Interview mit Generalleutnant Alfons Mais

„Je früher wir einen Gegner aufklären, umso früher können wir ihn bekämpfen“, sagt Generalleutnant Alfons Mais im Interview mit cpmFORUM-Chefredakteuer Rainer Krug. Dieser fragt den Inspekteur des Heeres nach der Bedeutung von Drohnen – wie sie aktuell in der Ukraine zur Aufklärung eingesetzt werden – für die Bundeswehr. Weitere Themen des Interviews sind die Möglichkeiten des Heeres zur Landes- und Bündnisverteidigung, die Brigade Litauen und die Bedeutung der Mittleren Kräfte für die deutschen Streitkräfte.

Generalleutnant Alfons Mais: Der neue Kampfpanzer LEOPARD 2 A7 des Panzerbataillons 203 in Augustdorf. Foto: Bundeswehr / Marco Dorow
Der neue Kampfpanzer LEOPARD 2 A7 des Panzerbataillons 203 in Augustdorf.
Foto: Bundeswehr / Marco Dorow
Herr General, die Bundeswehr ist durch den Ukrainekrieg plötzlich wieder mit einem Verteidigungsszenario der Bündnisverteidigung an der NATO-Ostflanke konfrontiert. Können Sie uns zu Beginn einen Überblick über die Entscheidungen und Aktivitäten geben, die für das Deutsche Heer in diesem Zusammenhang bedeutend sind und waren?

Für das Heer hat die Wiederausrichtung auf die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) nicht erst am 24. Februar 2022 begonnen, sondern schon nach der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim im Jahr 2014. So haben wir z. B. das Panzerbataillon 363 im Jahr 2019 sowie zur Stärkung der Divisionsebene das Fernmeldebataillon 10 im Jahr 2021 in Dienst gestellt. Gerade die Führungsfähigkeit ist dabei ein Aspekt, der uns seit Jahren umtreibt und ein Schwerpunkt ist.

Hier haben wir mit der Digitalisierung Landbasierter Operationen, kurz D-LBO, in all seinen Stufen Fortschritte gemacht, aber erst mit dem Sondervermögen wurden die Teilprojekte finanziell ausreichend hinterlegt und können nun weiter vorangetrieben werden. Mit der Anpassung der Binnengliederung der Einsatzkräfte des Heeres entlang des Zielbilds haben wir strukturell den größten Schritt gemacht. Die schrittweise Umsetzung und auch fortlaufende Anpassung werden sich jedoch noch bis 2029 erstrecken, da sie im Einklang mit den sich noch verändernden NATO- und EU-Planungen, den Materialzuläufen und natürlich politischen Entscheidungen wie der Stationierung einer Brigade in Litauen erfolgen müssen. Hier wird es also noch Anpassungen geben müssen, was in einem solchen Projekt aber ganz normal ist.

Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des Heeres
Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, stand cpm im Interview Rede und Antwort.
Foto: BUndeswehr

Das Deutsche Heer hat sich auch konzeptionell schon länger mit der Landes- und Bündnisverteidigung befasst. So haben wir im Jahr 2021 die vorläufigen Operativen Leitlinien des Heeres erlassen und eine tiefgreifende Stabsstudie zur Stärkung der Dimension Land veröffentlicht. In diesen sprechen wir auch den großen Mehrwert der Mittleren Kräfte an. Mit diesen wird das Heer über Fähigkeiten verfügen, welche für Einsätze im Internationalen Krisenmanagement und für die Landes- und Bündnisverteidigung geeignet sind.

In einem Post zu Beginn des russischen Angriffskrieges sprachen Sie die Fähigkeitslage des Heeres an. Was hat sich in der Zwischenzeit geändert?

Mit dem Post hatte ich meine Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, dass wir es trotz der Anstrengungen seit 2014 nicht geschafft hatten, dass Heer vollständig zur Landes- und Bündnisverteidigung, unserem Kernauftrag, zu befähigen. Uns fehlte das Personal, aber vor allem auch das Material in vielen Bereichen, vom Großgerät bis zur Munition.

