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Der Kampfhubschrauber Tiger im Gefecht der verbundenen Waffen

Im Rahmen der VJTF-Brigade 2023 (Very High Readiness Joint Task Force 2023) verlegte Anfang Mai 2022 ein Schwarm (vier operationelle) Kampfhubschrauber TIGER auf den Truppenübungsplatz Bergen, um dort mit insgesamt 7.500 Soldatinnen und Soldaten aus neun Nationen zusammen die Übung „Wettiner Heide 2022“ zu bestreiten. Dabei wurden die Kampfhubschrauber zusammen mit NH-90 einheitlich durch die Aviation Task Force VJTF geführt. Neben den erklärten Übungs- und Trainingszielen der Aviation Task Force, interne Prozesse und Planungszyklen zu verifizieren, bot die Übung für die Luftfahrzeugführer die Gelegenheit, unter realitätsnahen Bedingungen die eigenen Fähigkeiten im multinationalen Rahmen unter Beweis zu stellen. Die Übung brachte erfreuliche Erkenntnisse.
(Dieser Text erschien zuerst im cpmFORUM 5/23)
Kampfhubschrauber TIGER im Anflug an die Station„ Gefechtsschießen Operation verbundener Kräfte” im Rahmen der Informationslehrübung Landoperationen 2016 auf dem Truppenübungsplatz Munster/Bergen. Foto: Bundeswehr / Marco Dorow
KampfhubschrauberTIGERimAnflugandieStation„Gefechtsschießen Operation verbundener Kräfte” im Rahmen der Informationslehrübung Landoperationen 2016 auf dem Truppenübungsplatz Munster/Bergen.
Foto: Bundeswehr/Marco Dorow

Für die Besatzung im Kampfhubschrauber TIGER sind Gefechtsverfahren im bodennahen Tiefflug ein Schwerpunkt im täglichen Trainingsalltag und somit ein wesentlicher Teil des Fähigkeitenkataloges. Dies hat sich auch während den Einsätzen in Mali und Afghanistan kaum geändert. Der Tiefflug ist nicht zuletzt ein Erbe des langjährigen Einsatzes auf dem Panzerabwehrhubschrauber BO-105 und ist somit fest in den Genen eines jeden TIGER-Luftfahrzeugführers verankert. Durch die Schwerpunktverlagerung zurück zur Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) sowie den aktuellen Erkenntnissen aus dem Krieg in der Ukraine kommt der Fähigkeit, im bodennahen Tiefflug zu operieren, wieder besondere Bedeutung zu.

In einem solchen Szenar stellen nicht nur die Geländegegebenheiten eine unmittelbare Gefahr dar, sondern auch die Fähigkeiten des Gegners zur Flugabwehr. Da in einer friedlichen Rahmenlage niedrige Flughöhen die Ausnahme darstellen, stellte dies vor allem für die jüngeren Luftfahrzeugführer eine Probe aufs Exempel dar, ob man für die operationellen Herausforderungen gewappnet ist. Der Übungsplatz Bergen bietet aufgrund der wenigen Hindernisse, wie etwa Stromspannungsleitungen oder Pferdekoppeln und Ortschaften, welche wann immer möglich umflogen werden, sehr gute Voraussetzungen für die Luftfahrzeugführer, die eigenen Fähigkeiten zu testen.

Die Erwartungshaltung, während der „Wettiner Heide“ auf dem Gefechtsfeld lange zu überleben, war unter den Besatzungen eher gering. Schließlich sind die Bedrohungen auf einem modernen Gefechtsfeld für vergleichsweise langsam fliegende Kampfhubschrauber Tiger doch enorm. Die Flugabwehr wurde in dem Übungsszenar durch MANPAD-Trupps sowie FENNEK-Fahrzeugen mit STINGER-Aufbau dargestellt.

Am Deutsch-Französischen Heeresfliegerausbildungszentrum TIGER in Le Luc en Provence findet die „Muster-Einsatz-Flug-Ausbildung“ für den Kampfhubschrauber TIGER statt. Foto: Bundeswehr / Schneider
Ein Kampfhubschrauber Tiger im Flug.
Foto: Bundeswehr/ Schneider

Somit war die Bedrohungswahrnehmung sehr real. Jedoch hatten nur wenige der Besatzungen bereits valide Erfahrungen in solch einem hoch dynamischen und komplexen Szenar. Die Übung begann für die Aviation Task Force mit der Verbringung von Infanteriekräften durch NH-90 in den Raum eines geplanten vorgeschobenen Versorgungspunktes (Forward Arming and Refueling Point, kurz FARP), um diesen zu sichern.

