Durch die Entwicklung an der NATO-Ostflanke haben Minenkrieg und damit Minenabwehroperationen erneut eine hohe operative Bedeutung erhalten. Aktuell verfügt die Deutsche Marine über zehn Minenjagdboote der Klasse 332 in unterschiedlichen Bauzuständen. Chefredakteur Rainer Krug zum aktuellen Konzept der Deutschen Marine zur Seeminenjagd vor dem Hintergrund technischer und politischer Entwicklungen.
Die Erfindung der Seemine diente einst dem Ziel, gegnerische Kriegsschiffe durch Feuer oder eine Sprengung zu zerstören. Damit ist eine derartige Waffe vor allem für solche Kriegsparteien interessant, die einer gegnerischen Marine keine im Überwasserkampf ebenbürtige Flotte entgegensetzen können. Mit ihr kann man einem Gegner zwar die Nutzung von Seegebieten verwehren, jedoch keine eigene Überlegenheit begründen. Bis zu den beiden Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts spielte die Mine in den Seekriegen nur eine untergeordnete Rolle.
Erst in den Weltkriegen wurden große Mengen von Minen eingesetzt, die erheblichen Einfluss auf die Bewegungen der Seestreitkräfte hatten und starke Kräfte banden. Dies setzte sich auch während des Kalten Krieges fort. Eine besondere Rolle spielten Minen dann im ersten Golfkrieg. Nach dem Ende des Kalten Krieges verlor der Mineneinsatz in den Planungen der Seestreitkräfte fast vollständig an Bedeutung. Bis heute sind viele Meere, zumeist in den Küstenregionen, durch Minen aus beiden Weltkriegen belastet. Das gilt besonders für Ost- und Nordsee. Bis 1972 wurden Seewege in Nord- und Ostsee systematisch von Seeminen geräumt und in Seekarten als minenfrei vermerkt.
Trotzdem werden immer noch Minen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges in der Ostsee von den Anrainerstaaten geräumt. Gleichzeitig liegen weltweit in den Munitionsdepots enorme Bestände an einfachen, billigen, teils uralten Seeminen, die aber immer noch – schon aufgrund der Menge der Bestände – eine enorme Bedrohung darstellen. Gleichzeitig kommen immer wieder neue, intelligente und technisch weiter entwickelte Versionen hinzu.
Minenbedrohung heute
Im Einzelnen kann die heutige Minenbedrohung wie folgt eingeteilt werden:
- Nicht ferngesteuerte Seeminen (Grundminen, Ankertauminen und Kontaktminen)
- Fernsteuerbare Minen
- Die verwendete Zündersensorik ist gekennzeichnet durch Magnetsensoren, akustische Sensoren und Drucksensoren.
Minen werden allerdings wie erwähnt ständig weiterentwickelt, sodass die zukünftige Bedrohung über eine Weiterentwicklung der magnetischen, akustischen und Drucksensoren hin zu elektrischen Sensoren oder seismischen Sensoren gekennzeichnet sein wird. Minen werden nicht mehr „immobil“ sein, sondern kinetische Elemente haben, die sie in die Lage versetzen, auch aktiv Ziele anzugreifen. Eine Trennung von Sensoren und Effektoranteil unter dem Gesichtspunkt verteilter Systeme wird mehr und mehr wahrscheinlich werden.
Renaissance der Minenabwehrfähigkeiten
Die aufgezeigten Fakten zeigen klar, dass Minenkrieg und damit Minenabwehroperationen auch in der heutigen Zeit und gerade durch die Entwicklung an der NATO-Ostflanke erneut eine hohe operative Bedeutung erhalten haben. Für die Deutsche Marine wird damit die Ost- und Nordsee mit ihren Zugängen zu den Handels- und Marinehäfen wieder Operationsgebiet von besonders hoher Bedeutung, gilt es doch im Sinne der nationalen Integrität sowie der Sicherstellung der maritimen Versorgbarkeit den uneingeschränkten Seeverkehr zu, in und von deutschen Häfen sicherzustellen.
Die dargestellte Bedrohung zeigt auch, dass das aufgezeigte sehr breite Spektrum verfügbarer Seeminen einen komplexen, durch technologisch verschiedene Lösungen gekennzeichneten Ansatz zur Bedrohungsabwehr bedarf. Die hierfür notwendigen Lösungen zur Minenabwehr werden dabei einerseits wie erwähnt durch die Minentechnik und andererseits durch die Umweltparameter in „confined and shallow water areas“ beeinflusst. Konkret bedeutet dies, dass sowohl die sehr einfachen Lösungen als auch der High-Tech-Standard unter Nutzung neuester IT- und Sprengstofftechnik betrachtet werden müssen.