Durch die wichtigen Materialabgaben an die Ukraine hat sich die Fähigkeitslage im Heer nicht verbessert. Ich möchte aber betonen, dass wir im Heer der festen Überzeugung sind, dass die Abgaben richtig sind, um den tapfer kämpfenden ukrainischen Streitkräften die Möglichkeit zu geben, sich gegen den russischen Aggressor mit dem besten Material zur Wehr setzen zu können.

Für das Deutsche Heer sind Mittlere Kräfte nicht nur eine neue, zusätzliche und flexible Möglichkeit der weltweiten Projektion von Streitkräften, sondern auch als Motor für Modernisierung und Innovation zu sehen.
– Generalleutnant Alfons Mais

Für uns kommt es nun darauf an, dass wir zügig das abgegebene Material entweder 1:1 ersetzen oder sogar besseres, weiterentwickeltes Material bekommen. Und ich sehe uns hier auf dem richtigen Weg. Das gleiche gilt für die Ausstattung mit Munition. Hier werden wir nicht morgen die Verbesserung sehen, aber doch kontinuierlich.

Mit Blick auf die Division 2025, die ja als Antwort auf die russische Aggression gedacht ist: Können Sie uns einen Einblick geben in die hierfür benötigten „neuen“ und „alten“ Fähigkeiten? Was ist für Sie dabei besonders wichtig?

Damit die Division als kohäsiver Großverband agieren kann, braucht es einen fein abgestimmten Mix aus Fähigkeiten. Ich nutze in diesem Zusammenhang oft das Bild des Orchesters.

Sie brauchen jedes Instrument zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Dabei müssen natürlich alle Musiker ihr Instrument auch beherrschen. Wir sehen in der Ukraine, dass sich sehr viele klassische Elemente mit neuen Elementen mischen, wie z. B. Artillerie und Drohnen. Ganz grundsätzlich braucht die Division weiterhin die Panzertruppen, d. h. Kampfpanzer und Schützenpanzer im Verbund, wie auch Infanterie und luftbewegliche Kräfte.

Sie braucht Feuerunterstützung, also Artillerie, Mörser, Kampfhubschrauber und dazu auch die Fähigkeit der begleitenden Flugabwehr, d. h. Nah- und Nächstbereichsschutz. Sie muss in der Lage sein, die Bewegung des Gegners zu hemmen, etwa durch Minen, und die eigene Bewegungsfähigkeit zu erhalten, etwa über Gewässer oder durch das Öffnen gegnerischer Sperren; also klassische Pionieraufgaben. Feuerunterstützung und Pionierfähigkeiten beschäftigen mich daher im Moment sehr stark.

Die Division muss zudem versorgt werden und in der Lage sein, zu versorgen; die Themen sind also Logistik und Instandsetzung. Wichtig bleiben Fähigkeiten zum Kampf im elektromagnetischen Spektrum und natürlich die sanitätsdienstliche Versorgung. Aufklärung bleibt ebenfalls entscheidend. Hier kommen wir dann zu neueren Elementen, etwa den genannten Drohnen, bzw. unbemannte Systeme.

Es geht also darum, technisch auf der Höhe der Zeit zu agieren. Das bedeutet digitales Führen, schnelle Sensor-Effektor-Verbindungen, Loitering Munitions, usw. In diesem Zusammenhang sehe ich auch die angesprochene, für das Deutsche Heer „neue“ Kräftekategorie der Mittleren Kräfte, die alle diese Fähigkeiten auf Rad abbilden muss. Hier werden wir neuste Technologien mit neuen Verfahren zusammenbringen. Ich erhoffe mir dadurch, neben einem neuen Instrument im Orchester, auch einen Innovationsschub für das gesamte Heer.

Welche besonderen Vorteile ziehen Sie aus den Mittleren Kräften für die Operationsführung des Heeres?

