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Zukunftstechnologien im Bereich der Luftverteidigung

Der Konflikt in der Ukraine zeigt aktuell die Herausforderungen vor der eine erfolgreiche Luftverteidigung steht – ein überwältigender Mix an „Low-End“- und „High-End“-Bedrohungen. In ihrem Zusammenspiel bildet dieses Bedrohungsspektrum für jegliche verfügbare Luftverteidigungssysteme eine zurzeit unlösbare Herausforderung und führt zu fundamentalen Änderungen auf dem Gefechtsfeld. Welche Herausforderungen das sind und welche Zukunftstechnologien dagegen eingesetzt werden können, analysierte unser Chefredakteur im cpmFORUM 02/24.

Zukunftstechnologien: Laserwaffenerprobung auf der Fregatte „SACHSEN“. Der Laserwaffen- demonstrator wurde von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Hochenergie Marinedemonstrator, bestehend aus MBDA Deutschland GmbH und Rheinmetall Waffe Munition GmbH, entwickelt. Foto: MBDA
Laserwaffenerprobung auf der Fregatte „SACHSEN“. Der Laserwaffen- demonstrator wurde von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Hochenergie Marinedemonstrator, bestehend aus MBDA Deutschland GmbH und Rheinmetall Waffe Munition GmbH, entwickelt.
Foto: MBDA

Hochspezialisierte, mit hohem Überschall oder Hyperschall fliegende Flugkörper sind sehr kostenintensiv. Auch wenn nur vereinzelt eingesetzt, überwinden Flugkörper wie die luftgestützten KINSCHAL oder „Ch-32“ regelmäßig auch hochentwickelte westliche Abwehrsysteme. Langsamere Systeme wie der russische Marschflugkörper „Ch-55“ oder die iranischen Drohnen lassen sich zwar zuverlässig abfangen, sättigen aber mit mehreren hundert Systemen die vorhandenen Abwehrmöglichkeiten.

Zusätzlich haben in den vergangenen zwei Jahren umgewandelte, kommerzielle Drohnen oder Loitering Ammunition im Preissegment von mehreren hundert Dollar das Gefechtsfeld verändert. Hier wird bereits in 2024 der Einsatz von mehreren zehntausend Systemen auf beiden Kriegsparteien erwartetet. Tendenz stark steigend.

Eine Abwehr steht sowohl vor einer technologischen wie auch vor einer ökonomischen Herausforderung, welche es gleichermaßen zu lösen gilt. Es ist allgemein verstanden, dass es für dieses Bedrohungsspektrum nicht die „eine“ Lösung geben wird und sich das Bedrohungsspektrum sehr dynamisch weiterentwickelt.

Für die Abwehr von Teilen des Bedrohungsspektrums, wie Marschflugkörper und mittelgroße Drohnen, sind bereits marktverfügbare Lösungen vorhanden. So bewähren sich bodengestützte Flugabwehrraketensysteme wie IRIS-T SLM oder PATRIOT täglich in der Ukraine. Dahingegen sind noch keine Lösungen für die Abwehr von Hyperschallbedrohungen oder die überwältigende Anzahl von Kleinstdrohnen gefunden.

Der europäische Ansatz gegen High-End-Bedrohungen

Seit Jahrzehnten ist Deutschland im Rahmen der Hyperschallforschung und -entwicklung engagiert. Grund- und auftragsfinanzierte Forschung der Universitäten, Forschungseinrichtungen wie dem DLR und der beteiligten Firmen MBDA sowie Diehl Defence werden über experimentelle Hyperschalltests oder Demonstrator-Programme in Technologie-Roadmaps transferiert.

So wurden Fähigkeiten, Konzepte, Methoden und Technologien identifiziert, die sich als entscheidend für eine effektive Abwehr hypersonischer Bedrohungen herausgestellt haben. Die Fähigkeit der frühzeitigen Aufklärung und die kontinuierliche, zeitverzugslos präzise Bahnverfolgung von Hyperschallflugkörpern sowie die Erweiterung der aktuell verfügbaren Flugkörpersysteme um hochagile Systeme mit einer Direkttrefferfähigkeit gegen hypersonische Bedrohungen standen dabei im Fokus der Untersuchungen.