Zudem müssen Lösungen gefunden werden, wie mit der starken Bedrohung durch die enormen Bestände (es werden ca. 100.000 Minen in gegnerischen Depots vermutet) an Minen umgegangen werden kann. Zieht man diese mit in Betracht, müssen auch mindestens 100.000 „Minenvernichtungsladungen“ (für Deutschland sind das die SEEFÜCHSE) bevorratet werden, um dieser Bedrohung begegnen zu können. Diese Bedrohung könnte damit konzeptbestimmend sein und ein Argument für den Erhalt der Fähigkeit zum Minenräumen darstellen.
Rückblick: Vorhaben Minenjagd 2000
Mit dem in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts eingestellten Vorhaben Minenjagd 2000 hatte die Deutsche Marine damals versucht, sich diesen Herausforderungen zu stellen und sowohl technische als auch operationelle Lösungsmöglichkeiten zu finden, um insbesondere den Umweltparametern in deutschen und europäischen Küstengewässern gerecht zu werden. Die hierbei untersuchten Lösungen beinhalteten sowohl Detektionsmittel zur weiträumigen Entdeckung und Klassifizierung von eingesunkenen und offenen Seegrund- und Ankertauminen, als auch Mittel zur Vernichtung der entdeckten und klassifizierten Minen.
Dabei sollten die folgenden Fähigkeiten erreicht werden:
- die Fähigkeit zur Entdeckung und Bekämpfung eingespülter, eingesunkener oder eingegrabener Minen, durch Entwicklung eines Sedimentsonars,
- die Verbesserung der Minenjagd in Gebieten ungleichförmiger akustischer Ausbreitungsbedingungen durch Entwicklung eines tiefenabhängigen Sonars (Variable Depth Sonar)
- die Fähigkeit zur Entdeckung von Minen unter schwierigen Umweltbedingungen durch Entwicklung eines Seitensichtsonsars mit hoher Auflösungsfähigkeit,
- die Risikominimierung für Personal und Material und eine Effektivitätssteigerung für Minenjagdeinheiten durch Einführung des aus dem Simulationsräumen bekannten TROIKA-Prinzips auch für die Minenjagd,
- der Erhalt der Fähigkeit zum Simulationsräumen mit den ferngelenkten Seehunden HFG-F1 nach Außerdienststellung der Klasse 351 nach 1999.
Das damals verfolgte Minenjagdkonzept enthielt folgerichtig folgende konzeptionellen Festlegungen:
- die Minenaufklärung und Objektbestimmung erfolgen zeitlich unabhängig von der Bekämpfung,
- für die Aufklärung werden abgesenkte Sonare (Oberflächen- und Sedimentsonar) eingesetzt, die von unbemannten Überwasserfahrzeugen geschleppt werden,
- die Sonarbildauswertung erfolgt auf der rückwärtig operierenden Führungsplattform,
- die Bekämpfung der identifizierten Mine erfolgt mittels Bekämpfungsdrohnen, eingesetzt von der Führungsplattform.
Entwicklungsstand im Bereich Minendetektion und -vernichtung
Aufgrund der bereits oben dargestellten Entwicklung wurde das Konzept Minenjagd 2000 in seinem umfassenden Rahmen nicht mehr weiterverfolgt, sondern lediglich einzelne betrachtete Komponenten, wie z.B. die Bekämpfungsdrohne SEEFUCHS in die bereits in der Bundesmarine eingeführten Minenjagdkomponenten integriert. Die Arbeiten im Bereich der Forschung und Technologie sowohl im Bereich der Detektion, als auch der Minenvernichtung gingen amtsseitig und auch industrieseitig weiter.
Hierbei bildeten die Erkenntnisse aus dem Vorhaben Minenjagd 2000 eine ausgezeichnete und technologisch fundierte Grundlage. Auch die Arbeiten zur Detektion sedimentierter Minen in „very shallow water areas“ wurden weiterverfolgt, die entsprechenden Studien und Untersuchungen zur Verifikation der Detektionsergebnisse eines Sedimentsonars durch Meß- und Erprobungskampagnen validiert.
Parallel dazu erfolgte die Intensivierung der Untersuchung unbemannter autonomer Unterwasserdrohnen als Trägersysteme für Minenjagdsonare. Die amtsseitigen und industriellen Arbeiten führten dazu, dass aktuell mehrere unbemannte autonome Systeme aus verschiedenen Staaten im Bereich des westlichen Bündnisses für eine militärische Anwendung zur Verfügung stehen. Aktuell verfügt die Deutsche Marine über zehn Minenjagdboote der Klasse 332 in unterschiedlichen Bauzuständen. Durch schrittweise Modernisierung der Boote, insbesondere durch die Einrüstung des von der Firma Atlas Elektronik entwickelten Minenjagdführungssystems IMCMS konnte erreicht werden, dass sich die Boote trotz einer bereits mehr als 30-jährigen Nutzungsphase auf einem technisch guten Niveau befinden.