Mittlere Kräfte werden zukünftig die bestehende Lücke zwischen leichten und schweren Kräften schließen. Mit der angedachten Radbeweglichkeit bietet sich vor allem der Vorteil, zukünftig Kräfte entlang von Straßen und Wegen aus eigener Kraft schnell in einen bspw. rund 1.000 km entfernten Operationsraum verlegen zu können. Mittlere Kräfte bieten insgesamt eine effektive, schlagkräftige Kombination aus Wirkungsmöglichkeiten, Mobilität und Schutz. Im Konfliktfall können sie Raum sehr schnell überwinden und gewinnen.

Gefechtsübung Grantiger Löwe 2015 der Panzerbrigade 12 auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne. Foto: Bundeswehr / Carsten Vennemann
Gefechtsübung Grantiger Löwe 2015 der Panzerbrigade 12 auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne.
Foto: Bundeswehr / Carsten Vennemann

Wir werden, wie bereits angedeutet, die Brigaden Mittlere Kräfte strukturell so aufstellen, dass sie in der Lage sind, das Gefecht der verbundenen Waffen in allen Intensitäten zu führen. Das heißt, eine Brigade Mittlere Kräfte verfügt vollumfänglich über alle dafür notwendigen Kräfte und Fähigkeiten.

Die nicht vorhandene Duellfähigkeit mit Kampfpanzer soll durch einen abstandsfähigen Führungs-, Aufklärungs- und Wirkungsverbund ausgeglichen werden. Mittlere Kräfte werden deshalb auch in größerem Umfang über Drohnen unterschiedlicher Größenordnungen, Loitering Munition und Panzerabwehrsysteme mit „non-line-of-sight“-Funktion verfügen.

Über die Funktion Mittlere Kräfte als „operativer Türkeil“, die dem Abschneiden von Bündnispartnern und eigenen Kräften im Operationsraum entgegenwirken, habe ich immer wieder gesprochen. Es ist aber wichtig zu sehen, dass sie mehr sind als das. Sie sind geeignet, in Einsätzen des Internationalen Krisenmanagements eingesetzt zu werden. Damit helfen sie, die Balance zwischen dem Auftrag Internationales Krisenmanagement (IKM) und LV/BV zu halten.

Das ist wichtig, weil wir nicht in ein „digitales Denken“ verfallen und wie beim „HEER2011“ vor allem auf einen Auftrag fokussieren dürfen. IKM bleibt Auftrag. Mittlere Kräfte müssen daher ein sehr hohes und modernes Anforderungsprofil erfüllen. Lassen Sie mich deshalb abschließend unterstreichen, was ich zur Innovation gesagt habe. Für das Deutsche Heer sind Mittlere Kräfte nicht nur eine neue, zusätzliche und flexible Möglichkeit der weltweiten Projektion von Streitkräften, sondern auch als Motor für Modernisierung und Innovation zu sehen.

Zukünftige Waffensysteme werden in zunehmendem Maße auch über „autonome Fähigkeiten“ verfügen. Wie schätzen Sie die dadurch gewonnenen Handlungsoptionen ein und wo liegt für das Heer der Schwerpunkt bei Autonomie?

Für mich ist klar zu erkennen, dass die technologische Entwicklung autonomer Systeme rasant voran geht und sich zukünftig in allen Bereichen auswirken wird. Fortschritte im Bereich der Energieversorgung und die zunehmende Nutzung Künstlicher Intelligenz werden dies noch verstärken. Vor einem möglichen Einsatz von autonomen Systemen stellen sich aber viele ethische Fragen. Diese haben wir in Deutschland bisher nicht beantwortet.

Der Diskurs um bewaffnete Drohnen zeigt, dass in diesem Bereich noch Diskussionsbedarf besteht. Insbesondere die Auswirkungen einer immer größer werdenden Autonomisierung und Automatisierung auf die Freigabe und Kontrolle tödlicher Gewalt müssen gesellschaftlich nicht nur breit diskutiert, sondern auch geklärt werden.

Zu den ethischen Fragen kommen dann solche der Umsetzung. Für alle in der Bundeswehr genutzten unbemannten Systeme gilt heute, dass die Kontrolle und die Entscheidung über den Einsatz bzw. die Freigabe eines Wirkmittels immer durch einen Menschen erfolgen müssen.

