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KI-Forschung für Waffensysteme

Warum Künstliche Intelligenz, insbesondere im Einsatz für sicherheits- und verteidigungspolitische Zwecke, immer auch mit persönlicher Verantwortung der militärischen Entscheider einhergehen sollte: Ein Kommentar von Prof. Dr. Wolfgang Koch vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation zu den ethischen Dimensionen moderner Wehrtechnik, vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges.
Technisch anmutende Grafik eines Gehirns umgeben von Datenströmen, zur Visulisierung des Themas Künstliche Intelligenz (KI) in der Forschung für moderne Waffensysteme.
Vor allem in künftigen Waffensystemen wie Future Combat Air System (FCAS) oder Main Ground Combat System (MGCS) verdichten sich technische, ethische und rechtliche Herausforderungen der KI wie im Brennglas. Sie stellen auch der wehrtechnischen Forschung neuartige Aufgaben.
Grafik: Adobe Stock/lassedesignen

Aus der Brutalität des Ukraine-Krieges lassen sich längst noch keine Lehren ziehen – bis auf eine vielleicht. Zeigt nicht die Nachrichtenflut den Unterschied zwischen „Kampfkraft“ und „Gefechtswert“? Auch im „aufs höchste technisierten Gefecht“, wie Wolf von Baudissin 1954 formulierte, ist nicht allein das Zähl- und Messbare technischen Materials von Gewicht. Offenbar „zählen“ auch wehrwillige und -fähige Menschen, die wissen, wofür sie kämpfen, ihre Heimat kennen und mit quantitativ unterlegenen, aber technisch adäquaten Mitteln sich und die ihren zu verteidigen. Was bedeutet diese Einsicht für die militärische Technosphäre moderner Waffensysteme, die nur noch durch die Welt der Algorithmen, durch „Künstliche Intelligenz“ (KI) also, von Menschen beherrscht werden können?

Adenauers Armee

Unvermutet kommen dem Nachrichtenleser beim Blick auf die ukrainischen Verteidiger Vorstellungen wie „Staatsbürger in Uniform“ oder „Innere Führung“ in den Sinn, die Adenauers Armee seit ihren Gründungstagen prägen. Die ethische, rechtliche und politische Legitimation ihres Auftrages und die Verwirklichung wesentlicher persönlicher, gesellschaftlicher und staatlich verankerter Werte kennzeichnen die bundesdeutsche „Parlamentsarmee“ konzeptionell.

Wie sehr „die Verwissenschaftlichung und Technisierung des militärischen Handwerks“ zur „Entgrenzung und Beschleunigung“ militärischen Handelns führen würde, war den visionären Gestaltern der Bundeswehr bereits bei ihrer Gründung bewusst, als zeitgleich der Begriff „Künstliche Intelligenz“ entstand: „Das aufs höchste technisierte Gefecht“ verlange, „dass die Verantwortung an sehr vielen unteren Stellen gesehen und getragen wird“. Daher müsse alles getan werden, um „den Menschen vor Situationen zu stellen, die seine Verantwortung herausfordern und ihn die Folgen von Tun und Unterlassen erleben lassen“. Offenbar ist hier gerade auch die wehrtechnische Forschung gefordert.

Kriegsbilder aus Ukraine illustrieren von Baudissins Gedanken

Die Aggressoren im Ukrainekrieg bewahrheiten eine andere Einsicht von Baudissins (Anm. der Redaktion: Wolf Stefan Traugott Graf von Baudissin, deutscher Offizier, Militärtheoretiker und Friedensforscher): „Wird das Ethos der einzelnen Soldaten nicht mehr von der Verantwortung bestimmt, wird diese nur funktional und juristisch gesehen, steht die Sache in jedem Fall über dem Menschen, so werden Streitkräfte zur Gefahr“. Die Kriegsbilder des Jahres 2022 illustrieren im Osten Europas von Baudissins Sorgen:

Nur-Soldaten sind in der Dschungelsituation entgrenzter Kriege auf die Dauer nicht mehr kriegstüchtig. […] Sie werden dann zu Kampfmitteln ohne menschlichen Zusammenhalt und Gewissen degradiert; mit ihnen wird jede Gewalttat möglich.
Wolf Stefan Traugott Graf von Baudissin, Militärtheoretiker und Friedensforscher