Konzepte zur Weiterentwicklung der Minenjagdfähigkeiten
Spätestens mit der aufgrund des aktuellen Ukraine-Krieges verkündeten Zeitenwende wurde klar, dass Minenjagdfähigkeiten in zukünftigen kriegerischen Auseinandersetzungen erneut eine hohe operationelle Bedeutung erlangen werden. Gleichzeitig erfordert die Weiterentwicklung der Minentechnologie wie oben dargestellt aktive Anstrengungen im Bereich der zukünftigen Minenabwehrfähigkeiten. Eine Weiterentwicklung der Fähigkeiten im Bereich Mine Counter Measures (MCM) ist somit unabdingbar.
Die dabei zu verfolgenden Konzepte sind gekennzeichnet durch
- Verfolgung modularer Systemkonzepte (Trennung von Minenjagdsensorik, Bekämpfung und Minenjagdführungssystemen, Nutzung generischer Ansätze ohne dezidierte Minenjagdplattformen),
- autonome Systemansätze (Nutzung autonomer Über- und Unterwasserfahrzeuge zur Detektion und Klassifizierung sowie zur Minenbekämpfung, autonome Systeme zum Simulationsräumen, ggf. Nutzung luftgestützter Träger in der Minenjagd),
- Weiterentwicklung der Minenjagdsensorik,
- neuartige Ansätze und bedrohungsgerechte Munitionsbestände bei der Minenvernichtung,
- Entscheidungsunterstützung und intelligente Systeme,
- zielgerichtete Nutzung von Unterwasserkommunikation.
Was müsste national getan werden?
Aufgrund der langen Nutzungsdauer der eingeführten Boote wird die Deutsche Marine in den kommenden Jahren eine Ergänzung oder einen Ersatz der derzeit eingesetzten Minenjagdboote in Erwägung ziehen müssen. Dazu wird ein schiffbaulich zeitgemäßes Design – möglicherweise Einsatz der bisher lediglich beim Wehrforschungsschiff verwendeten SWATH-Bauweise – wahrscheinlich sein. Hierdurch könnten aufgrund der deutlich reduzierten durch Seegang verursachten Schiffsbewegungen die Seegangseigenschaften und die Einsatzbereiche deutlich verbessert werden.
Bei der deutschen Werftindustrie werden dazu unter dem Kürzel APEX verschiedene Designs für verschiedene Intensitäten in der Minenabwehr entworfen. Dies reicht von weitgehend kommerziellen Bauweisen ohne besondere Schock- und Signaturforderungen bis hin zu hoch geschützten Einheiten. Die Entwürfe sind mit modularen Funktionsdecks ausgestattet, die es erlauben, weitgehend individuelle Plattformkonzepte zu konzipieren. Die zukünftige erwartete Bedrohung durch Seeminen und im Unterwasserbereich verbrachte Explosivladungen zeigen auf, dass die Minenabwehrkräfte zukünftig über moderne, besonders ausgeprägte Fähigkeiten in den Bereichen Ortung, Identifizierung/Klassifizierung und Neutralisierung/Vernichtung verfügen müssen.
Notwendigkeit zum Schritthalten mit neuartigen Technologien
Mit der gerade durch den Ukraine-Konflikt wieder in den Fokus gerückten Landes- und Bündnisverteidigung ergibt sich die Notwendigkeit, die über Jahrzehnte bewährten Fähigkeiten konsequent weiterzuentwickeln. Der Flotte muss es möglich sein, ihre langjährig bewiesene technologische Führerschaft auch im multinationalen Vergleich und zu Gunsten von Partnerländern im Bündnis zu erhalten. Dies bedeutet, dass gerade auch im Bereich der Minenjagdsensorik sowohl akustische als auch magnetische und elektrische Sensoren untersucht und weiterentwickelt werden müssen.
Neuartige Technologien – hier besonders im Bereich der Formgebung von Seeminen, des verwendeten Materials und bei der Auswahl von Wirkmitteln – haben die Bedrohung in den letzten Jahren dramatisch gewandelt. Sie müssen bei der Entwicklung der Detektions- und Klassifizierungsverfahren mit betrachtet werden. Weiterhin müssen Rückschlüsse auf die Notwendigkeiten bei der Weiterentwicklung der Minenabwehrkomponente getroffen werden.
Dabei scheint es so, dass das reine Kräfteverhältnis (quasi die Anzahl der verfügbaren Minenjagdeinheiten) weniger wichtig ist als eine Dominanz in einem Krisenszenario im Zusammenspiel mit der Nutzung von vernetzten Ansätzen, eine tiefgreifende Nutzung von Informationstechnologie, einer echtzeitnahen Aufklärung sowie durch eine einsatzorientierte Aus- und Fortbildung der Mannschaften, denn dies ist klar: auch bei der Intensivnutzung autonomer Systeme behält der Mensch in der Entscheidungsschleife eine bedeutende herausgehobene Rolle. Es bleibt ganz einfach viel zu tun – packen wir’s an.
Autor: Rainer Krug, Chefredakteur cpmFORUM