Mit Beginn des Angriffskrieges durch Russland auf die Ukraine schien unsere regelbasierte Weltordnung aus dem Gleichgewicht gekommen zu sein und der Begriff einer politischen „Zeitenwende“ etablierte sich in der Gesellschaft. Das galt auch für Kooperationen in der Logistik. Bereits das Jahr 2014 stellte mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und dem Ausbruch des bewaffneten Konfliktes in der Ostukraine eine Zäsur dar. Die zu diesem Zeitpunkt fast ausschließliche Konzentration auf Operationen im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements (IKM) zahlreicher NATO-Staaten konnte unter den geänderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen nicht mehr aufrechterhalten werden.
Die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) rückte in der Bundeswehr bereits 2014 immer stärker in den Fokus und ist seit dem 24. Februar 2022 auch in Politik und Gesellschaft ein dominierendes Thema. Um die Bundeswehr auf die veränderte Situation auszurichten, sind unverändert umfangreiche Investitionen für Ausrüstung und Modernisierung, Kooperationen in der Logistik, aber auch organisatorische Veränderungen notwendig.
„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. […] Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen. Das setzt eigene Stärke voraus.“
Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022
Auch das logistische System der Bundeswehr (LogSysBw), welches auf die Erfüllung von IKM-Missionen optimiert wurde, wird seitdem stetig weiterentwickelt. Dabei sind neben der veränderten Gewichtung von IKM und LV/BV auch weitere Aspekte zu berücksichtigen, wie z.B. der demografische Wandel, disruptive Technologien oder die zunehmende Digitalisierung von Produkten und Prozessen.
Zur Bewältigung dieser Herausforderungen galt und gilt es, die drei Säulen des LogSysBw zu stärken. Neben der noch engeren multinationalen Zusammenarbeit und der Erhöhung eigener militärischer Kapazitäten bildet die zielgerichtete Zusammenarbeit mit der Wirtschaft einen wesentlichen Bestandteil. Insbesondere, da militärische Kräfte begrenzt verfügbar und daher notwendige gewerbliche Leistungen zu integrieren sind, um die erforderlichen logistischen Leistungen erbringen zu können.
Bei der Intensivierung der Zusammenarbeit mit zivil-gewerblichen Partnern sind vor dem Hintergrund eines möglichen Konflikts, ggf. auch unterhalb der Schwelle zum Spannungs-/Verteidigungsfall, grundsätzliche Fragestellungen in den Fokus zu rücken. So sind beispielsweise bestehende rechtliche Rahmenbedingungen (etwa die Leistungs-, Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze) zu analysieren und bei Bedarf anzupassen. Ebenso sind die tatsächlichen Anforderungen an zivile Kooperationspartner, auch für Krise und Krieg, wahrhaftig zu definieren und mit den bestehenden militärischen Fähigkeiten zu komplementieren. Die notwendige „Kriegstauglichkeit“ der Logistik ist also noch mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Dies gilt im Übrigen auch für die Entwicklung, Beschaffung und Einführung von Rüstungsgütern, um deren logistische Unterstützung und Versorgung, man denke hier z.B. an eine Instandsetzung im Felde, zu ermöglichen.
Um bei Kooperationen in der Logistik die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft koordiniert und zielgerichtet voranzubringen, etablierte das Logistikkommando der Bundeswehr (LogKdoBw) das Projekt „Zukunftsorientierung Kooperationen in der Logistik“ mit dem Ziel, in ausgewählten Bereichen innovative Formen der Zusammenarbeit zu sondieren und diese nach Möglichkeit in Kooperationsvereinbarungen oder Rahmenverträge münden zu lassen. Innerhalb dieses Projektes werden nachstehende Kooperationsfelder näher betrachtet:
- Materialbewirtschaftung und Lagerung,
- Logistische Unterstützung der Verlegung von Kräften in Deutschland,
- Instandhaltung und Fertigung sowie
- Kraftfahrwesen der Bundeswehr.
Wann immer möglich und sinnvoll, sollen mit Hilfe von „Full-Service-Provider“-Verträgen Leistungen an die Wirtschaft vergeben und damit die erforderliche Kapazitätserhöhung im LogSysBw – unter Beibehaltung der logistischen Führung durch die Bundeswehr – realisiert werden. Hierbei handelt es sich im Grunde genommen um nichts Neues. Allerdings erfordert eine „Kriegstauglichkeit“ nicht nur neue Formen und Umfänge der Zusammenarbeit, sondern bringt auch neue Anforderungen, z.B. in Bezug auf Schutz und Resilienz und dem Faktor Zeit. Darüber hinaus werden zivilgewerbliche Leistungen sowohl in den Einsatzgebieten, als auch in Deutschland, vor dem Hintergrund der Funktion als Transitnation, in hohem Maße gefordert sein, um die militärischen Fähigkeiten komplementär zu ergänzen.