Die Ukrainer erinnern unsere „postheroische Gesellschaft“ an die Gründe, die Westdeutschland in die NATO führten. Sie sind aktueller denn je. Die NATO sei eine Gemeinschaft freier Nationen, unterstrich Adenauer am 9. Mai 1955, „entschlossen, das gemeinsame Erbe der abendländischen Kultur, die persönliche Freiheit und die Herrschaft des Rechts zu verteidigen“. Daher entsprächen ihre Ziele „angesichts der politischen Spannungen in der Welt vollständig den natürlichen Interessen des deutschen Volkes, das sich [. . .] wie kaum ein anderes Volk nach Sicherheit und Frieden sehnt“. Deutschland werde „alle seine Kräfte darauf verwenden, dass die menschliche Freiheit und die menschliche Würde erhalten bleiben“.

Künstliche Intelligenz und Verantwortung

Die wehrtechnische Digitalisierung wird die Verteidigung Europas prägen, da die militärische Technosphäre ohne die Welt der Algorithmen unbeherrschbar ist. Ganz im Sinne ihrer konzeptionellen Identität liegt die Bedeutung der Künstlichen Intelligenz für die Bundeswehr auch gemäß neuesten ministeriellen Texten „nicht in der Entscheidung Mensch oder KI, sondern in einer effektiven und skalierbaren Kombination von Mensch und KI, um eine bestmögliche Aufgabenerfüllung zu gewährleisten“. Vor allem in künftigen Waffensystemen wie Future Combat Air System (FCAS) oder Main Ground Combat System (MGCS) verdichten sich technische, ethische und rechtliche Herausforderungen der KI wie im Brennglas. Sie stellen auch der wehrtechnischen Forschung neuartige Aufgaben.

Persönliche Verantwortung militärischer Entscheider

Das technische Design derartiger Systems-of-Systems muss daher eine militärische Kernforderung erfüllen: „Kennzeichnende Merkmale militärischer Führung sind die persönliche Verantwortung militärischer Entscheider und die Durchsetzung ihres Willens in jeder Lage“, wie die „Konzeption der Bundeswehr“ 2018 bekräftigt. Verantworteter Waffeneinsatz und effektive „Wirkung im Ziel“ schließen sich keinesfalls aus. Entscheidend ist die Frage: Welcher normative Rahmen trägt den sicherheitspolitischen und operativen Realitäten des 21. Jahrhunderts Rechnung und ermöglicht zugleich die Nutzung von KI in Waffensystemen gemäß dem „gemeinsamen Erbe der abendländischen Kultur“?

Arbeitsgemeinschaft „Technikverantwortung für ein FCAS“

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik begleitet gedankliches Ringen um die technische Umsetzung ethischer und rechtlicher Prinzipien ein verteidigungspolitisches Großprojekt von Beginn an. Ziel der gesellschaftsübergreifend angelegten Arbeitsgemeinschaft „Technikverantwortung für ein FCAS“ ist es, Ethik und politisches Wollen technisch zu operationalisieren (www.fcas-forum.eu). Wehrtechnische Großprojekte sollten generell in dieser Weise begleitet werden. Andernfalls wären die mit KI verbundenen Paradigmenwechsel und materiellen Anstrengungen politisch, gesellschaftlich und finanziell kaum durchsetzbar.

Verteidigungsbereitschaft gegenüber hochgerüsteten Gegnern muss nicht nur technologisch glaubwürdig sein, sondern zugleich dem im ersten Satz des Grundgesetzes verankerten Ziel entsprechen, „im Bewusstsein [unserer] Verantwortung vor Gott und den Menschen [. . .] in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Wir dürfen nicht verraten, was wir verteidigen.

Kognitive Maschinen

Künstlich intelligente Automation begründet einen neuartigen Maschinenbau, um den wahrnehmenden Verstand und wirkenden Willen des Menschen zu unterstützen, die allein intelligent wahrnehmen und autonom handeln; Maschinen bleiben Dinge. Kognitive Maschinen fusionieren massenhafte Sensor-, Beobachter-, Kontext- und Missionsdaten zu umfassenden Lagebildern, der Grundlage für bewusstes Wahrnehmen, um lageadäquat zu planen, zu handeln und Auswirkungen zu bewerten. Volitive Maschinen transformieren bewusst getroffene Entscheidungen in automatisch ausgeführte Befehlsketten zur Datengewinnung und Steuerung unbemannter Subsysteme bis hin zur Erzielung kinetischer oder elektronischer Waffenwirkung.