Aufgrund der Herausforderungen durch Agilität, Geschwindigkeit und Wirkung von angreifenden Hyperschallflugkörpern können die benötigten Fähigkeiten nur in einem ganzheitlichen abwehrarchitekturgeeigneten Sensor-Netzwerk, Führungssystem und Abfangflugkörpern sowie der Interoperabilität von Abwehrsystemen realisiert werden.

Im Rahmen der „Permanent Structured Cooperation“ (PESCO) haben sich die europäischen Mitgliedsstaaten auf das „Timely Warning and Interception with space-based Theater Surveillance“ (TWISTER)-Programm verständigt. Unter französischer Führung wurden hier zwei komplementäre Entwicklungsziele für den Europäischen Verteidigungsfond identifiziert. Mit der Hypersonic Defence Interceptor Study (HYDIS2) haben sich 19 Partner und mehr als 20 Unterauftragnehmer unter der Führung von MBDA zusammengeschlossen, um verschiedene Lenkflugkörperkonzepte für die Abwehr von hypersonischen Bedrohungen zu konzipieren.

Mit der getroffenen Auswahlentscheidung durch die Europäische Kommission vom 12. Juli 2023 können so zeitnah weiterführende Konzepte, Methoden, Werkzeuge sowie kritische Technologien für einen endoatmosphärischen Lenkflugkörper identifiziert und die weitere Technologiereifmachung vorbereitet werden. Damit leistet HYDIS2 einen unverzichtbaren Beitrag zum AQUILA-Lenkflugkörperprojekt zur Abwehr hypersonischer Bedrohungen. AQUILA ist ein umfassender Luftverteidigungsansatz der MBDA und seiner Partner.

Technologische Lösungen für einen ganzheitlichen Ansatz

Eine erfolgreiche Bekämpfung erfordert die möglichst schnelle und sichere Erstdetektion z.B. mit weltraumbasierter Aufklärungs- und Tracking-Sensorik. Auch wenn nicht tieferer Bestandteil dieses Artikels, bildet diese im Rahmen einer ganzheitlichen Abwehrarchitektur einen wesentlichen Designraum für die Abwehrlenkflugkörper. Je nach Abwehrarchitektur ist es vorstellbar, dass ein Abwehrlenkflugkörper basierend auf Aufklärungs- und Track-Daten einer anderen luft-, see-, land- oder weltraumgestützten Plattform gestartet und ins Ziel geleitet wird.

Der Flugkörper AQUILA, an dessen Konzeption MBDA derzeit im Rahmen von HYDIS2 arbeitet, wird künftig einen maßgeblichen Beitrag zur Verteidigung gegen Hyperschallwaffen leisten. Illustration: MBDA
Der Flugkörper AQUILA, an dessen Konzeption MBDA derzeit im Rahmen von HYDIS2 arbeitet, wird künftig einen maßgeblichen Beitrag zur Verteidigung gegen Hyperschallwaffen leisten.
Illustration: MBDA

Die Bekämpfung erfolgt dabei außerhalb des Radarhorizonts einzelner bodengebundener Systeme und bedeutet besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit, Latenz und Präzision der Trackdaten sowie Datenverbindungen. Die jeweiligen Leistungsfähigkeiten der Aufklärungs- und Tracking-Sensorik und eines Abwehrlenkflugkörpers beeinflussen hier die jeweilig optimale Lösungsfindung.

Eine entsprechende Abstandsfähigkeit, hohe Manövrierbarkeit entlang der Flugbahn sowie Agilität im Endanflug eines Abwehrlenkflugkörpers ergeben sich aus den Charakteristika der verschiedenen Hyperschallbedrohungen. Ein mehrstufiges Flugkörperkonzept auf Basis der bewährten RamJet-Technologie der Bayern-Chemie – die auch im METEOR-Programm Verwendung findet – kann hier die Grundlage bilden. Kosteneffiziente, mechanisch belastbare Hochtemperaturmaterialien, neuartige Lufteinläufe oder zukunftsfähige Treibstoffe bilden hier Schlüsseltechnologien, welche in Deutschland vorhanden sind und in die Anwendung gebracht werden müssen.

