„Wenn wir jetzt Deutschland verteidigen müssten, dann könnten wir das“, antwortet der 17. Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, auf die Frage, ob die Bundeswehr für den neuen Fokus der Landes- und Bündnisverteidigung gut genug aufgestellt sei. General Breuer ist seit März vergangenen Jahres im Amt und sieht sich nicht nur mit der von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“, sondern auch mit der von ihm selbst angestrebten „Kriegstüchtigkeit“ beauftragt. Denn „so richtig gut“, könne es die Bundeswehr eben noch nicht, führt der Generalinspekteur seine Antwort weiter aus. Welche Einschätzungen der ranghöchste Soldat der Bundeswehr zur aktuellen Lage hat und wie er die sicherheitspolitische Zukunft sieht, schilderte er in mehreren Interviews zum Jahreswechsel.
„Eins ist klar“, sagte Generalinspekteur General Carsten Breuer im Bundeswehr-Format „Nachgefragt“, „Putin hat mit seinem Angriff gegen die Ukraine auch ein Zeichen nach außen gesetzt, in Richtung Europa gesetzt. Er rüstet massiv auf und er hat vor allen Dingen eine Rhetorik gewählt, die sich auch gegen das übrige Europa richtet und nicht nur gegen die Ukraine. Dem müssen wir etwas entgegensetzen.“
Was der General unter „Entgegensetzen“ versteht, erklärt er im NDR-Podcast „Streitkräfte und Strategien“ausführlicher: „Wir wollen ja mit diesem Begriff [der Kriegstüchtigkeit] etwas deutlich machen, nämlich dass wir vorbereitet sein müssen auf einen Krieg, dass wir verteidigungsbereit sein müssen, dass wir abwehrbereit sein müssen, sodass niemand auch nur auf die Idee kommt uns anzugreifen, also einen Krieg gegen uns zu führen. Ich glaube das ist Wesen und Kern der Abschreckung.“
Landes- und Bündnisverteidigung: neuer Fokus aus Kriegstüchtigkeit
Auch wenn erst nach der Vorstellung der verteidigungspolitischen Richtlinien durch Verteidigungsminister Pistorius das Wort „kriegstüchtig“ in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, war es nicht der Minister, der es zuerst verwendete. Bereits im Sommer sprach General Breuer beim Cyber Innovation Hub der Bundeswehr vom Neudenken der Landes- und Bündnisverteidigung – auch angesichts immer schneller werdender Innovationszyklen der Industrie. Der Generalinspekteur gebrauchte kriegstüchtig da als Synonym für einsatzbereit.
Ein gutes halbes Jahr später hat sich der Begriff weiterentwickelt. „In Kriegstüchtigkeit stecken verschiedene Bereiche mit drin“, ist General Breuer bei „Nachgefragt“ überzeugt. „Es ist zum einen die materielle Einsatzbereitschaft, es ist die personelle Einsatzbereitschaft, es ist aber auch die Mentalität, die mit dazukommt. Und ich glaube, an allen drei Fronten müssen wir arbeiten.“
Panzer stehen nicht im Regal
– Generalinspekteur General Carsten Breuer im NDR-Podcast „Streitkräfte und Strategien“
Mit Blick auf zahlreiche Abgaben von Material und Munition an die Ukraine ist häufig die Kritik zu hören, die Bundeswehr hätte selbst keine Reserven mehr. Darauf entgegnet General Breuer: „Wir haben schon deutlich nachgefordert, wir haben schon deutlich weiter investiert, wir haben enorme Anstrengungen mit reingenommen, um weiter zu rüsten und um wieder zu rüsten. Das greift nicht alles von jetzt auf gleich. Panzer stehen nicht im Regal, auch wenn ich mir das manchmal so wünschen würde.“ Der Generalinspekteur zeigt sich in den Interviews zuversichtlich, dass jetzt bestelltes Gerät auch wie geplant geliefert wird, um mehr als nur abgegebenes Material zu ersetzen.
Die Wehrpflicht löst das Personalproblem der Bundeswehr nicht
Ein anderer Aspekt der Kriegstüchtigkeit betrifft das Personal der Bundeswehr – militärisch und zivil. Zur aktuell wieder aufflammenden Debatte um die Wehrpflicht vertritt der Generalinspekteur im Bundeswehr-Interview eine differenzierte Meinung: „Der demografische Wandel, der heutzutage in aller Munde ist und den wir auch überall erleben, – Fachkräftemangel als Stichwort – macht auch vor der Bundeswehr nicht halt. Es nur damit zu begründen, dass wir keine Wehrpflicht mehr haben, springt aus meiner Sicht zu kurz. Wir haben es über Jahre hinweg eigentlich ganz gut geschafft, Personal für die Bundeswehr zu rekrutieren; Menschen zu werben, die dann auch mit ihrem ganzen Engagement sich für die Truppe bereitgestellt haben.“
Eine personelle Lücke können wir nicht durch Wehrpflicht lösen, das wäre zu eindimensional gedacht.