Ausgehend von ersten Überlegungen im Rahmen des mit der Studiengesellschaft der DWT mbH (SGW) ausgerichteten „Forum Bundeswehrlogistik“ im Jahr 2017 konnten Inhalte und Ziele des Projekts bereits im Rahmen der vierten SGW-Klausurtagung „Die Streitkräftebasis und ihre Partner in der Wirtschaft“ im Jahr 2018 erstmalig einer breiten Öffentlichkeit aus zivilen sowie militärischen Vertretern präsentiert werden. Daran anknüpfend war das Jahr 2019 durch eine kontinuierliche Weiterführung des Gesamtprojekts geprägt und mit den entsprechenden Dialogformaten ist der bestehende Austausch zielführend vorangeschritten. Im September 2021 wurde erneut das Format „Forum Bundeswehrlogistik“ der SGW genutzt, um ausgewählte Aspekte der Zusammenarbeit fortzuführen und den bestehenden Dialog zu fördern.
Trotz pandemiebedingter Einschränkungen wurde der Weg der Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft konsequent fortgeführt und in diversen Fachpanels wurden seither mögliche Lösungsansätze intensiv diskutiert und entworfen. Letztmalig konnte im Rahmen einer Informationsveranstaltung im November 2022 ein zielgerichteter Austausch zwischen Vertretern der Wirtschaft und der Bundeswehrlogistik durchgeführt werden. Hierbei wurden die Kooperationsmöglichkeiten im Bereich des Kraftfahrwesens, speziell unter dem Aspekt autonom agierender Systeme, erstmalig thematisiert und den Firmen ein Einblick in die militärischen Anforderungen diesbezüglich skizziert.
Materialbewirtschaftung und Lagerung
Das Kooperationsfeld „Materialbewirtschaftung und Lagerung“ wurde im Rahmen eines Industrie-Bundeswehr-Dialogs in den Bereichen „Munition“ und „Material“ vor dem Hintergrund gewerblicher Unterstützungsmöglichkeiten untersucht und danach wurden mögliche Kooperationsansätze für eine bedarfsgerechte Leistungserbringung modelliert, um den Bedarf der Bundeswehr mit ergänzenden Drittleistungen möglichst wirtschaftlich decken zu können und die Kernfähigkeiten in der Depotorganisation zu erhalten.
Im Bereich „Munition“ sind mögliche Kooperationsfelder im Rahmen „Werterhaltende Lagerung von Aussonderungs- und Verwertungsbeständen Munition“ sowie die „Bedarfsgerechte, werterhaltende Lagerung von Übungs- und Manövermunition einschließlich dezentraler Munitionsüberwachung“ identifiziert worden. Hierzu hat das LogKdoBw eine komplexe Wirtschaftlichkeitsuntersuchung mit zwei Interessenbekundungsverfahren durchgeführt und die Wirtschaftlichkeit nachgewiesen. In einem ersten Schritt soll nun die Umsetzung der Kooperation im Bereich von Übungs- und Manövermunition als „Komplexe Dienstleistung“ erfolgen und in einem Folgeschritt auch der Anteil „Aussonderungs- und Verwertungsmunition“ an einen Dritten übergeben werden.
Der Arbeitsbereich „Material“ befasste sich mit einem Kooperationsvorhaben zur gewerblichen Aufgabenunterstützung bei der „Bedarfsgerechten Lagerhaltung von Nicht- und Einzelverbrauchsgütern und Schmier- und Betriebshilfsstoffen der Bundeswehr“. Auch hier hat eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ergeben, dass eine zivil-gewerbliche Kooperation die ökonomisch sinnvollste Alternative der Bedarfsdeckung darstellt. Analog zum Arbeitsbereich „Munition“ hat die Wirtschaft auch im Bereich „Material“ im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens angezeigt, dass diese Leistungen am Markt zivil-gewerblich verfügbar sind. Auch hier soll die Umsetzung der Kooperation in Form einer „Komplexen Dienstleistung“ durchgeführt werden. Die Federführung für die Umsetzung der zwei dargestellten Handlungsfelder liegt bei den jeweiligen Projektleitungen im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw).
Logistische Unterstützung der Verlegung von Kräften in Deutschland
Bei einem möglichen Einsatz von NATO-Streitkräften an der Ostgrenze des Bündnisses kommt der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer zentralen geografischen Lage in Europa im Rahmen des Auf- bzw. Durchmarsches von deutschen und alliierten Streitkräften hohe Bedeutung zu. Für die in diesem Rahmen zu erfüllenden gesamtstaatlichen Aufgaben des Host Nation Support (HNS) soll der Anteil benötigter logistischer Leistungen über vertraglich geregelte Kooperationen mit Partnern in der Wirtschaft bedarfsgerecht bereitgestellt werden können. Diese zivil-gewerbliche Unterstützung soll für Übungen, Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Mögliche Leistungen, wie z.B. die logistische Unterstützung innerhalb eines Rast- oder Sammelraums oder bei einem technischen Halt militärischer Kräfte, stehen hierbei im Mittelpunkt. Mit der durch das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) eingerichteten „Projektgruppe Logistische Unterstützung der Verlegung von Kräften“ als besonderes Arbeitsgremium sowie einem Integrierten Projektteam in Verantwortung des Planungsamtes der Bundeswehr wurden die bestehenden Ansätze mit einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung auf ihre Realisierbarkeit geprüft und eine Empfehlung zur Umsetzung ausgesprochen.
