Ausbildung ukrainischer Helden an vorderster Front – Kateryna Maslyak über lebensrettende TCCC-Kurse

Für das Überleben verwundeter Soldaten sind die sogenannten „Platin-Minuten“ von entscheidender Bedeutung. Für eine bestmögliche Versorgung in dieser kritischen Zeit sind keine Sanitäter, sondern die Kameraden im Gefecht verantwortlich. Die ukrainische Ärztin Kateryna Maslyak vom All Ukrainian Resuscitation Council bildet Soldatinnen und Soldaten im Bereich Tactical Combat Casualty Care (TCCC) aus. Im Rahmen der DiMiMED in Düsseldorf sprach sie mit cpm Defence Network über die lebensrettenden Kurse und auch darüber, wie andere Staaten ihre Arbeit vor Ort unterstützen können. Das Interview führte Navid Linnemann.

TCCC-Ausbildung: Ärztin Kateryna Maslyak bildet für das All Ukrainian Resuscitation Council Soldaten in der Selbst- und Kameradenhilfe aus.
Ärztin Kateryna Maslyak bildet für das All Ukrainian Resuscitation Council Soldaten in der Selbst- und Kameradenhilfe aus.
Foto: Kateryna Maslyak
Als offizieller Teil der ukrainischen Streitkräfte bietet Ihre Organisation verschiedene Kurse im Rahmen des TCCC-Konzepts an und haben bereits über 53.000 Soldaten ausgebildet. Welche Kurse bieten Sie an?

Was TCCC betrifft, decken wir alle Level ab. Wir decken das Level All-Service-Members (ASM) ab, dieser Kurs dauert 16 Stunden. Dann gibt es ein weiteres Level, das sogenannte Combat-Lifesaver-Level (CLS). Hier dauert der Kurs 40 Stunden bzw. vier oder fünf Tage. Das nächste Level, welches wir unterrichten, ist Combat-Medic-Corpsmen (CMC), ebenfalls 40 Stunden.

Und das letzte Level, welches wir unterrichten, ist der kurs Combat-Paramedic-Provider (CPP). Wir unterrichten also alle Abstufungen, wobei nicht jeder Teilnehmer alle diese Kurse absolvieren kann. Wir führen Vor- und Abschlusstests durch, damit wir diejenigen auswählen können, die in der Lage sind, die Inhalte zu verstehen. Wer vorangegangene Kurse erfolgreich abschließt, wechselt zu den Fortgeschrittenenkursen.

Was beinhaltet zum Beispiel der ASM-Kurs?

Der All-Service-Members-Kurs umfasst gerade genug grundlegende Informationen für jeden Soldaten, der den ukrainischen Streitkräften angehört. Wenn man zum Beispiel Soldat werden möchte, muss man sich mobilisieren lassen. Und sobald man mobilisiert ist, macht man die Grundausbildung. Und innerhalb dieser Grundausbildung gibt es einen taktisch-medizinischen Kurs, dessen Absolvieren obligatorisch ist.

Kateryna Maslyak auf der DiMiMED 2024 in Düsseldorf.
Kateryna Maslyak auf der DiMiMED 2024 in Düsseldorf.
Foto: cpm / Barbara Frommann

Im Grunde ist es ein ASM+ Kurs – bestehend aus M.A.R.C.H. und noch etwas mehr. Denn wir haben auf der Grundlage unserer Erfahrungen in der Ukraine einige wichtige Inhalte zum einfachen ASM-Kurs ergänzt.

Der M.A.R.C.H. Algorithm?

Ganz genau: Massive hemorrhage, Airway, Respiration, Circulation, Head injury/Hypothermia. Beim Buchstaben M geht es darum, massive Blutungen mit Tourniquets oder der Kompressen und dem Wundverband zu stoppen. Beim Buchstaben A geht es dann um die Atemwege, und wir lehren das Kiefer-Schub-Manöver, das HTCL-Manöver und die stabile Seitenlage.

In Bezug auf die Atmung lehren wir, wie man die Qualität der Atmung überprüft, d. h. wie oft und wie tief der Verletzte atmet. Auch das Prüfen auf Brustwunden. Was wir hier ergänzt haben, ist die Verwendung eines Thoraxpflasters. Der einfache ASM behandelt das nicht.

Was den Buchstaben C betrifft, so bringen wir den Teilnehmern bei, wie ein Schock aussieht. Wir erklären ihnen in einfachen Worten, dass die Verletzten tatsächlich an einem Schock sterben können. Wir lehren, wie man auch alle anderen Wunden ohne massive Blutungen verbindet. Hier behandeln wir auch den TQ-Check, also die Überprüfung des Tourniquets auf Wirksamkeit, sowie die Prüfung der Wirksamkeit von Wundpackungen und Wundverbänden.