– Generalinspekteur General Carsten Breuer im NDR-Podcast „Streitkräfte und Strategien“
Das klingt nach einer ablehnenden Haltung gegenüber der Wiedereinführung bzw. Reaktivierung der Wehrpflicht, wie sie von Verteidigungsminister Pistorius auf den Tisch gebracht wurde. Doch ganz so eindeutig ist es nicht, wie General Breuer im NDR-Podcast erläutert: „Wenn wir auf die Wehrpflicht blicken und sagen ‚damit lösen wir das Personalproblem der Bundeswehr‘, dann ist das für mich zu wenig. Die Wehrpflicht und der gesamte Komplex darum ist komplizierter als das. Und deswegen würde ich vor allen Dingen die Aufwuchsfähigkeit von Streitkräften mit der Wehrpflicht verknüpfen. Wenn Minister Pistorius jetzt das schwedische Modell ins Gespräch gebracht hat, dann geht es glaube ich genau in diese Richtung.“
Unter dem schwedischen Modell wird in Deutschland oft verstanden, dass zwar alle jungen Männer in Deutschland auf ihre Tauglichkeit hin gemustert werden, daraus jedoch keine Pflicht zum Dienst resultiert, sondern vielmehr ein Überblick über das Potenzial gefolgt von der Möglichkeit für die Bundeswehr, gezielte Angebote je nach Bedarf zu machen. Das jedoch ist beim Vorbild Schweden nicht der Fall. Dort werden Interessenten am Wehrdienst zwar bevorzugt, bei unzureichender Anzahl wird jedoch trotzdem die benötigte Anzahl auf Grundlage der zuvor erhobenen Musterungsdaten eingezogen. Ob die ursprüngliche Wehrpflicht in Deutschland mit einem Zivildienst als Ersatzleistung dann nicht fairer wäre als die schwedische Lotterie, sollte daher weiter diskutiert werden.
Im Wettbewerb um gutes Personal angesichts des gesamtdeutschen Fachkräftemangels ginge es daher ebenso um Attraktivität des Berufs, so der Generalinspekteur weiter. Er wirft jedoch auch die Frage auf, welche Aufgaben bei der Bundeswehr überhaupt von zeitintensiv ausgebildeten Soldaten ausgeführt werden müssten oder ob es nicht auch Aufgaben gäbe, die von zivilen Kräften übernommen werden könnten.
Generalinspekteur: Der Krieg der Zukunft ist unvorhersehbar
Ob mit oder ohne Wehrpflicht: Die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr werden nicht weniger. Generalinspekteur General Carsten Breuer ist sich sicher, dass es zukünftig ein Entweder/Oder zwischen Landes- und Bündnisverteidigung auf der einen und internationalem Krisenmanagement auf der anderen Seite nicht mehr geben wird. Doch wie sieht er aus, der „Krieg der Zukunft“? Es gehe in erster Linie darum, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten.
Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir uns gar nicht richtig vorbereiten können. Das, was auf uns zukommen wird, können wir nicht vorhersagen. Sicherheitspolitisch ist es sehr volatil.
– Generalinspekteur General Carsten Breuer im Bundeswehr-Interview „Nachgefragt“
Im Bundeswehr-Format „Nachgefragt erläutert der General seinen Ansatz, des weit nach vorne Schauens. Es reiche schließlich nicht, sich nur die aktuelle Lage und die kommenden Wochen anzuschauen. „Was müssen wir in 5 Jahren können“, fragt General Breuer, „was müssen wir in zehn, in 15 oder in 20 Jahren können? Wenn wir die Bundeswehr der Zukunft jetzt aufbauen; wenn wir sie strukturieren; wenn wir mit neuen Strukturen uns auf das vorbereiten, was in Zukunft auf uns zukommen wird, dann müssen wir genau in diese Entwicklungen hineinblicken.“ Entwicklungen, die einerseits Technologiesprünge, andererseits neue sicherheitspolitische Gegebenheiten bedeuten, die heute noch gar nicht abzusehen sind.
Anders als vielleicht zu vermuten wäre, sieht der Generalinspekteur der Bundeswehr diese Unvorhersehbarkeit der Zukunft nicht als etwas Schlechtes. „Wir brauchen Streitkräfte“, zieht General Carsten Breuer sein Fazit aus der aktuellen Zeitenwende, „mit denen wir sowohl die Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung können, auf der anderen Seite aber auch Streitkräfte, die internationales Krisenmanagement können. Und ich glaube, das schließt sich gar nicht so sehr aus. Ich glaube, wir kriegen das beides sehr gut hin.“
Navid Linnemann
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