Trickst die Bundesregierung durch erfundene Verteidigungsausgaben?

Der Bundestagsabgeordnete Ingo Gädechens (CDU) erhebt einen schweren Vorwurf gegen die Bundesregierung. Verteidigungsausgaben würden aus anderen Einzelplänen mit herangezogen werden, um das NATO-2-%-Ziel zu erreichen. Auch Ausgaben, deren Nutzen für die Verteidigungsfähigkeit des Landes mindestens fragwürdig seien.

Kopf der Bundesregierung. Das Bundeskanzleramt in Berlin.
Das Bundeskanzleramt in Berlin.
Foto: cpm / Navid Linnemann

Deutschland erreicht bis 2028 das NATO-Zwei-Prozent-Ziel. So hat es der Bundeskanzler bei Vorstellung des Haushaltsentwurfs für 2025 versprochen. Es klingt nach einer nachhaltigen Weichenstellung für die Finanzierung der Bundeswehr, nach der Einlösung des Versprechens, das Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Regierungserklärung gegeben hat.

Nur: Wie Deutschland dieses NATO-Zwei-Prozent-Ziel bis 2028 konkret erreichen will, weiß die Regierung nicht. Einmal mehr zeigt sich, dass Olaf Scholz mit erstaunlicher Selbstsicherheit Versprechungen abgibt, ohne überhaupt zu wissen, dass er sie auch einhalten kann und wird., so der Bundestagsabgeordnete Ingo Gädechens in seiner Pressemitteilung.

Die deutschen Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien setzen sich aus drei Blöcken zusammen: Ausgaben aus dem eigentlichen Verteidigungshaushalt (Epl. 14), dem Sondervermögen Bundeswehr sowie (angeblich) verteidigungsbezogene Ausgaben in anderen Bereichen des Bundeshaushaltes.

Die Zusammensetzung der ersten beiden Blöcke ist öffentlich bekannt, beim dritten Block hingegen (zumindest offiziell) nicht. Dabei ist in den vergangenen Jahren auffällig, dass dieser dritte Bereich stark angestiegen ist – 2014 waren dies nur 1,6 Milliarden Euro, im laufenden Jahr 2024 (auch aufgrund der Ukraine-Hilfe) bemerkenswerte 18,85 Milliarden Euro (abzüglich Epl. 14 und Sondervermögen Bundeswehr).

Nur durch diesen Anstieg von Ausgaben, die der Bundeswehr nicht direkt zugutekommen, aber doch verteidigungsbezogen sein sollen, wird 2024 das Zwei-Prozent-Ziel erreicht wird. Dabei hat die Bundesregierung 2024 erstmals auch Schuldzinsen aus dem Epl. 32 – also Zinsen für allgemeine Bundesanleihen ohne unmittelbaren Bezug zur Bundeswehr – als Verteidigungsausgaben deklariert. Inwiefern Zinsen Deutschland verteidigen können, bleibt bis heute ein Mysterium.

Im Rahmen der Pressekonferenz zur Einigung auf einen Haushaltsentwurf 2025 führte der Bundeskanzler mehrfach aus, dass Deutschland bis 2028 jedes Jahr das Zwei-Prozent-Ziel erreichen werde. Wobei er sich da wohl auch selbst nicht ganz sicher ist: Denn in seinen Äußerungen verwies er teils darauf, dass das Zwei-Prozent-Ziel genau eingehalten wird, teils versprach er Verteidigungsausgaben oberhalb der zwei Prozent. Wie ist der Sachstand?

Ende August hat das Verteidigungsministerium zumindest Daten für 2025 herausgegeben. 2,05 Prozent des BIP soll Deutschland 2025 für Verteidigung ausgeben, davon 14,21 Milliarden. Euro – fast 16 Prozent der Gesamtausgaben –, die nicht für die Bundeswehr direkt ausgegeben werden. Diese Summe entspricht ungefähr dem Ansatz für 2024, gemindert um die Senkung der Ukraine-Hilfen. Durch die Tricks der Vergangenheit, insbesondere die Zinsanrechnung, scheint also auch 2025 das NATO-Ziel knapp eingehalten zu werden.