Eine erfolgreiche Trefffähigkeit umfasst Zielauffassung und Zielverfolgung gleichermaßen und erfolgt mit eigener, auf dem Abwehrlenkflugkörper vorhandenen Sensorik, modernste Zielsuchkopf-Sensoriken sowie Lenk- und Steuerverfahren. Für die Zielerfassung wird damit eine Kombination aus Radar- und Multispektral-Infrarot-Suchkopftechnologien wahrscheinlich sein, die auf die endoatmosphärischen Bedingungen oberhalb 20 km Flughöhe angepasst sind. Genau dies wird bei MBDA im Rahmen der Untersuchungen und Entwicklungen zur Abwehr hypersonischer Bedrohungen vorangetrieben.

Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) werden auch den Auffass- und Bekämpfungsvorgang gegen angreifende hypersonische Bedrohungen unterstützen. KI wird hierbei u.a. die Bekämpfungs- und Flugwegplanung beschleunigen und die Signalverarbeitung im Suchkopf des Flugkörpers optimieren mit dem Ziel, eine genauere und zuverlässigere Zielverfolgung in der Endphase zu ermöglichen.

Dabei gilt aber weiterhin: Der Mensch trifft die Entscheidung, die Technik unterstützt. Diese Philosophie gilt auch für die komplexe Aufgabenstellung der Abwehr von hypersonischen Bedrohungen. Denn es geht um den Schutz oder auch die Gefährdung von Menschenleben – da muss ein Mensch die Entscheidung treffen. Die Arbeiten der MBDA an dieser Thematik berücksichtigen diese ethischen und technischen Fragestellungen.

Ein nationaler Weg zur kosteneffizienten Bedrohungsabwehr

„First-Person-View“, oder FPV Drohnen, finden zurzeit einen verbreiteten Einsatz auf dem Gefechtsfeld in der Ukraine. Ein steigender Grad an Autonomie, eine zunehmende Vernetzung sowie Resilienz gegen elektronische Störmaßnahmen deuten sich momentan an und werden in den kommenden Monaten zunehmen. Die wesentliche Entwicklung findet aber im ökonomischen Rahmen statt. Der Aufwand, eine Kleinstdrohne abzuwehren, ist ungefähr hundert- bis tausendfach aufwändiger als die abzuwehrende Bedrohung.

Der Hochenergie-Lasereffektor der MBDA Deutschland kann zum Schutz von Flugzeugen, Schiffen oder Soldaten und deren Infrastruktur unter anderem gegen diese Bedrohungen eingesetzt werden. Durch die Verwendung spezieller Spiegeloptiken ist eine sehr hohe Laserleistung von mehr als 100 kW möglich, wobei das System für unterschiedliche Laserquellen ausgelegt ist. Dieses zukunftssichere Prinzip ermöglicht weit höhere Laserleistungen als Stand heute verfügbar sind. Die High Performance-Bilderverarbeitung ermöglicht ein hochpräzises Trackingsystem und somit höchstgenau Schüsse ins Ziel.

Mit dem Laserwaffendemonstrator (LWD) auf der Fregatte 124 SACHSEN konnte in 2023 nachgewiesen werden, dass eine Laserwaffe in der Lage ist, unterschiedlichste Ziele im maritimen Umfeld erfolgreich zu bekämpfen. In naher Zukunft machen somit Hochenergie-Lasereffektoren den Schritt in die Entwicklungsphasen umkomplementär zu Rohrwaffen und Lenkflugkörpern, insbesondere die Abwehr von Drohnen, Drohnenschwärmen oder ggf. Lenkflugkörpern im Nah- und Nächstbereich zu augmentieren.

Teilautonome Systeme und Network Centric Solutions

Nicht nur in der Luftverteidigung gilt, dass Waffensysteme schneller, intelligenter und vernetzter werden. Länder wie China, Russland (trotz aller Sanktionen) und die USA legen hier vor und beweisen die Wichtigkeit dieser Ansätze. Der in den genannten Ländern erreichte und zukünftig weiter erzielbare technische Vorsprung wird aufgrund der damit möglichen operationellen Vorteile kaum aufgegeben werden.

