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MedEvac – Was lernen wir aus den aktuellen Entwicklungen für die eigene LV/BV?

Auftrag des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist es, die sanitätsdienstliche Unterstützung und Versorgung der deutschen Streitkräfte in den Einsatz- und Übungsgebieten im In- und Ausland weltweit zu gewährleisten – MedEvac. Das Wissen, dass bei einer Verwundung, Verletzung oder Erkrankung eine durchgehende, qualitativ hochwertige medizinische Versorgung und eine belastbare Rettungskette bis ins Heimatland besteht, trägt wesentlich zur Moral der Truppe bei und stärkt somit die Kampfkraft der Truppe. Die Sicherstellung der Rettungskette vom Ort der Verwundung/Verletzung/Erkrankung bis in die endgültige medizinische Versorgungseinrichtung im Heimatland muss qualitativ hochwertig und quantitativ ausreichend aufgestellt erfolgen.

MedEvac: Fähigkeit Patientenlufttransport: Blick ins Innere des A330 Aeromedical Evacuation der Multinational MRTT Fleet.
Fähigkeit Patientenlufttransport: Blick ins Innere des A330 Aeromedical Evacuation der Multinational MRTT Fleet.
Foto: Bundeswehr/Stephan Ink

Die Refokussierung vom Internationalen Krisenmanagement (IKM) zur Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) gewinnt insbesondere seit dem 24. Februar 2022 mit Beginn des Angriffs- krieges Russlands an Bedeutung und vor allem an Dringlichkeit. Im Rahmen von mehreren Workshops wurde 2022 im Kommando Sanitätsdienst u.a. der Patiententransport (PatTrsp) in seinen qualitativen und quantitativen Fähigkeiten betrachtet und für die Division 2025, welche seitens Deutschlands der NATO als Beitrag zum NATO Force Modell angezeigt wird, ausgeplant.

Geopolitische und geostrategische Faktoren von MedEvac

Bei der Rettungskette von MedEvac sind, wie auch in der Planung der logistischen Versorgung der Truppe, die geopolitischen und -strategischen Gegebenheiten mit in Betracht zu ziehen. Vor allem für den Patiententransport aus den baltischen Staaten stellt die geopolitische Randlage ein nicht zu verachtendes Risiko für die Durchführbarkeit der Evakuierung mittels Land-, Luft- und Seetransport dar.

Die geographische Lage des Suwalki-Korridors, der einzigen „NATO-Landverbindung“ zu den baltischen Staaten, die zwischen der russischen Enklave Kaliningrad und Belarus hindurch verläuft, könnte es Russland leicht machen, diese militärisch zu blockieren und somit den Landtransport unmöglich machen.

Russlands Anti-Access/Area-Denial-Fähigkeiten (A2/AD) mit ihren mobilen Flugabwehrsystemen vom Typ S-300 oder S-400, den ballistischen Kurzstreckenraketen des Typs ISKANDER und das Küstenverteidigungssystem BASTION verschärfen die prekäre Situation* . Ein Patiententransport könnte bei blockiertem Landweg nur noch über den See- und Luftweg mit dem Risiko des Beschusses der Transportmittel erfolgen. Außerdem müssten je nach Bedrohungslage Umwege z. B. über Schweden, Finnland und Dänemark hingenommen werden, was die Transportzeiten für MedEvac verlängert und sich negativ auf das Outcome der Patienten auswirken kann.

(l.) Ebenen der Rettungskette.
(r.) Anti-Access Area Denial (A2/AD)-Abdeckung Russlands und Darstellung möglicher Transportwege der NATO durch die Suwalki-Lücke bzw. über Umweg über die Ostsee.
(l.) Grafik: Kdo SanDstBw
(r.) Grafik: Kartenmaterial von Google Maps, Zeichnungen durch Verfasser (OFA Kohl) eingefügt

Fähigkeitslücken Patiententransport

Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Friedensdividende in den letzten Jahrzehnten die Fähigkeiten des Transportes einer hohen Patientenanzahl über weite Strecken vor allem im strategischen PatTrsp zum Großteil abgebaut wurden. Durch die Auflösung der Krankentransportkompanien (Schiene) und der Reservelazarettorganisation mit den Krankentransportkompanien Großraum im Jahr 2007 verlor die Bundeswehr die Fähigkeit Großraumtransport per Bahn und Bus gänzlich.