Derart kognitiv und volitiv unterstützt, sind militärische Entscheider befähigt, auch in komplexen Lagen mit verteilten Aufklärungs- und Wirkmitteln reaktionsschnell und handlungsfähig zu bleiben. Sogenannte OODA Loops (Observe, Orient, Decide, Act) werden auf verschiedenen Ebenen militärischen Handelns „at machine speed“ durchlaufen. Potenzielle Gegner treiben diese technische Entwicklung machtvoll voran. Die militärische Systemtechnik profitiert jedoch nur eingeschränkt von den enormen Summen, die zivile Akteure in KI-getriebe Business Cases investieren.

Schlüsselrolle für wehrtechnische Spitzenforschung

Obwohl Substanzielles erreicht ist, bedarf es daher noch erheblicher Anstrengungen. Der wehrtechnischen Spitzenforschung in Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Als Grundlagen-, Ressort-, und Anwendungsforschung, aber auch als industrielle F&E (Forschung und Entwicklung) verfügt sie querschnittlich über komplementäre Kompetenzen und Strukturen, die dem internationalen Wettbewerb standhalten. Durch technology push kann sie nicht nur das Fähigkeitsspektrum der Bundeswehr erweitern, sondern öffnet systemisch Wege, um künftige Herausforderungen frühzeitig zu erkennen, geeignete Lösungsansätze zielgerichtet aufzugreifen und Fähigkeitslücken zu schließen (concepts pull). Damit sie ihr volles Potential als Katalysator eines effektiven Technologietransfers in die Bundeswehr zur Entfaltung bringen kann, muss sie frühzeitiger in Planungsprozesse eingebunden werden sowie als Partner der Industrie an der Umsetzung mitwirken, um das „Tal des Todes“ deutscher Technologiepolitik zu überbrücken.

Fest im Vertrauen auf sein besseres inneres Wissen muss der Führer dastehen wie der Fels, an dem die Welle sich bricht.
Carl von Clausewitz, preußischer General und Militärphilosoph

„Fest im Vertrauen auf sein besseres inneres Wissen muss der Führer dastehen wie der Fels, an dem die Welle sich bricht,“ unterstreicht Carl von Clausewitz, der preußische General und Militärphilosoph, der die moralischen, psychologischen und politischen Aspekte des Krieges beschrieb, die gerade heute relevant sind. Künstlich intelligente Automation erfordert daher digital gebildete Soldaten. Sie müssen nicht wissen, wie man kognitve und volitive Maschinen baut, sondern deren Stärken und Schwächen, Risiken und Chancen einschätzen können. Die damit verbundene Kompetenz und Moral sind erlernbar und entsprechen Fragen des soldatischen Ethos, die sich durch künstlich intelligente Automation zwar verschärft stellen, aber nicht grundsätzlich neu sind.

Grafische Visualisierung des Themas "Technische und ethische Dimension in der KI-Forschung für Waffensystem: Zwei sich gegenüberstehende Gehirne, stellvertretend für zwei militärische Entscheider, sind getrennt und gleichzeitig verbunden durch ein komplexes Netz aus Daten und Informationen.
Kognitiv und volitiv unterstützt, sind militärische Entscheider befähigt, auch in komplexen Lagen mit verteilten Aufklärungs- und Wirkmitteln reaktionsschnell und handlungsfähig zu bleiben. Sogenannte OODA Loops (Observe, Orient, Decide, Act) werden auf verschiedenen Ebenen militärischen Handelns „at machine speed“ durchlaufen.
Grafik: Pixabay

Sieben Forschungssäulen

Vor dem beschriebenen Hintergrund lassen sich die Aufgaben der wehrtechnischen Forschung im Kontext kognitiver und volitiver Maschinen durch sieben Säulen veranschaulichen, die jeweils ein eigenes Handlungsfeld darstellen.