Kooperationen in der Logistik: Instandhaltung und Fertigung
Im Kooperationsfeld „Instandhaltung und Fertigung“ wurden zunächst geeignete Bereiche identifiziert, geprüft und anteilig getestet. Als ein möglicher Ansatz wurde festgestellt, dass vorhandenes Kooperationspotenzial bei der „Fertigung und Bereitstellung der Baugruppe Rad“ besteht. Im Rahmen einer durchgeführten Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zur bedarfsgerechten Fertigung von Radbaugruppen mit Notlaufelementen im Kontext steigender Bedarfe wurde dieses identifizierte Potenzial bestätigt. Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung spricht dazu die konkrete Empfehlung zur Implementierung einer bedarfsdeckenden Kooperation über zukünftige Fertigungsbedarfe aus. Das Vorgehen zur Realisierung dieser Kooperation befindet sich derzeit in ministerieller Befassung.
Eine weitere Kooperationsmöglichkeit eröffnet sich im Bereich der ortsfesten Instandhaltungseinrichtungen. Durch eine Instandhaltung „Schulter-an-Schulter“ kann insbesondere bei neuen, hochkomplexen Systemen ein zielführender Know-how-Transfer erfolgen, um so die Beurteilungs-, Erkenntnis- und Forderungsfähigkeit der ortsfesten Instandhaltungseinrichtungen auch langfristig zu gewährleisten. Die dazu erforderliche Einbindung von Firmen soll zukünftig über die HIL GmbH erfolgen.
Kraftfahrwesen der Bundeswehr
Der Wettbewerb um die beste Technologie für das autonome Fahren ist weltweit in vollem Gang. Im Mai 2021 haben Bundestag und Bundesrat einem Gesetz zugestimmt, nach dem autonome Fahrzeuge in Deutschland ohne physisch anwesende Fahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen können. Beim geplanten ersten Schritt soll ein Fahrer immer noch an Bord sein und notfalls regulierend die autonome Fahrt unterbrechen können.
Auch im militärischen Bereich ist das autonome Fahren ein zukunftsweisendes Thema. Fahrzeugentwicklungen verzeichnen eine immer größer werdende Implementierung von unterstützenden, ergänzenden und übernehmenden Funktionen zur Entlastung der Fahrzeugbesatzung. Die bestehenden Auswirkungen sind in diesem Zusammenhang umfassend zu untersuchen, um dem Anforderungsprofil von Streitkräften gerecht zu werden.
Das dem LogKdoBw unterstellte Zentrum Kraftfahrwesen der Bundeswehr beabsichtigt dazu, ein „Kompetenzzentrum Systemsicherheit“ am Standort Bad Fallingbostel aufzustellen. Eine mögliche Zusammenarbeit mit der Wirtschaft lässt sich in den Bereichen Simulation und Messtechnik sowie innerhalb des Aufbaus und Betriebs von Prüffeldern identifizieren. Die Innovationsgeschwindigkeit erfordert, Lösungen abseits von gängigen Beschaffungsverfahren der Bundeswehr zu denken. Daher bieten Kooperationen mit der gewerblichen Wirtschaft vor allem im Hinblick auf die zunehmende Vernetzung, die umfassende Einbeziehung von Simulationen und die rasante Entwicklung von Datenmanagementaufgaben, beiderseitige Chancen, die es zu nutzen gilt.
Ausblick
In kontinuierlicher, vertrauensvoller und zielgerichteter Arbeit konnte das Projekt „Zukunftsorientierung Kooperationen in der Logistik“ weit vorangebracht werden.
Die dargestellten Kooperationsfelder bilden daher erste Bausteine zur Stärkung der Säule „Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ im Haus der Logistik. Die stetige Weiterentwicklung der Bundeswehrlogistik in Verbindung mit der Suche nach neuen Kooperationsmöglichkeiten bilden den Ausgangspunkt, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Gleichzeitig ist das bisher Erreichte Ansporn für weitere Projekte auch in anderen logistischen Leistungsbereichen, um das LogSysBw mit innovativen und zuverlässigen Lösungen „kriegstauglich“ und zukunftsfähig zu machen. Hierbei müssen auch die Erkenntnisse aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine einfließen, insbesondere bei der Gestaltung und rechtlichen Ausformung künftiger Kooperationen.
Der erlebte vertrauensvolle Dialog zwischen Bundeswehr und Wirtschaft bildet hierfür die Grundlage und gibt Anlass, der Fortführung optimistisch entgegen zu blicken.
Autorenteam Abteilung Planung, Abteilung Einsatz, Zentrum Kraftfahrwesen der Bundeswehr