Ein Soldat des Fallschirmjägerregiments 26 trainiert mit der Panzerfaust den Angriff im urbanen Gelände während der Übung Komet 2023 im Gefechtsübungszentrum Heer in der Letzlinger Heide. Foto: Bundeswehr / Mario Bähr
Ein Soldat des Fallschirmjägerregiments 26 trainiert mit der Panzerfaust den Angriff im urbanen Gelände während der Übung Komet 2023 im Gefechtsübungszentrum Heer in der Letzlinger Heide.
Foto: Bundeswehr / Mario Bähr

Das Scheitern der Regelungsversuche zu „autonomous weapons“ auf Ebene der Vereinten Nationen legt den Schluss nahe, dass mögliche Gegner weniger Hemmungen haben könnten, Waffen dieser Art einzusetzen. Der in Zukunft mögliche Einsatz vollautonomer Waffensysteme durch einen potentiellen Gegner wird bei unseren Zukunftsanalysen daher immer mitberücksichtigt.

In der Ukraine hat sich die Bedeutung der Nutzung von Drohnen im Gefecht gezeigt. Wie wird sich in diesem Bereich die Fähigkeitslage des Heeres entwickeln? In welchen Szenaren ist für unsere Kräfte der Einsatz von Drohnen denkbar?

Diese Art Waffen hat nicht erst im Ukrainekrieg ihre Bedeutung für das Gefecht unter Beweis gestellt. Ich erinnere an Diskussionen um Loitering Munitions im Zusammenhang mit dem Bergkarabach-Konflikt im Jahr 2018.

Je früher wir einen Gegner aufklären, umso früher können wir ihn bekämpfen bzw. eigene Kräfte auf ein Zusammentreffen vorbereiten oder der Duellsituation entziehen.
– Generalleutnant Alfons Mais

Die Nutzung verschiedener unbemannter Systeme für Aufklärung und Waffeneinsatz durch die beteiligten Konfliktparteien im Ukrainekrieg hat aber frischen Wind in die Entwicklung und Beschaffung neuer Systeme gebracht. Deutsche Hersteller wie Rheinmetall (LUNA NEXT GENERATION) und Quantum Systems (VECTOR) liefern bereits Drohnen an die UKRAINE. Ihr militärischer Nutzen wird tagtäglich bewiesen.

Dabei ist es nicht nur die Wirkung, die sie durch Waffeneinsatz erzielen können, sondern es sind insbesondere ihre Aufklärungsmittel, die einen Nutzen entwickeln. Je früher wir einen Gegner aufklären, umso früher können wir ihn bekämpfen bzw. eigene Kräfte auf ein Zusammentreffen vorbereiten oder der Duellsituation entziehen. Damit wird auch der Schutz bzw. die Überlebensfähigkeit von Soldatinnen und Soldaten erhöht. Die Weiterentwicklung der taktischen unbemannten Systeme des Heeres ist für mich eine Daueraufgabe, der ich eine hohe Priorität einräume.

Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 trainieren unter extremen Witterungsbedingungen bei der Übung Eiskristall im Gebiet Bardufoss-Skjold/Norwegen. Fotos: Bundeswehr / Mario Bähr
Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 trainieren unter extremen Witterungsbedingungen bei der Übung Eiskristall im Gebiet Bardufoss-Skjold/Norwegen.
Foto: Bundeswehr / Mario Bähr

Derzeit werden im Heer sämtliche Unmanned Aircraft Systems modernisiert bzw. neue beschafft. Dieser Prozess ist wegen des deutschen Luftfahrtrechts und der daraus resultierenden Zulassungsbestimmungen zeitaufwändig. Bis Ende 2025 werden wir beispielsweise das Bestandssystem KZO durch ein hochmodernes UAS mittlerer Reichweite, der Aufklärungsdrohne HUSAR, ersetzen.

Damit erhöhen wir unsere Aufklärungsreichweite und die Stehzeit in der Luft, d. h. die Aufklärungsdauer. Damit sind wir noch besser in der Lage, für die zukünftigen Artilleriesysteme die notwendige Zielund Wirkungsaufklärung sehr schnell und sehr genau zur Verfügung zu stellen.

