen, die nahezu das gesamte Bedrohungsspektrum abdeckt – und zwar vom Matsch bis in den Weltraum!

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