„Die Technologie ist da. Die Technologie ist auch in der europäischen Rüstungsindustrie da“, stellte Generalleutnant Kohlhaus auf dem heute Morgen in Berlin begonnenen Ground Based Air Defence Summit fest. Deutschland könne zudem mit der begonnenen Installation von Arrow 3 das gesamte Höhenspektrum abdecken, auch wenn das vorhandene Material noch begrenzt sei.
Aktueller Stand: 28 + 1 Waffensystem
Generalleutnant Kohlhaus schilderte in Berlin zunächst den aktuellen Bestand im vorhandenen Flugabwehrraketengeschwader. Die deutsche Luftwaffe verfüge im Bereich der Flugabwehrraketensysteme derzeit über neun Patriot-Systeme; weitere acht seien unter Vertrag. „Das macht 17“, rechnete Generalleutnant Kohlhaus aus, „16 kann ich mir besser merken, das kann man auch durch zwei teilen.“
Von den bisher bestellten sechs IRIS-T Medium Range ist das erste System bereits in der Bundeswehr – jedoch nicht in der Luftwaffe – angekommen und befindet sich derzeit in der Einsatzprüfung. Die Luftwaffe forderte bereits von der letzten Regierung sechs weitere IRIS-T Systeme. Damit komme der stellvertretende Inspekteur der Luftwaffe auf 28 Waffensysteme und stellte fest: „Für den Moment reicht das. Ich unterstreiche: für den Moment!“
Luftwaffe gegenüber Wehrpflichtigen: „Nicht anschreien“
Für Material muss allerdings auch Personal zur Verfügung stehen. Denn mehr als die geplanten 28 Waffensysteme – plus das neue Arrow 3 System – sei von der deutschen Luftwaffe nicht leistbar. Das läge vor allem am Personal. Zur laufenden Wehrpflicht-Debatte sagte Generalleutnant Kohlhaus daher, dass die Luftwaffe nicht auf „Tausende von jungen Obergefreiten“ angewiesen wäre, die „mit dem Gewehr nur am Zaun stehen“, sondern eine Wehrpflicht in erster Linie Binnenwerbung für Soldatinnen und Soldaten mit hoch spezialisierten Fähigkeiten bedeute.
„Das ist der große Vorteil“, erklärte Generalleutnant Kohlhaus, „den wir in der Luftwaffe auch in den vergangenen Jahren ausschöpfen konnten – mehr als in anderen Teilstreitkräften. Das liegt daran, dass wir unsere Grundwehrdienstleistenden gut behandeln und nicht anschreien. Das nur als Tipp für die anderen …“ Kohlhaus formulierte mit „Wehrpflicht, verpflichtende Übungsteilnahmen, verpflichtende Grundbeorderung“ drei Grundbedingungen dafür, dass die „überhaupt eine Chance“ bekäme, im Bereich des Personals wieder maßvoll aufwachsen zu können.
Mittelfristig 2. Flugabwehrraketengeschwader gefordert
Wofür dieser personelle Aufwuchs mittelfristig nötig wird, verkündete der stellvertretende Luftwaffeninspekteur auch: ein 2. Flugabwehrraketengeschwader.
„Wenn Sie in den Medien jeden Abend sehen, was in der Ukraine angerichtet wird“, begründete Generalleutnant Kohlhaus die Forderung mit der Zerstörung, „ziviler Wohnbereiche, Krankenhäuser, Kirchen, Museen, Einkaufszentren, Baumärkte mit vielen Opfern. Wollen wir das beim uns? Sind wir in der Lage, das zu akzeptieren?“
Auch Frankreich, Polen und die baltischen Staaten könnten das nicht akzeptieren. Eine ausreichende Luftverteidigung demnach für die europäischen Staaten unverzichtbar. „Und deshalb wird die Luftwaffe auf weitere Sicht – unter der Voraussetzung, dass wir im personellen Tableau uns weiterentwickeln können – ein zweites FlaRak-Geschwader fordern“, schloss Generalleutnant Kohlhaus. Mit dem Aufbau des zweiten Flugabwehrraketengeschwaders solle nach seiner Einschätzung frühestens in den Dreißigerjahren begonnen werden.
Ohne die USA geht es nicht
Traditionell pflegt die Luftwaffe enge Beziehungen in die USA. Vielleicht auch ein Grund, dass Generalleutnant Kohlhaus explizit an die Abhängigkeiten zum transatlantischen Partner erinnerte. Er machte deutlich, dass ihn die Diskussion ärgere, Europa bräuchte die Amerikaner nicht. „Mal abgesehen von allen politischen Erwägungen, die nicht meine Sache sind“, erklärte Generalleutnant Kohlhaus, „ohne Link 16, ohne IFF Mode 5 ohne standardisierte Datenlinks ist die NATO zur verbundenen Luftkriegsoperationen nicht in der Lage, sie ist die Koalitionsfähigkeit.“ Diese Standards werden durch die Vereinigten Staaten gesetzt.
Kohlhaus sagte aber auch, dass Europa auf diesem Gebiet autonom werden könne, wenn es sich in diese Richtung weiterentwickele. Aktuell laufe die Kommunikation mit den US-amerikanischen Partnern und der dortigen Industrie auf einer professionellen Ebene aber weiter. „Entwickelt sich der europäische Pfeiler der Rüstungsindustrie positiv weiter?“, fragte Generalleutnant Kohlhaus, „Ja, erfreulicherweise.“
Und allein aus den Erfahrungen aus der Ukraine ergäbe sich, dass sich die deutsche Luftwaffe zukünftig auch mehr auf diesen europäischen Pfeiler für ihr Flugabwehrraketengeschwader setzen werde.
„Werden wir beispielsweise das schwere und eben nicht so mobile Waffensystem Patriot in Frontnähe einsetzen?“, fragte der stellvertretende Luftwaffeninspekteur, „wahrscheinlich nicht. Werden wir in einer hochintensiven Auseinandersetzung das Waffensystem Patriot vorne an der Ostflanke in Litauen einsetzen? Wahrscheinlich nicht. Die Überlebensfähigkeit ist viel zu gering. Es gibt aber Alternativen. Zumindest was die deutschen verfügbaren Systeme und durch die europäische Industrie entwickelten Systeme betrifft, beispielsweise IRIS-T.“
Luftverteidigung als zunehmend europäische Aufgabe
Die Forderung der deutschen Luftstreitkräfte nach einem zweiten Flugabwehrraketengeschwader zeigt, wie sehr die sicherheitspolitischen Realitäten Europas in Bewegung geraten sind. Generalleutnant Kohlhaus machte aber auch deutlich, dass der Schutz der Bevölkerung vor Bedrohungen aus der Luft keine nationale Aufgabe allein sein kann, sondern nur im engen Schulterschluss mit Partnern zu bewältigen ist – sei es durch bewährte transatlantische Standards oder durch eine wachsende europäische Rüstungsautonomie.
Die deutsche Luftwaffe will dabei nicht nur reagieren, sondern gestalten – mit moderner Technologie, mehr gut ausgebildetem Personal für ein Flugabwehrraketengeschwader und einer klaren strategischen Vision für die kommenden Jahrzehnte.
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