Der anhaltende Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat verheerende Auswirkungen auf die Soldatinnen und Soldaten, die im Gefecht schwere Verletzungen erleiden. Oberstarzt Dr. Kai Schmidt, Leiter des Lagezentrums Sanitätsdienst im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr in Koblenz, gibt im Video-Format Nachgefragt Einblicke in die Herausforderungen der Versorgung und den Einsatz innovativer medizinischer Techniken, um das Leben der Verwundeten zu retten.
In den letzten beiden Kriegsjahren haben laut dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj rund 31.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten ihr Leben verloren. Über die Zahl der Verletzten gibt es keine genauen Angaben, aber angesichts der täglichen schweren Verwundungen nicht nur an der Front ist von hohen Verlusten auszugehen.
Es ist von entscheidender Bedeutung, zunächst die Blutung mithilfe von Tourniquets, also Abbindern, zu stoppen. Dies kann entweder vom Verwundeten selbst durchgeführt werden, oder der Kamerad neben ihm im Schützengraben übernimmt diese Aufgabe. Die ersten zehn Minuten, die als „Platinum Minutes“ bezeichnet werden, sind von besonderer Relevanz, wie der Oberstarzt betont. Bei schweren Verletzungen ist es wichtig, dass innerhalb der nächsten Stunde ein Arzt die Verwundungen überprüfen kann. Ein Verwundeter mit extremen Blutungen sollte innerhalb von zwei Stunden in ärztliche Obhut gelangen. Da im Gefecht unter Beschuss nicht immer alle Zeitvorgaben eingehalten werden können, spielen die ersten zehn Minuten eine lebenswichtige Rolle.
Nach der Ersten Hilfe im Schützengraben werden die Verwundeten von ihren Kameraden zum Casuality Collection Point, dem Verwundetensammelnest, gebracht. Dies erfordert Ausdauer und Kraft von den Helfern. Gegebenenfalls müssen die Kameraden die Verwundeten per Schleiftrick, im Schlafsack oder auf Behelfstragen dorthin bringen. „Wir können grob sagen, dass vom Schützengraben beginnend bis zur ersten Sammelstelle für Verwundete wir eine Distanz von etwa zehn Kilometern haben, in der der Verwundete quasi zu Fuß und improvisiert gebracht werden muss“, resümiert Schmidt
Dort bleiben sie, bis ein Weitertransport möglich ist. „Das kann sich um Stunden handeln, das kann sich um Tage handeln, das kann sich aber auch um Wochen handeln.“ Auch sowas habe man im Laufe des Ukraine Krieges schon erlebt.
Die Mediziner, die sich dann auf der ersten Versorgungsebene (Rolle1) um die Verwundeten kümmern, sind keine speziell ausgebildeten Chirurgen. Stattdessen handelt es sich um Ärzte, Hausärzte, Apotheker, Zahnärzte und Tierärzte, die ihre individuellen Fähigkeiten einbringen, um das Leben der Verletzten zu erhalten. Diese Fachleute sehen sich mit schwersten Verletzungen konfrontiert, die Soldaten im Gefecht erleiden. Die Waffenwirkung moderner Systeme, darunter Drohnen, ausgeprägte Minenfelder und Artillerie mit einer Reichweite von bis zu 80 Kilometern, verursacht nicht nur herkömmliche Schussverletzungen, bei denen das Projektil vorne ein- und hinten austritt.
Die Ärzte werden mit Explosions- und Schrapnellverletzungen sowie Verbrennungen konfrontiert, die oft zum Verlust von Extremitäten führen. Diese Verletzungen treten besonders dort auf, wo weder Schutzwesten noch Helme ausreichend schützen können: An den Extremitäten sowie im Gesicht und am Hals ist das Verwundungsrisiko besonders hoch.
Bei schwerwiegenden Verletzungen wird angestrebt, die Patienten zu den Versorgungsebenen Rolle 2 oder 3 zu transportieren. Rolle 2 bezeichnet Krankenhäuser in einem Bereich von 15 bis 30 Kilometern, während Rolle 3 auf Hospitäler und Universitätskliniken an Distanzen von bis zu 200 Kilometern hinter der Front verweist. Zur Durchführung dieses Transports werden beispielsweise Züge eingesetzt.
Eine der größten Herausforderungen ist der gezielte Beschuss von Krankenhäusern und Sanitätseinrichtungen. Die Ukrainer versuchen, die Versorgung in geschützten Bereichen, idealerweise unter Tage, durchzuführen. Doch selbst solche Einrichtungen stehen unter Beschuss, und täglich werden nach WHO-Informationen etwa zwei Krankenhäuser in der Ukraine angegriffen.“30 Prozent des Sanitätspersonals fallen“, was natürlich die Frage aufwirft, wie man diese Fachkräfte besser schützen kann.
Zusammenfassend zeigt der Blick in die medizinische Versorgung der Soldaten im Ukraine-Konflikt die enormen Herausforderungen und Gefahren, denen das Sanitätspersonal und die Verwundeten gegenüberstehen. Die „Platinum Minutes“ und die improvisierten Transportmittel verdeutlichen die Dringlichkeit der Erstversorgung und des Transports in kritischen Situationen. Die gezielten Angriffe auf medizinische Einrichtungen betonen die Bedeutung besserer Schutzmaßnahmen für das Sanitätspersonal. Die Bundeswehr zieht aus diesen Erfahrungen wichtige Lehren, um sich auf mögliche zukünftige Konflikte vorzubereiten und die Ausbildung der Soldaten in der taktischen Medizin zu stärken.
Christina Bornheim/ Quelle: „nachgefragt“ Bundeswehr
Abonnieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen: