Wenn im deutsch-französischen Projekt für zukünftige Kampfpanzer „Main Ground Combat System“ (MGCS) neueste Technologien erforderlich sind, dann wird ein Institut an der Grenze zwischen diesen beiden Ländern einiges dazu beitragen. Ein Blick hinter die Kulissen des deutsch-französischen Forschungsinstituts Saint-Louis (ISL) zeigt, wie innovative Konzepte und Lösungen für die Verteidigung beider Länder entstehen und an die Industrie transferiert werden können.
Die Geschichte des ISL geht auf die unmittelbare Nachkriegsgeschichte zurück. Es wurde 1959 im Zuge der deutsch-französischen Aussöhnung gegründet und ist damit älter als der „Elysée“-Vertrag. Die damaligen Unterzeichner des Vertrags waren die Verteidigungsminister beider Länder: Jacques Chaban-Delmas und Franz Josef Strauß.
Mehrere Besonderheiten zeichnen das Institut aus. So wird es zum Beispiel seit jeher von einem deutschen und einem französischen Direktor als Doppelspitze geführt. Die Binationalität setzt sich konsequent bis in die Forschungsgruppen fort und vereint das Beste aus beiden Kulturen. Das Personal wird ermutigt, die Sprache des jeweils anderen Landes zu lernen, zumindest zu verstehen. Im Zweifelsfall ist Englisch – die Sprache der Wissenschaft – allgemein geläufig und das Mittel der Wahl.
Dabei sticht die Breite der am ISL behandelten Forschungsgebiete deutlich heraus und begünstigt den interdisziplinären Ansatz: Historisch als ballistisches Institut aufgestellt, forscht das ISL heute an energetischen Materialen und Systemen, intelligenter Munition, alternativen Effektoren, wie Laser und elektromagnetischen Technologien sowie Schutzmaterialien, -technologien und Sensorsystemen.
Kernkompetenzen für Deutsch-Französische Rüstungsprojekte
Als einziges binationales Forschungsinstitut im Verteidigungssektor ist das ISL dazu prädestiniert, einen Beitrag zu deutsch-französischen Rüstungsprojekten wie dem MGCS zu leisten. Dies gilt umso mehr, als dass einzelne innovative Konzepte für das zukünftige Kampfpanzer-System im Bereich der Kernkompetenzen des ISL liegen. Dazu gehören, zum Beispiel, opto-pyrotechnische Zünder zur Auslösung aktiver Schutzmaßnahmen, KE-Geschosse der neuesten Generation sowie bildbasierte GNSS-unabhängige Navigationssysteme zur autonomen Sicherung und Überwachung des Nahbereichs oder zur Steuerung des autonomen Fahrens einzelner Plattformen.
Darüber hinaus werden Entwicklungen und Trends aus dem Ukraine-Krieg natürlich eng und kritisch verfolgt. Die sich abzeichnenden Herausforderungen des Gefechtsfelds der Zukunft fließen laufend in das Forschungsprogramm des Instituts ein. Das Programm umfasst u.a. innovative Ideen zu top-attack-fähiger Loitering Munition, die aus 155mm Geschossen ausgestoßen werden kann, was ein für Kampfpanzer besonders gefährliches System wäre. Auch gibt es im Forschungsbereich des ISL Überlegungen zu Treibspiegeln, die – statt vor der Rohrmündung herunterzufallen – sozusagen als zusätzliche Projektile die Wirkung im Ziel verstärken können. Ein weiteres Themenfeld ist die Detektion und Abwehr von Drohnen, ebenfalls eine nicht unbedeutende Fähigkeit aller künftigen Kampfpanzer.
Weltweit vernetzt und mehrfach ausgezeichnet
Das ISL ist in ein weltweites Netzwerk aus Industrie, Forschungsinstituten und Universitäten eingebunden. Regelmäßig finden am Institut Workshops und Symposien mit starker nationaler und internationaler Beteiligung statt. Solche Events sind ein eindrucksvolles Zeugnis des Renommees dieses weltweit einzigartigen Forschungsinstituts. So wurde im Februar 2024 das ISL Gastgeber für die erste „Swarming Technologies Conference“ der europäischen Verteidigungsagentur (EDA) mit über 100 Teilnehmern. Im November 2024 organisiert das Institut den ersten Workshop zum Thema „Laser and Power Electromagnetics for Navy“ mit Vertretern der Amtsseiten sowie von Industrie, und akademischer Welt beider Nationen.
So wundert es nicht, dass die Arbeit des ISL international hoch anerkannt ist. Seine Wissenschaftler werden regelmäßig für die Exzellenz ihrer Forschungsarbeiten ausgezeichnet. Beispielhaft seien hier der 2022 beim Internationalen Ballistiksymposium in Reno, USA ausgehändigte Louis und Edith Zernow-Preis für die fortschrittlichste Arbeit im Bereich der Grundlagen der Ballistik sowie die 2023 verliehenen Preise der International Ballistics Society in Brügge, Belgien für den besten wissenschaftlichen Beitrag zur Außenballistik genannt.
Win-Win für beide Trägernationen und deren Kampfpanzer
Die Vorteile der Einbindung des ISL in gemeinsame Projekte beider Länder liegen auf der Hand. Der deutsche Direktor, Brigadegeneral Michael Meinl erläutert hierzu: „Das Institut wird zu jeweils gleichen Teilen von Deutschland und Frankreich finanziert und die Forschungsergebnisse stehen den beiden Trägernationen in gleicher Weise zur Verfügung. Jede Nation bekommt damit für jeden investierten Euro den Gegenwert von zwei Euro Forschungsleistung heraus. So einfach ist das.“
Das ISL ist ein Paradebeispiel deutsch-französischer Zusammenarbeit, welches einen echten Mehrwert für beide Trägernationen – Deutschland und Frankreich – produziert. Einen Mehrwert, der sich dann auch im Main Ground Combat System widerspiegeln wird, so dieses spezielle Projekt für die zukünftigen Kampfpanzer beider Länder überhaupt zur Realisierung kommt. Denn, anders als die Erfolgsgeschichte ISL, ist es in den letzten Monaten wieder ruhig um MGCS geworden. Und Insider aus der Industrie berichten cpm Defence Network, dass sowohl die Vorstellungen des Militärs als auch die politischen Wünsche an die Zusammenarbeit der Industrie kaum umsetzbar sind.
Doch diese Spitzfindigkeiten im Projekt Main Ground Combat System ändern nichts an den Erkenntnissen, welche in deutsch-französischer Zusammenarbeit am ISL gewonnen werden. Wenn man sie nicht für MGCS nutzt, dann für ein anderes Landkampfsystem. Denn die Zukunft beginnt mit der Forschung.
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