  1. Welt der Algorithmen. Forschung zur algorithmischen Informationsgewinnung durch Signalanalyse und Datenfusion legt die methodischen Grundlagen für künstlich intelligente Automation. In dieses Umfeld gehört hochautomatisiertes Ressourcenmanagement zur adaptiven Steuerung multifunktionaler Sensoren sowie mobiler Plattformen und Wirksysteme.
  2. Daten, Daten, Daten. Zukünftige Systems-of-Systems benötigen ein Informations-Backbone, das Daten für den Test sowie das Training und Re-Training von Algorithmen in dezentral organisierten Combat Clouds sammelt, abgleicht, registriert, verifiziert, organisiert, auswertet, buchhalterisch verwaltet und sicher verteilt. Umfassende Datenintegrität ist entscheidend.
  3. Kunst der Programmierung. Der algorithmische Kern künstlich intelligenter Automation muss von vergleichsweise kleinen Teams aufeinander eingespielter Programmierer realisiert werden, die ganz genau wissen, was sie tun. Standardisiertes Software Engineering wird diese „kunstvoll komponierten“ Kerne in militärische Systeme einbetten und zertifizieren.
  4. Computing. Ubiquitäres und resilientes Rechnen „at the edge“ ist ein wesentliches Merkmal verteilter Combat Clouds. Sogenannte adiabatische Quantum Kernels, die in hybride Rechnerarchitekturen eingebettet sind, können Algorithmen zur Datenzuordnung und Ressourcenzuweisung bisher beispiellos beschleunigen und militärische Game Changer werden.
  5. Anthropozentrik. Da die Bedeutung militärisch genutzter KI in der „effektiven und skalierbaren Kombination aus menschlicher und Künstlicher Intelligenz“ liegt, besitzt die ergonomische Forschung im Rahmen der wehrtechnischen Digitalisierung eine Schlüsselrolle. Sie umfasst offenbar die bereits angesprochenen ethischen und rechtlichen Dimensionen.
  6. Push and Pull. Systemtechnische Forschung und experimentelle Fähigkeitsnachweise lösen nur dann wehrtechnische Innovationen aus, wenn sie nicht nur operativen Mehrwert eröffnen, sondern in militärische Verfahren und Abläufe zur Beschaffung eingebunden sind. Ferner muss die Forschung berücksichtigen, wie Einsatzkräfte und Zulassungsstellen denken.
  7. Joint and Combined. Aus operationellen Gründen konvergieren die militärischen Dimensionen Luft, Land, See, Weltraum und CIR. Grundlegende Strukturen für Kommunikation und Informationsverarbeitung künftiger Systems-of-Systems sind daher für gemeinsame Operationen in allen Dimensionen zu erforschen und querschnittlich auszulegen (Multi-Domain C2).

Verantwortete Forschung

Das Leitbild der „Inneren Führung“ soll auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen prägen, die in der wehrtechnischen Forschung Verantwortung tragen. Analog zum hippokratischen Eid der Ärzte, die ebenso zur Verantwortung verpflichtet sind, wäre die bei der Gründung der Bundeswehr für unerlässlich gehaltene Vereidigung auch im Kontext der wehrtechnischen Forschung mit frischem Blick zu sehen. Für von Baudissin gehörte es „zu den wesentlichen Aufgaben der Militärgeistlichen, auf die Heiligkeit des Eides wie auch des Gelöbnisses zu weisen, dem Rekruten den Ernst der Übernahme ihrer Dienstpflichten auf ihr eigenes Gewissen, zugleich aber auch die von Gott gesetzten Grenzen jeder und auch dieser Verpflichtung aufzuzeigen“.

In diesem Geiste verabschiedete sich Konrad Adenauer 1963 von der Bundeswehr „als dem sichtbarsten Ausdruck des Wiederaufbaus Deutschlands, als Wiederherstellung der Ordnung, als Beweis der Eingliederung in die Front freier Völker zum Schutze unseres Vaterlandes“. Auch für uns Wehrforscher möge gelten: „Soldaten, wenn wir nicht unsere Streitmacht geschaffen hätten, hätten wir Freiheit und Frieden schon lange verloren. So haben Sie, Soldaten, durch die Arbeit, die Sie geleistet haben, in Wahrheit dem deutschen Volke den Frieden geschenkt und erhalten.“

Kommentar: Prof. Dr. Wolfgang Koch, Fraunhofer FKIE

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