Dies muss auch die nationalen (und europäischen) Ansätze kennzeichnen. Zunächst bedeutet das, dass wir zumindest eine nationale Bewertungsfähigkeit in diesen Bereichen entwickeln müssen, um das Bedrohungspotential, aber auch die Chancen für den operationellen Erfolg und den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten zu verstehen und zu ergreifen.

Im Bereich der Luftverteidigung reden wir darüber hinaus von Systemen, die nicht nur Soldatinnen und Soldaten schützen sollen, sondern auch die Zivilbevölkerung in unseren Städten. Insofern müssen wir die Vorteile, die sowohl (teil-)autonome als auch vernetzte Systeme bieten, konsequent nutzen.

Um diese Entwicklung mitzugestalten – und nicht „hinterher zu rennen“ – ist es erforderlich, dass Industrie und Bundeswehr gemeinsam die Ziele definieren und Lösungswege erarbeiten. Die Politik muss diese Ansätze unterstützen. Einrichtungen wie der Cyber Innovation Hub zeigen, dass diese Form der Zusammenarbeit grundsätzlich möglich ist. Kooperationen können – und das hat MBDA in anderen Bereichen gezeigt – sowohl industriell (inter-)national als auch Industry-to-Government aufgebaut werden, um durch Zusammenfassung allen Wissens zu schnellen und umfassenden Lösungen zu gelangen.

Wichtig ist dabei, dass verfügbare innovative Lösungen schnell zur Anwendung kommen. Hier gilt es, das übergeordnete Ziel des Erreichens der Kriegstüchtigkeit im Auge zu behalten und die nationalen Streitkräfte mit dem bestmöglichen Wehrmaterial zu versorgen. Gerade im Bereich der Innovation liegt aber auch die Gefahr, wesentliche durch Innovation erreichbare operationelle Vorteile durch eine kurzfristig durchgeführte Beschaffung marktverfügbaren Materials zu verpassen.

Sicher muss man die aktuelle Bedrohungssituation berücksichtigen, man darf jedoch nicht aus dem Auge verlieren, dass wir uns auch auf die Kriege der Zukunft vorzubereiten haben. Diese werden mit Drohnen, Künstlicher Intelligenz, mit Hyperschallflugkörpern und im mehrdimensionalen Raum geführt.

Die industrielle Basis – Voraussetzung für Kriegstüchtige Streitkräfte

Das oben erwähnte Vorhabenbeispiel HYDIS2 mit der Systemführerschaft der MBDA Deutschland zeigt gut auf, dass eine industrielle Basis, die durch hohe fachliche Kompetenz und Eigeninitiative geprägt ist, die Grundlage bietet für erfolgreichen Wettbewerb und Systemführerschaft.

Kompetenz, fachliches Know-how und Technologie müssen im eigenen Land verfügbar sein und weiterentwickelt werden. Dies bedeutet, dass sowohl seitens des Auftraggebers Bundeswehr als auch industriell notwendige Kapazitäten in Ausbildung, Forschung und Entwicklung bereitgestellt werden. Eine Aufgabe, die Staat, Gesellschaft und Industrie nur gemeinsam leisten können. Geht es um verteidigungsrelevante Aspekte, muss hierzu ergänzend ein gesellschaftlicher Konsens über deren Förderung erzielt werden.

Gerade im Bereich der Luftverteidigung und der Erkenntnisse aus dem Ukraine-Konflikt scheint es zukünftig erforderlich zu sein, eine besondere Unterstützung der industriellen Anstrengungen zum Aufbau einer industriellen Basis bereitzustellen. Frühzeitige Ankündigungen von Rüstungsinvestitionen in entsprechenden Vorhaben können dabei helfen, diese Basis aufzubauen und zu erhalten.

Ein weiterer Aspekt gerade unter dem Gesichtspunkt demographischer Entwicklungen ist die Förderung der Beschäftigung in Unternehmen der Rüstungswirtschaft, wie z.B. bei MBDA in Schrobenhausen. Hemmnisse, sich mit der Materie Rüstung zu beschäftigen, wie z.B. die Zivilklauseln an Hochschulen, müssen abgebaut und junge Menschen ermuntert werden, sich auch auf dem Gebiet der Rüstungswirtschaft zum Aufbau der nationalen Verteidigungsfähigkeit einzubringen.

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