TIGER-Kampfhubschrauber stellten dabei „Armed Overwatch“ während der Anlandung, Aufnahme und Sicherung des Geländes durch die Bodenkräfte. Die Operation diente im Wesentlichen dazu, sich mit dem Gelände und den lokalen Verfahren vertraut zu machen, bot aber auch die Möglichkeit, mit NH-90 Besatzungen gemeinsam zu operieren, wovon letztendlich alle Beteiligten profitieren konnten.

Übungsbeginn zur „Wettiner Heide“

Am Folgetag startete die eigentliche Übung „Wettiner Heide“. Ab diesem Zeitpunkt stellten zwei personell voll aufgestellte Schwärme sicher, dass der VJTF-Brigade zu jeder Zeit Unterstützung mit Kampfhubschrauber TIGER gewährleistet werden konnte.

Von dieser Unterstützungsleistung wurde auch rege Gebrauch gemacht, sodass die TIGER-Besatzungen die Gelegenheit bekamen, Tag wie nachts in den Gefechtsarten Verteidigung, Verzögerung und (Gegen-)Angriff zu unterstützen. In allen Gefechtsarten operieren die Kampfhubschrauber dabei als eigenständiges Manöverelement. Das bedeutet, dass sie die Bodenkräfte im Sinne des Auftrages und der Idee des Gefechts selbständig unterstützen. Dies setzt eine akribische Missionsplanung und einen hohen taktischen Ausbildungsstand eines jeden TIGER-Luftfahrzeugführers voraus.

NH-90 zum Absetzen (m.). von Infanterie. Foto: Kampfhubschrauberregiment 36
NH-90 beim Absetzen von Infanterie.
Foto: Kampfhubschrauberregiment 36

Während des Einsatzes werden die Kampfhubschrauber TIGER im Optimalfall durch eingesetzte Joint Fire Elemente mit aktuellen Informationen, wie etwa den Positionen vorderster, eigener Teile oder vorderster Feindteile versorgt. Aufgrund der Lageentwicklungen passen die TIGER-Besatzungen die eigene Operationsführung selbständig an, um dem Kampfauftrag gerecht zu werden. Leider haben jedoch langjährige Einsatzszenarien wie Afghanistan dazu geführt, dass die zuständigen Joint Fire Elemente verfahrensbedingt Kampfhubschrauber an einer sehr kurzen Leine führen. Dadurch wird die Effektivität des Kampfhubschrauber TIGER im Szenar der Landes- und Bündnisverteidigung erheblich vermindert.

Gerade die Übung „Wettiner Heide“ zeigte einmal mehr den Gefechtswert von selbständig agierenden Kampfhubschrauberbesatzungen, wenn sie denn im Sinne ihres Auftrages „von der Leine“ gelassen werden. Mehrfach kam es in den hochdynamischen Phasen des Gefechts dazu, dass die Besatzungen die Lage bzw. die wesentliche Lageänderung bereits erfasst hatten und, noch bevor die offizielle Anfrage über die Joint Fire Elemente kam, ihre Stellungen und Beobachtungsbereiche schon selbständig gewechselt hatten.

„Wir sind schon da/We’re already there!“, war oftmals die Antwort an die Bodenkräfte. Eine weitere Herausforderung für alle Teilnehmer waren mit Sicherheit die Funkverbindungen. „Kommunikation ist nicht alles, aber ohne Kommunikation ist alles nichts.“ Flaches, stark bewaldetes Gelände ist für jedes Funkgerät, das mit einer quasi optischen Verbindung arbeitet, eine Herausforderung.

Somit wird das Führen fliegender, taktischer Elemente zur echten Herausforderung, wenn die Bewegungsfreiheit aufgrund der Flugabwehrbedrohung stark eingeschränkt ist. Mit dieser frustrierenden Realität waren Bodenkräfte wie auch die Hubschrauberbesatzungen seit Beginn der Übung konfrontiert. Schnell wurden die Vorteile von Kampfhubschraubern als eigenständiges Manöverelement für alle spürbar, da der Auftrag ohne umfangreiche Kommunikation durchgeführt und dem Feind trotzdem erhebliche Verluste beschert werden konnten.