Die Fähigkeit Seetransport von Patienten, im Sinne der strategischen Evakuierung zur Unterstützung des Systemverbundes Land, ist faktisch nicht vorhanden. Lediglich die Fähigkeit strategic aeromedical evacuation (StratAE) ist vorhanden, jedoch quantitativ für die Anzahl der in einem LV/BV-Szenario zu erwartenden Patientenzahlen von mehreren Hundert am Tag nicht ausreichend aufgestellt. Diese gravierenden Fähigkeitslücken werden in der LV/BV zu einem Bruch in der Rettungskette führen.

Die medizinischen Versorgungseinrichtungen in der Area of Operation werden aufgrund des folglich fehlenden entlastenden Abtransportes („hintere Transportlücke“) binnen weniger Tage in einer Kettenreaktion überlastet werden. Dies führt unweigerlich zu einer Verlängerung der Zeiten bis zur adäquaten Behandlung vor Ort, im schlimmsten Falle bis hin zur nicht stattfindenden Behandlung von Verletzten.

Das Resultat sind steigende Sterblichkeitsraten und verschlechterte Krankheitsverläufe bei MedEvac. Die Auswirkungen dessen auf die Moral der Truppe wären fatal und hätte direkten Einfluss auf die Kampfkraft der Streitkräfte.

(l.) GTK BOXER Sanität auf einer Übung bei der Enhanced Forward Presence Battlegroup in Rukla/Litauen.
(r.) Krankentransportbus Sanitätskräfte verladen einen verletzten Soldaten in den Krankentransportbus während des Herbstmanövers Wehrhafter Löwe in Hessen 1983.
(l.) Foto: Bundeswehr/PAO EFP
(r.) Foto: Bundeswehr/Matthias Zins

Erkenntnisse aus den Ereignissen in der Ukraine

Gemäß dem humanitären Völkerrecht sind Verwundete, Kranke, Sanitätspersonal und Sanitätstransportmittel jederzeit von den gegnerischen Kombattanten zu schonen und zu schützen sowie unter keinen Umständen anzugreifen. Mit dem Schutzzeichen gekennzeichnetes Personal genießt den Schutz solange es sich nicht an feindlichen Handlungen beteiligt.

Waffen dürfen von militärischem Sanitätspersonal nur zum Selbstschutz getragen werden. Nicht entsprechend gekennzeichnetes militärisches Sanitätspersonal verwirkt diesen Schutz, da es von den regulären Kombattanten nicht mehr unterschieden werden kann. Gleiches gilt für nicht gekennzeichnete Infrastruktur und Fahrzeuge des Sanitätsdienstes² .

Meldungen aus der Ukraine über den Beschuss sowohl von medizinischen Versorgungseinrichtungen (Krankenhäusern, Feldlazaretten, Rettungsstationen, etc.), als auch von Krankentransportmitteln (zivile und militärische RTW/KrKw) sind sowohl aus offiziellen ukrainischen Kanälen als auch den sozialen Medien und der Presse zu vernehmen.

Ob es sich hier um versehentlichen oder intentionellen Beschuss handelt, kann rechtlich hier nicht abschließend bewertet werden. Jedoch muss in Betracht gezogen werden, dass Schutzzeichen seitens des Gegners nicht beachtet werden und medizinische Infrastruktur und Transportmittel möglicherweise gezielt angegriffen werden.

Diese Erkenntnis gab es bereits im Einsatz von MedEvac ISAF in Afghanistan, wo irreguläre Kräfte scheinbar gezielt die mit Schutzzeichen versehenen Sanitätsfahrzeuge (SanKfz) der Konvois angriffen. Der Ausfall des SanKfz, mit teils Verlusten in der Besatzung, hatte meist den Abbruch des Einsatzauftrages mit Rückverlegung des Konvois ins Lager zur Folge.