Durch die bereits angesprochene Vielseitigkeit und die rasante technologische Entwicklung in diesem Feld ist ein Einsatz von Drohnen grundsätzlich in jedem Szenar und in jeder Domäne denkbar. Das Heer arbeitet deshalb gerade mit Hochdruck daran, Drohnen vereinfacht zu beschaffen und zu nutzen. Die Beschleunigung der Beschaffung ist dabei unser vorrangiges Ziel.

Ende Juni 2023 hat der Bundesminister der Verteidigung die dauerhafte Stationierung eines Truppenkontingents in Stärke von etwa 5.000 Soldatinnen und Soldaten in Litauen angekündigt. Gibt es bereits Vorstellungen, wie diese Kräfte aussehen werden und wann rechnen Sie mit ersten Verlegemaßnahmen?

Die Entscheidung ist in meinen Augen die stringente Weiterentwicklung der Politik der Zeitenwende. Der Fokus der Landes- und Bündnisverteidigung liegt bereits eine ganze Weile auf der Ostflanke der NATO. Das Heer als Kern der Landstreitkräfte hat sich dazu aktiv in den Planungsprozess des BMVg eingebracht.

Aus unserer Sicht kommt es darauf, im Notfall durchsetzungsstark agieren zu können. Dazu eignet sich eine vollausgestattete Brigade Schwerer Kräfte am besten. Diese muss dann in der Lage sein, das Gefecht der verbundenen Waffen aus sich selbst heraus zu führen. Wir haben also eine herausfordernde Aufgabe vor uns, die wir Schritt für Schritt ausführen werden.

Vor einigen Monaten haben wir im cpmFORUM über die Ausbildungsmission EUMAM Ukraine berichten können. Wie hat sich diese Maßnahme zwischenzeitlich bewährt, mussten Sie aufgrund der militärischen Entscheidungen in der Ukraine die Schwerpunkte anpassen?

Die Ausbildungsmission EUMAM Ukraine hat sich in meinen Augen als sehr effektiv erwiesen. Wir haben verschiedene Verfahren implementiert, um unser Ausbildungsangebot hochflexibel am ukrainischen Bedarf auszurichten

Schützenpanzer MARDER bei der Flußdurchquerung des Kunduz Rivers. Fotos: Bundeswehr / Piz Kunduz
Schützenpanzer MARDER bei der Flußdurchquerung des Kunduz Rivers.
Fotos: Bundeswehr / Piz Kunduz

Durch den ukrainischen Verbindungsoffizier im Special Training Command (ST-C) in Strausberg sind wir in einem ständigen Austausch bezüglich der vor Ort gemachten Erfahrungen. So ergeben sich Anforderungen an spezielle Trainings sowie zu Kapazitätserhöhungen, um die Fähigkeiten zu vermitteln, die aktuell gerade besonders benötigt werden. Außerdem werten unsere Ausbilder jedes Training vor Ort aus und machen Vorschläge, was verbessert werden kann.

Die multinationalen Trainerteams bieten innerhalb der Mission die besondere Gelegenheit, Ausbildungsinhalte und -verfahren verschiedener Nationen miteinander zu vergleichen. Diese Erfahrungen werden zentral im ST-C ausgewertet und allen Ausbildungseinheiten zur Verfügung gestellt. So überprüfen wir unsere Ausbildung permanent und passen sie an. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist, dass diese Erfahrungen auch in unsere eigene Ausbildung sowie der unserer internationalen NATO-Partner einfließen, um diese so den aktuellen Erfordernissen anzupassen.

Darüber hinaus stehen wir im engen Schulterschluss mit allen internationalen Einrichtungen, die ebenfalls ukrainische Streitkräfte ausbilden, wie dem Combined Arms Training Command (CAT-C) in Polen oder der US-amerikanischen Mission Security Assistance Group – Ukraine (SAG-U). Dabei finden regelmäßige Abstimmungen bezüglich der gemachten Erfahrungen statt, um alle Möglichkeiten zu nutzen, unsere aller Bemühungen optimal zu koordinieren.