Auflistung der Verteidigungsausgaben Deutschlands.
Auflistung der Verteidigungsausgaben Deutschlands.

Welche Ausgaben aber ganz genau angerechnet werden, will die Bundesregierung nicht offenlegen – auch nicht dem Parlament gegenüber zum Beispiel als Verschlusssache. Höchstens eine Aufteilung der Ausgaben auf Einzelpläne wird dem Parlament auf Nachfrage mitgeteilt, wenn überhaupt. Immer wieder verweist die Bundesregierung nämlich darauf, dass eine Aufschlüsselung der Ausgaben der Geheimhaltung unterliege, weil sie „erhöhte sicherheitsempfindliche […] Relevanz“ habe.

Dass im Bundeshaushalt für alle Welt lesbar Auskunft gegeben wird, wie viel Geld Deutschland für Munitionskäufe ausgibt und dies offenbar keine sicherheitsempfindliche Relevanz hat, das Wissen um die Zusammensetzung der Verteidigungsausgaben – also insbesondere wie hoch der Betrag der angerechneten Zinsen, NVA-Soldatenpensionen und Entwicklungshilfe ist – allerdings der dringenden Geheimhaltung unterliegt, ist bemerkenswert.

Aber auch erklärbar: Es ist ein starkes Indiz, dass die Bundesregierung die deutschen Verteidigungsausgaben schönrechnet, um irgendwie das NATO-Ziel zumindest auf dem Papier erfüllen zu können. Dass aber für die eigentlichen Verteidigungsausgaben, also Geld für die Bundeswehr, nach wie vor keine auskömmliche Finanzierung zur Verfügung gestellt wird, soll verschleiert werden.

Überhaupt zeigt eine Beschäftigung mit der Thematik, auf welch tönernen Füßen das ganze Konstrukt steht – und wie sich die Ampel wie gewohnt streitet. Anfang Juli versprach der Bundeskanzler die Erfüllung der NATO-Quote bis 2028. Eine Anfrage, welche Zahlen diesem Versprechen zugrunde liegen, konnte die Bundesregierung aber bisher nicht beantworten.

Ganz im Gegenteil: Nachdem die übliche Zwei-Wochen-Frist für eine Beantwortung ausgelaufen war, bat das Finanzministerium um eine dreiwöchige Verlängerung. Begründung: Es solle eine „Abstimmung der noch offenen Punkte“ erfolgen. Dies ist – anders als von der Bundesregierung angekündigt – aber bis heute immer noch nicht passiert; die selbstgesetzte Frist bis zum 30. August 2024 wurde wieder gerissen. Wie kann aber der Bundeskanzler die Einhaltung der NATO-Quote Anfang Juli versprechen, obwohl seiner Bundesregierung die dafür notwendigen Zahlen noch gar nicht vorliegen und erst noch abgestimmt werden müssen?

Einmal mehr nähren sich die Zweifel, dass hinter den Versprechungen des Kanzlers auch tatsächlich substanzielle Verteidigungsausgaben stehen – die Bundesregierung erweckt immer stärker den Eindruck, dass nach den Äußerungen des Kanzlers erst einmal mit dem Suchen der Verteidigungsausgaben begonnen werden muss, aber schon vorab das Ergebnis der Suche festgelegt wurde.

Wie aus Regierungskreisen zu vernehmen ist, gibt es handfesten Streit über das Erreichen der Zwei-Prozent-Quote bis 2028. Dies ist eine Folge der geplanten Abschmelzung der Ukraine-Hilfen. Denn durch das geplante Zurückfahren der Mittel für den Ertüchtigungstitel, aus dem die Ukraine-Hilfen bezahlt werden, auf nur noch 500 Millionen Euro im Jahr 2028 fehlen in den kommenden Jahren Milliarden-Beträge zum Erreichen des Zwei-Prozent-Ziel. Einmal mehr scheint sich die Bundesregierung daher auf eine kreative Lösung des Problems zu besinnen. Nachdem Kreditzinsen schon einberechnet wurden, braucht es jetzt eine neue Idee, was als Verteidigungsausgabe deklariert werden kann. Und man ist fündig geworden.