Ab dem 28. Juli 2009 wurde das Rote Kreuz an den SanKfz in Afghanistan abgetarnt, um die Hochwertressourcen unkenntlich zu machen. Dies wurde rechtlich als vertretbar bewertet, da es sich um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt handelte. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz war der Ansicht, dass hier keine Verpflichtung der Verwendung eines Schutzzeichens bestände.

In einem zwischenstaatlichen, internationalen Konflikt ist das Schutzzeichen zu verwenden. Wie die rechtliche Bewertung bez. Abtarnung im Falle eines dauerhaften Verstoßes gegen das Genfer Abkommen einer der Konfliktparteien ausfällt, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhergesehen werden. Jedoch kann in der taktisch-operativen Planung der sanitätsdienstlichen Unterstützung bereits dieser Umstand mit ins Kalkül gezogen werden. Die SanKfz im vorderen Brigaderaum sind im Schutzniveau und in der Mobilität analog der begleiteten Kampftruppe auszuplanen (z. B. GTK BOXER Sanität bei Panzerkompanien).

Mit Verlusten von SanKfz und Sanitätspersonal muss gerechnet und personell und materiell verstärkt hinterlegt werden. Die Verortung der sanitätsdienstlichen Versorgungseinrichtungen in den rückwärtigen Raum zur Reduktion des Risikos eines Beschusses ist zu betrachten. Dies bedinge jedoch längere Transportwege, was aufgrund der längeren Umlaufzeiten wiederum Auswirkungen auf die quantitative Ausplanung der SanKfz haben muss.

Der MedEvac Einsatz von Hubschraubern bei forward und tactical aeromedical evacuation (FwdAE und TacAE) und von A400M bei TacAE wird redundant mit zusätzlichen Landtransportkapazitäten ausgeplant, um im Falle der fehlenden Lufthoheit die Rettungskette sicherzustellen. Somit besteht eine Flexibilität, in der lageabhängig auf das bestmögliche Transportmittel unter Rücksicht auf die Bedrohungslage zurückgegriffen werden kann.

Krankentransportzug beim Manöver Wehrhafter Löwe 1983.
Foto: Bundeswehr/Matthias Zins

Fazit zu MedEvac

Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine, unmittelbar in der Nachbarschaft der NATO, beweist leider eindrucksvoll, dass eine leistungsfähige Landes- und Bündnisverteidigung essentiell für die Sicherheit der NATO-Staaten ist. Hierzu gilt es, nicht nur die kämpfenden Truppenteile auszustatten und zu modernisieren, sondern auch die Unterstützer (Enabler) zu befähigen, ihren Auftrag erfüllen zu können.

Denn die materielle Befähigung zum Kampf ist nur ein Bestandteil für den Erfolg auf dem Gefechtsfeld. Vielmehr sind die Moral und der Kampfeswille jedes einzelnen Soldaten ein Schlüsselfaktor zur Erfüllung des Auftrages. Hier ist das Wissen der Soldatinnen und Soldaten, auf eine durchgehende, qualifizierte medizinische Behandlung nach einer Verwundung vertrauen zu können, ein maßgeblicher Bestandteil.

Die Rettungskette kann nur unter Betrachtung aller Transportmöglichkeiten zu Land, Luft und See belastbar aufgestellt werden. Hierzu gilt es, die erkannten Fähigkeitslücken schnellstmöglich durch Rüstungsvorhaben und wo möglich durch Zivil-Militärische Zusammenarbeit zu schließen. Der Patiententransport kann in der LV/BV nur im Bündnis mit den anderen NATO-Ländern erfolgen. Hier sind Fähigkeiten zu bündeln und gemeinsam Konzepte für den Ernstfall zu erstellen.

 

 

Oberfeldarzt Matthias Kohl

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