Eine letzte Frage, Herr Generalleutnant Alfons Mais: Das Heer in multidimensionalen Operationen – was bedeutet das für Sie persönlich, wo legen Sie unter diesem Gesichtspunkt die Schwerpunkte in der Einzel- und Führerausbildung und wo müssen aus Ihrer Sicht besondere Ausrüstungsmaßnahmen getroffen werden, um diesen Auftrag zu erfüllen?

Lassen Sie mich zuerst verdeutlichen, was ich unter multidimensionalen Operationen verstehe. Bei MDO geht es darum, einen gleichwertigen Gegner konstant mit so vielen Problemen zu konfrontieren, dass dieser ständig überfordert wird. Dadurch soll es uns gelingen, die Initiative zu behalten oder wieder zu ergreifen. Dazu müssen Sensoren und Effektoren über alle Dimensionen, d. h. Land, Luft, See, Cyber und Weltraum vernetzt und zu einem gewissen Grad automatisiert werden. Das zwingt uns dazu, den Bereich der eigenen Dimension ein Stückweit zu verlassen.

Für den Bereich der Ausbildung im Heer bzw. in der Dimension Land sind aus meiner Sicht primär zwei Faktoren zu berücksichtigen: Auf der einen Seite erleben wir eine dynamische Komplexitätssteigerung, und auf der anderen Seite bietet gerade die Multidimensionalität für den Bereich der Ausbildung im Heer neue Chancen in Bezug auf die Nutzung von neuen Technologien und eine dimensionsübergreifende Zusammenarbeit.

Dazu müssen Sensoren und Effektoren über alle Dimensionen, d. h. Land, Luft, See, Cyber und Weltraum vernetzt und zu einem gewissen Grad automatisiert werden. Das zwingt uns dazu, den Bereich der eigenen Dimension ein Stück weit zu verlassen.
– Generalleutnant Alfons Mais

Dabei geht es nicht darum, alle in einen Topf zu werfen. Die Dimensionsverantwortungen bleiben klar getrennt. Das Heer etwa formuliert damit als Dimensionsverantwortlicher die Rahmenbedingungen für die Ausbildung Land. Alle Dimensionen werden aber mehr und mehr gezwungen, Aspekte anderer Dimensionen in der Ausbildung zu berücksichtigen. Als Beispiel ist hier das Projekt Flugabwehr zu nennen, bei dem wir eng mit der Luftwaffe zusammenarbeiten.

Die Auswirkungen auf die Führerausbildung sind relativ gering. Krieg und die zugehörige Operationsführung waren zu jeder Zeit „komplex“. Kernkompetenz der Soldatinnen/ Soldaten war und ist demnach, Führen mit Auftrag, woraus die Notwendigkeit zur Beherrschung des Führungsprozesses resultiert. Damit gilt für mich gerade im Bereich der Führerausbildung, mit den notwendigen Änderungen Kurs zu halten und neben der Truppengattungsbindung den einzelnen

Soldatinnen und Soldaten das notwendige Selbstvertrauen zu geben. Erste Grundvoraussetzung für alle Operationen bleibt also das Beherrschen der Verfahren und Prozesse in der Dimension Land. Aus diesem Vertrauen auf die eigenen Stärken folgt für mich dann auch die Befähigung für eine multidimensionale Zusammenarbeit.

Das Interview führte Rainer Krug, Chefredakteur cpmFORUM

Abonieren Sie unseren WhatsApp-Kanal, um die Neuigkeiten direkt auf Ihr Handy zu erhalten. Einfach den QR-Code auf Ihrem Smartphone einscannen oder – sollten Sie hier bereits mit Ihrem Mobile lesen – diesem Link folgen:

Beitrag teilen

Das könnte Sie auch interessieren

Anzeige

Verwendete Schlagwörter

Alfons MaisBundeswehrGeneralleutnant Alfons MaisInspekteur des HeeresInterviewRainer Krug
Index