Unter Buchstabe H behandeln wir schließlich Hypothermie, Kopftrauma und Augentrauma. Außerdem haben wir hier das Combat-Pill-Pack ergänzt und erklären den Soldaten, woraus es besteht und wann es wie eingenommen werden muss.

Neben der Ausbildung arbeitet Maslyak auch als Anästhesistin auf der Intensivstation und im Operationssaal eines Militärkrankenhauses.
Neben der Ausbildung arbeitet Maslyak auch als Anästhesistin auf der Intensivstation und im Operationssaal eines Militärkrankenhauses.
Foto: Kateryna Maslyak
TCCC ist ein Konzept, das in den USA auf der Grundlage der Erfahrungen in Mogadischu/Somalia in den 1990er-Jahren entwickelt wurde. Haben Sie das Konzept übernommen oder Anpassungen vorgenommen?

Ja, wie bereits erwähnt, haben wir die Verwendung des Brustkorbs bei der Atmung hinzugefügt und wie man ihn bei Bedarf aufstößt. Beim Buchstaben C lehren wir den Austausch des Tourniquets. Wir haben gemerkt, dass wir das allen Soldaten beibringen müssen. Denn wenn man ihnen beibringt, den Tourniquet nur eng und hoch anzulegen, wie es bei Care-Under-Fire der Fall ist, führt das zu mehr Amputationen.

In der Ukraine hat man keine 2 Stunden Zeit für eine Evakuierung. Man hat keinen Hubschrauber, um die Verletzten schnell zu transportieren. Manchmal kann die Evakuierung Tage oder Wochen dauern! Deshalb bringen wir ihnen in C bei, wie sie den Tourniquet ersetzen können.

Was ist im Moment die größte Herausforderung bei Ihrer Arbeit in der Ukraine?

Die größte Herausforderung ist, dass wir nicht genug Leute haben. Die Ukraine hat nicht genügend Soldaten, um zu kämpfen, und gleichzeitig gibt es nicht genug Ausbilder für unsere Arbeit. Deshalb liegt unser Hauptaugenmerk im Moment darauf, motivierte Leute zu finden und sie zu Ausbildern zu machen. Denn je mehr Ausbilder wir haben, desto mehr Soldaten können wir in großem Umfang und gleichzeitig ausbilden.

Welche Möglichkeiten gibt es für andere Nationen, die Ausbildung im Bereich TCCC zu unterstützen?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie das Ausland uns helfen kann. Es gibt einfache und schwierigere Wege. Was die einfachen Wege betrifft, müssen wir die Halbwertszeit des von uns vermittelten Wissens erforschen, denn wir wissen nicht, wie lange sie die Informationen behalten. Ebenfalls müssen wir erforschen, wie sich der Prozentsatz der vermeidbaren Todesfälle verändert, nachdem die Soldaten die taktische medizinische Ausbildung abgeschlossen haben.

Außerdem bitten wir das Ausland, gemeinsam mit uns mehr Ausbildungszentren in relativ sicheren Gebieten der Ukraine einzurichten. Das würde das Problem der unterbrochenen oder abgebrochenen Kurse in der Nähe der Frontlinie, weil es dort immer wieder zu Luftangriffen kommt und das Risiko besteht, von den Russen getötet zu werden.

Auf der DiMiMED gab Maslyak Einblicke in ihre Arbeit in der Ukraine.
Auf der DiMiMED gab Maslyak Einblicke in ihre Arbeit in der Ukraine.
Foto: cpm / Navid Linnemann

Natürlich kann es auch im Bereich TCCC nie genug Ausrüstung geben, also ist Material immer eine Möglichkeit. Ich würde dazu empfehlen, nach Nichtregierungs- oder kleinen Wohltätigkeitsorganisationen zu suchen, mich nach deren kleineren Bedürfnissen zu erkundigen und diese Bedürfnisse zu stillen, denn diese werden sich zu großen Lösungen summieren.

Was die größeren Wege angeht, die das Ausland tatsächlich auch lösen kann, wäre einer davon, ein zuverlässiges telemedizinisches System zu schaffen oder uns beim Aufbau eines solchen zu unterstützen. Oder Fachhochschulen für militärische oder zivile Sanitäter zu eröffnen.

Es mag verrückt klingen, aber vielleicht ist es doch möglich: Wir sollten NATO Military Medical Center of Excellence (MILMED COE) werden. Das würde eine Menge Probleme lösen. Und dann ist da noch die Herstellung von Plasma. Ich habe hier [auf der DiMiMED] bereits Kontakte zu Menschen geknüpft, die das machen und Plasma in großen Mengen herstellen. Ich hoffe also, dass schon einige Bedürfnisse im Bereich TCCC hier gelöst werden können.

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