Um das Milliardenloch durch das Abschmelzen der Ukraine-Hilfe in den kommenden Jahren zu schließen, soll zukünftig auch die Verkehrsinfrastruktur als Verteidigungsausgabe deklariert werden – so habe es ein ranghoher Regierungsvertreter verlauten lassen. Aus dem Verteidigungsministerium lässt sich vernehmen, dass dieser neue Kreativansatz zur Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben strikt abgelehnt wird, weil damit wieder einmal der Druck hinsichtlich einer auskömmlichen Bundeswehrfinanzierung abnimmt.

Und dass dieser neue Vorschlag nicht ausgegoren ist, musste jetzt auch die Bundesregierung zugeben. Denn auf die Frage, welche Anteile des deutschen Fernstraßennetzes verteidigungsrelevant ist und wie viele MLC-Schilder – also Schilder, die Auskunft über die militärische Lastenklasse bei Brücken gibt; angesichts der vielen maroden deutschen Autobahnbrücken in einem Verteidigungsfall eine mehr als relevante Information – hat die Bundesregierung keine Antwort.

Die nötigen Informationen werden jetzt erst einmal recherchiert, irgendwann plant die Regierung dann, die Informationen nachzureichen. Wann die Bundesregierung, die eben schon das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels bis 2028 verkündet hat, auch weiß, in welcher Höhe Ausgaben für die deutschen Fernstraßen angerechnet werden können, bleibt aber offen.

„Bundeskanzler Olaf Scholz fällt immer wieder mit der erstaunlichen Selbstwahrnehmung auf, dass er viele Informationen und Entwicklungen erkennt, bevor alle anderen Beteiligten überhaupt darüber nachdenken oder es gar selbst wissen“, erklärt Ingo Gädechens, Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für den Verteidigungshaushalt. „So ein Scholz’sches Wunder sehen wir jetzt auch bei den Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien.

Während der Kanzler Anfang Juli das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels bis 2028 verkündet, weiß seine Regierung noch gar nicht, wie das überhaupt funktionieren soll. Acht Wochen nach der Pressekonferenz des Kanzlers ist immer noch vollkommen unklar, woher das Geld kommen soll. All das zeigt, wie der Kanzler Politik macht: Er verspricht irgendetwas ins Blaue hinein und danach müssen die Regierungsbeamten die Zahlen so zurechtbiegen, dass die Kanzler-Versprechungen zumindest scheinbar eingehalten werden.

Wie Deutschland die Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien schönrechnet, wird immer grotesker. Die Regierung bleibt sich nicht nur treu in der Auffassung, dass Deutschland auch von Kreditzinsen verteidigt wird. Weil die Ampel die Ukraine-Hilfen bis 2028 drastisch zurückfahren will, müssen jetzt zudem erneut weitere Geldtöpfe gesucht werden. Neuerdings sollen jetzt auch deutsche Autobahnen verteidigungsrelevant sein – obwohl die Bundesregierung nach eigener Aussage keinen blassen Schimmer hat, in welchem Umfang unsere Autobahnen überhaupt verteidigungsrelevant sind.

Wir sehen also den nächsten Akt eines traurigen Schauspiels. Es geht dem Kanzler nicht darum, dass die Bundeswehr vernünftig finanziert und unser Land wehrhaft wird. Sonst würde er dafür die Finanzmittel zur Verfügung stellen, die die Bundeswehr dringend braucht. Dem Kanzler geht es nur um einen falschen Schein, der sein wahres politisches Tun vertuscht.“

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BundeskanzlerDeutschlandMdB Ingo GädechensNATO-MitgliedschaftZwei-Prozent-Ziel