MANPAD Stinger. Foto: Bundeswehr / Florian Sorge
MANPAD Stinger.
Foto: Bundeswehr/Florian Sorge

„In flachem Gelände sind Wälder Berge“. Nicht umsonst ein Grundsatz in der Gefechtsführung, werden neben der Funkverbindung auch die Sichtlinien im flachen Gelände durch Wälder oder Ortschaften immens eingeschränkt. Der deutsche Kampfhubschrauber TIGER bietet für ein LV/BV-Szenar den unschätzbaren Vorteil eines auf dem Hauptrotorkopf montierten Mastvisiers. So kann sich der Hubschrauber hinter Wäldern oder Häusern außerhalb der Sichtlinie des Feindes maskieren, während das Mastvisier darüber hinweg schaut und den Kommandanten in die Lage versetzt, Ziele aufzuklären.

Wäre die Sensorik tiefer am Kampfhubschrauber TIGER verbaut, müsste man sich für die Zielaufklärung zunehmend exponieren und würde somit immer weiter ins Bedrohungsband der gegnerischen Flugabwehr geraten. Ein Problem, das der TIGER mit seinem Mastvisier kompensiert.

Der hohe Ansporn der Piloten, nicht von der feindlichen Flugabwehr „abgeschossen“ zu werden, bei gleichzeitiger Beachtung der Flugsicherheit, forderte ihr gesamtes Tiefflug-Know-how. So fanden Annäherungen, wenn möglich über Wälder, durch Lichtungen und schmale Wegschneisen statt. Während der Phasen der Aufklärung und Bekämpfungen wurden kleinste Lücken und Vertiefungen in den Wäldern genutzt, um den Hubschrauber zu maskieren. Im Laufe der Übung waren Beobachter und Teilnehmer zunehmend positiv überrascht, dass bisher kein Kampfhubschrauber TIGER durch die anwesende Flugabwehr aufgefasst, geschweige denn bekämpft wurde, war doch die anfängliche Erwartungshaltung eher pessimistisch.

TIGER im Tiefstflug (l.). Foto: Kampfhubschrauberregiment 36
TIGER im Tiefstflug.
Foto: Kampfhubschrauberregiment 36

Die Verwunderung wich allmählich, als die ersten Rückläufer der Bodentruppe kamen, dass man dem Kampfhubschrauber TIGER zwar oftmals sähe, ein Aufschalten auf die schmale Silhouette bzw. die geringe Infrarot (IR)-Signatur aber kaum möglich sei. Erstaunt waren im Gegenzug nun eher die Bodenkräfte auf beiden Seiten, die wohl zum ersten Mal beobachten konnten, wie wendig sechs Tonnen schwere Kampfhubschrauber jede noch so kleine Lücke nutzten, in Wäldern verschwanden und – wenn von der Leine gelassen – äußerst effektiv operierten.

Die Übung „Wettiner Heide“ war für alle Beteiligten ein voller Erfolg. Umso mehr freute es uns, als wir erfuhren, dass insbesondere unsere norwegischen Kameraden uns im Verlaufe der Übung in den höchsten Tönen lobten. Die gesammelten Eindrücke waren nicht nur als Lessons Learned unschätzbar, sondern auch eine seltene und willkommene Bestärkung in unseren Fähigkeiten.

Bewertung Commander Aviation Task Force (AvnTF):

Der Einsatzschwarm Kampfhubschrauber TIGER konnte in der Übung „Wettiner Heide“ wieder einmal nachweisen, dass echte Kampfhubschrauber das schnellste und effektivste Mittel des Truppenführers sind, den Schwerpunkt zu verlagern und auf Krisen in der Gefechtsführung zu reagieren.

Dabei haben die Piloten des Kampfhubschrauber TIGER mit ihrem Alleinstellungsmerkmal Tiefstflug bei Tag und Nacht in 10-20 Fuß GND voll überzeugen können und große Anerkennung bei der norwegischen und niederländischen Battle Group in der beweglichen Gefechtsführung erworben. Besonders wichtig ist dabei, dass die AvnTF als eigenständiges Manöverelement verstanden und nicht angebunden, sondern flexibel durch Wirkungsforderung geführt wird, um auf Lageänderungen reagieren zu können. So kann die AvnTF nicht nur zur Gefechtsführung der VJTF-Brigade beitragen, sondern in Krisenphasen den Unterschied darstellen.

Oberst Sönke Schmuck, Kommandeur Kampfhubschrauberregiment 36
Major Christian Bär, Kampfhubschrauberregiment 36

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